Auswertung der NPO-Blogparade zu Social Media Policys und Social Media Guidelines in NPOs

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Im April dieses Jahres versuchten wir die NPO-Blogparade durch unseren Sessionbeitrag zum BarCamp-Teil auf der Berliner re:campaign bekannter zu machen. Wir kamen zu dem gemeinsamen Ergebnis, eine neue Runde zum Thema „Social Media Policy“ würde wohl breit genug sein, um das Engagementlevel für eine breitere Zielgruppe erreichbar zu machen und die Einstiegsbarrieren zu senken. War das eine Fehlprognose? Wir glauben das nicht. Zum einen kommt das Thema Social Media Policys ganz offenbar auch im deutschsprachigen Dritten Sektor an und zum andern freuen wir uns auch über die Beiträge einer Bloggerin und eines Bloggers, die sich an den vorangegangenen Runden noch nicht beteiligt hatten: Marc Boos von der Caritas Deutschland und Andrea Mayer-Edoloeyi vom österreichischen Kirchenblog ThemaTisch.at.
Zur Prokrastination sei eingeräumt: Es ist bereits einige Zeit vergangen, seit wir unsere NPO-Blogparade zu Social Media Policys und Social Media Guidelines beendeten. Abgesehen von der üblichen Arbeitsbelastung und der gerade laufenden Besiedlung von Google+, die so spannend wie Zeitaufwändig ist, war es für uns doch herausfordernd, diese Auswertung gemeinsam zu schreiben. Wir versuchten es mit dem Webdienst SYNC.IN – einer Whiteboardlösung für kollaborativ Texterstellung – müssen doch aber sagen, dass das wohl nicht die beste Entscheidung war. Irgendwie schien es, als würden wir die Verantwortung für den Textausbau immer zwischen Wien und Berlin hin und her schieben. Schlussendlich stiegen wir dann doch auf die gute alte offline Textbearbeitung und E-Mail um und updateten das Whiteboard nur noch gelegentlich.

Auswertung der NPO-Blogparade:

Original: Embracing Social Meida (by RDECOM | flickr.com | CC-BY)

Nun, wie steht es um die Diskussion um Social Media Policys und Social Media Guidelines in NPOs und öffentlicher Verwaltung  (Initial von Gerald Czech & Hannes Jähnert)? Als Hosts dieser NPO-Blogparade stellten wir folgende Fragen in den Raum:

  • Ist es notwendig, eine Social Media Policy zu haben oder gibt es andere Wege des organisationalen Umgangs mit sozialen Medien?
  • Was sollte Inhalt einer Social Media Policy sein, was nicht?
  • Wie kann man diese Policy etablieren, wie die Umsetzung innerhalb der Organisation veranlassen?
  • Ist es noch sinnvoll über das „Wie“ alternativer Kommunikationsmodi (in diesem Falle alles außer Social Media) nachzudenken?
  • Wie könnte ein Verständigungs- oder gar Einigungsprozess über dieses „Wie“ einer (Social) Media Guideline zu gestalten sein?
  • Welche Herausforderungen ergeben sich hier für NPOs und öffentliche Verwaltung?

Das Themenfeld war also breit. Es umfasste einerseits die Fragen zu Social Media Policys und Guidelines in NPOs, andererseits Fragen nach der Überbrückung einer offensichtlich auseinanderklaffenden Communication Gap zwischen Bürgerinnen und Bürgern und öffentlicher Verwaltung. Zwar ist zu vermuten, dass auch zwischen den Kommunikationsmodi einer NPO und ihrer Bürgerstakeholderinnen und -stakeholder eine solche Lücke klafft (mithin haben Mitarbeitende keinen Zugang zu Social Networking Diensten wie Facebook), doch verstanden wir den zweiten Fragenkomplex ohnehin eher als Erweiterung des ersten und verzeichneten so auch entsprechend geringen Rücklauf. Nur der Co-Host Hannes Jähnert, der diese Erweiterung angeregt hatte, ging in seinem Beitrag näher auf mögliche Eckpunkte eines Beteiligungsprozesses auf kommunaler Ebene ein. Die übrigen Beiträge kreisten also um mehr oder minder grundsätzliche Fragen zu und die Praxis der Implementierung von Social Media Policys und Guidelines in NPOs.

Notwendigkeit von Social Media Policies

Mit Jona Hölderle, Co-Autor des im letzten Jahr erschienenen E-Books zum Thema, dem Kulturmanager Christian Henner-Fehr sowie Marc Boos von der Caritas Deutschland und Andrea Mayer-Edoloeyi von ThemaTisch.at ist die Frage, ob NPOs überhaupt eine Social Media Policy brauchen, mit einem eindeutigen „Nein, aber“ zu beantworten. Eigentlich bestanden doch schon immer Richtlinien, die natürlich auch für das Internet und ebenso für Social Media gelten. Eine so einfache wie einleuchtende und häufig auch implizite Policy zitiert Henner-Fehr von Beth Kanter, die sich bereits vor mehr als zwei Jahren mit dem Thema beschäftigte:

Use common sense and please don’t say stupid stuff (Kanter)

Henner-Fehr schreibt zwar, dass mit solchen Aussagen durchaus ein Rahmen „gezimmert“ werden kann, in dem sich Mitarbeitende in den sozialen Medien bewegen dürfen, doch reicht ihm das bei weitem nicht aus, um den Herausforderungen dynamischer Medienwelten zu begegnen. So kann eine SMP ganz grundsätzlich für die Diskussion einen organisationalen Konsens über den Wert der Social Media Kommunikation eingesetzt werden. Desweiteren kann mit einer SMP auf ein konsistentes Auftreten der Organisation (on- wie offline) hingewirkt und verbandsinterne Kommunikation abgestimmt werden. Nicht zu Letzt — und dieser Punkt sollte nicht unterschätzt werden — können Guidelines für den Social Media Gebrauch auch Sicherheit in rechtlichen Grauzonen geben, die es immer noch (und wohl noch eine ganze Weile) geben wird, was besonders die immer schwierigere Trennung zwischen Privatem und Beruflichem anbelangt.

Vorüberlegungen zur Implementierung einer Social Media Policy

Welche grundsätzlichen Fragen vor der Implementierung einer Social Media Policy bzw. einer entsprechenden Guideline zu stellen sind, führt Julia Russau in ihrem detaillierteren Beitrag in ihrem Blog “anerkennung-sozial” aus. Russau stellt fest, dass sich jede Organisation durch ihre eigenen (impliziten oder  expliziten) Regeln des Miteinanders definiert. Es sind eben jene Regeln, die das System nach innen schließen und nach außen abgrenzen. Ganz nach dem Motto: ‘Kultur ist, was dich Fremd macht in der Ferne’ zeichnet Russau dafür ein passendes Bild:

Wer als Besucher zum ersten Mal das Gebäude einer unbekannten Organisation betritt, fühlt sich nicht selten zunächst fremd. Man weiß vielleicht nicht genau, wo sich das Büro des Gesprächspartners befindet, ob man als Außenstehender willkommen ist oder als störend empfunden wird, ob das Gespräch locker oder förmlich verlaufen wird, ob man einen Witz reißen darf oder sich damit sofort ins Fettnäpfchen setzt. Jede Organisation hat ihre eigenen ‘Gesetze’.

Eine Social Media Policy — so Russau — muss sich selbstverständlich an diesen (meist) impliziten  Regeln orientieren, um Anknüpfungspunkte für die Entwicklung neuer Formen des organisationalen Miteinanders zu schaffen. Damit ist aber vor allem die Entwicklung der Organisationskultur angesprochen, die ein wesentlicher Effekt des Erarbeitungsprozesses einer Social Media Policy ist.

Das, was über Social Media kommuniziert und erarbeitet wird, bewegt sich nicht in einer eigenen, abgeschlossenen, virtuellen Gemeinschaft, sondern steht immer auch in Beziehung zu dem, was diese Gemeinschaft außerhalb der Virtualität kommuniziert und erarbeitet. Gleichzeitig aber werden durch die Einbeziehung von Social Media-Anwendungen (virtuelle) Räume geschaffen, die eigene, neue Werte und Normen hervorbringen (z.B. bezüglich Partizipation, Transparenz).

Eben hiermit ist wohl auch Brigitte Reiser einverstanden, die in ihrem Beitrag “Mehr Partizipation wagen — für ein neues Leitbild in verbandlichen Sozialorganisationen” der Notwendigkeit der gemeinschaftlichen Entwicklung einer Social Media Policy große Bedeutung zuschreibt. Dies vor allem, weil Förderung der Partizipation von Stakeholdern nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wirkt. Mit der Social Media Kommunikation entwickelt sich auch die Organisation weiter — dem muss mit expliziten Richtlinien Rechnung getragen werden.
Dementsprechend sieht Andrea Mayer-Edoloeyi auch die katholische Kirche in der Pflicht, eigene Guidelines für die Social Media Nutzung zu erarbeiten. Mayer-Edoloeyi weist bei dieser Gelegenheit darauf hin, dass die Deutsche Bischofskonferenz sowie der Bund deutscher katholischer Jugend (BDKJ) derzeit an entsprechenden Richtlinien arbeiteten, die von anderen Einrichtungen übernommen und für ihre Bedürfnisse adaptiert werden können. Ob sich mit Blick auf diese Bemühungen allerdings von der Erarbeitung inklusiver Social Media Policys gesprochen werden kann ist  mindestens fraglich. (1) Bleibt die Öffentlichkeit von den Diskussionen der Deutschen Bischofskonferenz außen vor (auch Mayer-Edoloeyi scheint hier  kein Link dazu zu kennen) und (2) findet sich in dem Entwurf der Guidelines des BDKJ kein Hinweis auf das Empowerment der Mitglieder, die nicht  explizit für Social Media zuständig sind:

Wer ist bei uns für Social Media zuständig?
Die Mitglieder des BDKJ-Bundesvorstandes

  • Das Referat für Öffentlichkeitsarbeit
  • Das BDKJ-Webteam

Inhalte veröffentlichen, Anfragen beantworten, Moderieren und Kommentare schreiben dürfen für den BDKJ-Bundesverband die oben Genannten.

Implementierung von Social Media Policys

Zum praktischen Teil der Implementierung einer Social Media Policy zeichnet Gerald Czech vom Österreichischen Roten Kreuz (Co-Host dieser Blogparade) zunächst einen idealen Verlauf in fünf Punkten:

  1. Zunächst wird es – in föderalen Netzen, die teilweise lose  gekoppelt sind, auf allen Organisationseinheiten – so genannte „early  adoptors“ geben, die Social Media Tools bereits seit langem einsetzen — irgendwie halt. Ohne Strukturen, ohne Konzepte und ohne Strategie.
  2. Dann wird die strategische Führung (mit oder ohne externe Beratung)  sagen, dass diese Tools und die damit in Verbindung stehende  Kommunikationskultur „on strategy“ sind und an die Expertinnen einen  Auftrag zur Implementierungsplanung geben.
  3. Bestehende Ressourcen werden zwischen unterschiedlichen Organisationseinheiten  miteinander vernetzt, best practices werden untereinander ausgetauscht  und eine taktische Implementierungsplanung beginnt.
  4. Als  strategischer Rahmen für das Social Media Engagement wird – neben der  strukturellen Einbindung und der adäquaten Ressourcenplanung – eine Social Media Policy entwickelt, die im Anschluss verbindliche Richtlinien für das Verhalten von Organisationsmitgliedern im Web gibt.
  5. Die Social Media Kanäle sind analog zu anderen Kommunikationskanälen medienadäquat in sämtliche Prozesse der Organisation eingebunden und  werden von allen Organisationsebenen verwendet.

Auch Julia Russau schlägt für die Implementierung einer Social Media Policy einen idealen Verlauf (ihrerseits in neun Punkten) vor, weist allerdings auch darauf hin, dass über das Wie, also den Prozess, jede Organisation für sich selbst entscheiden muss. Da die Entwicklung und Implementierung einer Social Meida Policy einen Organisationsentwicklungsprozess forciert, wird sich kaum ein Standardrezept finden lassen – die Social Meida Policy instant aus der Tüte gibt es nicht.
Wohl können sich Interessierte aber an den Erfahrungen anderer orientieren, die diesen Prozess bereits durchlaufen haben bzw. immer noch durchlaufen. Vorausgesetzt natürlich diese Vorreiterinnen und Vorreiter schreiben auch darüber wie es Gerald Czech vom ÖRK und Marc Boos von der Caritas Deutschland getan haben. Czech schreibt über die im deutschen Sprachraum am häufigsten zitierte Social Media Policy des ÖRK, deren Erarbeitungsprozess er selbst als Koordinator begleitete:

Natürlich bin ich – nach fast einem Jahr gemeinsamer Arbeit – stolz, ein solches Produkt mit einem stark Stakeholder-fokussiertem Ansatz tatsächlich gemeinsam mit einer Vielzahl an Rotkreuz-Führungskräften,  Rotkreuz-MitarbeiterInnen und auch externen Rotkreuz-Interessierten Social Media-ExpertInnen umgesetzt zu haben.

Von der Umsetzung, der Implementierung bzw. dem Beschluss der eigenen Social Meida Policy ist die Caritas Deutschland zwar noch ein stückweit entfernt, doch lohnt auch ein Blick in den Blog der Caritas-Webfamilie, in dem der Entwurf des Leitfadens für die Nutzung sozialer Medien bis zum 15. Juli zur öffentlichen Diskussion gestellt wurde. Wie auch beim ÖRK beschränkte sich die Diskussion hier nicht auf die „Verantwortlichen der Öffentlichkeitsarbeit“ oder die internen Social Media Expertinnen und Experten. Mitsamt dem Versprechen, die Kommentare und Hinweise in den weiteren Dialog einfließen zu lassen, waren schlicht alle Interessierten Eingeladen an dem Entwurf mitzuarbeiten:

Die Anmerkungen werden von den Kommunikationsverantwortlichen des Deutschen Caritasverbandes diskutiert, bewertet und können so in die Endfassung des Dokumentes einfließen. Dieses will der Vorstand für die  Bundeszentrale in Freiburg, Berlin und Brüssel beschließen. Im Herbst soll der Leitfaden im Caritasrat besprochen und so zur Vorlage für die  rechtlich eigenständigen Caritasverbände, Träger und Einrichtungen werden.

Wie beim ÖRK wurde hier also auch ein partizipativer Ansatz in der Gestaltung gewählt, der sich an den Organisationsstrukturen der deutschen Caritas orientiert. Einige Kommentare aus der deutschsprachigen NPO 2.0 Szene (u.a. von Katrin Kiefer, Gerald Czech und Hannes Jähnert) sowie die zahlreicher interner Vertreterinnen und Vertreter zeigen, dass diese Möglichkeiten auch genutzt wurden. Es wird sich nun zeigen, ob und wie der Entwurf des Leitfadens in der Caritas weiterentwickelt und -verbreitet wird. Wünschenswert wären natürlich regelmäßige Updates für die unterschiedlichen Wissensgeber, zu denen wir selbst zählen.

Versuch einer Conclusio

Nun, was lässt sich hier abschließend zusammenfassen? Zunächst: Ja, die Erarbeitung einer eigenen Social Media Policy macht Sinn. Allerdings — so der Tenor der meisten Beiträge — ist der Weg dabei viel wichtiger als das Ziel. Die Erarbeitung von Richtlinien zur Nutzung sozialer Medien forciert einen notwendigen Entwicklungsprozess innerhalb von NPOs und muss daher aus den Peripheren willkommener Nebeneffekte in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden. Vor allem die Wichtigkeit der partizipativen Ausgestaltung einer eigenen Social Media Policy wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser NPO-Blogparade betont. Neben der Kultivierung bis dahin schlummernden Wissens über die alltägliche Social Media Kommunikation und die damit verbundene Möglichkeit, die jeweiligen Wissensträger unter den Stakeholdern auszumachen, kann mit der jeweiligen Social Media Policy so auch auf einen breiten Konsens gebaut werden, der auch die für NPOs typischen Flatterränder einschließt und das Papier so schlussendlich zu beleben vermag.
Doch auch die positive Wirkung eigener Richtlinien für den Social Media Gebrauch auf das Verhalten der Organisationsmitglieder, im Sinne der Ermöglichung und Unterstützung ihrer jeweiligen Aktivitäten im Social Web sowie der Hilfestellung für alltägliche Fragen im Umgang mit auftretenden Problemen ist ein Effekt, der mehrfach Erwähnung fand. Es darf nicht verkannt werden, dass es immer noch – und wohl auch noch sehr lange – Menschen gibt, die sich durch die Social Media Kommunikation stark verunsichert fühlen und deshalb an den entsprechenden Online-Angeboten weniger partizipieren. Neben Medientrainings und der Begleitung eigener erster Schritte (bspw. im Tandem unter Peers) kann eine Social Media Policy hier Sicherheit schaffen und denen, die sich bisher nicht trauten eine eigene Stimme im Web 2.0 geben.
PS: Eine zusammenfassende Auswertung findet sich ebenso im Blog des Co-Hosts dieser NPO-Blogparade Gerald Czech

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