Die Zukunft des freiwilligen Engagements Teil 2: „kostenloses Engagement“

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Im ersten Teil meiner Reihe zur Zukunft des freiwilligen Engagements schrieb ich über die Beschleunigung in modernen Gegenwartsgesellschaften. Die Moderne, so der Befund, ist gekennzeichnet von größeren und kleineren Beschleunigungsschüben, die sich auf dreierlei Weise im Leben des post- oder spätmodernen Menschen manifestieren: Die technische Beschleunigung, die Beschleunigung des sozialen Wandels und die Beschleunigung des Lebenstempos. Hartmut Rosa (ebd.: 243ff.) zeigt, dass sich diese drei Ebenen in einem „Akzelerationszirkel“ gegenseitig antreiben und [e]ine wirkungsvolle Unterbrechung […] im Horizont der sich verselbstständigenden systemischen Prozesse der Moderne […] sehr unwahrscheinlich [ist]“ (ebd.: 255).
Die Beschleunigung in spät- oder postmodernen Gesellschaften, so habe ich im letzten Teil zu zeigen versucht, führt auf der Ebene des individuellen Erfahrens zu gefühlter Zeitnot, die einen hilfreichen Hinweis auf das „Warum“ der Diskrepanz zwischen hoher Engagementbereitschaft (37%) und tatsächlichem Engagieren (36%) gibt (zu den deutschen Engagementquoten siehe Gensicke/Geiss 2010). Da die Beschleunigung in der modernen Gegenwartsgesellschaft zu einer Schrumpfung des Zeitraums führt, der sich vom einzelnen als Gegenwart noch sicher überblicken lässt, fühlt sich der postmoderne Mensch schlicht nicht mehr in der Lage, längerfristige Engagements mit unspezifischen Anforderungsprofilen zu übernehmen. Insofern eben diese mehr oder minder unspezifischen Engagements aber typisch für die deutsche Freiwilligenarbeit sind, stellt sich die Angabe keine Zeit für ein Engagement zu haben als Symptom der Beschleunigung dar. Anstatt sich freiwillig für eine gute Sache, eine bessere Welt oder die eigenen Ideale einzusetzen, ‚entscheidet‘ sich der postmoderne homo oeconomicus lieber für Tätigkeiten, die zwar weniger geschätzt werden und weniger Befriedigung verschaffen, aber eben besser in das eigene Identitäts-Patchwork passen; der postmoderne Mensch sieht fern und surft im Social Web.
Mit Angelika Diez diskutierte ich in den Kommentaren diese Identitäts-Patchworks. Während Rosa behauptet, dass die Fragmentierung der postmodernen Erlebniswelt die Ausbildung stabiler Identitäten kaum noch vorstellbar macht, waren wir uns doch einig, dass Identitäten heute zwar nur noch stark fragmentiert zu beschreiben sind, sich aber dennoch als individuell sinnvoll und damit stabil erweisen. Angelika beschrieb dies mit den einzelnen Bildern eines Films, ich mit Gravitationsfeldern, die die Erlebnisse und Erfahrungen um ein (oder vielleicht auch mehrere) Issues kreisen lassen — ein bestimmtes Thema, eine Lebensqhilosophie etc.
Das Für und Wider unserer Vermutungen werde ich später noch einmal aufnehmen. Hier im Folgenden will ich zunächst nach Möglichkeiten friktionslosen Freiwilligenengagements suchen. Als These notierte ich dafür im letzten Teil, dass die Engagementförderung dem Vorbild des Fernsehens folgen sollte und eine ganze Bandbreite von unterschiedlich aufwändigen Engagements möglich machen muss“ — vom langfristigen, anspruchsvollen Commitment bis zum sporadischen Hosentaschenenagegement für zwischendurch.

Kostenloses Engagement!?

Der Schwerpunkt dieses zweiten Teils liegt also nicht auf den Arbeitsleistungen Freiwilliger, die für Nonprofits vermeintlich kostenlos sind, sondern auf der möglichst friktionslosten Gestaltung des Freiwilligenengagements. Speziell die Einstiegsoptionen in den Freiwilligensektor, so die Grundannahme, dürfen den Interessierten nicht mehr abverlangen, als das, was sie eigentlich tun wollen. Wer helfen oder sich einbringen will, sollte es zunächst einfach tun können, ohne vorher oder währenddessen zusätzliche Aufwendungen leisten zu müssen; der Return on Engagement sollte dementsprechend höher sein, als die Aufwendungen, die dafür nötig sind. Wie Brigitte Reiser festhält, sind hier also eher Hosts als Helden gefragt.
Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Gestaltung kostenlosen Ehrenamts schon längst im Gange. Zumindest die tatsächlichen Aufwendungen für die Ausübung eines freiwilligen Engagements werden schon häufig erstattet (Fahrtkosten, Arbeitsmaterial und -kleidung etc.). Zudem wurde im Zuge der Entbürokratisierung 2007 — übrigens auch Symptom der Beschleunigung (Rosa 2005: 323ff.) — eine steuerfreie Ehrenamtspauschale von 500 € p.a. (§ 3 Nr. 26 a EStG) eingeführt, die die Quote pauschaler Aufwandsentschädigungen im freiwilligen Engagement von sieben auf zehn Prozent ansteigen ließ (Jähnert/Breidenbach/Buchmann 2011: 48). Es ist nicht auszuschließen, dass die Möglichkeit pauschaler Aufwandsentschädigungen im Dritten Sektor immer mehr als Anreizsystem für das freiwillige Engagement missverstanden wird, was wiederum tief blicken lässt: Trotz der verbesserten Möglichkeit keine — oder zumindest keine direkten — finanziellen Einbußen durch das Ehrenamt zu haben, stagniert die deutsche Engagementquote seit den 1990er Jahren (Petersen 2012: 53f.). Insbesondere traditionelle Dritt-Sektor-Organisationen klagen über fehlenden Nachwuchs für zu besetzende Ehrenämter, obwohl sie es eigentlich sein müssten, die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen zahlen und tatsächlich entstandene Aufwendungen entschädigen können.
Das Problem, vor dem die deutsche Engagementförderung also steht, ist, dass das Ehrenamt dem postmodernen Menschen immer noch viel zu teuer scheint. Nicht etwa, weil er (oder sie) nicht bereit wäre, in eine gute Sache zu investieren (vgl. jährliches Spendenvolumen in Deutschland), sondern, weil viel zu oft versteckte Kosten hinter einem Engagementangebot vermutet werden. Versteckte Kosten, die sich nicht in finanziellen Messgrößen wiedergeben lassen und damit nur sehr schwer verhandelbar sind.
Einen nützlichen Hinweis auf diese versteckten Kosten geben Jürgen Habermas und Hartmut Rosa gleichermaßen. Habermas schließt aus der systemischen Verselbstständigung eine strukturell generierte Verantwortungslosigkeit, die jedes einzelne System „unsensiebel für die Kosten [macht], die es für andere Systeme erzeugt“ (ebd. 1992: 417). In Anschluss an Lewis A. Coser spricht Rosa dementsprechend von „gierigen Organisationen“ (ebd.: 2005: 304), die nicht nur einen Teil der Zeit eines Menschen in Anspruch nehmen ‚wollen‘, sondern der Tendenz nach ungeteilter Aufmerksamkeit verlangen (ebd.: 304f.). Eben dieser tendenziell totalitäre Anspruch auf frei zur Verfügung stehende Zeit, der auch aus anderen Gesellschaftsbereichen (Familie, Schule, Erwerbsarbeit) bekannt ist,  wird — so lässt sich an dieser Stelle vermuten — häufig als Okkupationsversuch des eigenen Lebens wahrgenommen und dementsprechend gegen den zu erwartenden Return abgewägt.
Siegfried Bühler (2010: 34f.) sieht eben diesen Prozess des Abwägens als wesentlichen Punkt bei der Entscheidung für ein freiwilliges Engagement. Ihm zufolge determinieren insbesondere die Variablen (a) Wahrnehmung einer Handlungsalternative wie z.B. eines freiwilliges Engagement, (b) die Einschätzung der Realisierbarkeit dieser Handlungsalternative und (c) die Abwägung gegen andere Alternativen als ‚die beste‘ die Entscheidung für die Aufnahme eines Freiwilligenengagements. Über die Variable (a) wird bereits viel gesprochen, über die Variablen (b) und (c) hingegen nicht. Ungeachtet des Konkurrenzdrucks, der dadurch entsteht, scheint es, als würden Engagementangebote allein nach dem Bedarf der Freiwilligenorganisationen ‚gestrickt‘ und einfach gehofft, dass das Engagement schon für irgendjemanden passen wird. Wie gezeigt, schließt dieser Bedarf auch die unsensible Okkupationstendenz gieriger Organisationen ein, weshalb zeitlich und inhaltlich unspezifische Engagementangebote in der deutschen Freiwilligenarbeit so typisch sind.
Da nun aber angesichts stagnierender Engagementquoten die Vermutung nahe liegt, dass das „Freiwilligen-Markt“ (Neumann 2012:11f.) für diese Art von Engagements bereits ausgeschöpft ist, müssen neue Wege des freiwilligen Engagements gegangen werden, die sich nicht mehr nur an den Bedarfen der Organisationen ausrichten, sondern diese auf empathische Weise mit den Bedarfen potentieller Freiwilliger in Einklang bringen. Insofern geht es also viel mehr darum, das gute Gefühl des giving back möglich zu machen und so den von vielen Freiwilligen bestätigten Return on Engagement erlebbar zu machen. Das Erleben dieses Returns aus freiwilligen Engagement ist dabei deshalb so wichtig, weil die Versprechungen von Gemeinschaft, Spaß, Kompetenzerwerb und Wirkung viel zu abstrakt sind, als dass man mit ihnen das traditionelle Ehrenamt ‚vermarkten‘ könnte.

Fazit

Vor dem Hintergrund der Beschleunigung in post- oder spätmodernen Gesellschaften sowie der Stagnation der deutschen Engagementquoten scheinen traditionell zeitlich und inhaltlich unspezifische Engagementangebote, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden und realistisch erscheinen, für ein Gros der Deutschen nicht die ‚beste Alternative‘ zu friktions- und (mithin) folgenloser Kurzweil. Mit Freund!nnen und Bekannt!nnen über Facebook & Co.  zu chatten oder Statusmeldungen, Tweets und Blogposts zu kreieren, fern zu sehen oder Sport zu treiben scheinen eher die Freizeitbeschäftigungen der Wahl zu sein; freiwilliges Engagement und Ehrenamt wird damit mehr und mehr zum Sonderfall.
Dabei ist es mitnichten so, dass der individuelle ‚Nutzen‘ freiwilligen Engagements verkannt würde. Vielmehr wird dem Ehrenamt (als höchsten Ausdruck der Sozialmoral [Gensicke 2011: 171]) einiges an Bedeutungs- und Befriedigungspotential beigemessen, was sich aber eben nicht in den Quoten tatsächlich engagierter und damit der zivilgesellschaftlichen ‚Durchschlagskraft‘ widerspiegelt. Die These, die ich das nächste Mal wieder aufnehmen will, lautet dementsprechend: Engagementförderung besteht nicht darin, abstrakte Versprechungen vom Ehrenamt zu vermarkten, sondern darin, den Return on Engagement erlebbar zu machen.

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