Gute Gründe für das Engagement?!

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Beitrag zur aktuellen Runde der NPO-Blogparade “freiwilliges Engagement attraktiver machen — aber wie?!” von Brigitte Reiser und mir. Die NPO-Blogparade läuft noch bis Sonntag 29. September 2013.

Ist bürgerschaftliches Engagement gewollt?

Freiwilliges Engagement soll attraktiver werden. Warum? Weil die in Handlung übersetzte Bereitschaft zum freiwilligen Engagement ein wesentlicher Gradmesser für den Zustand einer Bürger- oder Zivilgesellschaft ist. Je mehr Menschen sich in der Öffentlichkeit engagieren, desto mehr Sozialkapital hat eine Gesellschaft, desto besser funktioniert sie, desto harmonischer geht es im Gemeinwesen zu. Das zumindest behauptete Robert Putnam in seinen famosen Studien rund um “Bowling alone”, die — wenngleich viel kritisiert — in der deutschen Engagementpolitik eine beeindruckende Wirkung entfalteten. Man hat es auf “öffentliches Sozialkapital” abgesehen, weil man glaubt, so die klaffenden Lücken und Gräben in unserer Gesellschaft zumindest stellenweise Kitten zu können. De facto aber — das zeigen zahlreiche Studien — wirkt die Engagementförderung vor allem in der Mitte der Gesellschaft und hilft den ohnehin ‘Vermögenden’, weiteres Kapital (sozial, kulturell & ökonomisch) zu akkumulieren.
Ist Engagementförderung also nur ‘bürgerliche Selbstbeschäftigung’ — Makulatur für die ‘echten’ Probleme unserer Zeit (Arbeitslosigkeit, [Alters-] Armut, Klimawandel usw.)?  ‘Beschäftigung’ wurde schon früh als probate Prophylaxe allzu weit gehender Aufmüpfigkeit entdeckt. Im alten Rom waren es “Brot und Spiele”, heute soll unsere Empörung über die Symptome gesellschaftlicher Entwicklung in Strukturen kanalisiert werden, die den Blick für’s Ganze — auch den für den öffentlichen Diskurs — versperren und so das Bürger-Geschrei von Politik und Verwaltung mit ruhigem Gewissen ignoriert werden kann.
Erstes Fazit: “Bürgerschaftliches Engagement”, wie es momentan vorgesehen ist, ist zu flach, um gesamtgesellschaftlich einen Unterschied zu machen.

Ist Zivilgesellschaft mit dem Staat zu machen?

Es ist eine Utopie, zu glauben, die Zahl der Engagierten allein würde in unserer Gesellschaft irgendeinen Unterschied machen. So lange Freiwillige nur ‘beschäftigt’ werden, ändert sich gar nichts. Es kommt auf das Wie des freiwilligen Engagements an! Zivilgesellschaftliche Organisationen — von der Bürgerinitiative bis zum Wohlfahrtsverband — spielen dabei eine wesentliche Rolle. Ihnen kommt die Aufgabe zu, die Empörung der Bürgerinnen und Bürger aufzunehmen und lautverstärkend in die politische Öffentlichkeit weiterzuleiten. Stellenweise kommen sie dieser Aufgabe auch nach, in weiten Teilen aber spielen diese zivilgesellschaftlichen Deliberationsprozesse keine Rolle.
Eben hier lassen sich zivilgesellschaftliche Akteure — inzwischen betriebswirtschaftlich geführten Dienstleistungsorganisationen im Dritten Sektors — auf die Gestaltung einer flachen Bürgergesellschaft ein. Ein böse gemeinter Vorwurf soll das nicht sein! Es ist ein Feststellung. Der erste Engagementbericht der Bundesregierung zeigt, dass die Schrebergärten-Mentalität im Dritten Sektor, die auch einen eklatanten Mangel an der Vernetzung zu schlagkräftigen Akteuren nach sich zieht, von einer spartenförmigen Förderpolitik herrührt, die mit bürgerschaftlicher Mitwirkung wenig am Hut hat.

“[D]er Nonprofit-Sektor [ist] in Deutschland nach wie vor eine überaus geordnete soziale Welt. Nach staatlichen Zuständigkeitsmustern in die Sparten Soziales, Sport, Kultur, Bildung, Ökologie oder Politik aufgeteilt, sind säuberlich voneinander separierte ‘Schrebergärten’ entstanden, die sich in der Vergangenheit mit staatlicher Förderung und Privilegierung jahrzehntelang selbst genügten” (S. 198).

Zweites Fazit: Die mithin als Professionalität getarnte Selbstgenügsamkeit im Dritten Sektor spielt der Verflachung von Zivilgesellschaft in die Hände. Aus einstmals zivilgesellschaftlichen Akteuren werden Dienstleistungsorganisationen für den Staat.

Argumente und ‘Gute’ Gründe für das Engagement

Wie lässt sich dem entgegenwirken? Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen des Dritten Sektors ihrer Aufgabe nachkommen sollen, die Diskurse in der politischen Öffentlichkeit zu moderieren und die Empörung von ‘unten nach oben’ lautverstärkend weiterzuleiten, brauchen sie gute Gründe. Davon gibt es einige:

  • Der Einbezug freiwilliger wird mithin ökonomisch begründet: Angebote, bei denen Freiwillige mitwirken sind breiter aufgestellt und erwecken mehr Vertrauen; ein klarer Vorteil im Marketing. Mithin — dieser Fakt ist bekannt — gibt es auch schwarze Schafe, die das freiwillige Engagement als billige (Personal-) Ressource missbrauchen.
  • Auch volkswirtschaftlich wird die Notwendigkeit freiwilligen Engagements begründet: Jeder investierte Euro — das zeigen insbesondere SRoI-Rechnungen — zahlt sich um ein vielfaches aus, weil der Staat sowie die kommunalen und regionalen Leistungsträger Ausgaben einsparen können.
  • Das freiwillige Engagement ist außerdem ein Image-Faktor: Organisationen, die Projekte mit Freiwilligen machen, können ihre Anliegen besser als gesellschaftlich relevant darstellen.

Die Liste lässt sich hier nicht abschließen. Je nach dem, wen man vom Einbezug Freiwilliger überzeugen möchte, ziehen unterschiedliche Argumente. Aus meiner Sicht dominiert im Moment die ökonomische Begründung. Freiwilliges Engagement bringt uns was! Das ist sicher auch nicht ganz falsch, vernebelt aber die guten Gründe für die Zusammenarbeit mit Freiwilligen.
Ein guter Grund für den Einbezug Freiwilliger und die Ermöglichung von Mitgestaltung sehe ich in der Stärkung der Verbindung zwischen Organisation und Basis. Für kleine Vereine und Initiativen mag das abstrakt klingen. Sie haben ihre Basis — ihre Unterstützer — ja zumeist im lokalen Umfeld, quasi direkt vor der Nase. Bei größeren Vereinen zum Beispiel im Sport oder der Kultur wird das schon greifbarer. Im Sport hat sich ein Funktionärswesen entwickelt, das sich von seiner jeweiligen Basis zuweilen deutlich entfernt. Häufig fehlt es einfach am regelmäßigen Kontakt, um ein Verständnis füreinander zu entwickeln und auf dieser Grundlage konstruktiv zusammen zu arbeiten. Oft aber fehlt auch der Wille, das Engagement der Basis ernst zu nehmen.
Insbesondere Engagements abseits eingetretener Pfade — außerhalb der Schrebergärten-Logik — werden mit Argwohn beäugt. Es wird selten gefragt welchem Zweck das jeweilige Projekt eigentlich dient, sprich welches Problem damit eigentlich gelöst werden soll. Unterstützung für Quergedachtes ist rar. Eher spielt man Neues und Ungewohntes noch zu Moden oder Phasen herunter, die es auszusitzen gilt. Eine selbsterfüllende Prophezeiung! Mangels Unterstützung, Anerkennung und Wertschätzung gehen Vorhaben außerhalb der Spur recht bald ihrem Ende entgegen. Auf der Strecke bleibt dabei, dass dieser scheinbaren Abstrusität ein Problem zu Grunde lag, das hätte aufgenommen und bearbeitet werden können. Auf der Strecke bleiben also die Engagierten und aus ihrer Sicht natürlich auch die Legitimität des Vereins als Organisation der Bürgergesellschaft.
Was sich im Sport anhand neuer Sportarten und -trends recht gut beobachten lässt, ist im sozialen Bereich ähnlich. Projekte außerhalb der Spur, Projekte, die noch unerkannte Probleme im Lebensumfeld der Engagierten anzeigen könnten, werden mit nur wenig Aufmerksamkeit bedacht — von Ressourcen ganz zu schweigen. Das ist fatal! Denn insbesondere diese Engagements, bergen enormes Potential für die wirkliche Innovation — Innovation, die tatsächlich gebraucht wird und nicht vermarktet werden muss.

Fazit

Es gibt viele Gründe, das freiwillige Engagement attraktiver zu machen. Ob sie alle gut und richtig sind, bezweifle ich. Da ich aber weiß, dass man für freiwilliges Engagement werben muss — und zwar in der Öffentlichkeit wie auch innerhalb der Organisation — habe ich mit zielgruppenspezifischen Argumenten für das freiwillige Engagement kein Problem. Wenn es beispielsweise gilt, Geschäftsleute vom Wert freiwilligen Engagements zu überzeugen, warum dann nicht, die ökonomische Schiene fahren? Warum nicht auch Marketing-Aspekte einbringen und Erfolgsgeschichten erzählen, an die man selber nicht so richtig glaubt?
Egal aber wie man versucht, für das freiwilliges Engagement zu werben, seinen wahren — den guten Grund — für das freiwillige Engagement sollte man nicht aus dem Blick verlieren. Für mich ist der gute Grund für das freiwillige Engagement die Anbindung der Organisation an die Basis, weil so direkte Verbindungen (strong ties) entstehen, die es (a) einfacher Machen Problemlagen aus den Lebensumfeldern der Engagierten zu identifizieren, (b) freiwilliges Engagement authentisch anzuerkennen und wertzuschätzen und (c) auch der abstrakten Organisation (‘denen da oben’) Legitimität zu verschaffen.
tl;dr: Um freiwilliges Engagement attraktiver zu machen, braucht es Argumente, gute Gründe und jene, die den Unterschied kennen.

Kommentare

  • Ich rekapituliere Deine Thesen:

    • 1. Zielgruppenspezifische Werbung für das freiwillige Engagement ist o.k.
    • 2. Den “guten Grund” sollte man aber nicht außen den Augen verlieren, d.h. die öffentlichen Engagementstrategien sollten das demokratische Potential von Bürgerengagement mehr in den Blick nehmen und
    • 3. für die Organisation bietet das freiwillige Engagement die Chance, das Verhältnis Organisation-Basis zu befestigen und Innovationen zu erspüren.

    Was die zweite These angeht, – ohne eine Bürgerbewegung, die einen entsprechenden Druck auf die Institutionen ausübt, wird sich in dieser Hinsicht in nächster Zeit nichts ändern

    • Ja, das ist wohl wahr. Ohne öffentlichen Druck wird sich hier nicht so schnell was ändern. Ich frage mich nur, wo dieser öffentliche Druck herkommen soll, wenn es denn tatsächlich so läuft wie ich es geschildert habe (Beschäftigung = neutralisation öffentlicher Empörung).

  • “[D]er Nonprofit-Sektor [ist] in Deutschland nach wie vor eine überaus geordnete soziale Welt. Nach staatlichen Zuständigkeitsmustern in die Sparten Soziales, Sport, Kultur, Bildung, Ökologie oder Politik aufgeteilt, sind säuberlich voneinander separierte ‘Schrebergärten’ entstanden, die sich in der Vergangenheit mit staatlicher Förderung und Privilegierung jahrzehntelang selbst genügten”
    In der mit Verweis auf dieses Zitat angeprangerten “Schrebergartenmentalität” kann ich beim besten Willen keinen Mangel erkennen: Kein Mensch kann sich für ALLES, was gut, sinnvoll und richtig ist, einsetzen. Eine Arbeitsteilung MUSS stattfinden: Es ist also gut, wenn sich die Leute vorrangig für die Dinge einsetzen, die ihnen besonders am Herzen liegen oder von denen sie besonders viel Ahnung haben. Das kann ein, dass können zwei, das können vielleicht auch mal drei Themenbereiche sein, aber nicht unendlich viele. Freilich soll man den Blick auf’s Ganze nicht verlieren. Nur kann eben dieser Blick nicht in allen Teilbereichen des Ganzen scharf und detailliert sein, wir Menschen sind schließlich keine Götter.

    • Ja, selbstverständlich kann nicht jeder alles machen. Es ist aber durchaus möglich, anderen zuzuhören, Leistungen und Angebote zu vernetzen und vielleicht hin und wieder vom hohen Ross fachlicher Expertiese herunter zu steigen.
      Genau das fehlt aber nicht selten im Nonprofit-Sektor. Da werden ‘Hilfe-Systeme’ mit grundsätzlich unterschiedlicher Philosophie entwickelt, die kaum aneinander anschlussfähig sind und deshalb schnell auf Zusammenarbeit verzichtet wird …

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