Mit einiger Begeisterung habe ich die Veröffentlichung der ersten quasi-repräsentativen Erhebung zum freiwilligen Online-Engagement junger Menschen zu Kenntnis genommen. Bereits im Mai dieses Jahres lag die vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) geförderte Studie des Forschungsverbundes aus TU-Dortmund und dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) vor. Kürzlich wurde sie auch auf der Webseite zum Download bereit gestellt. Unter dem Label „Engagement 2.0“ widmete sich das zweijährige Forschungsprojekt (2009 bis 2010) unter Leitung von Thomas Rauschenbach erstmals der gesellschaftlichen Beteiligung und dem freiwilligen Engagement junger Menschen in Zeiten des Web 2.0.
Hintergrund, Struktur und zentrale Findings
Mit der Untersuchung „jugendlicher Aktivität im Wandel“ (Obertitel der Studie) fokussierte die Forschungsgemeinschaft dabei vor allem die Auswirkungen alltäglicher Webkommunikation Jugendlicher zwischen 13 und 20 Jahren. Damit reagierte die TU Dortmund und das DJI auf die sich abzeichnenden Veränderungen jugendlicher Lebens- und Erlebenswelten, die heute häufiges Thema in medienpädagogischen Debatten sind. Der wohl auch heute noch landläufige Vermutung (oder Befürchtung), Jugendliche würden ihre gesamte Zeit im Internet verbringen und sich so sukzessive von ‚realer‘ gesellschaftlicher Teilhabe zurück ziehen, wird jedenfalls recht prominent widersprochen. Des Weiteren bestätigen die zentralen Findings dieser Studie, die Ergebnisse des aktuellen Freiwilligensurveys zum Interneteinsatz im freiwilligen Engagement sowie unterschiedliche Einschätzungen zur Entstehung neuer Engagement-Formen abseits etablierter NPOs:
(1) Die verstärkte Internetnutzung Jugendlicher [hat] keinen negativen Einfluss auf ihre Be-reitschaft zum freiwilligen Engagement
(2) Computer und Internet [sind] zum alltäglichen Hilfsmittel auch im traditionellen freiwilligen Engagement Jugendlicher geworden
(3) [es zeigen sich] auch bei Jugendlichen neue Formen internetgestützten Engagements (S. 5).
Im ersten inhaltlichen Abschnitt der Studie beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren zunächst mit „Definitionsvorschlägen“ für die zentralen Begrifflichkeiten der Erhebung — „Web 2.0“ und „Engagement 2.0“. Anschließend zeigen sie die zentralen Argumentationslinien in der Debatte um die medientechnische Entwicklung des Internets wie auch der mobilen Endgeräte auf und gehen schließlich auf den Stand der Forschung zum Online-Engagement ein. Die zentralen Argumentationslinien in der laufenden Debatte rund um das Web werden grob in kulturoptimistische und kulturpessimistische Argumentationen eingeteilt, wobei mein Konzept der Online-Freiwilligenarbeit (richtiger Weise) der kulturoptimistischen Seite zugerechnet wird (S. 25; S. 36).
Bezüglich des Forschungsstandes zum Online-Engagement kann es nicht überraschen, dass eben diesem große Lücken attestiert werden:
Der Blick auf den Stand der Forschung zum Einfluss des Internets auf das freiwillige Engagement Jugendlicher zeigt, dass dieses Thema, sowohl in der Engagementforschung als auch in der medien- und freizeitpädagogischen Forschung bislang noch keine große Bedeutung hat. So hat es in den Shell-Studien der letzen Jahre und im Freiwilligensurvey zwar Fragestellungen zu diesem Themenkomplex gegeben, tiefergehende Analysen zu den Zusammenhängen zwischen Internetnutzung und Engagement fehlen aber (S. 32).
Eine Lücke, die mit der Erweiterung des Fragenkataloges des AID:A-Surveys (Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten) geschlossen werden sollte. Im Mai 2010 konnten somit insgesamt 1.062 Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren in 15- bis 20-minütigen Telefoninterviews befragt werden und Erkenntnisse zum Zusammenhang freiwilligen Engagements und der Internetnutzung Jugendlicher gewonnen werden (S. 10).
Definitionsvorschläge: „Web 2.0“, „Engagement 2.0“ und „Online-Freiwilligenarbeit“
Erstaunen muss, dass im Rahmen dieser Studie tatsächlich der Begriff „Web 2.0“ der Bezeichnung „Social Web“ (oder vielleicht noch einfacher „Internet“) vorgezogen wurde. Hauptsächlich in Anschluss an die Konturierungsversuche Tim O’Reillys beschreiben die Autorinnen und Autoren „Web 2.0“ als Begrifflichkeit, die auf „spezifische technische Innovationen, aber primär auf eine veränderte Nutzung des Internets“ verweist (S. 13). Dabei ist natürlich richtig, dass die Userinnen und User — unterstützt von diversen Anwendungen und Diensten — Inhalte in erheblichem Maße selbst erstellen, bearbeiten und verteilen und insofern auch als „produser“ (Alvin Toffler 1983) bezeichnet werden können, doch war das (wenngleich in geringerem Maße) auch schon vor der ersten Erwähnung des Begriffes Web 2.0 der Fall (bspw. im Virtual Volunteering Pilot Project 1996 bis 1998). Bereits vor der Erfindung des WWW gab es Medientechniken, die das Erstellen, Verarbeiten und Verteilen von Medieninhalten möglich machten (E-Mail, IRC, FTP usw.). Andernfalls wäre das „Project Gutenberg“ des US-Amerikaners Michael Hart 1971 — meines Wissens das erste Online-Volunteering-Projekt der Welt — ebenso wenig möglich gewesen, wie die vielfältigen Aktivitäten der Hacker- und Cracker-Szene damaliger Zeit.
Mit dem Begriff „Web 2.0“, der den Autorinnen und Autoren offenbar nur in seiner Abgrenzung zum „Web 1.0“ etwas „unscharf“ erscheint (S. 14), wird versucht ein jugendliches Phänomen zu fassen, dass auch „das Verhältnis zu anderen Generationen grundlegend Verändert“ (ebd.). Damit ist natürlich die scheinbare Virtuosität junger Menschen beim Umgang mit diversen Endgeräten angesprochen, womit auch gleich noch ein paar neue Rollenkonstellationen postuliert werden, auf die allerdings nicht weiter eingegangen wird. Wohl auch in Anschluss an die „unscharfe“ (Ab-) Trennung des alten vom neuen Internet verweist die Argumentation an dieser Stelle auf die m.E. abenteuerlichen Konstruktionen von „digital natives“ und „digital immigrants“, die sich bspw. im Gutachten zum diesjährigen Deutschen Präventionstag „Neue Medienwelten“ in Oldenburg finden (ebd. 66ff)
Der kurze Abschnitt zu Web 2.0 (S. 13f.) mündet im zweiten Definitionsvorschlag: dem zum „Engagement 2.0“. Ich stand diesem Begriff und seiner Definition schon während der letztjährigen Preview-Diskussion dieser Studie beim Deutschen Verein kritisch gegenüber, bekam ihn dort allerdings als „Arbeitsbegriff“ vorgestellt, sodass ich zu dieser Zeit nicht weiter nachhackte. Umso mehr ist es mir heute ein Rätsel, warum an dieser Stelle so umständlich mit dem „Appendix 2.0 die semantische Nähe zum Internet hergestellt“ werden muss (S. 14), wenn es doch auch im Deutschen so einleuchtende Wortkombinationen wie „Online-Freiwilligenarbeit“ oder „Online-Engagement“ gibt. Überdies zeitigt auch die (Ausschluss-) Definition dieses Begriffes eine gewisse Neigung Neues in die Welt zu setzen:
Mit Engagement 2.0 sollen nach dieser Definition Tätigkeiten bezeichnet werden, die
(1) die technischen Möglichkeiten des Internets nutzen oder fortentwickeln, bzw. zu dessen inhaltlicher Entwicklung beitragen,
(2) freiwillig und ohne Entgelt ausgeführt werden und
(3) einen Nutzen erzeugen, der sich nicht ausschließlich auf den Kreis persönlich bekannter Personen bezieht (S. 14f).
Mit dem ersten Kriterium dieser Ausschlussdefinition wird das „Engagement 2.0“ zunächst auf Webaktivitäten begrenzt. Aktivitäten, die entweder die Mittel und Möglichkeiten moderner Webkommunikation nutzen (sich bspw. in Facebook-Gruppen organisieren), sie fortentwickeln (bspw. Webseiten, Anwendungen o.ä. programmieren) oder zur inhaltlichen Entwicklung div. Webangebote beitragen (bspw. Blogposts schreiben) fallen somit unter „Engagement 2.0“. Damit ist nicht nur beschrieben, was „Webaktivitäten“ genau sein sollen, sondern auch schon drei Typen des Online-Engagements angesprochen, die im Rahmen dieser Studie gebildet wurden:
- „Politikinteressierte Internetnutzer/innen“ (S. 107ff),
- „Mitglieder von Internetgruppen“ (S. 116ff) und
- „Produzent(inn)en“ (S. 126ff).
Mit dem zweiten und dritten Kriterium wird dann natürlich auf die Freiwilligenarbeit verwiesen und das „Engagement 2.0“ von der Berufstätigkeit abgegrenzt. Die Autorinnen und Autoren weisen dabei darauf hin, dass die Termini „freiwillig“ und „unentgeltlich“ „sehr weiche“ und „wenig wissenschaftliche“ Begriffe sind, die zur Indikatorenbildung eigentlich nicht ausreichen. Gleiches gilt wohl auch für die Gemeinnützigkeit, die mit dem dritten Punkt angesprochen ist und auch später in dieser Studie diskutiert wird (bspw. S.28). Eine (direkte oder indirekte) Gemeinwohlorientierung kann schließlich für jedwede Tätigkeit beansprucht werden, die sich im Rahmen der Verfassung bewegt (Enquete Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ 2002: 39).
Es ist mir an dieser Stelle nicht klar, warum hier eine so umständliche Ausschlussdefinition entworfen wurde, in der Freiwilligkeit, Unentgeltlichkeit und Gemeinwohlorientierung explizit angesprochen werden, Gemeinschaftlichkeit und Öffentlichkeit — die wesentlichen Dimensionen freiwilligen Engagements — dagegen nur mit dem Internet als öffentlicher Raum oder — sozusagen über Eck — durch die implizite Ansprache der gängigen Definition freiwilligen Engagements nahegelegt wird (S. 15). Um an dieser Stelle das eigentliche Anliegen dieses Kapitels – ‚Definitionsvorschläge formulieren‘ — aufzunehmen, schlage ich vor, die Online-Freiwilligenarbeit in Anschluss an die gängige Definition freiwilligen Engagements wie folgt zu definieren:
[Online-Freiwilligenarbeit bezeichnet] eine nicht erzwungene, unentgeltliche Tätigkeit, die nicht ausschließlich im Bereich der Familie, der Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung ausgeübt wird, Anspruch auf Gemeinnützigkeit erheben kann und nach außen gerichtet in Kooperation mit anderen teilweise oder komplett über das Internet vom heimischen Computer, vom Arbeitsrechner oder von unterwegs aus geleistet wird (vgl. Jähnert 2010: 395).
Fazit
Mit der Studie zu „jugendlichen Aktivitäten im Wandel — gesellschaftliche Beteiligung und Engagement in Zeiten des Web 2.0“ liegt die erste quasi-repräsentative Erhebung zum freiwilligen Online-Engagement in Deutschland vor. Allein dies ist schon lobenswert! Zudem waren die Forscherinnen und Forscher bei ihren Literaturstudien zu den Themen Internet und Online-Engagement recht gründlich, womit der Abschlussbericht vor allem für Einsteigerinnen und Einsteiger neben einem reichhaltigen Fundus an Literatur auch die hauptsächlichen Argumentationslinien in der aktuellen Debatte bereit hält.
Für ‚Insider‘ der Diskussion um Partizipation und Freiwilligenarbeit in Zeiten von Social Media müssen die Findings dieser Erhebung zunächst als Bestätigung gängiger Vermutungen gelten. Vor allem zur Internetnutzung Jugendlicher gibt es kaum Abweichungen von anderen Studien ([N]Onliner-Atlas / ARD/ZDF-Online-Studie / Schell Jugendstudie) und auch beim Interneteinsatz in der Freiwilligenarbeit sind keine Überraschungen auszumachen. Beides — sowohl die Internetnutzung als auch das freiwillige Engagement — werden weiterhin vor allem mit Bildung in Verbindung gebracht, der im Freiwilligensurvey von 2004 allerdings eine „Zwitterstellung“ zwischen strukturellen und kulturellen bzw. ideellen Faktoren unterstellt wurde. „Mit dem Erwerb mittlerer und höherer Bildung“ — so heißt es ebenda (2005: 89) — ist „auch der Erwerb bestimmter kultureller Orientierungen verbunden“; bspw. der Orientierung auf ein freiwilliges Engagement oder Ehrenamt ‚der Tradition wegen‘.
Wie die obigen Ausführungen wohl nahe legen, halte ich zunächst die zentralen Begriffe der Studie für an der aktuellen Diskussion vorbeikonstruiert. Weder die Ausführungen zum„Web 2.0“ noch der Anschluss daran mit „Engagement 2.0“ scheinen mir wirklich haltbar. Eigentlich nur aus wissenschaftspolitischen Erwägungen heraus, die die Prägung eines ‚neuen Begriffes‘ als Reputationsgewinn verbuchen, ist mir die ‚Herstellung der semantischen Nähe zum Internet durch den Appendix 2.0‘ erklärlich. Etwas ferner dagegen liegt, dass hier ein „rosa Elefant“ aufgeblasen wurde, der von den eigentlichen Schwächen der Studie ablenken soll. Im Sinne kritischer Wissenschaft sollte aber auch dem nachgegangen werden. Hinweise sind mir herzlich willkommen.
Frisch Gebloggt: Kommentar zur ersten #OnlineVolunteering #Studie für #Deutschland http://t.co/f1ERXcD #Blog
[…] als noch in den Jahren davor. Die TU-Dortmund und das DJI veröffentlichten erstmals eine Studie zum Online-Engagement von Teenagern, das DRK nahm das Online-Volunteering in seine Münsteraner Erklärung auf, das ÖRK veranstaltete […]