Vor ein paar Wochen war ich bei einer bemerkenswerten Veranstaltung, organisiert von D64 und dem Progressiven Zentrum. Auf einem Panel diskutierten Laura Esnaola (care.com) und Agnieszka Maria Walorska (ehem. StudiVZ) mit dem renommierten Wirtschaftsjournalisten Steven Hill, der in seinem neuen Buch „Die Start-up Illusion“ den Ruin des deutschen Sozialstaates durch die Internet-Ökonomie US-amerikanischer Prägung thematisiert. Bemerkenswert fand ich, das niemand auf dem Panel das Buch gelesen hatte, es in der Diskussion aber trotzdem heiß her ging: Hier Steven Hill’s Warnung vor den Folgen des blödsinnigen Tanzes um das goldene Kalb, dort die Forderung, dem Wandel optimistisch zu begegnen. Und natürlich der energische Ruf nach einem „bedingungslosen Grundeinkommen“!
Mittlerweile verspüre ich so etwas wie eine allergische Überreaktion, wenn ich „bedingungsloses Grundeinkommen“ lese oder höre. Meist plärrt einfach irgendwer ungefragt „Grundeinkommen“ ins Gespräch und schon zucke ich unwillkürlichen in einer Mischung aus widerwilligem Kopfschütteln und ideenloser Resignation zusammen. Bislang dachte ich, es liegt an mir. Bislang dachte ich, ich wäre irgendwie zu blöd, um die Argumente richtig zu verstehen aber da sind gar keine Argumente! Zumindest keine, die mich irgendwie überzeugen könnten. So auch an diesem Abend, an dem sich die Contra-Hill-Panellistinnen darüber beschwerten, dass die so wunderbare Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens von Hill in nur drei Zeilen Text leichtfertig abgetan wurde.
Ein lesenswertes Stück Text für jene, die all zu gern "BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN" dazwischenrufen. https://t.co/yPEB5SkIke
— Hannes Jähnert (@foulder) May 22, 2017
Grundeinkommen – eine gute Idee?
Wie gesagt, das gesamte Panel — außer der Autor selbst — hatte wenig Kenntnis vom Inhalt des Buches. Ich habe es mittlerweile gelesen und festgestellt, dass Hill das bedingungslose Grundeinkommen gar nicht so leichtfertig abtut. Er thematisiert es eben erst im Schlussteil, in dem es um die Möglichkeiten der weitere Entwicklung des deutschen Sozialstaates geht. Wenn das Grundeinkommen überhaupt irgendwo in dieses Buch gehört, dann hier hin. Und dann auch nicht unbedingt als der Master-Plan für den deutschen Weg im Wandel!
Hill weist gleich zu Beginn darauf hin, dass sich bei der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen riesige politische Gräben auftun:
Manche Vertreter der politischen Linken sehen im bedingungslosen Grundeinkommen die humanistischste aller Lösungen, den lang verloren geglaubten marxistischen Traum, dass ‚jeder nach seinen Bedürfnissen‘ leben könne. Doch es sollte alle Alarmsirenen schrillen lassen, dass es für dieses Konzept auch Unterstützung aus dem neo-liberalen rechten Lager gibt, zum Beispiel vom Ökonomen Milton Friedmann, wenn auch aus völlig anderen Gründen: Für das rechte Lager ist das bedingungslose Grundeinkommen ein gut getarnter Vorwand um staatliche Sozialprogramme dramatisch zu kürzen und im Austausch gegen Barzahlungen die über Jahrzehnte gewachsenen Sozialversicherungssysteme zu demontieren (S. 236).
Würde das Grundeinkommen einmal eingeführt — darauf wies auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bei der re:publica hin — würden es auf ewig zum Spielball politischer Auseinandersetzungen werden, langfristig mit dem Trend zu weniger statt mehr (behaupte ich jetzt mal). Darüber hinaus ist es auch nicht fair umzusetzen. Zum einen gibt es große Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten in unterschiedlichen Teilen Deutschlands, zum anderen kann ein bedingungsloses Grundeinkommen auch keine besonderen Bedarfe (z.B. von Menschen mit Behinderung) berücksichtigen.
Und noch etwas: Das bedingungslose Grundeinkommen löst nicht die Probleme, vor die uns der gesellschaftliche Wandel heute stellt. Nicht das Problem gemachter Ungleichheit (die Schere zwischen arm und reich), nicht das Problem fehlender Vielfalt (Filter-Blasen und Echo-Kammern) und auch nicht das Problem schwindender Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft (Industrie-, Arbeit-, Ehrenamt 4.0 und so).
Grundeinkommen – die Wiederkehr des Wismutfusels!
Das bedingungslose Grundeinkommen würde einen Keil in die Gesellschaft treiben. Denn es verstärkt das Prinzip des „The Winner Takes it All“, ganz ähnlich wie es in Deutschland schon nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren zu beobachten war. Die Wandel-Gewinner — jene, die in ihrer vorerst nicht zu automatisierenden Nische weiterarbeiten können — werden von hohem Wert für die Wirtschaft und verdienen entsprechend zusätzlich zu ihrem Grundeinkommen. Die Wandel-Verlierer — jene die nicht Schritt halten und keine wirtschaftlich verwertbaren Talente vorzuweisen haben — vegetieren ungebraucht vor sich hin und verkonsumieren, was ihnen Vater Staat als Grundeinkommen hinwirft.
Es ist ein bisschen wie die Wiederkehr des Wismutfusels, einem ziemlich widerlichen Brandwein, den Bergarbeiter in der DDR auf Bezugschein steuerfrei für ein paar Groschen kaufen konnten. Für Kumpel, die unter Tage arbeiteten gab es in der Regel zwei Liter im Monat, für die im Tagebau einen Liter. Bei Planübererfüllung gab es dann noch mal einen drauf — bis zu sechs Liter im Monat pro Person. Der Bergarbeiterschnaps war allerdings nie als Belohnung sondern als permanente Betäubung gedacht. Er sollte die Bergleute, die sehr hart, ziemlich monoton und in vielerlei Hinsicht unnter gefärlichen Bedingungen arbeiteten, gefügig machen und sie trotz Staublunge und kaputter Gelenke ruhig Schlafen lassen.
Auch wenn das bedingungslose Grundeinkommen nicht derart betäuben würde, wie es der Wismutfusel tat, würde es doch ganz ähnlich wirken. Es wäre nicht die Betäubung für die tätigen, sondern das Morphium für die nicht mehr gebrauchten Menschen in der Gesellschaft. Viel effektiver als es Hochprozentiger könnte, würde es den Seelen-Schmerz der Nutz- und Talentlosen lindern ohne etwas an der Ursache dafür zu tun. Wie traurig wäre das denn?
tl;dr: Das bedingungslose Grundeinkommen löst unsere Probleme nicht. Es betäubt nur die Symptome.
Ich bin mir nicht sicher, ob man die Visionen von Grundeinkommen, das von Lohnarbeit entkoppelt ist, auf der Basis der derzeitigen gesellschaftlichen Lastverteilung diskutieren sollte. Geht man von einer weiteren Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft aus, wie sie die reflexive Modernisierung begonnen hat, so wird sich durch die Digitalisierung, einiges verändern.
Vieles dabei ist klar Ideologisch, sei es der „linke Traum“ von der Erlösung der Lohnsklaverei auf der einen, oder die Mär, dass Menschen als „animal concurrens“immer eine monodirektionale und monokausale Befriedigungskette brauchen (die aber bedeutet, dass der über dem Medianwert mehr und der unterhalb weniger erhält), um sich nicht auf der sozialen Hängematte auszurasten.
Ich denke, die zukünftigen sozialen Modelle müssen breit diskutiert werden. es gibt ja bereits Unmengen an bedingungslosem Grundnutzen eines Bürgers, beginnend von Infrastruktur, über öffentlichem Raum bis hin zu Schulen, Kindergärten. Hier sehe ich keinerlei Probleme, dass Menschen wegen dieser kostenlosen Leistungen an Motivationsmangel leiden.
Auch wenn der Vergleich mit der DDR zunächst gut klingt: ich denke nicht, dass man den „Real existierenden Sozialismus“ hier vergleichen kann. Gerade die Grundversorgung durch das gemeinschaftliche Verteilen des volkswirtschaftlichen Hebels könnte dazu führen, dass man im prekären Bereich die Situation dramatisch verbessert.
Es ist wohl war lieber Gerald: Man muss die Vorschläge zum guten (Zusammen-) Leben der Menschen im permanenten gesellschaftlicen Wandel breit diskutieren. Dafür sollte man meiner Meinung nach lieber vom aktuellen (Wissens-) Stand ausgehen als von irgndwelchen utopischen Vorstellungen darüber, wie es sein könnte. Damit kommt man nämlich viel zu schnell dazu, zu behauten das BGE löse alle Probleme, was es nicht tut.
Was die soziale Hängematte anbelangt, sind wir sicher einer Meinung. Ich glaube nicht, dass sich viele Menschen längerfristig auf irgendeinem Grundeinkommen ausruhen würden. Der Mensch ist ein tätiges Wesen und viele könnten sicherlich kreative Potentiale heben, die man sich heute kaum vorstellen kann. Viele aber — und das ist meine Kritik — werden nichts Neues oder Nützliches beizutragen haben. Das sind die Menschen, die über kurz oder lang abgehängt werden und, ob des lieben Frieden Willens, ruhig gestellt werden müssen. Das Beruhigungsmittel der Wahl (hier kommt der DDR-Vergleich) wäre heute nicht mehr irgendein Fusel, sondern die Möglichkeit zumindest im Bereich des Konsums gesellschaftlich zu partizipieren.