Vergangene Woche wurde die Kurzfassung des 5. Freiwilligensurveys veröffentlicht. Mit dabei ein paar Zahlen zum digitalen Engagement. Meine Eindrücke und erste Gedanken zur Interpretation auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie seien hier kurz notiert.
INTERNETNUTZUNG IM ENGAGEMENT
Nachdem die Quote zur Internetnutzung im Engagememt zwischen 2004 und 2009 um etwa 15 Prozentpunkte gestiegen war, blieb sie seither weitgehend stabil: Etwas mehr als 55 Prozent der Engagierten nutzen das Internet für ihre Freiwilligentätigkeit. Anders gemünzt: Etwa 45 Prozent der Engagierten kommen in ihrem Engagement ohne Internet aus.
Ich finde, diese Zahlen machen deutlich, dass die Internetnutzung im Allgemeinen nicht unbedingt mit der Internetnutzung im Engagement zu tun hat, wie so oft gemutmaßt wird. Im Allgemeinem hat sich die Internetnutzung in den letzten Jahren dynamisch entwickelt. Im freiwilligen Engagement war das ganz offensichtlich nicht der Fall!
DIGITALES ENGAGEMENT ALS TÄTIGKEIT
Die Quote der Engagierten, die sich ausschließlich, überwiegend oder teilweise über das Internet engagieren, hat sich seit 2014 nicht sonderlich verändert. Dass sie bis 2019 um rund ein Prozentpunkt gestiegen ist, kann auch Zufall sein. Angesichts der seit 2009 stagnierten Zahl der Engagierten, die das Internet überhaupt für ihre Tätigkeit nutzen, ist das natürlich nicht überrascht.
Dass übrigens die ’neue Quote‘ der digital Engagierten etwa zwei Prozent unter der Quote aus meiner eigenen Auswertung des Freiwilligensurveys 2014 liegt, gründet im neu eingeführten Gewichtungsfaktor Bildung. Der war nötig, um die Representativität der Daten vor dem Hintergrund enormer Bilungsunterschiede in unserer Gesellschaft zu verbessern, hat dabei aber auch etwas auf die Engagementquote gedrückt.
Was „reines ‚Internet-Engagement'“ anbelangt, das mindestens überwiegend über das Internet stattfindet, hat sich zwischen 2014 und 2019 auch nichts weiter getan: Weder bei der Quote (nach wie vor rund drei Prozent) noch bei der Auffassung der Macherinnen und Macher des Freiwilligensurveys: Neue Formen des Engagements – Online-Volunteering, digitales Engagement oder „Engagement 4.0“ – werden im Freiwilligensurvey weiterhin als Randphänomene der Zivilgesellschaft dargestellt. Zumindest – möchte mag man ergänzen – tauchen sie im Kurzbericht überhaupt auf.
DIGITALES ENGAGEMENT ALS AKTIONSFELD
Neu in der Berichterstattung zum Freiwilligensurvey ist die Quote der Engagierten, die das Internet in aktiv gestaltender Form nutzen. Etwas mehr als die Hälfte (rund 54 Prozent) der Engagierten, die das Internet für ihr Engagement nutzen, beteiligen sich in den Sozialen Medien, schreiben Newsletter, entwickeln und betreuen Homepages oder Profile auf Spendenplattformen.
Was sich in diesen Zahlen zunächst zeigt, ist das digitales Engagement als Tätigkeit nicht gleich digitales Engagement als zivilgesellschaftliches Aktionsfeld ist. Digitale Themen und Formate scheinen im Engagememt zwar weit verbreitet zu sein (ein gutes Virtel der Engagierten hat sie irgendwie zum Thema), doch kümmern sich bei Weitem nicht alle Online-Volunteers um die Gestaltung des Internets als Raum für ihr Engagement.
ENGAGEMENT IN DER CORONA-KRISE
Wenn die Daten und ihre Darstellungen in der Kurzfassung des neuen Freiwilligensurveys belastbar sind – wovon ich ausgehe – heißt das wohl, dass sich die teils besorgniserregenden Eindrücke zur Entwicklung des Engagements der letzten Monate durchaus auch in der Breite bestätigen.
Wenn etwa 45 Prozent der Engagierten bis zu Beginn der Corona-Pandemie ohne Internetnutzung in ihrem Engagement ausgekommen sind, heißt das wohl, dass im März 2020 ein richtig großer Teil des Engagements in Deutschland mindestens temporär weggebrochen sein dürfte. Mit einiger Sicherheit betraf dies Engagementbereiche wie Schule und Kindergarten oder den sozialen Bereich mehr als andere, doch wird es sicher überall Einbrüche gegeben haben.
Das großartige Krisen-Engagement vormals vielleicht noch nicht Engagierter mag diesen Knick des jahrelangen Aufwärtstrends in der Draufsicht etwas abgefedert haben – Wer hat sich im Frühjahr 2020 schon groß um mangelndes Engagementpotential sorgen gemacht? -, das innere Gefüge des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland aber dürfte die Kontaktbeschränkungen nachhaltig erschüttert haben: Nicht nur, dass ehrenamtliche Leistungen, wie vielleicht Bersuchsdienste in Pflegeheimen, vielerorts ersatzlos wegfielen; gelitten haben dürften insbesondere die über lange Jahre aufgebauten Netzwerke der rein analog engagierten Zivilgesellschaft – ein großer Klecks des Kitts, der unsere Gesellschaft zusammenhalten soll.
Nachhaltigen Aufwind dagegen hat sicherlich das digitale Engagement als zivilgesellschaftliches Aktionsfeld bekommen. Zunächst dürften die Angaben zur aktiven Gestaltung des Internets (s.o.) sehr viel anders ausfallen, würde man den Freiwilligensurvey 2021 gleich noch einmal wiederholen. Vielleicht ist hier nur meine Hoffnung Vater des Gedanken, doch wenn die (noch) engagierte Zivilgesellschaft derart auf den digitalen Raum angewiesen ist, wie in Zeiten pandeniebedingter Kontaktbeschränkungen, finde ich es nachvollziehbar, dass sie sich auch mehr gestaltend einbringt.
Dieser ‚Aufwind‘ hat darüber hinaus auch nicht nur mit der Corona-Krise zu tun. Seit etwa 2016 wird die Digitalisierung in Engagement und Ehrenamt verstärkt auch im Engagementdiskurs aufgegriffen. Zahlreiche Anhörungen, Arbeitsgruppen und Gesprächskreise gab es seither dazu. Und: Die 2018 eingesetzte Sachverständigenkommission zum Dritten Engagementbericht, der sich im Schwerpunkt diesem Thema zuwandt, hat Anfang 2020 auch ihren Bericht vorgelegt und auf dem Weg dahin zahlreichen Akteuren der digitalen Zivilgesellschaft eine großartige Bühne geboten.
Und jetzt du: Was ist dir, was ist euch in Sachen Digitalisierung in Engagement und Ehrenamt aufgefallen oder fraglich?
Lieber Hannes,
na ja, in der Thüringenstudie 2020 wurden jede Menge Infos zum Thema gesammelt. Ich sammle sie ja weiter, z.B. laufend über ca. 15 Whatsapp-Kontakte aus der Studie und bis zu 100 aktive Mail-Kontakte, die daraus entstanden sind. Hierüber streue ich auch Infos zum neu aufgelegten Förderprogramm der Ehrenamtsstiftung in Thüringen, das unbürokratisch und ausdrücklich für Kultur, Heimat, Brauchtum (auch historische Technik) gemacht ist und gerade wie wild nachgefragt wird, auch weil es sich auch an nicht gemeinnützige Vereine und Initiativen richtet. Im Süden von Thüringen (Kreis Hildburghausen) gibt es jetzt einen regelmäßigen regionalen Digitalen Runden Tisch, nicht nur zum Thema Ehrenamt, und ein Kirmes- und Brauchtumsverband wurde mitten in der Krise rein digital gegründet, von 20-25-Jährigen, und jetzt soll eine Freiwilligenagentur gegründet werden, wohl auch weitgehend digital. Das ist nur ein Beispiel! Die Umfrage war selbst eine Art digitale Mobilisierung! Ansonsten sieht es aber auch düster aus, im sozialen Bereich und in der Musik (wo es aber auch vorher schon schwächelte) und oft da, wo wenig netzaffine ältere Engagierte unterwegs sind (waren), die auch noch zur Risikogruppe gehören. Insider schätzen das Verlustrisiko im Ehrenamt auf 1/3 der Aktiven und eine chaotische Politik scheint kräftig daran mitzuwirken! Carneval und Kirmes, Sport, Feuerwehr, aber auch viele Kulturvereine kommen digital sehr gut bis ausreichend zurecht, aber was nützt das, wenn man im Dauerlockdown ist? Es geht ja um das persönliche Sich-Treffen, Austauschen, Aufbauen, Rackern, Feiern und Freude haben. Und da klemmt es, auch wenn man nix planen kann, weil Berlin keinen Plan hat!
herzliche Grüße
Hallo Thomas, ein Drittel Einbruch klingt wirklich besorgniserregend. Aber es passt auch ein Stück zu dem, was ich oben vermutete: In den Teilen der Bürgergesellschaft, in denen sich über das letzte Jahrzehnt kaum etwas in Sachen Digitalisierung getan hat, sind von den pandemiebedingten Einschränkungen am schwersten Betroffen.
Was die digitalen Stammtische und Vereinsgründungen angeht, würde ich mutmaßen, dass jetzt und in naher Zukunft vielerorts eher jüngere / digital-affinere Engagierte die Sache in die Hand nehmen. Das wird in Sachen Genügsamkeit einiges verändern: Ein weiter wie bisher wird es wohl kaum geben. Und dass wird dann wieder die Menschen ausschließen, die mit Veränderungen nicht so schnell mitkommen…
Ich glaube hier braucht es wirklich wirklich Unterstützung (Nicht bloß Geld!)