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Alles was gemacht wird, kann auch anders gemacht werden. Soweit, so klar! Das Problem: Irgendwann vor etwa 3.000 Jahren sind wir stecken geblieben. Stecken geblieben in einer Form des Miteinanders, das von einer männlichen, weißen, cis-Normalität ausgeht und alles andere unter der Knute hält. Ein Miteinander, in dem die praktische Freiheit zur Gehorsamsverweigerung, zur Wahl des Lebensmittelpunktes und zum Experimentieren mit völlig neuen Formen des Zusammenlebens jenen vorbehalten bleibt, die "normal" sind. Jenen, die sich das freie Spiel leisten könnten, es aber in der Regel nicht tun.
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Das Konzept der praktischen Freiheit entwickelten der Anthropologe David Graeber und der Archäologe David Wengrow als Ausgangspunkt, um dem Moment in der Menschheitsgeschichte nachzuspüren, an dem wir stecken geblieben sind. Dem Moment, an dem wir aufhörten, mit neuen Formen des Zusammenlebens ernsthaft zu experimentieren, so wie es die Menschen seit jeher taten. Fertig geworden sind sie leider nicht. David Graeber starb im September 2020.
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In einer Sammlung von Texten aus der neuen Frauenbewegung von 1979, die ich einst einsam und verlassen in einer Straßenbahn fand, habe ich von einer möglichen Antwort gelesen: Cäcilia "Cillie" Rentmeister blickt hier zurück auf das alte Griechenland, in dem bis zum 13. Jahrhundert v. Chr. das Matriarchat herrschte und ab dem 11. Jahrhundert v. Chr. das Patriarchat an der Tagesordnung war. Wie das geschehen konnte ist eine spannende Geschichte: eine Geschichte von Kriegen zwischen Männern und Frauen, eine Geschichte von einst exklusiv-weiblichem Wissen und von Gebär-Streiks, die ganze Landstriche entvölkerten. Eine Geschichte, die der Dichter Homer um das Jahr 800 v. Chr. in der Tragödie des Findelkindes Ödipus verewigte.
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Durch seinen sagenhaften Sieg über die Sphinx ist Ödipus nicht nur zum König von Theben und zum Gatten seiner eigenen Mutter geworden, sondern auch zum ersten Patriarchen Griechenlands. Die Sage des Ödipus – so Cillie Rentmeister – erzählt im Kern vom Ende des Mutter- und dem Anfang des Vaterrechts, dem Ende eines wilden Naturzustandes (den es so sicher nie gegeben hat) und dem Anfang des vermeintlich rationalen Patriarchats.
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Dass das Patriarchat mitnichten rational, ja vielmehr ein widersinniges System gewaltsamer Unterdrückung von FLINTA*, BIPoC und anderen Norm-Verletzer*innen – mithin der meisten Menschen auf diesem Planeten – ist, das schleunigst unlearnt gehört, nahmen Naomi Ryland, Lisa Jaspers und Silvie Horch dereinst zum Anlass für den ersten Band von "Unlearn Patriarchy" (2022). Der "feministischen Anthologie", die aus dem Stand zum Bestseller wurde, folgt nun der zweite Teil – diesmal herausgegeben von Emilia Roig, Alexandra Zykunov und Silvie Horch.
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Die Beiträge, die die Herausgeber*innen für die beiden Bände sammelten, stellen allesamt die Perspektiven von Menschen dar, die von patriarchaler Gewalt und Unterdrückung betroffenen sind. Beim Lesen hatte ich durchaus den Eindruck, dass die Autor*innen verstanden werden wollten, das sie die Texte für ein breites Publikum geschrieben haben, was im feministischen Genere gar nicht so üblich ist. Und doch fand ich die Lektüre in gewisser Weise herausfordernd: Als "Normalo", der sich das freie Spiel leisten kann, es aber in der Regel nicht tut, bin ich Teil des Patriarchats und somit auch das Ziel teils wütend vorgetragener Anschuldigungen 'gegen das verdammte System'.
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Beim Lesen waren nicht unbedingt die wuchtigen Schwinger, die da ausgeteilt werden, das Problem. Vielmehr hätte ich durch das ständige In-Deckung-Gehen ("Ich bin doch gar nicht so ein Arschloch!") beinahe das Verlearning verpasst: Das Patriarchat, die Herrschaft der Wenigen über die Meisten, ist die Sackgasse der Menschheitsgeschichte, aus der wir einen Ausweg finden müssen. Und dafür geht es nicht nur darum, kein Arschloch zu sein, sondern darum, seine eigenen Freiheiten ganz praktisch zu nutzen, um im Kleinen und im Großen wieder zu beginnen, alternative Formen des Miteinanders zu erproben.
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Und sonst so?
Vor ein paar Wochen war ich bei einem kleinen BarCamp des DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg. Berichtet habe ich auf Mastodon und LinkedIn. Eigentlich wollte ich die Gelegenheit für eine Neuauflage von "Wenn eine:r einen Antrag schreibt" nutzen – diesmal mit Tipps zum Lesen von Förderrichtlinien. Eigentlich! So richtig weit gekommen bin ich bis jetzt noch nicht. Aber das wird bestimmt noch. Es braucht 'nur' noch eine coole Storyline. Wenn ihr da Tipps habt, immer gern her damit!
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Und jetzt du!
Besten Dank für's bis hier hin lesen! Ich bin gespannt auf dein Feedback. Antworte gern auf diesen Newsletter oder schreib' mir eine DM auf LinkedIn.
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