Aufbereitung von Engagementangeboten für Interessierte mit Leseschwierigkeiten bzw. geistiger Behinderung (Part IV das Fazit)

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In den letzten Beiträgen zur Vorbereitung meines Workshops in Marburg kommende Woche habe ich mich ausgiebig mit den Möglichkeiten der Aufbereitung von Engagementangeboten für Menschen mit geistiger Behinderung oder Leseschwierigkeiten beschäftigt. Nun wird es Zeit ein Fazit zu ziehen. Ist die Aufbereitung der Kommunikation mit potentiellen oder schon aktiven Behinderten ein hilfreicher Schritt zur Förderung von Teilhabe und Engagement? Was sind Probleme; was Kritikpunkte?
Schon im Gespräch mit Raul wurde klar, dass beim Engagement als demokratische Teilhabemöglichkeit eigentlich kein Unterschied zwischen Menschen mit besonderen Bedarfen, Leseschwierigkeiten oder besonderer beruflicher Einbindung gemacht werden sollte. Freiwilliges Engagement — und das ist ja im Grunde auch der Ansatz der Freiwilligenarbeit über das Internet — sollte allen Interessierten möglich gemacht werden.

„Jede[r] nach seinen Möglichkeiten und Interessen“

So ist der grundlegenste Punkt der Kritik eigentlich der, dass überhaupt ein Unterschied gemacht werden muss. Wie ich bereits im ersten Beitrag zum Thema schrieb, liegt das daran, dass die Freiwilligenarbeit ein Phänomen der Mitte ist. Freiwilliges Engagement als demokratische Teilhabe wurde und wird zu aller erst von Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft geleistet. Zu guter Engagementförderung allerdings gehört auch die Förderung randständiger Gruppen, die natürlich erst einmal identifiziert werden müssen — daher also die pragmatische Unterscheidung zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung oder Leseschwierigkeiten.
Den zweiten Punkt der Kritik legte ebenfalls Raul nahe: Die gut gemeinte Engagementförderung für Menschen mit Behinderung läuft — ob verschiedener ökonomischer Zwänge — Gefahr, sich in einem Engagement von Behinderten für Behinderte zu erschöpfen. Im Sinne des Empowerment gesellschaftlich randständiger Gruppen würde sich die Katze hier in den Schwanz beißen — es wäre nichts gewonnen. Notwendig ist dementsprechend der Spagat zwischen der Selbstbestimmung und Freiheit im Engagement und des unumgänglichen Eingriffs in selbiges durch die helfende Hand. Hier ist — denke ich — Sensibilität der hauptamtlichen Basis angebracht. Und die kann auch erwartet werden. Die Ambivalenz von Hilfe und Eingriff (bzw. Kontrolle) ist schließlich kein exklusives Problem der Engagementförderung …
Mein dritter Kritikpunkt betrifft die leichte Sprache: Wie ich versucht habe zu zeigen, scheint mir das Selber-Lesen die Form der Informationsvermittlung mit dem geringsten Reibungsverlust zu sein. Die leichte Sprache kann dafür hilfreich sein, weil sie auch Menschen mit geistiger Behinderung oder Leseschwierigkeiten zugänglich ist. Daraus resultiert aber auch das Problem, dass die Weiterentwicklung des Textverständnisses (Literacy) verstellt wird. Ohne Herausforderung schließlich keine Weiterentwicklung.
Auch diese Diskussion ist keine, die nur im Themenfeld der leichten Sprache für Menschen mit Leseschwierigkeiten geführt wird. So wie verschiedene Prinzipien aus der Erstleseliteratur für die leichte Sprache adaptiert wurden, wurde auch das Problem der Lightifitzierung (angelehnt an das „Lindgren Light“ von Juli Zeh) übernommen. Wenn Freiwilligenarbeit selbstbestimmt und frei sein soll, müssen die Freiwilligen auch in der Lage sein, sich von ihren hauptamtlichen „Übersetzerinnen und Übersetzern“ zu lösen. Das heißt sich auch in einer Welt ohne leichte Sprache engagieren zu können.
Meiner Ansicht nach findet sich hier ein pädagogisches Moment des Freiwilligen-Managements, das ich selbst nicht erwartet habe und dennoch nicht aussparen kann (oder will). Wenn es in der Engagementförderung nämlich um das Empowerment gesellschaftlich randständiger Gruppen gehen soll, heißt das auch die Emanzipation selbiger zu fördern. Sicherlich sollte man es mit der Pädagogik nicht übertreiben. Mit einer Pädagogisierung der Freiwilligenarbeit stünde schließlich der Eingriff und die Kontrolle (s.o) vor der Selbstbestimmung und Freiheit im Engagement.
Als Fazit meiner Überlegungen zur Aufbereitung der (Web) Kommunikation mit potentiellen oder aktiven Freiwilligen will ich an dieser Stelle also festhalten, dass Engagementförderung eine verantwortungsvolle Aufgabe mit einigen Schwierigkeiten ist. Sie erschöpft sich nicht in der Vermittlung zwischen Freiwilligen und NPOs; Freiwilligenarbeit — und vor allem die über das Internet — sollte neben der Form demokratischer Teilhabe, auch als Möglichkeit des Empowerments gedacht werden. Dafür ist aber auch die Möglichkeit in Kauf zu nehmen, dass sich Freiwillige aus der eigenen Organisation verabschieden und ihre Interessen anderweitig verfolgen.
Als letztes bleibt auch noch festzuhalten, dass das Internet für die Kommunikation bspw. von Engagementangeboten viele interessante Möglichkeiten bietet, die zur Umsetzung von Handlungsrichtlinien (vgl. BGBl 2002) durchaus hilfreich und dazu noch einfach zu handhaben sind. Die ausschließliche Kommunikation via Video oder Podcast kann dabei sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein, doch lassen sich Videos, Podcasts und Bilder unterstützend einsetzen um auch denjenigen Partizipation zu ermöglichen, die bei unserer omnipräsenten Leistungsorientierung all zu leicht auf der Strecke bleiben.

Kommentare

  • Lieber Hannes,
    danke für die tiefe Aufbereitung des Themas.
    Ich muss sagen, dass Du viele Aspekte genannt hast, die mir zumindest, nicht bewusst waren.
    Besonders gut gefällt mir der Ansatz, dass KEIN expliziter Unterschied im Internet-Angebot zwischen Menschen mit und ohne Behinderung gemacht werden sollte. Liegt nicht gerade hier eine Chance des Webs? Das Web hat also nicht nur Chancen sondern auch Verantwortlichkeiten den Freiwilligen gegenüber, die man an anderer Stelle auch benennen könnte. Mir fällt nämlich ein gewisses Überangebot, ein Hype auf, der einen (auch mich) dazu verleitet zu viel, zu schnell und zu leicht, oberflächlig alles zu wollen und zu machen. „Lightifizierung“ wäre also nicht nur ein Thema für Menschen mit Behinderungen, sondern gibt allen die Möglichkeit in kleineren, überschaubaren Schritten zu denken und zu handeln.
    Danke!

    • Ja es stimmt, Freiwilligen-Manager, wie auch die, die freiwilliges Engagement fördern wollen (Freiwilligenagenturen usw.) haben eine Verantwortung gegenüber allen Interessierten. Deshalb sollten sie sich prinzipiell an Richtlinien der Barrierefreiheit halten und Informationen so formatiert zur Verfügung stellen, dass sie von allen gelesen, verstanden und verbreitet werden können.
      Was die Überangebot und den Hype angeht würde ich dich gern auf die Idee des Slow-Media aufmerksam machen. Die Vertreter(innen) dieses Ansatzes meinen nämlich, dass wir zu einem genussvollen und nachhaltigen Umgang mit neuen Medien kommen müssen. (http://www.slow-media.net/)

      • Danke für den Tipp!
        Das es auf den Hype schon den Anti-Hype gibt ; )
        Noch einmal zum Freiwilligenengagement: ich bin immer erstaunt, wenn ich als Fundraiserin in Organisationen gehe und dort oft die nicht ausgesprochene Wertschätzung den Freiwilligen gegenüber vorfinde. Konkret meine ich: das Wort Danke! und Bitte! fällt einfach zu wenig (auch wenn sich das jetzt ein wenig moralisch anhört).
        Für mich ist Fundraising weniger Geldsammeln, sondern die Menschen zu finden, die sich (in welchem Rahmen auch immer) für mein Projekt begeistern. Sie wirklich zu involvieren und echte Teilhabe zu ermöglichen. Ich glaube daran, dass das der Schlüssel zum erfolgreichen Projekt ist. Die Menschen möchten keine Beliebigkeit, sie wollen spüren, dass sie gemeint sind. Eine Ambivalenz, die zwischen kurzfristigem Engagement und Projektbindung, On- und Offline das Gleichgewicht finden wird.

  • Was du mit dem Umgang mit Freiwilligen ansprichst ist — meines Wissens — ein verbreitetes Problem in NPOs. Zumindest in solchen, die den Umgang mit Freiwilligen ihren Mitarbeitenden nicht vermitteln, lernen und üben, sprich NPOs ohne professionelles Freiwilligen-Management.
    Ich plädiere schon eine Weile dafür Freiwilligenarbeit als Spende zu begreifen und davon gehe ich bestimmt auch nicht ab. Es ist aber eine Form der Spende, die nicht ‚aufgespart‘ werden kann, wie vielleicht Sach- oder Geldspenden. Wenn ein(e) interessierte(r) Freiwillie(r) auf der Matte steht, muss er oder sie zeitnah eingesetzt werden. Das ist nicht immer einfach und mit dem weit verbreiteten Denken, dass Freiwillige kostenlose Arbeit leisten nicht unter einen Hut zu bringen. Es produziert nämlich zunächst einmal Arbeit für die Mitarbeitende der Organisation, die zu allem Übel auch noch Mehrarbeit ist. Klar, da kommt das Bitte oder Danke schwerlich über die Lippen.

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