Bericht vom PolitCamp 2010 (Beta)

B
Prolog Hier nun der versprochene Bericht vom diesjährigen PolitCamp 2010. Vorab sei festgehalten, dass BarCamps in der Regel alles andere als leichte Kost sind. Ich setze mich nicht hin und höre mir Vorträge an, sondern beteilige mich und bin mit dem Kopf ständig bei der Sache. Ich habe versucht so viel wie möglich mit zu machen und auch zu dokumentieren, was selbstverständlich nicht immer einfach oder möglich war. Hier habe ich nun versucht meine wilden Mitschriften etwas zu kultivieren…

TAG EINS (20.03.2010)
0800 Das PolitCamp lief an. Es wurde schon für 8 Uhr in der Früh‘ eingeladen und nun saß ich da. Auf der PolitCamp-Website wurde eine Twitter-Wall eingerichtet, auf der aber noch nicht all zu viel los war. Zumindest nicht aus dem Radialsystem V. Die meisten Tweets kamen noch von außerhalb. Ein Großteil der über 900 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer war wohl noch unterwegs. Der Netzzugang lief über einen Hotspot, was bedeutete, dass man sich jedes Mal, wenn man den Rechner aufklappte, wieder neu anmelden musste. Was ein Glück der Browser merkt sich Passwörter.

0830 Das Licht ging an. Laut Veranstaltungsplan sollte es in einer halben Stunde (9 Uhr) mit der Begrüßung und anschließender Sessionnplanung (10 Uhr) losgehen. Die Spannung stieg. Bis jetzt erinnerte mich besonders der Saal noch eher an eine Old-School-Konferenz: Alles in weiß, ein nettes Buffet mit Kaffee und Kuchen und mehr Stehtische als launchige Couches. Das sollte sich aber noch ändern, spätestens dann wenn die langschläfrigen Netizens ins Radialsystem V einfallen.

0900 Das WLAN brach das erste Mal zusammen. Es konnte eigentlich nicht überraschen, bei gefühlten 300 Teilnehmenden, die jetzt schon waren da  und fleißig internetteten (Ist das eigentlich ein Wort?).

0950 Die Begrüßung begann. Vor allem den Sponsoren und dem Orga-Team wurde klatschend und twitternd gedankt. Auch von mir an dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dakeschön!

1110 Die erste Session startete. Ich war in der Halle bei Igor Eidman, der über die Soziologie der Internetrevolution sprach. Titel: „Massenaufstand im Internet“. Eidman sieht vor allem das Wiki-Prinzip als maßgeblich für demokratische Teilhabe in der Zukunft und erinnerte mich mit seinen Ausführungen an die Prinzipien der Liquid Democracy. Seine Hauptthesen sind:(A) Es ist durch aus eine politische Wiki-Bewegung und
(B) der Trend zur Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie erkennbar.
Leider waren Eidmans Ausführungen nicht wirklich gut nachvollziehbar, was wohl hauptsächlich der Konsekutiv-Übersetzung angelastet werden musste. Mein Einwand jedenfalls, dass in Deutschland nämlich nur ein kleiner Teil der Menschen im Netz auch zu Aktiven gezählt werden kann (Content produziert), wurde, ob wahrscheinlich fehlerhafter Übersetzung, mit einem knappen „Das stimmt nicht“ quittiert.
Leider war die Session schon nach zirka 20 Minuten vorbei, weshalb auch mein Fazit an dieser Stelle etwas knapp ausfällt: Auch wenn die direkte Demokratie die griechische Urform heutiger Demokratiesysteme ist, kann ich bis her nur begrenzt Sinn und Zweck direkter Bürgerbeteiligung erkennen. Erstens, weil die Bevölkerung des antiken Athens nicht mit heutigen Gesellschaftsstrukturen vergleichbar ist – hier steht nämlich eine kleine, recht homogene Gruppe mit ähnlich gelagerten Interessen einer großen interessen-pluralistischen Gesellschaft entgegen. Zweitens, weil aus diesem Grunde unsinnige Entscheidungen auf Dauer verpflichtend werden (Man denke an den Schweizer Volksentscheid zu Minaretten.) und drittens weil hier die Interessen von Minderheiten – oder Menschen die sich aus anderen Gründen nicht wehren können – strukturell übergangen werden.

1210 Die zweite Session des Tages: „Interaktive Politformate im TV“ von und mit Pia Nitz vom ZDF. Ich hatte vorher schon von einer neuen Sendung für Kinder beim Ki.Ka gehört, bei der ein Blog parallel zu regelmäßigen Sendungen läuft und Partizipationsmöglichkeiten bietet. Das war aber wohl etwas ganz anderes 🙂Nitz stellte zwei Formate vor und wollte – ganz dem BarCamp-Gedanken gemäß – Feed-Back und Vorschläge aus dem Plenum für die Weiterentwicklung vom PolitCamp mitnehmen.
Die Idee war folgende: Vor allem um jüngeres Publikum mit Politikformaten ansprechen zu können, ging es um Alternativen zu den herkömmlichen Wahlsendungen anzubieten. Die sich permanent weiterentwickelnden Trends und Tools sollen eben dafür eingesetzt und der Spagat zwischen Erklären und Langweilen bewältigt werden.
Ich halte die beiden vorgestellten Formate „Wahl im Web“ und „Erst fragen, dann wählen“ für sehr sinnvoll. Wie das aber immer so ist, wenn sich ein doch traditionelles Medium (ZDF) neuen Formaten öffnet: Es wirkt zunächst etwas gekünstelt und nachgeahmt. Ich denke aber da werden die Öffentlich-Rechtlichen noch ihren eigenen Stil finden und sich auch an entsprechenden Vorbildern (Vorgeschlagen wurde BBC) orientieren. Fazit für mich: Für die Zielgruppe der Interessierten, die sich nicht in die Netz-Szene begeben wollen, sind diese Formate sehr sinnvoll, weniger Schnick-Schnack ist aber eben manchmal mehr.

1300 Pünktlich ging’s weiter mit der Mittagspause. (War lecker!) Leider fehlte mir ein ruhiger Ort, an dem ich über die ersten zwei Sessions des Tags reflektieren konnte. Der Saal war voll, die Halle etwas unbequem. Auch hatte ich außerhalb des „Gemeinschaftssaals“ meine liebe Müh‘ mit dem Internet. Schade eigentlich aber bei einem solchen Groß-Event wohl nicht zu vermeiden.

1400 Recht pünktlich ging es weiter, für mich in der Halle, mit der Podiumsdiskussion „Politik trifft Web 2.0“. Geladene Gäste waren Kristina Schröder (Bundesfamilienministerin), Martin Stadelmaier (Staatskanzlei Rheinland-Pfalz), Burkhardt Müller-Sönksen (MdB), Halina Wawzyniak (MdB), Volker Beck (MdB) und Thomas Knüwer (Journalist). Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass sich zumindest in diesem Rahmen die Selbstdarstellung und der unsägliche Versuch von Top-Down-Kommunikation in Grenzen hält. Tat er leider nicht.
Kristina Schröder (Hier im Video) bspw. weinte dem Plenum etwas von wegen „Ich habe keine Zeit mich mit euch zu beschäftigen, weil ich Familienministerin bin“ vor und zeigte damit meines Erachtens recht deutlich, was sie von Bottom-Up-Kommunikation hält. Leider ist Schlagfertigkeit immer das, was mir danach einfällt. So bleibt mir nur hier der Hinweis: Es ist keine Frage der Ressourcen, es ist eine Frage des Managements.
Mein Fazit zu dieser Podiumsdiskussion, die sich weitgehend auch auf dem Podium hielt: Machen wir doch bitte weiter wie bisher, nur eben zusammen.

1500 Mit Gerald Jörns habe ich mich über den Jugendschutz-Talk unterhalten. Jörns bietet ein recht erfolgreiches Dialogformat an, bei dem es darum geht mit jugendlichen Gamerinnen und Gamern über den Jugendschutz ins Gespräch kommen. Ich habe mich selbst längere Zeit mit der unsäglichen Diskussion um die Killerspiele beschäftigt und fand das Gespräch von daher auch sehr interessant. Leider war ich wohl der einzige, der es so interessant fand, um andere Sessions sausen zu lassen.

1600 Die Diskussion um das, was wir aus dem Online-Wahlkampf 2009 hätten lernen können, artete meines Erachtens wieder etwas in die Selbstdarstellung aus. Nach meinem Dafürhalten hat der Online-Wahlkampf 2009  nämlich nicht stattgefunden, die Social-Media- und Internet-Aktivitäten der Grünen, der FDP und der SPD wurden aber derart aufgeblasen, dass es eher an symbolpolitisches Selbstdarstellen grenzte und jedweden Lernwillen über die deutsch-teutonischen Kommunikation (Johan Galtung) vermissen ließ. Nach gut einer halben Stunde hatte ich für meinen Teil genug und verließ die Halle. Via Twitter kam allerdings noch eine aufschlussreiche Erkenntnis aus dem nicht weiter beteiligten Plenum:

Bei der #FDP wird sogar der Wahlkampf gekauft.“


1645 Kurz darauf lief noch eine weitere sehr interessante Frage über den Stream:

Was nehmen die MdBs und andere Funktionäre von den Podien als Auftrag vom #pc10 mit? … So als kleines Zwischenfazit.“

Die Antwort hätte ich gern.


1700 Im Anschluss an die kurze Pause besuchte ich eine Session von Jean-Pol Martin (Blog), von der ich mir zunächst nicht sehr viel erwartete. Eigentlich wollte ich Herrn Martin gern mal live erleben, wo er doch mit dem Lernen-Durch-Lehren-Konzept recht bekannt geworden ist. Wie so häufig kam es aber anders als gedacht.Unter dem Titel „Filigrane Basisarbeit am Beispiel Ingolstadt“ stellte Martin seine Bemühungen vor, das nicht ausgeschöpfte Potential der älteren Generation für das Web zu kultivieren. Ältere Menschen – so Martin – bilden ein riesiges — und vor allem immer größer werdendes — Potential, das nicht nur nicht ausgeschöpft wird, sondern ältere Menschen auch noch darunter leiden lässt.
Schlussendlich hat mir die Session nicht nur wegen des gekonnten Stils Jean-Pol Martins sondern auch inhaltlich viel gebracht, war es doch unter anderem auch der Beweis dafür, dass es keine Frage der Ressourcen sondern eine des Managements ist.

1800 Zum Abschluss des ersten Tages besuchte ich noch Markus Bekedal. Er sprach in der großen Halle über Netzneutralität. Der Vortrag war sehr gut recherchiert und strukturiert. Bekedal brachte unendlich viele Beispiele, die die Frage der Netzneutralität tangierten und erarbeitete daran Pro- und Contra-Gruppen, wobei es natürlich auch noch „Die-Da-Zwischen“ gab. Es lag sicherlich an der Zeit und meiner Kondition, den Unmengen an Beispielen aber konnte ich nicht lange folgen. Ich werde mich wohl auf Netzpolitik.org schlau machen müssen.

1900 Das abendliche Grillen war eine sehr kommunikative Angelegenheit. Vor allem, weil die Schlange vor dem Grill, ob des stärker werdenden Regens, immer näher zusammenrücken musste. Ich unterhielt mich einige Zeit, aß mein Steak mit Speckkartoffeln (für 6€), trank ein Bierchen (3€) und machte mich dann recht geschafft auf den Heimweg.

2200 Zu Hause angekommen war mir als hätte ich zu viel Kaffee getrunken. Schlafen konnte ich nicht, wach bleiben war aber auch nicht so einfach. Ich hing also noch etwas in der Gegend herum und verfolgte schließlich gespannt die 12 Runden, in denen Wladimir Klitschko Eddie Chambers Stück für Stück demontierte.

TAG ZWEI (21.03.2010)
0800 Der zweite Tag des PolitCamps ging natürlich gleich gut los: Zuerst verpasste ich meinen Handy-Weckruf, dann fiel mir auf dem Weg (Höhe Kottbusser Tor) auf, dass ich mein Ticket vergessen hatte.  Am Abend zuvor hatte ich mir überlegt, eine eigene Session anzubieten und fürchtete schon die Sessionplanung zu verpassen.

1000 Glücklicher Weise kam ich noch pünktlich zur Sessionplanung und konnte meinen Vorschlag „Das soziale Geschlecht im Bilde – Gender in der Bildberichterstattung“ mit anbringen.

1100 Gleich nach der Planung gönnte ich mir noch eine Verschnaufpause um meine Session auch gut vorzubereiten. Im Saal machte ich es mir auf einer Couch gemütlich und trank in aller Ruhe Kaffee und Bionade.

1200 Die erste Session des zweiten Tages war für mich erneut eine, die ich mir eher wegen der Referierenden statt der Inhalte ausgesucht hatte. Die Jungen Piraten (JuPis) wollten mit dem Plenum – das größer war als sie dachten – über die „Schattenseiten des Social Webs“ diskutieren und machten das wirklich gut. Es ist klar das es bei dererlei Themen immer besorgte und moralisierende Diskussionsbeiträge gibt, die nicht leicht zu stoppen sind, wenn man sie noch nicht so richtig erkennt, aber Alles in Allem konnten die beiden JuPis die Diskussion im Zeitrahmen und die Outcomes auf Papier festhalten. Gut gemacht und vielen Dank auch noch mal für das Protokoll im JuPi-Wiki

1300 In aller Ruhe aß ich anschließend zu Mittag und bereitete mich seelisch und moralisch auf meine anschließende Gender-Session vor.

1330 Ich machte mich schon etwas früher auf in den Kubus, der mir zugeteilt worden war. Der Kubus, muss man wissen, ist ein recht hässlicher Raum mit gestalterischen Potenzialen, den es zunächst einmal zu designen galt. Gemeinsam mit einigen Teilnehmenden stellte ich einen Hocker-Und-Couch-Kreis in dem alle alle sehen konnten. Als Referent nahm ich mir natürlich heraus, mich auf der einzigen Couch auszubreiten und den einzigen Tisch für meinen Laptop und die Aufzeichnungen zu benutzen.Mit meinem Ablauf hielt ich mich weitgehend an den Gender-Essay, den ich kürzlich für die Uni geschrieben hatte und sicherlich in Kürze auch hier unter CC öffentlich einstelle. Inhaltliche Diskussionen um die Politik der einen oder der anderen Partei wollte ich damit um jeden Preis vermeiden, weil ich mit meinen Beispielen auch niemandem (auch nicht Kristina Schröder) zu nahe treten wollte. So begann ich also mit der vorsichtigen Einführung in die symbolische Politik (nach W. Wagner), die ja vor allem mit dem emotional-diffusen Wirken von Bildern arbeitet um dann zur Darstellung von Geschlecht in der Werbung und der Politik zu kommen. Mein Ziel war es vor allem etwas für die Geschlechterdarstellung in den Bildern zu sensibilisieren, das Fazit einer Teilnehmerin, nun vielleicht noch mehr mit den Geschlechterdarstellungen spielen zu wollen, hielt ich aber auch für sehr gut.

1500 Die letzte Veranstaltung für mich war die Podiumsdiskussion um „Politikbashing und Kommentarspam“. Es ging um ein Problem, das nicht nur die Wikipedia kennt: Trolle hetzen in Diskussionen die Emotionen vor sich her und verhindern damit jeden fruchtbaren Dialog. Das führt natürlich zu der Frage, ob den eine Kommentarmoderation doch Sinn machen würde und den „Mist“ von den „Perlen“ fern hält.Mein Fazit: Für das Community-Management – aber auch nur für dieses – scheint mir eine Kommentarmoderation angebracht. Erstens, weil so die Netiquette gewahrt bleibt und vernünftige Kommentatorinnen und Kommentatoren nicht mit Schlägen unter die Gürtellinie rechnen müssen.

1600 Auf dem ‚PolitCamp-Pausenhof‘ unterhielt ich mich abschließend noch kurz mit Benjamin Gürkan über das, was für mich gut, das, was was für mich schlecht und das was so dazwischen war beim PolitCamp 2010. Danach ging’s heimwärts, runterfahren, umfallen, ausschlafen.

Hier noch die Slide-Show mit 131 Bildern von Thomas Vogt
und die Aufzeichnung des Livestreams aus der Halle

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