Mich hat es dieses Wochenende kurzfristig in meine alte Studienstadt Erfurt verschlagen. Schon letztes Jahr wollte die ich Thüringer Landeshauptstadt und insbesondere die (noch) dort verweilenden Freundinnen und Freunde zur Zeit der Domstufenfestspiele besuchen. Diesmal hat es geklappt und ich muss sagen, es war ein sehr schönes Wochenende. Die Abende waren so lang wie die Nachtluft lau, Guy Montavons Inszenierung der Zauberflöte war interessant und das ein oder andere Bier floss auch bereitwillig aus dem Hahn in mein Becherglas.
Tatsächlich durfte ich mir in meinem ehemaligen Studi-Job als Kellner das abendliche Bier auch verdienen. Zwar spielte die wirklich große Musik auf dem Erfurter Domplatz, doch gab es auch im Theaterrestaurant 1984 etwas zu tun für mich. Noch vor meiner Entsendung in das etwa 300 Meter entfernte Opernhaus wurde mir eröffnet, dass im Restaurant noch ein Bild für mich läge; das Schwarz-Weiß-Bildnis vom Räuchermännchen mit Pfeife, Cognac und dem Blick ins Off.
Background: inspirierendes Miteinander
Schon bevor ich nach Erfurt zum Studium ging, war ich der Meinung, dass ein Nebenjob im Theater — so als Barmann oder Kartenabreißer — doch eigentlich ideal ist. Man arbeitet am Wochenende, wenn man keine Vorlesungen hat, die Arbeit geht nicht bis spät in die Nacht, was einen Ausflug in selbige ja noch möglich macht, und man hat zusätzlich auch noch ein bisschen Kultur. Im Grunde ist es dann auch genauso gekommen; aber eben doch auch ein bisschen anders. Zum ersten habe ich bei Weitem nicht nur am Wochenende gearbeitet, zum zweiten war ich eigentlich nie ein sonderlich begeisterter Nachtschwärmer oder Clubgänger und zum dritten missbrauchte ich meinen exklusiven Zugang zu einem Sozialfeld, das ich hier mal ganz salopp als ‚High Society‘ umschreibe, um „die feinen Unterschiede“ von Pierre Bourdieu zu studieren.
Eigentlich war es so auch am besten. Ich freundete mich relativ rasch mit der Restaurantchefin Kathrin und dem Colonel de Cousine Peter an. Wir saßen recht häufig bis spät in die Nacht im sonst menschenleeren Restaurant und werteten Tag, Woche und Monat, Wetter wie Nachrichten ausgiebig aus. Dabei hatten wir auch immer mal wieder Ideen, wie wir das was wir so taten (nicht nur in der Oper) anders und / oder besser machen könnten. Dabei waren „Beispiele aus der Praxis“ etwa so häufig, wie halbe Biere, die dann doch „nicht ganz so halb“ sein sollten. Insgesamt also ein inspirierendes Miteinander, in das hin und wieder auch der Theaterfotograf Lutz eintauchte.
Take one: Bilder von der Bar
Nach einer gründlichen Renovierung des Restaurants sprach Lutz einmal die Bilder an, die da noch an denWänden hingen. Es waren seine Bilder. Bilder von Szenen vergangener Aufführungen in klobigen Goldrahmen, die nun überhaupt nicht mehr in das Ambiente passen wollten. Neue Rahmen mussten also her. Vielleicht auch gleich noch ein paar neue Bilder? Ja! Bilder von den Kellnerinnen und Kellnern, die überall im (wirklich fotogenen) Opernhaus arbeiteten. Das ist was für die Stammgäste, die natürlich auch Stammbars oder -tische mit entsprechender Bedienung haben. Das ist aber auch was für die Touristen, die sich — so sie sie entdeckten und nicht gleich in den Bus zurück müssen — über diese Bilder wundern können.
Gesagt getan. So wurde also die erste Fotoausstellung mit ‚Bildern von der Bar‘ im Theaterrestaurant 1894 ausgestellt. Es waren Actionfotos. Lutz hat sich während der Pausen einfach neben die Bars gestellt und die Kellnerinnen und Kellner bei der Arbeit abgelichtet. Weil es in den 30 Minuten, in denen an guten Tagen bis zu 800 Gäste versorgt werden wollten, ziemlich rasant zu ging, konnte da keiner posen oder auch nur in die Kamera lächeln. Die erste Ausstellung bestand dementsprechend aus authentischen Darstellungen unseres (Neben-) Jobs.
Eben dieser Job als Kellner in der Oper brachte es mit sich, dass ich jede Spielzeit viele neue Kolleginnen und Kollegen hat. Deshalb waren die Bilder aus der ersten Ausstellung nach einiger Zeit auch nicht mehr so interessant. Schon nach etwa einem Jahr mussten neue her. Also kehrten wir zurück in unser inspirierendes Miteinander (das wir tatsächlich gar nicht erst verlassen haben) und ersonnen eine neue Idee — wenn man so will auch den nächsten Schritt.
Take two: Raucherkultur
Es war das Jahr 2007, Silvester stand vor der Tür und mit dem Jahreswechsel auch das Nichtraucherschutzgesetz. Auf der einen Seite war ich als Kellner froh nicht mehr den ganzen Abend im Qualm anderer Leute stehen zu müssen, auf der anderen Seite erkannte aber auch ich die Schattenseite dieses Rauchverbotes. Eine diverse Kultur des Rauchens, zu der bei Weitem nicht nur die Zigarette gehört, sollte ins Abseits, vor die Tür und im Winter in Eiseskälte verbannt werden. Das wollten wir – und da war auch der Nichtraucher Lutz dabei – nicht unkommentiert lassen.
Das Problem war nur, authentisch konnten wir die Raucherkultur nicht darstellen. Ich persönlich konnte zumindest Zigarren und Pfeifen nie wirklich genießen, womit mindestens in meinem Fall nur die Flucht nach vorn blieb: Das offensichtliche Spielen einer Rolle, für mich das komplette Gegenteil von Authentizität, doch nicht weniger spannend.
Es war eine ziemliche Maskerade, die wir eines Abends im Restaurant zusammen mit Lutz veranstalteten. Jeder und jede musste und wollte mal. Der eine mit selbst gedrehter Zigarette, die nächste mit Zigarettenspitze, eine andere mit Zigarre und ich eben mit der Pfeife. Die Rauchwerkzeuge liehen wir uns aus dem Requisitenfundus der Oper, für Cognac, den Whiskey und die Longdrinks mussten die Gläser aus dem Restaurant, abgestandene Cola und Crash-Eis mit blauem Sirup herhalten. Selbst die Outfits, in denen wir uns ablichten ließen, waren nicht eben authentisch. Die Weste auf dem Bild des Räuchermännchens gehörte noch nicht einmal mir (und war außerdem viel zu groß). Und doch ist ein Bild entstanden, mit dem ich seither meinen Weblog schmücke.
Nachspiel: Ein Mash-Up aus dem Opernhaus
Ich finde das Bild vom Räuchermännchen – der Titel ist übrigens auf Twitter gefallen, nachdem ich das Bild einmal von meinem Blog entfernt hatte – wirklich gelungen. Gerade weil ich darauf so offensichtlich eine Rolle spiele, in der mich nicht mal meine eigenen Eltern erkannt haben. Für mich ist es eine bildliche Entsprechung der Online-Identität, die ich mir (wie viele andere Bloggerinnen und Blogger) in den letzten Jahren zugelegt habe. Eine Rolle, die die, die ich über das Netz kennen gelernt habe, für weitgehend authentisch halten, doch über die die Leute, die ich nur aus dem ‚real life‘ kenne, häufig staunen. Und doch ist es auch noch was anderes; ein Zitat nämlich – ein Bildzitat.
Mein ehemaliger Professor Wolf Wagner wies mich einmal beiläufig darauf hin, dass sich viele Philosophen – wenn ich mich recht entsinne hatte er Martin Heidegger im Sinn – mit Pfeife, Cognac (oder Wein) und dem Blick ins Off ablichten ließen. Häufig natürlich in Schwarz-Weiß und mit gehörig Qualm im Bild. Vom Philosophen bin ich sicherlich noch einige Bücher entfernt, in die Zeit des rigorosen Mash-Up – meint: der rücksichts- und respektlosen Neu-Zusammensetzung symbolträchtiger Medieninhalte – passt das Bild vom Räuchermännchen aber umso besser.
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Weil's schön ist! Frisch gebloggt: Die Geschichte zum Räuchermännchen – Gesellschaftskritik in der Neuen Oper zu Erfurt http://t.co/30hk3Um
Ergänzt: Zur Geschichte vom Räuchermännchen gibt's jetzt auch noch die anderen Raucherbilder: http://t.co/30hk3Um #Blog
Bei dem Titel des Artikels habe ich zuerst gedacht, es geht um die Geschichte des echten Räuchermännchens 😉
Finde die Bilder aber sehr gelungen. Das Schwarz-Weiß passt einfach perfekt und verleiht dem ganzen einen super zeitlosen Charakter 🙂
Hallo Herbert, der Titel ist vll. wirklich etwas für „Insider“. Ich habe meine Social Media Auftritte in den letzten Jahren häufig mit dem „Räuchermännchen“ geschmückt, deshalb wollte ich die Geschichte mal erzählen. Die Bilder finde ich auch gelungen und zeitlos.
Beste Grüße
#hmbwf: "geschichte des räuchermännchens" – Kann mir nicht vorstellen, dass die Suchenden das erwarten http://t.co/t5rbRypw #Sorry