Freiwilliges Engagement mit Behinderung — Repräsentativ-Umfrage von Aktion Mensch

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Anlässlich des Relaunches ihrer Freiwilligendatenbank beauftragte Aktion Mensch die INNOFACT AG Ende letzten Jahres mit einer Repräsentativumfrage zum freiwilligen Engagement in Deutschland.* Ende Januar wurden ausgewählte Ergebnisse aus dieser Umfrage in einer Pressemitteilung veröffentlicht. Nun gibt es ja schon einige Umfragen und Studien zum Thema freiwilliges Engagement in Deutschland — im Grunde mit immer ähnlichen Ergebnissen: Die Bereitschaft zur Übernahme eines freiwilligen Engagements hängt eng mit Bildungsgrad und Einkommen sowie mit der Reichweite persönlicher Netzwerke und zur Verfügung stehender Freizeit zusammen, wobei letzteres weniger einer statische Rechnung (faktisch wenig Zeit = kein Engagement) denn eine Prioritätenfrage ist (Zeit hat, wer sich Zeit nimmt). Was die INNOFACT -Umfrage von Aktion Mensch aber besonders macht, ist, dass hier Menschen mit Behinderungen explizit als Untersuchungsgruppe aufgenommen wurden. Grund genug also einmal einen vertieften Blick in die Befunde der Umfrage zum freiwiligen Engagement von Menschen mit Behinderungen zu werfen, die mir Aktion Mensch für diesen Beitrag dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat.

Grundgesamtheit & Methodik

Die Erhebung ist repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung mit Internetzugang zwischen 18 und 65 Jahren. Im Rahmen einer Online-Erhebung im Dezember 2012 wurden 1.047 Personen in diesem Alter befragt, wobei die Stichprobe nach der Alterststruktur und Geschlechterverteilung in der Bundesrepublik quotiert wurde. Heißt also: Die Befragten wurden nicht vollkommen zufällig ausgewählt, sondern die Stichprobe so zusammengesetzt, dass gleich viele Männer und Frauen befragt wurden, deren Alter sich gemäß der aktuellen Demographie auf die vier gebildeten Altersgruppen (18-29, 30-39, 40-49, 50-65) verteilte; das Altersmittel der Befragten dürfte bei etwa 45 Jahren liegen.

#Behinderungen

Zur Methodik der Befragung ist zum einen bemerkenswert, dass zwar nach Behinderungen gefragt, diese aber offenbar nicht weiter qualifiziert wurden. Die gerade 128 Befragten mit Behinderungen (12% der Stichprobe) müssen demnach nicht zwingend zu den knapp 12% der statistisch erfassten Menschen mit Behinderungen in Deutschland gehören, wie es die Pressemitteilung von Aktion Mensch nahe legt. Und auch wenn dem so wäre, ist Behinderung nicht gleich Behinderung: Zu vermuten ist, dass körperliche Handicaps bei der Übernahme eines freiwilligen Engagements weniger eine Rolle spielen als seelische Krankheiten oder Lern- und Leseschwierigkeiten. Gleiches gilt für amputierte Gliedmaßen und Querschnittslähmung oder Trisomie 21 und Autismus.
Dass hier nicht weiter in die Tiefe gegangen werden konnte, ist sicher der knapp bemessenen Stichprobe geschuldet; knapp über 1.000 Befragte bilden die übliche Untergrenze bei bevölkerungsrepräsentativen Umfragen. Würde auf der Grundlage von 128 befragten Menschen mit Behinderungen zusätzlich zu Alter, Einkommen, Bildung usw. noch nach Art der Behinderung differenziert, blieben kaum aussagekräftige Fallzahlen übrig. Schon die vorgenommenen Differenzierung führen die Stichprobe an die Grenzen ihrer Aussagekraft, weshalb hier im Folgenden den Prozentwerten die Fallzahlen beigestellt werden.

#Freiwilligenarbeit

Weiterhin bemerkenswert ist die Frage nach dem freiwilligen Engagement. Es ist bekannt, dass sowohl die Frageformulierung als auch der Kontext, in dem die Frage gestellt wird, erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Ergebnisse hat. Die Engagementquote (tatsächliches Engagement derzeit) fällt in der Befragung mit 22% relativ niedrig aus. Das kann unterschiedliche Ursachen haben: Einerseits war das freiwillige Engagement in dieser Umfrage das Schwerpunktthema, was vermuten lässt, dass die Frage danach keine beiläufige zu Freizeitbeschäftigungen (wie z.B. in der Generali Altersstudie 2013) oder zur politischen Partizipation (bspw. ALBUS-Studie von 2002) war, was die Quote i.d.R. erhöht. Andererseits deutet auch die Frageformulierung darauf hin, dass hier eher das klassische Ehrenamt denn die sporadische Mitarbeit abgefragt wurde.

Engagieren Sie sich im Rahmen eines Ehrenamtes oder Freiwilligendienstes — also ohne Bezahlung — in Vereinen, Organisationen, Gruppen oder öffentlichen Einrichtungen?

Bereits die explizite Verwendung (politisch) besetzter Begriffe wie „Ehrenamt“ und „Freiwilligendienst“ dürfte sich in erheblichem Maße auf die Quote ausgewirkt haben. Das übrige hat dann die Erwähnung von „Vereinen, Organisationen, Gruppen oder öffentlichen Einrichtungen“ getan, die das freiwillige Engagement noch etwas weiter in die Ecke institutionalisierter Tätigkeiten rückte. Alles in allem scheint hier aber ein ehrlicher Befund zum freiwilligen Engagement vorzuliegen und keine Quotenhascherei.

Freiwilliges Engagement von Menschen mit Behinderungen

Wie ist es nun also bestellt um das freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen? In der Umfrage von Aktion Mensch wurden zum freiwilligen Engagement unterschiedliche Antwortmöglichkeiten vorgegeben, die Aussagen über Engagementpotential, freiwilliges Engagement und Ablehnung freiwilligen Engagements möglich machen:

  1. Ja, ich habe mich in der Vergangenheit ehrenamtlich bzw. freiwillig engagiert.
  2. Ja, ich engagiere mich derzeit ehrenamtlich bzw. freiwillig.
  3. Ja, ich will mich im neuen Jahr 2013 ehrenamtlich bzw. freiwillig engagieren und weiß auch schon wie und wo.
  4. Ja, ich will mich im neuen Jahr 2013 ehrenamtlich bzw. freiwillig engagieren, weiß aber noch nicht wie und wo.
  5. Ja, ich bin grundsätzlich bereit, mich in Zukunft ehrenamtlich bzw. freiwillig zu engagieren, weiß aber noch nicht wie und wo.
  6. Nein, ich kann oder möchte mich aus persönlichen (z.B. zeitlichen, organisatorischen, grundsätzlichen Gründen) nicht ehrenamtlich bzw. freiwillig engagieren

Unter die Engagementpotential (insg. 64%) wurden alle Antworten gefasst, die nicht ablehnend waren (1 bis 5).  Zum Engagement (43%) dagegen wurden nur die Antworten 1 bis 3 gezählt und  die Antwortmöglichkeit Nummer 6 schließlich wurde als Ablehnung aufgenommen. Auf der Grundlage dieser Einteilung werden die vorliegenden Befunde in der Pressemitteilung von Aktion Mensch wie folgt wiedergegeben:

Rund 40 Prozent der Menschen in Deutschland engagieren sich derzeit ehrenamtlich oder haben dies in der Vergangenheit getan. Weitere 25 Prozent sind bereit, sich zukünftig freiwillig für die Gesellschaft einzusetzen. Keine Rolle spielt dabei, ob der Engagierte eine Behinderung hat: Menschen mit und ohne Behinderung sind gleichermaßen ehrenamtlich aktiv und engagieren sich für ähnliche Handlungsfelder.

Tatsächlich sind laut INNOFACT-Umfrage derzeit 22% der Menschen mit Behinderungen in einem freiwilligen Engagement aktiv — das sind nicht mehr und auch nicht weniger als bei der Gruppe der Menschen ohne Behinderungen (ebenfalls 22%), wobei sich deutliche Themenschwerpunkte erkennen lassen. Während das Engagement von Menschen mit Behinderungen im Sport weit hinter der Quote der Menschen ohne Behinderung zurück bleibt, liegt es im Bereich „Behinderung und Teilhabe“ wie auch im „Gesundheitsbereich“ etwas darüber.
Doch nicht nur im derzeitigen Engagement, auch in dessen Ablehnung unterscheiden sich Quoten von Menschen mit und ohne Behinderungen nicht wesentlich (Menschen mit Behinderung 37% Ablehnung, Menschen ohne Behinderungen 36%). Unterschiede gibt es allerdings bei der Engagementbereitschaft — der grundsätzlichen Bereitschaft (Einstellungsebene) und dem guten Vorsatz für 2013 (Handlungsebene) — sowie dem Engagement in der Vergangenheit. Während sich etwa 23% der Menschen mit Behinderungen und 16% der Menschen ohne Behinderungen in der Vergangenheit engagierten, sind umgekehrt nur 19% der Menschen mit Behinderungen und 25% der Menschen ohne Behinderungen zu zukünftigen Engagement bereit.
Die Differenz von jeweils 6% zeigt zunächst, dass die Zuordnung von früher Engagierten zum Engagementpotential nicht ganz einwandfrei bleiben kann. Im Wesentlichen dürften sich diese Werte damit erklären lassen, dass viele der Menschen mit Behinderungen (zu 80% über 40 Jahre alt) ihr freiwilliges Engagement wegen vorhandener Barrieren bzw. zunehmender Schwierigkeiten aufgeben mussten und sich bislang nicht wieder auf die Suche nach neuen Gelegenheiten gemacht haben. Dies wiederum dürfte mit erwarteten Barrieren und Schwierigkeiten im freiwilligen Engagement einher gehen. Es ist zumindest nachvollziehbar, dass sich Menschen, die vor allem im öffentlichen Raum immer wieder von Barrieren behindert werden, keine besondere Barrierefreiheit im freiwilligen Engagement — das ja per Definition im öffentlichen Raum geleistet wird — erwarten und dazu neigen entsprechenden Belastungen zu vermeiden.
Indizien, die für diese Erklärung sprechen, findet sich unter der Frage nach den persönlichen Gründen, die gegen ein freiwilliges Engagement sprechen. In vielen der abgefragten Gründe unterscheiden sich die Angaben von Menschen mit und ohne Behinderungen nicht wesentlich. Umso mehr fallen hier die beiden Negativ-Peaks — mit mehr als 10% Abweichung zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen — auf:

  • Ich möchte mich nicht emotional belasten“ (49% Nichtengagierte mit Behinderungen, 38% Nichtengagierte ohne Behinderungen),
  • Ich fühle mich körperlich nicht den Anstrengungen eines Ehrenamtes gewachsen“ (77% Nichtengagierte mit Behinderungen, 28% Nichtengagierte ohne Behinderungen),

Etwas unter der Schwelle von 10% Abweichung liegt außerdem die auf informelles Engagement abzielende Antwortmöglichkeit „Ich möchte mich nur für Menschen aus meiner Familie / Freundeskreis engagieren“ (44% Nichtengagierte mit Behinderungen, 35% Nichtengagierte ohne Behinderungen). Hier kann einerseits vermutet werden, dass von Freunden und Familie ein gewohnter Umgang mit den jeweiligen Handicaps erwartet wird und andererseits die vorhandene Barrieren bekannt sind und leichter umgangen werden können als im öffentlichen Raum.
Insgesamt zeigt sich, dass das Engagementpotential bei Menschen mit Behinderungen durch aus vorhanden ist. Das betrifft nicht unbedingt die Angaben von grundsätzlicher Bereitschaft oder guten Vorsätzen — wie gesagt, hier bleiben die Wert hinter denen von Menschen ohne Behinderungen zurück — sondern der deutlich seltener angegebene Hinderungsgrund Zeit (38% der Befragen mit Behinderung haben keine Zeit für ein freiwilliges Engagment ggü. 65% der Befragten ohne Behinderungen) swie der ermittelte Bildungsgrad. Knapp ein Drittel der 128 Befragten mit Behinderungen (32% | total 41 Befragte) hat eine höhere Schule (ohne ohne Gymnasium) besucht. Über zwei Fünftel der Befragten mit Behinderungen (42% | total 54 Befragte) haben Abitur (19% | total 25 Befragte) oder ein bereits abgeschlossenes Hochschulstudium (23% | total 29 Befragte). Ausgehend davon, dass eben diese Bildungsgrade (mittlere Reife, Berufsschulabschluss, Abitur und Hochschulabschluss) im freiwilligen Engagement recht häufig vertreten sind, ist davon auszugehen, dass die strukturellen Voraussetzungen für das freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen eigentlich gut sind.
Gegenteiliges legt die weit unterdurchschnittliche Einbindung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt (37% voll-, 15% teilzeitbeschäftigt und 11% z.Zt. Arbeitslos | total 47 Befragte in Voll-, 19 in Teilzeitbeschäftigung und 13 z.Zt. Arbeitslos) sowie die geringe Zahl von Vollzeitstudienerden (3% | total 4 Befragte) und das ehr niedrige Haushalteinkommen nahe. 44% der Menschen mit Behinderungen haben ein Haushaltseinkommen von weniger als 1.500,- € im Monat. Es entsteht hier der Eindruck, dass Menschen mit Behinderungen in der Schule zwar die gleichen Bildungszertifikate erlangen können, daraus aber weniger Kapital zu schlagen vermögen als Menschen ohne Behinderungen, was wiederum auf vorhandene Barrieren und (mind. latent wirkende) Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Raum schließen lässt.

Fazit

Die INNOFACT-Umfrage von Aktion Mensch zeigt, dass die  Voraussetzungen für das freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen prinzipiell günstig sind, im öffentlichen Raum aber nicht in gleicher Weise wirken wie bei Menschen ohne Behinderungen. Insofern kann hier durchaus von freiwilligem Engagement mit Behinderungen gesprochen werden. Im öffentlichen Raum bestehen vielerlei Barrieren, die sich bei Weitem nicht nur auf defekte Fahrstühle, Treppen und Stufen oder fehlende Blindenleitstreifen und -signale beschränken lassen. Im öffentlichen Raum werden Menschen mit Handicaps auch mit Barrieren in den Köpfen konfrontiert, die den Einzelnen mit Sicherheit einige Geduld und viel Humor abverlangen. Dass die Engagementquote von Menschen mit Behinderungen dennoch mit der der Menschen ohne Behinderungen gleichauf liegt, zeigt, dass sich viele diesen Herausforderungen stellen und auch einen Mehrwert im Engagement für die eigene Sache sehen. Dass sich allerdings viele der älteren Menschen mit Behinderungen lieber ins Private zurückziehen, ist vor diesem Hintergrund durchaus nachvollziehbar.
Was bedeuten diese Befunde für die Engagementförderung? Sicherlich müssen einerseits, passende Engagementgelegenheiten geschaffen werden, die Menschen mit Behinderungen (wieder) mit Freiwilligenorganisationen in Kontakt bringen, das Online- und Micro-Volunteering ist hier sicherlich eine Möglichkeit. Zwar scheint der Zugang zu den Bereichen „Behinderung und Teilhabe“ sowie „Gesundheit“ für Menschen mit Behinderungen schon vorhanden, doch ist das in anderen Bereichen, wie z.B. „Sport und Bewegung“ ist das nicht der Fall. Dies sicherlich nicht nur, weil es im Sport (noch) keine Engagementangebote für Menschen mit Behinderungen gibt, sondern auch, weil Menschen mit Behinderungen im Sport keine Engagementgelegenheiten vermuten.
tl;dr: Ein erster Blick auf das freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen zeigt stoffliche wie mentale Barrieren dort, wo man sie auch vermutet.
* Eigentlich waren es zwei Erhebungen. Eine für die gesamte Bundesrepublik und eine für die einzelnen Bundesländer. Ich beziehe mich hier nur auf die erste.

Kommentare

  • Wobei man dazu sagen muss, dass die meisten Behinderten in der Behindertenselbsthilfe aktiv sind, meiner Beobachtung nach fast alle. Nicht-Behinderte engagieren sich für Behinderte, aber nicht umgekehrt. Mich würde interessieren, ob das von Seiten der Aktion Mensch als Problem angesehen wird und was sie tun, um Engagement außerhalb der Behindertenselbsthilfe zu puschen.

    • Hallo Thomas, deine Beobachtung ist schon richtig. Ein Gros der Behinderten engagiert sich in der Behindertenhilfe — also für andere Menschen mit Behinderungen. Das kann eigentlich auch nicht überraschen. Kleingärtner engagieren sich auch für andere Kleingärtner, Hasenzüchter für andere Hasenzüchter, Immobilienbesitzer für andere Immobilienbesitzer usw. usf. Das freiwillige Engagement ist nicht unwesentlich von eigenen Interessen und persölichen Belangen getrieben und das ist auch gut so …
      Nichtsdestotrotz sollten sich Menschen mit Behinderungen auch in Bereichen einbringen können, bei denen sie mit Menschen ohne Behinderung zusammen kommen. Inklusion ist hier das Stichwort. Das allerdings ist ein dickes Brett, weil hier — wie im Beitrag angesprochen — beiderseits mentale Barrieren bestehen.
      Was die Befunde der vorliegenden Umfrage anbelangt, wurde auch nach dem Kontakt zu Menschen mit Behinderungen gefragt. Leider hat diese Frage nicht all zu viel Aussagekraft, weil der einmalige Kontakt hier genauso gewertet wird, wie das miteinander Leben. Es zeigt sich allerdings, dass die Abweichungen hier nur bei der kompletten Verneinung die 10%-Marke überschreiten (36% der Befragten ohne Behinderungen ggü. 0% der Befragten mit Behinderungen haben keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderungen). Die Voraussetzungen für inklusives Engagement sind also da, sie müssen in der täglichen Praxis nur genutzt werden.

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