Ausprobiert: »TikTok«

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Seit ein paar Wochen treibe ich mich auf der Video-Sharing-Plattform »TikTok« herum. Ob die nach Snapchat und Instagram nun The Next Big Thing wird oder nicht, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann: Der Dienst macht Laune und es wundert mich nicht, dass die App unter Teenies gewaltig trendet.

Wen es interessiert … Grundlage für die folgenden Darstellungen ist das Dagstuhl-Dreieck aus der gleichnamigen Erklärung vom März 2016 (PDF). Das Dagstuhl-Dreieck legt nahe, einzelne Entitäten der digital-vernetzten Welt sowohl aus technologischer als auch aus gesellschaftlich-kultureller und anwendungsbezogener Perspektive zu betrachten. Das dahinterstehende Konzept ›digitaler Bildung‹ geht entsprechend über das der ›Medienkompetenz‹ (Dieter Baake) hinaus.

Was ist TikTok?

Der Video-Sharing-Dienst »TikTok« wurde im September 2016 unter dem Namen »Douyin« von Zhang Yiming (ByteDance) ins Leben gerufen. Das soziale Netzwerk für kurze Lipsync-, Dance- und Comedy-Videos skaliert seit 2018 – seit der Zusammenführung mit dem zugekauften Dienst »Musical.ly« – global. Im August 2019 war die App mit 63 Millionen Downloads auf Platz 1 der weltweiten Downloadcharts und überholte damit erstmalig WhatsApp. In Deutschland zählte der Dienst im März dieses Jahres zirka vier Millionen Nutzende.

TikTok ist unter Teenagern sehr beliebt, was selbstverständlich den Jugendschutz im Netz auf den Plan ruft. Nebst kritischer Stimmen zu pädophiler Umtriebe werden auch urheber- und persönlichkeitsrechtliche Fragestellungen aufgeworfen und eindringlich auf entsprechende Privatsphäre-Einstellungen hingewiesen.

Wie funktioniert TikTok?

Wie alle Social Media Plattformen bietet TikTok Nutzenden die Möglichkeit, eigene Inhalte zu veröffentlichen und die anderer zu kommentieren, zu liken und zu teilen. Und auch die üblichen Hashtags und Mentions (Verschlagwortung von Inhalten und Markierung von anderer Nutzender) sind möglich. Zudem bietet TikTok, wie andere Foto- und Video-Sharing-Plattformen Filter, Sticker und – zusätzlich – Effekte für die Bearbeitung der in der Regel nur 15-sekündigen Videos.

Anders als bei Instagram oder Snapchat können Inhalte bei TikTok nicht nur nach Hashtags und Personenprofilen, sondern auch nach den verwendeten Tonspuren gelistet werden. Nutzenden bietet die App eine umfangreiche Auswahl kurzer Sound-Snippets, die für Lippensynchronisation und andere Video-Performances (auch im Duett) genutzt werden können. Die gelisteten Inhalte, wie auch die Kommentare zu einem einzelnen Video, werden bei TikTok nach Relevanz (Nicht nach Veröffentlichungsdatum!) gelistet.

Einen genaueren Blick auf die App wirft Daniel Zoll in seinem YouTube-Tutorial.

Wie wirkt TikTok?

Auf den ersten Blick wirkt TikTok recht schrill. Anders als bei anderen Diensten ist der Ton auf dem Smartphone standardmäßig angestellt, sodass die App nach dem Öffnen sofort losplärrt. Durch die unzusammenhängenden Tonfetzen ergreifen Menschen in unmittelbarer Nähe der Nutzenden recht bald die Flucht, wenn gerade keine Kopfhörer oder verschließbare Türen zur Hand sind. 

Als Teil der Social Media Landscape bietet TikTok seinen Nutzenden großes Potential zur Vernetzung mit Gleichgesinnten in »posttraditionalen Gemeinschaften«. Insbesondere Hashtags beteten dafür (dienste-übergreifende) ›Metaplattformen‹, auf denen entsprechende Inhalte-Sammlungen sehr einfach zu finden sind. Als Beispiel dafür nennt Hella Schneider in der Neuen Züricher Zeitung die Jugendkultur der eBoys und eGirls – einer Art Revival des Emo-Punks der 2000er Jahre.

Insgesamt scheint TikTok vorrangig ein Spaß-Medium zu sein, für das man sich nicht weiter interessieren muss, wenn man doch ernste Themen vor der Brust hat. Die App allerdings platzt mitten in die zunehmend konformistische Trostlosigkeit der digitalen Welt (Süddeutsche Zeitung) und schafft eine neues Paralleluniversum zu der von ›Erwachsenen‹ mittlerweile gut verstandenen Welt der Sozialen Medien – sie bietet denen, die sich danach sehnen, einen Ort, an dem das Internet endlich wieder bunt und vielfältig ist (Vice). Die gesellschaftliche Wirkung dieser ›Vielfalt der Stimmen‹ sollte nicht unterschätzt werden!

Wie nutze ich TikTok?

Um TikTok nutzen zu können, ist nicht mehr als ein handelsübliches Smartphone nötig. Besondere Aufnahmetechnik braucht es eigentlich nicht. Und: Über TikTok mit den eigenen Inhalten Reichweite zu erzielen, ist nicht schwieriger als auf anderen Social Media Plattformen. Hier wie dort kommt es auf Relevanz, Qualität und Findbarkeit an – auf ›coole Inhalte‹ eben, die ›die Leute‹ sehen wollen (GIGA.de).

Die erste Frage für die Nutzung von TikTok also: Wer sind ›die Leute‹?

Einer Statistik zufolge, die vor etwa einem Jahr auf Quora gepostet wurde (Zugegeben: Keine sonderlich gute Quelle!), liegt der Altersdurchschnitt der überwiegend weiblichen Nutzenden bei TikTok zwischen 23 und 24 Jahren. Nach meinem Eindruck produzieren eher die Älteren aktiv, während sich die Jüngeren vor allem aufs Konsumieren und maximal Liken selten Kommentieren beschränken. Insgesamt also scheinen ›die Leute‹ eben das Jungvolk1 zu sein, das auch auf Instagram und Snapchat anzutreffen ist (oder anzutreffen war).

Und damit zur zweiten Frage: Was sind ›coole Inhalte‹ für dieses Jungvolk?

Frei nach dem Motto ›erst zuhören dann reden‹ habe ich mich zum Einstieg einige Zeit durch die Empfehlungen im Hauptstream geswiped. (Man wischt in der App nach oben zum nächsten und nach unten zum vorherigen Video.) Gesehen habe ich das, was ich oben grob unter Lipsync, Dance und Comedy zusammengefasst habe: Popmusik für Lippensynchronisation, virale Shuffle-Dance-Performances und -Tutorials sowie allerhand (leidlich) Witziges. Natürlich passt nicht alles in diese drei Kategorien. Witzigkeit, Nützliches und Wow-Effekt aber scheinen mir die ›coolen Inhalte‹ im Kern auszumachen.

Let’s TikTok!

Schrill, bunt, vielfältig und doch eigentümlich redundant. Wer etwas über Vielstimmigkeit, über Meme und Virals in den Sozialen Medien lernen will, wer sehen will, welche Statements das Jungvolk so von sich gibt und wie, der sollte sich unbedingt mal auf TikTok umschauen. Wer dazu noch ein bisschen ›daily Fame‹ haben will, dem sei ans Herz gelegt, selber Videos zu produzieren.

Ich habe es mit einem eigenen TikTok-Kanal probiert und gelernt, dass neben Witz, Nutzen oder Wow-Effekt Qualität, Stil und Dramaturgie wichtig sind, um Reichweite zu erzielen: Mit eigenem Stil, wie dem eigenen Thema, schafft man Wiedererkennbarkeit im sonst sehr chaotischen Stream und hat damit größere Chancen, dass das Video auch angeschaut wird. Die Dramaturgie sorgt dann für die Likes; in einem seichten Bogen führt sie zur Pointe, die – wenn sie gefällt – mit einem Herzchen oder einem Kommentar honoriert wird. Das wiederum steigert die Relevanz des Videos im Stream und erhöht wieder die Chancen, dass das Video angeschaut wird…

Natürlich kann man sich zusätzlich auch bei den Trending-Topics und Challenges einklinken, Duette produzieren und überall seinen Kanal promoten (siehe GIGA.de). Ich habe es noch nicht ausprobiert, bin mir aber ziemlich sicher, dass sich irrelevante und schlecht gemachte Videos so nicht promoten lassen.


1. Chuck Norris hat die Wikipedia durchgelesen – zwei Mal. Ich nicht. Deshalb ist mir hier unwissentlich ein Begriff reingerutscht, der eine ungute NS-Vergangenheit hat. Die ist hier nicht gemeint. Gemeint sind „junge Menschen“.

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