Ja es bewegt sich was. Nicht nur die Welt dreht sich jeden Tag weiter — auch die deutschen NPOs bewegen sich immer häufiger Richtung Social Web. Häufig in kleinen Schritten, vorsichtig und äußerst skeptisch wagen sich verschiedene Organisationen vorwärts in einen medialen Bereich, in dem sie ihre Stärken ausspielen müssen und vermeintliche Schwächen kaum verbergen können. Angesichts der immer stärkeren Medienpräsenz eben jener Tools, die bis vor kurzem noch der medialen Avantgarde vorbehalten waren, müssen sich NPOs auch verstärkt dem Dialog mit ihren Stakeholdern* widmen.
Für wahr: Das sollten sie auch! Warum kann ich über den Micro-Blogging-Dienst Twitter eigentlich eine Oper am Londoner Royal Opera House mitgestalten (und schließlich dafür bezahlen) und werde in meinem freiwilligen Engagement noch viel zu häufig vor vollendete Tatsachen gestellt? Warum sind virtuelle Stadtplanungsprojekte via „Second Life“ immer noch der Ausnahmefall, wenn Gaming-Schmieden wie ID-Soft schon seit Beginn der 90er Jahre Games gemeinsam mit ihren (zumeist männlichen) Kunden entwickeln? Warum kennt eigentlich alle Welt die Wikipedia und versucht die freie Wikitechnik nur in leuchtenden Ausnahmefällen für den Dialog auf lokaler Ebene einzusetzen?
Fragen wie diese könnte ich hier noch so einige stellen und würde immer weiter abkommen vom eigentlichen Thema: Den ersten Schritten sozialer Organisationen ins Social Web. Denn gute Beispiele im In- und Ausland, das versuche ich hier im Blog immer wieder zu zeigen (eigentlich komme ich kaum nach), gibt es einige. Web-Pojekte wie das des Royal Opera House in London, dem Münster-Wiki und Wikiwoods oder auch der Caritasblog „Mitten am Rand“ zeigen, dass es geht. Das Social Web kann strategisch, kreativ und phantasievoll im Dritten Sektor eingesetzt werden, ohne dass die dahinter stehenden Organisationen darunter leiden.
Beim diesjährigen Socialcamp im Berliner selfHUB trafen sich 80 Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Social Web Szene mit 40 Mitarbeitenden verschiedenster NPOs — Mitarbeitende sozialer, politischer oder kultureller Organisation, die sich für die Möglichkeiten des Dialoges via Social Web interessieren und dabei auch ungescholten ihre Skepsis an den Tag legen konnten. Mir persönlich, der ich als Vertreter der Netz-Szene dabei war, hat das Socialcamp sehr gut gefallen. Es war ein Austausch auf Augenhöhe, weshalb ich in den meisten Fällen überhaupt nicht zwischen Mitarbeitenden von NPOs und Netizens unterscheiden konnte und wollte.
Sicherlich war dies auch dem Format des Socialcamps als „Unkonferenz“ zuzuschreiben. Alle, die einen Platz auf den leider knappen Listen des Socialcamp ergattern konnten, waren nicht nur als Teilnehmende, sondern auch als potentielle Dozent(innen) und Expert(innen) geladen. Es gab keinen Masterplan, wie man ihn von herkömmlichen Konferenzen oder Tagungen kennt. Niemand konnte sagen, wann er oder sie bei wem in welcher Session sitzt. Die 45minütigen Sessions, die als Workshop, Präsentation oder Diskussionen frei gestaltet werden konnten, wurden erst zu Beginn des Tages in der großen Runde geplant.
Sicherlich entspricht ein solches Organisationsprinzip nicht den „guten Regeln“ der herkömmlichen Tagungsveranstaltungskunst, doch hatte ich das deutliche Gefühl, dass der — im ersten Augenblick chaotisch anmutende — Tagesablauf doch gut strukturiert war und der ebenso chaotischen Web-Kommunikation schon sehr nahe kam. Nach dem ersten Tag habe ich jedenfalls festgestellt, dass ich bei weitem nicht so geschafft war, wie das bei anderen Tagungen schon häufig der Fall war.
Wer also mal die Chance nutzen will seine oder fremde Web-Projekte gemeinsam mit eben der Avantgarde zu diskutieren, die (Micro)Blogs und Wikis schon längst beinahe täglich lesen und bearbeiten, der (oder die) sollte im kommenden Jahr schnell sein, wenn es wieder heißt: „Die Anmeldung zum Socialcamp ist jetzt online“.
Aber nicht nur das: Wer — wie die meisten NPOs — lieber erstmal einen kleinen Schritt in Richtung Social Web und Netz-Szene machen will, ist bei den regelmäßigen Socialbars (den kleinen Brüdern des Socialcamps [?!]) herzlich willkommen. Socialbars gibt es bereits in einigen Städten und da wo sie nicht zu finden sind, sind Interessierte herzlich eingeladen selbst ein solches Barcamp zu organisieren.
Hier übrigens noch der Link zu anderen Blogposts zum Socialcamp09
*Auch wenn ich mich vor nicht all zu langer Zeit mit dem Begriff „Stakeholder“ noch sehr schwer tat, muss ich ehrlich zugeben, dass mir kein treffenderes Wort für all jene einfällt, die in irgendeiner Weise mit einer Organisation verbunden sind — das Soziale Kapital einer Organisation darstellen.
Es bewegt sich was — Socialcamp in Berlin
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