Zur Diskussion um das Micro-Volunteering — Cravens vs. Rigby

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Mit dem Engagement für die Hosentasche sind wir im deutschen Sprachraum den Angelsachsen noch hinterher. Zwar experimentieren bspw. 2aid.org, das ÖRK und betterplace LAB hin und wieder mit sporadischem Kurzzeitengagement (siehe hier und hier) , doch stelle ich mir die Frage, wo dieses Klickworkertum, wie es in Großbritanien und den USA zelebriert wird, hinführen soll. Kann aus dem Micro-Engagement überhaupt etwas Brauchbares erwachsen oder bleibt es bei sporadischer Aushilfe während der Mittagspause? Gestalten die Citoyens einer aktiven Zivilgesellschaft in Zukunft ihre Lebenswelt, wenn sie gerade gelangweilt auf den Bus warten? Ich hoffe es nicht, dem Gefühl nach würde doch etwas Wesentliches fehlen: das Herzblut.

Ein Blick über den Teich

In Großbritannien und den USA wurde das Micro-Volunteering in letzter Zeit mit einiger Intensität diskutiert. Wo diese Diskussion genau ihren Anfang nahm und wer alles beteiligt war und immer noch ist, weiß ich nicht. Erneut dem Gefühl nach könnte die Diskussion aber mit der Gründung Extraordinaries ihren Lauf genommen haben, die im Oktober 2008 ihre innovative Verknüpfung von Kurzzeitengagements und der Smartphone-Technologie verkündeten und in 2010 mit ihrer Mirco-Volunteering-Plattform www.sparked.com an den Start gingen. Mit dem „microvolunteering“ hatten die Extraordinaries einen neuen Begriff in die Welt gesetzt, den sie in der Öffentlichkeit recht vehement gegen ‚traditionelle Formen des Volunteerings‘ abzugrenzen versuchen. Im Dialog zwischen Jayne Cravens und Ben Rigby geht es daher um die Frage, über was wir hier eigentlich reden: Einen weitgehend formlosen Marketing-Gag á la „Web 2.0“ oder eine Form des freiwilligen Online-Engagements?

Micro-Volunteering: Not-So-New Trend

Auf das recht aggressive Marketing-Getöse von Ben Rigby & Co reagierte Jayne Cravens, in dem sie auf  ihrer Website vom Micro-Volunteering und Crowdsourcing als „Not-So-New Trends in Virtual Volunteering / Online Volunteering“ schrieb. Wissen muss man dazu, dass Jayne Cravens recht konsequent zwischen (ihrer Ansicht nach) gesicherten Erkenntnissen, die sie auf ihrer Website einstellt, und Diskussionsbeiträgen, die sie in ihrem Blog veröffentlicht, unterscheidet. Wenn sie also auf ihrer Website schreibt, dass das Micro-Volunteering — auch nach der Definition der Extraordinaries — nun wirklich nichts Neues und eigentlich auch nichts anderes als Online-Volunteering ist, verleiht sie diesem Gegenpart zu dem Hype rund um den ‚brand new trend‘ des Micro-Volunteering doch einiges an Gewicht.
Und das sicherlich nicht zu Unrecht: Während des Virtual Volunteering Projects in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, machten Susan J. Ellis von Energize Inc. und Jayne Cravens die besten Erfahrungen mit „bit-sized volunteering assignments“, die in einer überschaubaren Zeitspanne zu erledigen und insofern nichts anderes waren, als die Tasks, die von Rigby & Co als Micro-Volunteering verkauft werden. Zudem schätzt Cravens auch on-site Aktionen, die auf kurze überschaubare Engagements, statt ewiger Bindung setzen, als recht erfolgreiches Pendent zum Micro-Volunteering ein. Der Hype um das Hosentaschen-Engagement ist Jayne Cravens zu folge also wenig berechtigt und führt außerdem in die falsche Richtung. Ihr zu folge geht es bei der Arbeit mit Freiwilligen schließlich vordergründig um den Beziehungsaufbau und nicht nur um das bloße Abgreifen kostenloser Ressourcen.

Microvolunteering: Outcomeorientiertes Crowdsourcing

Die Behauptung, Micro-Volunteering wäre nichts anderes als Online-Volunteering, verneinte Ben Rigby im SparkedBlog — „the microvolunteering learning center” — an Heiligabend 2010 erwartungsgemäß. Zum einen würde „microvolunteering“ wegen der Verwendung als Hashtag anders geschrieben werden als „Virtual Volunteering“ und „Online Volunteering“, was auf den Hashtag „microfinance“ der New York Times zurückgeht (Leerzeichen und Bindestriche unterbrechen den Hashtag). Zum anderen würde das Mirco-Volunteering auch eher den Output als den Prozess des Volunteerings fokussieren.
Hier bezieht Rigby also ganz klar Position, indem er die kompensatorischen Effekte des Engagements einer Community — des Crowdsourcings — betont. Mit der Unterscheidung zwischen Outcome- und Prozessorientierung zeigt er aber auch, dass er sich offenbar nicht wirklich mit dem Freiwilligenmanagement beschäftigt hat bzw. es auch gar nicht tun will, was — nebenher gesagt — auch ein Schlaglicht auf den Gehalt seines Versprechens von gesparten Managementkosten wirft. Zwar ist es richtig, dass Freiwilligenarbeit als Prozess auch Stakeholder-Bindung bedeutet, doch schließt das eine Outcomeorientierung nicht aus. Besonders beim Management von Online-Volunteers ist das tatsächliche Arbeitsergebnis viel wichtiger als das Bekenntnis Interessierter ‚etwas gut zu finden‘ („Like“) — Online-Volunteers lassen sich nur an dem messen, was sie tatsächlich tun.

Micro-Volunteering — Online-Volunteering: sinnlose Unterscheidung

Erstaunlicher Weise geht Jayne Cravens in ihrem nächsten Diskussionsbeitrag (diesmal in ihrem Weblog) gar nicht auf diese Unterscheidung Rigbys ein. Sie akzeptiert die marketingstrategische Abgrenzung von Micro- und Online-Volunteering nicht und bleibt dementsprechend bei ihrer ursprünglichen Aussage: „Microvolunteering is virtual volunteering“.

Of course microvolunteering is virtual volunteering: it’s unpaid, donated service in support of nonprofit organizations, provided via a computer or handheld device.

Es wäre absurd weigerte sich ein Freiwilligenmanager oder eine -managerin bspw. das sporadische Engagement eines Unterstützers zum Subbotnik als Freiwilligenarbeit anzuerkennen. Es wäre wirklich seltsam, jenen, die sich nur einmal beim Kiezaufräumen beteiligen, keinen oder vielleicht einen kürzen Besen zu geben, als jenen, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Straße-Fegen treffen. Insofern ist auch das Micro-Engagement — wie micro es auch immer sein mag — freiwilliges Engagement.

Fazit

Einerseits kann ich Jayne Cravens nur Recht geben: Micro-Volunteering ist nichts anderes als Online-Volunteering. Es betont nur eben die besondere Kürze des Engagements und den Einsatz mobiler Endgeräte. Sich an Marketingbegriffen festzubeißen halte ich schlicht nicht für sinnvoll! Besonders dann nicht, wenn die vermeintliche Grenze so strickt gezogen wird, dass die einen nicht mehr von den anderen lernen können. Doch genau das scheint mir hier zu passieren. Rigby kann die Argumente des ‚herkömmlichen‘ Freiwilligenmanagements nicht ernst nehmen, weil sein Konzept des „microvolunteering“ dann einen wesentlichen Teil seiner USP (unique selling proposition) verlieren würde; nämlich das Versprechen gesparter Kommunikations-  und Managementkosten.
Andererseits betont Rigby‘s Ansatz des Micro-Volunteerings vor allem die kompensatorischen Effekte des Crowdsourcings und nimmt zudem den Trend der Beschleunigung in modernen Gesellschaften auf, die, durch Kurz-Kurz-Muster gekennzeichnet, so erlebnisreich wie erfahrungsarm sind (vgl. „Beschleunigung — Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“: Harmut Rosa 2005). Durch den Fokus auf mobile Endgeräte und das Engagement in erlebnisarmer „spare time“ soll hier Engagement ‚abgegriffen‘ werden, dass nicht zurückgekoppelt werden muss und entsprechend das Management entlasten soll. Hierfür scheint mir ein neuer Begriff — auch wenn es nur ein Buzzword des Marketings ist — durch aus angebracht. Schließlich hat das bloße Abgreifen vermeintlich freier Ressourcen nichts mit freiwilligem Engagement als Form zivilgesellschaftlicher Teilhabe zu tun.
Damit reduziert sich aber auch das Versprechen, dass Nonprofits von dieser Form des Volunteerings profitieren können, auf neoliberales Kurzdenken. Sicherlich können Nonprofits von den Skills, die Micro-Volunteers in ihrer Mittagspause spenden, kurzfristig profitieren. Sie können z.B. wertvolle Tipps zum Aufsetzen einer eigenen Social Media Strategie bekommen. Da es aber keinerlei Rückkopplung geben soll bzw. die Struktur von sparked.com nicht darauf ausgelegt ist, entsteht auch kein Netzwerk. Aus wirtschaftlicher Sicht ist Nonprofits damit vielleicht geholfen, für ihren zivilgesellschaftlichen Auftrag — den zentralen Auftrag von NPOs — ist ihnen damit nicht gedient.

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