Urheberrecht vs. Open Access

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Von Jörn Brunotte lief gestern Abend bei Twitter die Nachricht „Zum Urheberrecht http://www.faz.net/s/Rub1DA…“ über den Ticker. Ich hatte mir nichts dabei gedacht und mir den Artikel angeschaut. Was ich dann aber zu lesen bekam ließ es mir kalt den Rücken herunter laufen.
Der Literaturwissenschaftler und Philologe Roland Reuß plädiert in seinem Artikel „Unsere Kultur ist in Gefahr“ für das Urheberrecht, also das Recht aller Produzierenden über das Wann und Wo des Erscheinens ihrer Texte, Bilder, Filme … entscheiden zu können. Verwundert hat mich zunächst, dass Reuß die pragmatische Forderung nach frei verfügbaren Publikationen á la „Creative Commons“ für kontraproduktiv und — so es wissenschaftliche oder künstlerische Publikationen betrifft — sogar für verfassungswidrig hält. („Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ [Art 5 Abs. 3 GG])
Reuß befürchtet, dass ein Zwang zur digitalen Veröffentlichung entstehen könnte, der den Autorinnen und Autoren eben diese Freiheit nehmen würde und damit gegen geltendes Recht verstößt. Das aber die meisten Menschen, die ihre Werke offen zur Verfügung stellen und dies zum ersten völlig freiwillig und zum zweiten aus einer rein pragmatischen Nutzenabwägung tun, lässt Reuß aus. Hat sich doch die Open Access- Bewegung unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formiert, weil diese sich nur durch Veröffentlichungen reputieren können — nur Forschungs- oder Lehraufträge bekommen, wenn man sie kennt.
Die „Ein-Mann-Verteidigungsschlacht“ Reuß‘ — wie es Spielkamp auf Perlentaucher und TechSoup nennt — macht auf mich den Eindruck des Nicht-Verstanden-Habens (oder Nicht-Verstehen-Wollens) der Kommunikationsprozesse im Social Web (bpsw. „journalism as conversation“). Dabei hat die Wissenschaft mit der „Crowd Intelligence“ und Vernetzung über das Social Web sehr viel zu gewinnen.
Die Vernetzung via Blog — der für mich schlussendlich auch nichts anderes ist als eine Plattform für Artikel, Bilder Filme und anderes — halte ich für nur bereichernd. Ich sitze nicht im stillen Kämmerchen sondern tausche mich über alles Mögliche aus. Währen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, Thesen und Theorien im Web 2.0- Stil (also im ständigen BETA) über das Internet abrufbar, könnten Fehler schneller erkannt und funktionierende Modelle besser genutzt werden — die Publikation und das Reviewing währe also gecrowdsourced.

Kommentare

  • … Das ging ja schnell: Der Journalist Fritz Effenberger veröffentlichte Gestern (26.04.09) sein Gegenstück zum Heidelberger, nämlich den Augsburger Appell

  • Sie schreiben: „Reuß befürchtet, dass ein Zwang zur digitalen Veröffentlichung entstehen könnte, der den Autorinnen und Autoren eben diese Freiheit nehmen würde und damit gegen geltendes Recht verstößt. Das aber die meisten Menschen, die ihre Werke offen zur Verfügung stellen und dies zum ersten völlig freiwillig und zum zweiten aus einer rein pragmatischen Nutzenabwägung tun, lässt Reuß aus.“ Ja, der 2. Satz stimmt, Reuß läßt den von Ihnen genannten Sachverhalt aus, weil es darum nicht geht. Es geht ihm nur um die Beibehaltung der „Publikationsfreiheit“, das Recht des Einzelnen zu entscheiden, wo sein Werk erscheint. Damit formuliert Reuß seine Sorge, dem Einzelnen wird diese Entscheidung abgenommen. Reuß‘ Einlassungen haben nichts mit einer Kritik an Open Access zu tun – solange die Autoren nicht technisch oder sonst irgendwie zwangsverpflichtet werden oder auch gar nicht erst gefragt werden, ob ihre Werke publiziert werden dürfen. Als Autor, Wissenschaftler und Blogger kann ich seine Argumentation sehr wohl nachvollziehen. Ich wundere mich ja auch, wenn mein Buch bei Google-Books durchsuchbar angezeigt wird und ich nichts dafür kriege. Die Vorteile von Web 2.0 haben mit der Notwendigkeit, des Urheberrecht und damit die Rechte der Autoren zu wahren, nichts zu tun. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass ein Autor durch die Urheberschaft und damit auch die Verfügungsgewalt über sein Werk verlieren sollte, nur weil es die Möglichkeit einer einer digitalen Form der Verbreitung von Werken gibt.

  • Hallo Herr Wittmann, vielen Dank für ihren Kommentar und den Hinweis auf das „wirkliche Anliegen“ Herrn Reuß‘.Leider kommt es mir schon so vor, als ob Roland Reuß die aus Notwendigkeiten entstandene Open Access- Bewegung nicht all zu gern sieht. Autor(innen), die ihre Werke via Open Access am (a) kostspieligen und (b) langwierigen Peer Reviewing Verfahren großer und sehr teurer Wissenschaftsverlage vorbeimanövrieren, werden dank Google immer häufiger gelesen und Zitiert. Das macht freilich Druck auf alle anderen Wissenschaftler(innen), die schließlich mithalten müssen. Wie so häufig wird hier eine Gegenbewegung zum neuen Mainstream. Was die Publikationsfreiheit betrifft, die Sie ansprechen, bin ich doch der Ansicht, dass Google für das tun (oder unterlassen) der Verlage nicht verantwortlich gemacht werden sollte. Autorinnen und Autoren können immer noch veröffentlichen wann, wo und wie sie wollen — auch offline — sie werden nur angehalten ihre Werke der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen (wobei sie daran nur gewinnen können)…

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