Ob in der Politik, in der Wissenschaft oder in der Blogsphäre: Der Diskurs ist wichtig. Wir hören und lesen über die Meinungen und Argumente anderer, kommentieren sie oder stellen unsere Ansichten dar. Social Media macht’s möglich! Auf ein Paradebeispiel digitalen Diskurses bin ich heute über eine Facebook-Statusmeldung von Sebastian Schwiecker (Helpedia.org) gestoßen:
Seth Godin kritisiert NPOs für mangelnde Social Media Nutzung: http://bit.ly/2AYxKp, Jayne Cravens antwortet: http://bit.ly/T8LAI
An den Aussagen Seth Godins ist tatsächlich wahres dran. Einleitend stellt er fest, dass er sehr wohl weiß, was Nonprofits nicht sind, stellt sich dann aber gleich die Frage was sie denn eigentlich sein wollen. NPOs — so Godin — wollen die Welt ein Stück besser machen — sie verändern. Leider und hier gebe ich Godin recht, ist die Bereitschaft im Dritten Sektor zunächst einmal sich selbst zu verändern oder auch nur mit der Zeit zu gehen nicht sehr stark ausgeprägt.
Unter den Top 100 der Twitter-User findet Godin keine einzige NPO. Er versucht so zu zeigen, dass NPOs nicht mit der Zeit gehen und sich damit schwer tun, neue Wege transparenter Kommunikation zu erproben. Godin berichtet aus eigener Erfahrung, dass sich NPO-Manager lieber darauf beschränken unzählige Argumente zu finden, warum einzelne Veränderungen schier unmöglich sind. Genannt werden hier bspw. die knappen Ressourcen im Dritten Sektor, die Godin aber gar nicht in diesem Ausmaß sieht. Die Tools sind doch alle kostenlos und wenn eine NPO nicht genügend Freiwillige hat, die ihr liebend gern helfen, dann scheint ihr Thema nicht wichtig genug.
The opportunities online are basically free, and if you don’t have a ton of volunteers happy to help you, then you’re not working on something important enough.
Ich kann mir ungefähr vorstellen wie es Jayne Cravens an dieser Textstelle ging. Ich für meinen Teil konnte nur mit dem Kopf schütteln. Hier schreibt ganz offensichtlich ein libertärer Business-Man über das, was solchen Menschen oft überhaupt nicht liegt: Den wertschätzenden und respektvollen Umgang mit anderen Menschen abseits der Zahlen.
Jayne nahm also den Handschuh auf und antwortete so selbstbewusst, wie man es sich auch von NPOs in Deutschland zukünftig wünschen kann.
Zunächst — so Jayne Cravens — kann (zumindest nicht in den USA) die Rede davon sein, dass NPOs keine Social-Media-Tools einsetzen. Sie finden sich nur nicht in Godins Sphären. Bekanntlicher Weise kennen wir auch in Deutschland einige NPOs, die Social-Media-Tools einsetzten. Genannt seien hier exemplarisch drei Beispiele: Wikimedia Deutschland e.V. (nutzt natürlich Wikis für verschiedene Projekte), Caritas (setzt sich mit dem Blog „Mitten am Rand“ für soziale Manieren ein) und 2Aid.org (nutzt verschiedene Social-Media-Tools um Projekte in der Dritten Welt umzusetzen).
Außerdem — schreibt Jayne weiter — ist das Ranking in den Twittercharts nicht unbedingt die Voraussetzung für gute Arbeit. Die Message zählt.
The number of followers is NO determination of success that a message is really creating change, any more than number of cars passing a billboard or number of visitors to a web site.
Zum Thema „… have a ton of volunteers happy to help you“ schreibt Jayne etwas ungehalten (infuriated = wütend), dass Freiwillige nicht kostenlos oder umsonst zu haben sind. Sie müssen, angeleitet, begleitet und motiviert werden. Das kostet Zeit und selbst ein wirtschaftlich denkender Mensch wie Godin sollte verstehen, dass Zeit Geld ist. Das ändert sich auch im Dritten Sektor nicht.
Here’s something you should know: volunteers are NEVER free. Never. Volunteers have to be screened, interviewed, trained and supervised, just like a consultant you hire to do something like manage online activities. That *time* costs *money*.
Zwar stecken tatsächlich ein paar Wahrheiten in Godins Kommentar doch halte ich ihn dennoch nicht für gerechtfertigt (Jayne nennt ihn gar „ignorant“). Sicherlich müssen NPOs viel mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen und neue Wege transparenter Kommunikation suchen, doch das heißt lange noch nicht, dass sie keine wertvolle Arbeit leisten. Sie müssen sie eben zeitgemäßer kommunizieren und auch zeigen, was sie Wert sind.
Seth Godin teilt lediglich seine persönlichen Erfahrungen mit NPOs mit und den Eindruck, den sie auf ihn machen. Das ist doch legitim. Er scheint damit einen wunden Punkt berührt zu haben, wenn man sich die Diskussion auf dem Cronicle of Philanthropy-Blog anschaut http://tinyurl.com/n4dgn.Das Bild, das NPOs von sich haben, muss aber nicht unbedingt von andern geteilt werden. Dass Nutzer ihre abweichende Meinung publizieren, ist Ausdruck des Kontrollverlusts, den Web 2.0 für Organisationen und ihre Marke mit sich bringt.Weshalb darauf so aggressiv reagieren, wie J. Cravens es tut? Zum Glück verläuft die Diskussion auf dem Cronicle-Blog zum Thema etwas entspannter.
Hallo Brigitte, besonders was den Seitenhieb Godins auf "a ton of volunteers" angeht, die seiner Ansicht nach kostenlos die Belange der Organisation nach vorn bringen, finde ich sehr daneben. Das ist genau jene Denke, die der Freiwilligenarbeit die Ressourcen entzieht. "Ehrenamtliche kommen einfach, machen mit und der Rest wird nebenher geklärt". Angesichts der lautstarken Forderungen nach mehr freiwilligem Engagement in Deutschland wie den vereinigten Staaten, kann man das mit "ignorant" schon ganz treffend beschreiben. Was den aggressiven Ton Jayne Cravens' angeht, habe ich gemischte Gefühle: Zum einen finde ich es gut, dass sich Vertreter aus dem Dritten Sektor wehren, wenn sie ungerechtfertigt angegriffen werden (davon scheinen wir in Deutschland noch Meilen entfernt), zum anderen bringt es auch das Web mit sich, dass der Ton insgesamt rauer wird. Angesichts des einzig knappen Gutes im Netz, der Aufmerksamkeit, gepaart mit der Unfähigkeit lauter und leiser zu reden (oder zu schreien) kommen provokante Thesen bis hin zur Polemik immer häufiger zum Einsatz. Vielleicht auch ein Umstand an den man sich gewöhnen muss (?) Ich hoffe nich.