Smarte Engagementangbote generieren

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Zumindest gefühlt ist’s lang lang her, dass ich das letzte Mal hier im Blog geschrieben habe. Nicht etwa weil es nichts zu berichten gab — das Wohlbefinden stand einfach nicht so sehr auf Blogbeiträge schreiben. Leider ist es noch nicht viel besser geworden und ich werde noch eine Weile mit mir zu kämpfen haben. Aber sei’s drum! Über ein Thema, das mich schon seit einigen Wochen umtreibt, will nun doch mal etwas schreiben: Engagementpools und Trouble-Ticket-Systeme in Freiwilligenorganisationen.
In meinen Präsentationen zum Online-Volunteering werde ich nicht müde darauf hin zu weisen, dass sich die Freiwilligenarbeit in Deutschland vom alt-ehrwürdigen und vor allem dauerhaften Ehrenamt hin zum immer flexibleren — eher kurzfristig-punktuellen — freiwilligen Engagement entwickelt. Das ist kein Trend, den ich für irgendeine nahe Zukunft vorhersehe, sondern eine Tatsache der die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (2002) sowie die Freiwilligensurveys 1999, 2004 und sicherlich auch der von 2009 Rechnung tragen.
Häufig wird das Engagement von den Freiwilligenorganisationen wie auch von den Freiwilligen selbst als Ehrenamt verstanden, das man — einmal aufgenommen — im Sinne eines Amtes für eine bestimmte Zeit erfüllen muss und/oder will. Das gilt besonders für traditionelle Bereiche der Freiwilligenarbeit wie den Sport, die Kirche und das Rettungswesen. Auch wenn der Jugendtrainer gerade mal keine Lust hat seine Fußballsprösslinge zu trainieren, wird er ob der quasi amtlichen Verpflichtung als Trainer nicht umhin kommen, wenigstens mit der halben Backe dabei zu sein. (Gleiches gilt natürlich auch für den Messdiener und, auch wenn es hier schon etwas gefährlich werden kann, den freiwilligen Helfer im Rettungsdienst)
Sicherlich hat das Ehrenamt viele Vorteile. Vor allem in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eher Kontinuität als dauernder Wechsel gefragt. Doch verstellt das Prinzip der freiwilligen Übernahme eines Amtes auf eine bestimmte Dauer den Engagementzugang für viele Menschen. Besonders Engagementwillige, die durch flexible Arbeitszeiten nicht genau vorhersagen können, ob und wie lange sie eine Aufgabe übernehmen können, sind davon betroffen. Sie möchten sich gern für ihre Belange engagieren, ihre Kommune, ihren Kiez oder schlicht die ganze Welt nach persönlichem Gusto verbessern, doch bekommen sie keine Möglichkeit dazu, weil es viel zu häufig auf die längerfristige und kontinuierliche Übernahme von Aufgaben hinausläuft.
Wenn ich von Freiwilligenprogrammen höre, die so konzipiert sind, dass sie sich nach einer Anschubphase selbst tragen sollen, beschleicht mich regelmäßig das Gefühl, dass eigentlich nur die „guten“ Freiwilligen, sprich Ehrenamtlichen mit Engagementerfahrung und viel Zeit, angesprochen werden. Denn schlussendlich können nur solche die Engagementprojekte selbst tragen. Kurzfristig engagierte Menschen, die hier und da eine mehr oder weniger wichtige Aufgabe erledigen und ebenso wie langfristig engagierte Ehrenamtler(innen) anerkannt und gewürdigt werden wollen, scheinen da doch irgendwie nur Ballast zu sein, der eine gehörige Managementaufgabe darstellt und manchem der Mühe nicht Wert scheint.
Dabei zeigt Patric Daniels in seinem Beitrag „Long Tail of Volunteering“, dass sie es durch aus Wert sein können. In seinem Artikel berichtet er von einer einjährigen Untersuchung von Aktivitäten Freiwilliger auf einer „AskTheSite-Plattform“ ähnlich der von www.wer-weiss-was.de. Einer Grafik (s.u.) im Beitrag zufolge untersuchte Daniels 44 Freiwillige, die zwischen 28 und null „volunteer tasks“ (operationalisiert als die bloße Reaktion auf eine Frage) erledigten. Die Gruppe der untersuchten Freiwilligen teilte der Autor anschließend in die „very active“ (20%) und die „less active“ (80%) Volunteers, wobei (wiederum der Grafik zufolge) die weniger engagierten Freiwilligen insgesamt ähnlich viel, wenn nicht sogar mehr leisteten, als die hoch engagierten Freiwilligen. Im Sinne des Long Tail Effect, den Chris Anderson 2004 beschrieb, ist es also durch aus sinnvoll das Freiwilligen-Management auf scheinbar weniger aktive Freiwillige auszurichten.

Das ist natürlich nicht einfach. Die guten, hoch engagierten Freiwilligen sind schließlich nicht umsonst „gut“. Sie sind einfach. Zumindest einfacher zu handhaben als Freiwillige, die scheinbar nach Lust und Laune kommen und gehen. Für gute Freiwillige, die ihre Arbeitskraft einmal in der Woche zur Verfügung stellen, kann ich mir den ganzen Rest der Woche etwas ausdenken, für die anderen „serendipitous Voulunteers“ — wie sie Nancy McDuff nennen würde — muss ich immer etwas parat haben. Und genau hier setzt ein Engagementpool an.

Der größte Fauxpas, der in einer Freiwilligenorganisation passieren kann, ist der, dass um Freiwillige geworben wird und dann wenn die Engagementwilligen vor der Tür stehen, keine Arbeit für sie da ist. Eigentlich ist das unvorstellbar. Wer sich im Bereich sozialer oder kultureller Organisationen auskennt weiß, das es immer hunderte Sachen zu tun gibt. Doch sind wir ehrlich, können wir im normalen Tagesgeschäft kaum eine Aufgabe ausmachen, die wir einem Engagementwilligen ohne weiteres übertragen könnten.
Schon wenn es darum geht einen einfachen Flyer oder ein Plakat zu gestallten, muss ja zunächst einmal das Corporate Design herausgearbeitet werden. Es braucht einfach viel Zeit Engagementwillige in einen bestimmten Bereich einzuarbeiten. Kann der oder die Freiwillige nach dieser Einarbeitungszeit das Engagement schon nicht mehr fortsetzen, war die Liebesmüh umsonst und man sehnt sich wiederum nach dem „guten“ Freiwilligen mit viel Engagementerfahrung und noch mehr Zeit.
Meine These ist hier, dass Freiwilligenarbeit nicht nur flexibel, sondern — im Sinne Tim O’Reillys — auch smart sein muss. Engagementangebote müssen demnach so gestaltet werden, dass sie nicht nur in der Organisation, sondern auch zu Hause, auf Arbeit oder vielleicht von Unterwegs aus geleistet werden können („… volunteering with an online dimension [P. Daniels]). Sie müssen an alle möglichen Lebenslagen und -welten anschlussfähig sein und keiner weiteren Einführung bedürfen. Im Grunde geht es hier darum, die täglich anfallende Arbeit in so kleine Engagements zu zerlegen, dass sie — metaphorisch gesprochen — zeitlich wie technisch zunächst in einen Engagementpool und später in die Hosentasche passen.
Dieses Zerlegen und Beschreiben ist eigentlich eine Aufgabe des Freiwilligenmanagements, doch könnte man nun zu Recht fragen, woher der oder die Freiwilligenmanager(in) so viele Aufgaben nehmen soll. In der täglichen Arbeit des Freiwilligenmanagements fällt zwar auch viel Arbeit an, doch sollen möglichst viele Freiwillige erreicht werden, ist es weder sinnvoll noch ratsam nur aus einem Arbeitsbereich Engagements anzubieten. Wie sieht es bspw. im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, der Haus- und Gartenpflege oder der Buchhaltung aus? Fallen hier nicht auch viele Arbeiten an, die auf Hosentaschengröße zerlegt werden können?
Wie aber könnten Freiwilligenmanager(innen) von konkretem Hilfebedarf aus anderen Arbeitsbereichen erfahren? Sie könnten — und sollten — zunächst einmal in Teamsitzungen fragen. Manchmal können in diesem eher künstlichen Kontext auch schon bestimmte Arbeiten benannt werden. Mir geht es aber häufig so, dass mir während meines alltäglichen Gewusels einfällt, welche konkreten Arbeiten ich hier und jetzt [an Freiwillige] abgeben könnte. Gefragt ist demnach ein System, das dem Freiwilligenmanagement solcherlei Engagementrohlinge zuträgt („Rohlinge“, weil ich mir zumeist nicht die Mühe machen könnte, das Engagementangebot smart zu formulieren).
In meinem Infoshop auf der Fachtagung „Ehrenamt“ des Deutschen Roten Kreuzes in Düsseldorf hörte ich hierfür das erste Mal eine interessante Idee: Auf die Frage wie man wenig aktivere Freiwillige mit smarten Engagementangeboten versorgen könnte, meinte ein Teilnehmer: „Was mir dazu einfällt ist ein Ticketsystem.“ Zunächst wusste ich nichts mit einem Ticketsystem anzufangen, aber als dieses Managementprinzip aus der EDV dann erläutert wurde ging mir ein Licht auf.
Ticket- oder Trouble-Ticket-Systeme werden eingesetzt um Arbeitsaufträge zu sammeln und zu verteilen. Häufig wird es in den EDV-Abteilungen eingesetzt um Herr der Lage bzw. der vielen Anfragen zu bleiben und nichts vom Schirm rutschen zu lassen. Hat sich bspw. bei einem der Mitarbeitenden wegen eines Software-Updates die Startseite des Browsers von Google zu MSN verändert, schreibt dieser an die EDV-Abteilung: „Internet funktioniert nicht mehr. Da wird nur irgendwas Komisches angezeigt.“ In der EDV wird diese Anfrage (natürlich wertneutral) in ein Ticket umgewandelt, auf dem nebst Datum und Uhrzeit steht: „Zu Mitarbeitenden XY gehen und schauen, was mit dem Browser los ist.“ Wenn dann alle anderen Tickets, die — aus welchen Gründen auch immer — wichtiger sind (Man denke nur daran, das der Computer des Theaterintendanten zwecks herausgezogenem Stecker nicht angehen will.) bearbeitet wurden, nimmt einer der EDVler das Ticket von Mitarbeitenden XY, geht zu ihm oder ihr und macht das Internet wieder ganz.
Die Trouble-Tickets werden also als Arbeitsaufträge erstellt, nach bestimmten Kriterien gerankt und entsprechend der Kompetenz den einzelnen Mitarbeitenden zugestellt. Das funktioniert natürlich auch über die Grenzen einer einzelnen Abteilung hinaus. Dann werden die Tickets denen zugestellt, die Arbeitszeitressourcen haben und entsprechend Kompetent sind. Im Falle eines Defekts der Kuvertmaschine war ich das bspw. in meiner Rolle als Praktikant bei einer bekannten Trägerorganisation des Dritten Sektors, die hier nicht genannt werden soll.
Sind wir nun so mutig, wie es der junge Mann aus meinem Infoshop in Düsseldorf war, könnten wir nun auch sagen, dass ein Ticketsystem auch über die Grenzen einer Organisation hinaus funktionieren könnte. Dafür müsste sich das Freiwilligenmanagement nur die vorhandenen Arbeitsaufträge anschauen, die herauslesen, die von externen Freiwilligen erledigt werden können und entsprechende Grundlagen dazuschreiben — das Ticket smart machen. Anschließend kann der Arbeitsauftrag als Mini-Engagementangebot für die Hosentasche in einen Engagementpool (bspw. auf der Internetseite der Organisation oder einem speziell dafür geschaffenen Blog) eingestellt und auch von Freiwilligen erledigt werden.
Besonders für größere Organisationen, die freiwilliges Engagement fördern wollen, nicht aber auf ihre starre Struktur verzichten können, halte ein solches Ticketsystem für sinnvoll. Unterschiedliche Arbeiten aus unterschiedlichen Bereichen, die die Organisation schließlich auch ein Stückweit repräsentieren, können Engagementwilligen angeboten und so flexiblee Zugangswege zum freiwilligen Engagement eröffnet werden. Vielleicht lassen sich so auch engagierte Menschen gewinnen, die auf diesem Wege merken, dass freiwilliges Engagement nicht unbedingt mit dauernder Verpflichtung einhergehen muss.
Mir scheint Folgendes auf jeden Fall gesichert: Freiwilligenorganisationen können mit smartem Engagement mehr freiwillige Menpower akquirieren als nur mit den „guten“ Freiwilligen und Engagementwillige, die keine Zeit, keine Lust oder keine Möglichkeit haben in relativer Dauerhaftigkeit einem Engagement nachzugehen, können sich für ihre Belange engagieren, wenn sie nur wollen.

Kommentare

  • Vielen Dank für diesen Denkanstoss! Ich stimme Dir zu, dass es eine der schwierigsten Aufgaben (aber zugleich höchste Pflicht) des Freiwilligenmanagements ist ausreichend passende Aufgaben 'abgeben' zu können. Die Rolle der Teamsitzung würde ich sogar noch mehr hervorheben, denn dort kann nicht nur eine kollegiale Reflektion geschehen, sondern auch konkrete Hinweise kommen, was man noch abgeben könnte.Leider habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Freiwilligenmanagement als zusätzliche Aufgabe und Aufwand verstanden wird. Dem ist mitnichten so! Richtig angepackt sind Freiwillige eine unglaubliche Entlastung und Produktivitätssteigerung.Die Idee eines Ticketsystems haben wir früher mal in der Servicestelle Jugendbeteiligung (www.jugendbeteiligung.info) ausprobiert und im Rahmen eines Angebote/Gesuche-Moduls im Rahmen der Kampagne „Projekt P“ erprobt. Damals hat dieses für jederman zugängliche und organisationsübergreifende Modul leider nicht die erhoffte Reichweite. Vielleicht ist heute die Zeit reif?Viele Grüße,Jörgwww.joerg-reschke.de

  • Hallo Jörg, sicherlich ist auch heute noch nicht ganz die Zeit reif für ein Ticketsystem in traditionell hirarchischen Organisationen des Dritten Sektors. Es herrscht einfach eine sehr bequeme Duck-Dich-Kultur in solchen Organisationen, die es nach und nach zu bearbeiten (wenn nicht gar abzuschaffen) gilt. Ich glaube aber, wenn nicht immer wieder Versuche (wie der deinige) unternommen werden, dann kann das ja nie was werden. Schließlich sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass kleine, dezentral organisierte Organisationen die großen in absehbarer Zeit abzulösen im Stande sind. Was das Freiwilligenmanagement betrifft gebe ich dir Recht: Besonders in traditionellen Organisationen, die bisher ob staatlicher Förderung ganz gut ohne Freiwillige über die Runden gekommen sind, scheinen mir recht resistent gegen Neuerungen zu sein, die von externen Freiwilligen eingebracht werden. Die Wortwahl "externe Freiwillige" kam ja hier auch ncht von ungefähr. Besonders Freiwillige die sich nicht körperlich in einer Organisation zeigen, werden als Externe wargenommen und wenngleich sie viel leisten, bekommen sie selten die gleiche Anerkennung und Aufmerksamkeit.

  • Wenn es darum geht, instrumentelle/organisatorische Aufgaben auf kleine Engagementangebote herunterzubrechen, halte ich Deinen Vorschlag für machbar. Für den Kernbereich des Sozialen jedoch sind langfristige Einsätze bzw. der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu den Klienten ganz essentiell. Hier können "plug-in-volunteers" (Eliasoph 2009), die einmal in der Woche für ein halbes Stündchen vorbeikommen, ziemlichen Schaden anrichten.Wir sollten die Komplexität speziell von Betreuungsleistungen nicht unter Wert handeln und diese nicht taylorisieren, indem man sie in kleine Häppchen zerlegt und für jedes Häppchen einen anderen plug-in-volunteer nimmt, der – ohne große Bindung an die einzelne Person/Gruppe – kurz kommt und danach wieder verschwindet. Ein solcher Job befriedigt die Bedürfnisse des Freiwilligen. Aber befriedigt er auch die Bedürfnisse der Klienten?

  • … um Himmels Willen! So möchte ich das Hosentaschenengagement natürlich nicht verstanden wissen. Ehrenamt und freiwilliges Engagement haben ihre Grenzen. Das gilt auch für das Online-Volunteering. Diese Grenzen müssen von Professionellen Mitarbeitenden bestimmt werden. Siehe hierzu die Diskussion, die fast im Jahresprogramm der AfED erschienen wäre ;-(

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