Aufbereitung von Engagementangeboten für Interessierte mit Leseschwierigkeiten bzw. geistiger Behinderung (Part I)

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Eine der heute wichtigsten Kulturtechniken, wenn nicht sogar die Wichtigste, ist das Lesen. Besonders in Zeiten verschiedenster Bindestrich-Gesellschaften, die zumeist auf die rasanten Entwicklungen in der Informationstechnologie verweisen, ist die Lesefähigkeit (Literacy) der Bürgerinnen und Bürger enorm wichtig. Besonders in der so genannten Wissens- und Informations-Gesellschaft ist Partizipation ohne ein gewisses Textverständnis nicht möglich. Das Internet ändert daran wenig.
Ohne das geschriebene Wort wäre das World Wide Web auch in seiner heutigen Form des Social Webs lediglich ein quietsch-buntes Konglomerat aus Bildern, Flashanimationen, Videos und Tonaufnahmen. Es gibt zwar Podcat- und Videoplattformen, auf denen auch allerlei Material gehostet wird, doch funktioniert ein Gros der Internetkommunikation immer noch über Text. Dass dieser Text häufig nicht linear ist und durch Hyperlinks ergänzt wird, macht dessen Verständnis nicht leichter.
Bei der Vorbereitung auf meinen nächsten Workshop in Marburg, bei dem es um das freiwillige Online-Engagement (geistig) behinderter Menschen gehen soll, habe ich mich nun mit diesem Problem beschäftigt und mir zunächst folgende Frage gestellt: Wie müssen Engagementangebote für Interessierte mit einer geistigen Behinderung überhaupt gestaltet werden?
Eine mögliche Antwort bieten hier die bereits erwähnten Potcasts und Videos. Doch lassen sich Inhalte über Videos oder einen Podcasts überhaupt verlustfrei übermitteln? Ich habe nicht das Gefühl. Das bloße Hören oder Sehen erweckt zumeist zwar meine Aufmerksamkeit, hinterlässt aber keinen tieferen Eindruck. Ganz im Gegenteil: Zumeist kann ich gelesenes besser wiedergeben als gehörtes oder gesehenes. Ohne jetzt entsprechende Theorien ausbreiten zu wollen, vermute ich, dies liegt daran, dass für die notwendigen Verbindungen im Gehirn immer eine gewisse Eigenaktivität gefragt ist. Deshalb kann ich selbst geschriebenes oder erdachtes wohl am besten wiedergeben.
Für das Verstehen (in Form des Widergeben-Könnens) scheint mir also die eigene Aktivität hilfreich zu sein, womit wir wieder beim Lesen wären. Aber nicht nur beim Lesen! Die Verbindung nämlich von Lesen und Hören scheint mir noch eine Möglichkeit zu sein, Texte eingängig zu präsentieren. Auf der einen Seite ist die Aktivität — das Mitlesen — auf der anderen die akustische Präsentation des Textes. Wenn beides aufeinander abgestimmt ist, also genauso schnell vorgelesen wird, wie ich mitlesen kann, ist der Reibungsverlust von Informationen recht gering, wenngleich immer noch höher wie beim selbst lesen oder schreiben. Das Vorteilhafte am Vorgelesen-Bekommen ist eigentlich nur, das mir die Interpunktionsregeln und der Satzbau keine Schwierigkeiten bereiten. Ich muss sie nicht selbst interpretieren — das macht der Vorleser oder die Vorleserin.
Eine weitere Möglichkeit Informationen eingängig zu präsentieren, bietet das Video. Hier können Informationen mit dem Einsatz des ganzen Körpers und verschiedenster Einblendungen vermittelt werden. Die Kommunikation ist nicht nur auf den akustischen Teil ihrer selbst beschränkt, bleibt aber „vor’s Auge gestellt“ wie Goethe sagen würde. Sicherlich bietet das Video Vorteile, doch wie beim Podcast kann nicht auf die Rezipient(innen) reagiert werden. Ob der oder die Engagementwillige das Anliegen der Organisation nun verstanden hat oder nicht, das Video und die Tonspur laufen unerbittlich weiter. Nicht so beim Text. Hier kann man aufhören, den Satz noch einmal lesen oder auch mal einen überspringen.
Für die Gestaltung von Angeboten für Engagementwillige mit geistiger Behinderung ist also der Text das wohl wichtigste Medienformat. Wenn Engagementangebote auf Webseiten präsentiert werden, kann zwar auf mediale Unterstützung via Bild, Flash, Video oder Ton zurückgegriffen werden, dies aber nur, um die Botschaft im Text zu unterstreichen.

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