Runde #13 der NPO-Blogparade: Live im Internet – Kreativität kultivieren

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In der 13. Runde der NPO-Blogparade fragt David Röthler von politik.netzkompetenz.at nach den Einsatzmöglichkeiten von synchronen Kommunikationstools für NPOs. Röthler interessiert sich dabei

„… insbesondere für die Online-Konferenz-Systeme, die zahlreiche Funktionen wie Chat, Video, Textzusammenarbeit integrieren; Anwendungsfelder, die die Arbeit von NPOs und anderen Unternehmen effektiver machen.“

Mich dagegen beschäftigt zunächst eimal die Frage nach dem Mehrwert, den synchrone Kommunikationstools für den Einsatz in der Freiwilligenarbeit bieten. Besonders für die Freiwilligenarbeit über das Internet ist die asynchrone Kommunikation ja gerade vorteilhaft. Die Freiwilligen können arbeiten wann und wo sie wollen und sind nicht an Geschäftszeiten ihrer Freiwilligenorganisationen gebunden.
Wo also könnten die Vorteile synchroner Online-Kommunikation via Chat, Video oder gar Second Life liegen? Warum sollten Freiwillige, die sich über das Internet engagieren, nun doch ‚den Schritt zurück‘ machen? Vielleicht wegen der persönlicheren Kommunikation auf Grund zusätzliche Kommunikationskanäle? Vielleicht, weil interessierte Freiwillige auch diese Tools mal ausprobieren wollen – um also neue Kommunikationsräume zu ergründen? Oder ist es doch die von David Röthler angesprochene Dynamik und Spontanität der Kommunikation?
Mit letzterem will ich mich hier etwas näher beschäftigen. Nicht etwa, weil andere Gründe nicht zählen würden, sondern, weil ich in letzterem tatsächlich einen Mehrwert für die Organisation und die Freiwilligen zu sehen glaube.
Da das Schreiben – für mich der Inbegriff asynchroner Kommunikation (bspw. via (e)Mail) – nicht nur ein mitteilender, sondern auch ein bildender Prozess ist, bleibt Kreativität in der Interaktion zumeist auf der Strecke. Man ist bedacht, sich deutlich auszudrücken und sich nicht selbst zu widersprechen. In vorauseilender Vorsicht versucht man Anliegen, Wünsche, Vorstellungen und Anregungen so zu formulieren, das sie möglichst wenige Ecken und Kanten haben, an denen sich der oder die Empfänger(in) stoßen könnte. Das ist eigentlich schade, weil es die Dynamik und Spontanität des ‚Rumspinnens‘ unmöglich macht. Doch gerade das Rumspinnen ist für kreative Problemlösungen, die im Dritten Sektor Dauerkonjunktur haben, ein brauchbares Mittel.
Der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi [ˈmihaːj ˈtʃiːksɛntmihaːji] machte in seiner Studie Creativity – Flow and the Psychology of Discovery and Invention“ von 1996 deutlich, was Kreativität eigentlich ausmacht und das ‚Rumspinnen‘ eine essentielle Voraussetzungen dafür ist. Wenn Csikszentmihalyi schreibt, dass

„… Kreativität nicht im Kopf des Individuums statt[findet], sondern in der Interaktion zwischen dem individuellen Denken und einem soziokulturellen Kontext“

muss daraus der Schluss folgen, dass es sich dabei eher um

„… ein systemisches denn ein individuelles Phänomen“ handelt (ebd. 1996, 41).

Ein Phänomen also, dass von mehr als einer Größe beeinflusst wird. Csikszentmihalyi nennt vor allem zwei: „entsprechende Vergleichsgrößen“, die für NPOs bspw. evaluierte Projekte bieten und „die Einschätzung der Gemeinschaft“, also das Feedback der Stakeholder.
Die Voraussetzungen für diese Kreativität lassen sich als Gleichgewicht zwischen Spinnerei und Pedanterie zusammenfassen. Verrückte Ideen und die kleinkarierte Prüfung deren Machbarkeit dürfen sich nicht gegenseitig behindern, sie müssen sich ergänzen. Vielleicht liegt es an der überwiegend normierten Kommunikationskultur über E-Mails und Anträge, Rederechte und dem Zwang in der Gruppe etwas Schlaues sagen zu müssen, das die Pedanterie in Deutschland überwiegt. Wer würde sich hierzulande trauen seinem Vorgesetzten den Plan zu eröffnen, das Internet herunter zu laden, wie es Larry Page einst tat?
Neue Produkte, Dienstleistungen oder Problemlösungen basieren häufig auf der Verknüpfung mehrerer Kompetenz- und Wissnensgebiete. Bei Google war es die geniale Idee das Prinzip des Soziogramms in einen Algorithmus zu verwandeln, die dem Unternehmen zu einem bisher beispiellosen Aufschwung verhalf. Aber nicht nur das! Auch die pedantische Umsetzung ihres Vorhabens trug zum Erfolg bei. Schließlich dauerte es noch einige Jahre bis Page und Brin das Internet in den Google Cache zu laden begannen.
Bleibt nun also noch die Frage nach dem Mehrwert der synchronen Kommunikationstools für NPOs. Bieten Videokonferenzen, Chats oder Second Life die Möglichkeit verrückte, assoziative Spinnerei zu kultivieren? Ich denke schon. Von Seminarformaten á la Online-Webmontag können viele Menschen profitieren. Seitens der Freiwilligenorganisationen als Workshop angeboten, können verrückte Ideen bspw. pedantisch auf ihre Machbarkeit überprüft werden ohne dafür vor Ort sein zu müssen. Zu organisationsinternen Weiterbildungen können Freiwillige mit speziellen Erfahrungen oder Können via Videokonferenz geladen werden um verrückte Ideen mit den Mitarbeitenden kritisch zu diskutieren. Nicht zuletzt war zu Zeiten des Hypes um Second Life immer wieder mal von (sozial)pädagogischen Projekten (bspw. zur Stadt- und Kiezplanung) zu hören …
Live-Zugänge über das Internet in die Organisation und aus ihr heraus haben meiner Ansicht nach also durch aus einen Mehrwert. Sie müssen aber – wie alle anderen Kommunikationstools – strategisch und planvoll eingesetzt werden – zum Beispiel um kreative Problemlösungen für die Arbeit der Organisation zu finden.

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