Am vergangenen Freitag saß ich mit Wolf Wagner im Hannibal am Görlitzer Bahnhof. Wir hatten uns auf ein oder zwei Bier verabredet, weil sein neues Buch über die Zukunftsfähigkeit deutscher Universitäten erschienen ist. „Tatort Universität – vom Versagen deutscher Hochschulen und ihrer Rettung“ so der etwas reißerische Titel, den Wagner zwar nicht ganz allein formulieren durfte, aber – wie er mir gegenüber versicherte – durchaus vertreten kann.
Wo Hochschulen VErsagen
Wie auch schon im Uni-Bluff zeigt Wagner, dass das deutsche Hochschulsystem seit der Humboldt’schen Reform vom Anfang des 19. Jahrhunderts mit einer recht erstaunlichen Veränderungsresistenz ‚gesegnet‘ ist. Mit der damals mehr als notwendigen Reform – so Wagner – wurden nämlich die Hochschulen aus dem Einflussbereich der Landesfürsten befreit und von nun an unter die Alleinherrschaft der Professorinnen und Professoren gestellt – die Universitäten, Eigentum des Staates, sozusagen den Professoren als Besitz zur privaten Nutzung übereignet. Betrachtet man die wohl nicht intendierten Entwicklungen aus dieser Reform, die im Buch immer wieder auftauchen, müsste man rückblickend wohl das alte Sprichwort vom Regen und der Traufe bemühen.
Es scheint mir besonders die Selbstbezüglichkeit der deutschen Hochschulen, die bildungspolitische Reformen wie den Bologna-Prozess im Großen und Veränderungsbemühungen Einzelner im Kleinen so schwierig gestallten. Mit dem Verweis auf die grundgesetzliche Freiheit von Wissenschaft und Kunst, Forschung und Lehre (Art. 5 III 1 GG) wird ein Gros Reformbemühungen von Außen abgeschmettert und Quer-Denkende durch den Vorzug der grauen Mäuse innerhalb des Systems über kurz oder lang zum Schweigen gebracht. Aus eben dieser verhängnisvollen Selbstbezüglichkeit und Veränderungsresistenz deutscher Hochschulen resultiert dann auch, die offensive Weigerung zur wissenschaftlichen Berufsausbildung und das stark selektierend, weil frustrierend langweilige, „höchste Niveau“ universitärer Lehre und Grundlagenforschung.
Es ist vor allem – ergänzte Wolf Wagner im Gespräch – der auf Wissen fixierte Bildungsbegriff, der sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebreitet hat und das auf Kreativität und Verwirklichung des je eigenen besten Potenzials ausgerichtete Verständnis von Bildung verdrängte. In Verbindung mit der Allmacht der Professorenschaft, werden so bildungspolitisch grundsätzlich sinnvolle Reformen wie der Bologna-Prozess unterlaufen und häufig auch noch ins Gegenteil verkehrt. Hochschulen leisten demnach weder Menschenbildung, wie Humboldt sie vorgesehen hatte, noch Berufsausbildung und erst recht nicht die wichtigste Aufgabe zur Sicherung von Freiheit und Wohlstand unserer Gesellschaft: Die Qualifikation zu Kreativität und Innovation.
Wie Hochschule gerettet werden können
Mit Blick auf die für unsere Informations- und Wissensgesellschaft unabdingbare Innovationsfähigkeit, scheint das Hochschulsystem also grandios zu versagen. Kreative Köpfe, die innovative Problemlösungen erarbeiten, gibt es zwar auch in Deutschland aber eben nicht wegen einer tollen Hochschulausbildung, sondern ihr zum Trotz.
Die Lage scheint insgesamt – wenn man nicht ‚aussichtslos‘ sagen will – grundlegend reformbedürftig. Es kann ja schließlich nicht angehen, dass sich der wissenschaftliche Betrieb an deutschen Hochschulen nur noch durch seine Einsamkeit in Freiheit definiert, sonst aber nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben will. Bemerkens- und sicherlich auch einer Diskussion wert, fand ich hier besonders den Seitenhieb auf den Strukturalismus:
Nur durch den Selbstbezug universitärer Wissenschaften ist es erklärlich, dass sich in den Geistes- und in Teilen der Verhaltenswissenschaften der Strukturalismus halten konnte – mit seinem Glauben an die grundlegende gemeinsame Struktur, eine Art universelle Grammatik, die allen menschlichen Gedanken und Handlungen zu Grunde liege (Wagner 2010, 18).
Doch wie können nun aber die deutschen Hochschulen reformiert – gerettet – werden? Was muss getan, was zukünftig unterlassen werden? In dem Versuch diese Fragen zu beantworten – finde ich – liegt das große Plus des Buches im Ganzen. Wagner will nämlich nicht nur zeigen, an welchen Ecken und Enden es mangelt, sondern versucht praktikable Antworten zu formulieren, wobei er aber nicht vergisst auf die hochschultypischen Schwierigkeiten hinzuweisen.
Die „Uni-Zukunft“ – so noch der Titel über dem Manuskript – sieht Wagner vor allem in der Förderung von Kreativität im deutschen Hochschulsystem. Den Forschungen des amerikanischen Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi folgend, zeigt Wagner, dass für den kreativen Prozess das verrückte und exakte Denken miteinander zu vereinen ist. Was für den Einzelnen oder die Institution zunächst einmal der „Quadratur des Kreises“ gleichkommt, wird möglich, wenn Akademikerinnen und Akademiker im deutschen Hochschulsystem von ihrer „teutonischen Rasenmähermethode“ absehen und freie Assoziationen – also den Weg, den sie zu einer kreativen Problemlösung gegangen sind – ebenso artikulieren, wie die wissenschaftlich exakten Methoden mit denen sie ihre Theorie zu widerlegen suchten.
Wenn Wagner hier also eine Kultur der Anerkennung, des gegenseitigen Vertrauens und der Fehlerfreundlichkeit fordert, die durch das sowieso unvermeidbare Fehler-Machen auch ein Aus-Fehlern-Lernen ermöglicht, richtet er den Blick damit auch über den berühmten Tellerrand hinaus gen Sonnenuntergang.
Es ist eine besondere Ironie der Geschichte, dass Humboldts Gedanken in größerer Reinheit und Radikalität nur in den USA verwirklicht worden sind (ebd., 49).
Wie die Kritikerinnen und Kritiker des Bologna-Prozesses argumentiert auch Wagner mit dem Humboldt’schen Bildungsideal. Während erstere aber das Ende der zweckfreien Bildung über uns kommen sehen, spricht er der Bologna-Reform das Potential einer „kopernikanischen Wende“ zu. Es soll nämlich nicht mehr nur darum gehen, was Professorinnen und Professoren alles vermitteln könnten, wenn man sie nur ließe, sondern darum welche Kompetenzen die Studierenden erwerben wollen und sollen. Lehrende als Dienstleisterinnen und Dienstleister für die Studierenden: Eben so, wie es in den USA schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gehalten wird.
Pünktlich zum 10-jährigen Jubiläum der Bologna-Reform zeigt Wolf Wagner in seinem neuen Buch, dass die notwendige Förderung der Kreativität an deutschen Hochschulen durchaus möglich ist. Er schlägt dafür modellhafte Studienabläufe und -konzepte vor, die nicht als reine Utopie daher kommen. Vielmehr verweist er immer wieder auf die Möglichkeiten, die im Rahmen der Bologna-Reform und den Beschlüssen der deutschen Kultusministerkonferenz (KMK) denkbar sind und macht dabei sowohl dem verrückten als auch dem exakten Denken – den Voraussetzungen für Kreativität – alle Ehre.
FAzit: Empfehlenswert
Als Fazit bleibt mir abschließend noch zu sagen, dass ich das neue Buch von Wolf Wagner für äußerst empfelens- und lesenswert halte. Neben hilfreichen Argumenten für die Diskussion um eine tatsächliche Reform der deutschen Hochschulen sind viele interessante und vor allem aktuelle Informationen rund um die deutsche Hochschulbildung enthalten. Für alle, die sich also ernstlich mit der Zukunftsfähigkeit deutscher Hochschulen beschäftigen wollen, ist diese Lektüre Pflicht.
Noch einen Hinweis: Zur Zeit versuche ich eine Online-Buchvorstellung im Rahmen eines Web-Montages auf die Beine zu stellen. Ganz klar ist natürlich noch nichts, Infos wird es aber hier im Blog und natürlich auch auf allen anderen Kanälen geben.
[…] die Lektüre einiger spannender Publikationen über die „schreckliche Wissenschaft“ und den „Tatort Universität“, bin ich vor nicht all zu langer Zeit auf einen witzigen Essay von Johan Galtung aufmerksam […]
[…] die Lektüre einiger spannender Publikationen über die „schreckliche Wissenschaft“ und den „Tatort Universität“, bin ich vor nicht all zu langer Zeit auf einen witzigen Essay von Johan Galtung aufmerksam […]