Unter dem Aktenzeichen „VG 1K 905.09“ hielt die erste Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts am 05. Juli 2010 folgendes Urteil fest:
Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt auch dann einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG) dar, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt (zit. nach Presse in Berlin.de).
Damit, so schreibt Udo Vetter vom Law Blog, sei „ein wichtiges, vielleicht sogar grundlegendes Urteil […] gefällt“, dass der Polizei bei Demonstrationen ein Stück die Narrenfreiheit nimmt — oder besser: ein Stück Rechtssicherheit gibt.
Ein ‚verdachtsunabhängige Datenspeicherung’ — wie es schon bei den Fluggastdaten medienwirksam-harmlos hieß — ist nun ebenso rechtswidrig wie die verdachtsunabhängige Datenerhebung. Das, so die Argumentation der Kläger (ob Frauen dabei waren ist mir nicht bekannt), verschreckt nämlich potentielle Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer und beschneidet somit die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit in Deutschland (s.o.).
Selbstverständlich lag der Berliner Polizei nicht daran, kamerascheue Bürgerinnen und Bürger von größeren und kleineren Demonstrationen fern zu halten. Der Argumentation des Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch zu folge würden die Aufnahmen lediglich gemacht um sich in der Einsatzleitstelle „ein Bild der Lage vor Ort“ machen und ggf. verkehrsleitende Maßnahmen ergreifen zu können.
Wie so oft — und das meine ich mitnichten zynisch — ging es also nur um das Wohl der Menschen und deren friedliches Zusammenleben. Nur ging es den Klägern wie auch dem Berliner Verwaltungsgericht eben etwas zu weit. Die Formel hier ist ganz einfach: Wer Sicherheit schaffen will, muss Kontrolle erlangen — wer kontrolliert wird, dessen Freiheit wird beschnitten. Sicherheit versus Freiheit also — ein nie endender Streit.
Nicht ganz so einfach ist es, wenn es um das Thema Polizeigewalt — oder das grundlagenunabhängige Austeilen von Faustschlägen — geht. Das resultiert nämlich eigentlich auch aus dem Wunsch nach Kontrolle zum Wohl der Gemeinschaft, scheint mir aber etwas komplexer angelegt.
Ich glaube man muss sich hier vergegenwärtigen, wie Staatsgewalt ausgeübt wird. Schon seit einiger Zeit geschieht das nämlich nicht mehr ausschließlich über physische Überlegenheit. Eher sind es mehr oder minder selbstverständliche und unhinterfragte Symbole der Macht wie Uniformität und Protz, die uns zunächst einmal an Überlegenheit glauben lassen. Besser eigentlich: glauben ließen! Denn seit einiger Zeit brechen die einst unhinterfragten Selbstverständlichkeiten weg. Wir sehen täglich im Fernsehen, wie Polizei und Militär gegen irgendwelche Gruppen und Gruppierungen um die Vorherrschaft ringen. G8-Gegner stellen gut gemachte Videos in Netz, auf denen häufig damit geprahlt wird, wie schön sich doch die Polizei verschaukeln lässt und was mithin auf Indymedia.org geschrieben wird, tut der Symbolik auch nicht wirklich gut.
Das alles kratzt am Bild der prinzipiellen Überlegenheit und führt eben dazu, dass sich Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Staatsgewalt auch mehr trauen — und trauen dürfen, wie die Staatsanwaltschaft nach der Verfahrenseinstellung gegen „den Mann in blau“ zugab.
Es war die Geschichte des Fahrradfahrers mit dem blauen Shirt, der auf der Freiheit statt Angst Demo 2009 einen polizeilichen Faustschlag kassierte und dafür auch noch angezeigt wurde, die der ganzen Sache mediale Kontur verlieh. Amnesty International brachte dazu unlängst einen Report über Polizeigewalt in Umlauf. Daniel Kruse berichtete gestern auf seinem Blog über den Report „Täter unbekannt“ und zitierte die erstaunliche Statistik
Im Jahr 2009 wurden 2.955 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Tötungsdelikten, Gewaltausübung, Zwang oder Missbrauch des Amtes geführt. Wie diese Ermittlungsverfahren ausgingen, ist leider nicht statistisch erfasst worden. Ein Blick auf Berlin zeigt, dass es nur sehr selten zur Anklageerhebung und noch seltener zu Verurteilungen kommt. Von 1060 in der Hauptstadt gezählten Anzeigen in den Jahren 2006 bis 2008 führten lediglich 34 zu einer Verurteilung.
An dieser Stelle kommen nun die üblichen Anschuldigungen: Klüngelei, Intransparenz, Machtmissbrauch und überzogene Härte wegen weit verbreiteter Gewaltbereitschaft unter Polizisten. Vielleicht ist da auch was dran. Vielleicht decken sich Polizisten gegenseitig, sicherlich weihen sie die Öffentlichkeit nicht in ihre Strategien und Strukturen ein und ganz bestimmt gibt es auch genügend schwarze Schafe in gut gepolsterten Overalls. Aber das ist ja nun wirklich ein alter Hut …
Wie wir wissen hat Stanley Milgram mit dem nach ihm benannten Versuchsaufbau gezeigt, dass über die Hälfte seiner Versuchspersonen Autoritäten bis zum bitteren Ende folgen. Die Anzahl der Verweigerer sank sogar noch weiter, wenn der Apparat der Machtausübung größer wurde — je weiter die Probanden von ihren Opfern entfernt waren, desto eher befahlen sie auch den letzten Stromstoß, der nur noch warnend mit „XXX“ gekennzeichnet war. Auf Polizei und Militär übertragen heißt das: Je größer der Apparat, desto unhinterfragter werden die Befehle ausgeführt, je weiter weg der Befehlende, desto grausamer die Befehle. „Bürger in Uniform“: Pustekuchen.
Doch wie gesagt: weit kommt man mit dieser Erkenntnis nicht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich ebenso auf „autonome“ Netzwerke (damit ist nicht nur der schwarze Block gemeint) übertragen lässt. Viel lieber würde ich wissen, wieso sich Polizisten gegenseitig decken, warum sie sich so beharrlich gegen Kenntlichkeit in der Einsatzkluft wehren und wie man dem vielleicht begegnen kann.
Meine These ist hier, dass mit dem etwas überkommenen Bewusstsein von Machtsymbolik eine polizeiinterne Kultur geschaffen wird, die es zum guten Ton gehören lässt sich gegenseitig zu schützen und die Polizeigewalt damit leider eher fördert als verhindert. Klar wird eine solche Kultur nicht in der Öffentlichkeit kommuniziert — das ist ja nicht rechtens. Aber wie uns die moderne Organisationstheorie zeigt, muss das was sein soll und das was tatsächlich ist, auch im Idealtyp der Weber’schen Organisation — der bürokratischen Organisation –, nicht übereinstimmen.
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