Was ich heute Morgen in meinem Briefkasten fand, ließ mich beinahe aus den Sandalen hüpfen. Es war eine Postwurfsendung der NPD. Hier in Neukölln! Besser gesagt: Es waren zwei: Eine Zeitung, wenn man ein viermal gefaltetes Blatt Altpapier so nennen darf, und ein Flyer. Auf dem Faltblatt war zu lesen „Hatz IV für Westerwelle“, auf der Zeitung „Jetzt reicht’s“ über der Schlagzeile „Verdrängt uns der Islam?“.
Kurz bevor ich mich fragte, ob den NPD-Schreiberlingen eigentlich klar ist, dass der Apostroph, mit dem sie da das gute alte (und vor allem deutsche) „reicht es“ verhunzten, ein angelsächsischer Import ist, dachte ich bei mir, dass die NPD schon ziemlich verzweifelt sein muss, wenn sie in Neukölln auf Stimmenfang geht. Neukölln ist ja nun wirklich nicht das optimale Pflaster für rechte Hetze. Von den 307.650 in Neukölln Gemeldeten haben beinahe 40% einen Migrationshintergrund – in absoluten Zahlen sind das 121.902 Bürgerinnen und Bürger, die nach Meinung der NPD nicht hierher gehören.
Das ist schon ein starkes Stück, was die „rechts-alternativen“ da von sich geben. Und vor allem wie sie es tun: In unserer allseits beliebten Polit-Farbenlehre haben rechtsradikalen Parteien, wie die NPD oder die DVU, das „Braun“ zugewiesen bekommen. Zu Recht meine ich, steht doch braun für das, was Berliner Gehwege für Fußgänger wie mich zuweilen unattraktiv macht? Die NPD scheint da anderer Meinung. Auf ihrem Flyer jedenfalls geben sie sich in etabliertem SPD-Rot. Ein Anschein allerdings, den jeder und jede durchschauen sollte, der oder die sich das Faltblatt näher betrachtet.
Klar: Es geht gegen den amtierenden Außenminister Gido Westerwelle, seine Steuergeschenke an Hoteliers und die Sache mit der „spät-römischen Dekadenz“. Obwohl ich das Thema für weitgehend ausgelutscht halte, meine ich in diesem Aufhänger doch eine geschickte Rhetorik zu erkennen, die allerdings an den famos inkompetent dargebotenen Argumenten, die allesamt falsch sind, scheitet.
Los geht es mit einem Memo an eine Ausgabe des ‚endgültigen’ Satiremagazins „Titanic“, das im März diesen Jahres titelte: „Kopfdichtung defekt, Schrauben locker, nicht zu bremsen – Toyota ruft Westerwelle zurück“. Natürlich wissen wir wer damit angesprochen werden soll: Junge Männer, vorzugsweise Studierende – eben die Zielgruppe der Titanic. So leicht wie das zu durchschauen ist, könnte man ja über die NPD noch ein bisschen weiter spötteln, wäre da nicht noch der Inhalt, der hinterrücks an den öffentlichen Spott über den Außenminister geheftet wird.
Da heißt es zunächst einmal: „Nicht die Hartz-IV-Sätze sind zu hoch, sondern die Löhne von Millionen arbeitenden Deutschen zu niedrig. Wenn Westerwelle scheinheilig sagt, daß sich Arbeit wieder lohnen müsse, dann hat das nicht für Besserverdienende zu gelten, sondern für das Heer der Geringverdiener. Aber lohnt es sich zu Arbeiten, wenn 330.000 berufstätige Deutsche noch Aufstockung vom Arbeitsamt bekommen müssen, um ihre Familien zu ernähren.“
Meine intellektuelle Rage reicht leider nicht aus um die abschließende Frage dieses Absatzes in Gänze verstehen zu können. Das soll ich sicherlich auch nicht, ist ja ein rhetorisches Konstrukt und damit klar, welche Antwort erwartet wird: Nein! Es lohnt sich nicht zu Arbeiten, wenn das Heer der Geringverdiener – die vielen Millionen, die eigentlich noch nicht mal eine Millionen sind, sondern 330.000 – Aufstockung vom Amt bekommen müssen um Frau und Kinder – die in arischer Tradition Heim, Herd und vielleicht auch noch die Großeltern und den Schäferhund hüten – zu ernähren. Lieber bleiben wir allzu Hause und bestreiken das unsägliche System, das wir einst schufen um allen ein gutes Leben im Sinne Aristoteles’ zu gewähren und damit nach sozialem Frieden zu streben.
Noch schärfer wird es weiter hinten: Nach dem noch einmal die „antisoziale Polemik“ Westerwelles aufgegriffen wurde um sie in die Forderung nach Mindestlöhnen umzukrempeln – eine zur Zeit populäre Forderung und damit die nächste Welle, die die Rechten reiten wollen – sind da folgende Sätze zu lesen:
„Die Gründe, warum sich Arbeit nicht mehr lohnt, sind nicht etwa zu hohe Sozialleistungen, sondern zu niedrige Löhne und zu hohe Steuern und Sozialabgaben. Damit liegt die Schuld für die Unattraktivität mancher Erwerbsarbeit bei den herrschenden Volksbetrügern.“
Ich bin kein Wirtschaftsexperte oder Volkswirt, ich glaube aber daran, dass nichts aus nichts entstehen und nichts in nichts vergehen kann. Wenn ich eben diesen Erhaltungssatz auf die Steuer- und Sozialpolitik anwende, komme ich leider zu dem Schluss, dass sich sinkende Abgaben nicht mit steigenden Ausgaben vereinbaren lassen. Zumindest nicht, wenn wir weiterhin eine relativ gesunde (Finanz)Wirtschaft behalten wollen. Die Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders und des massiv expandierenden Wohlfahrtsstaates sind vorbei.
Ich glaube, diesen argumentativen Mangel hat auch die NPD bemerkt, weshalb sie im letzten Absatz noch schwerere Geschütze auffährt und sich mit deren Rückstoß gleich wieder ins rechte Aus – und zwar durch die Banden der deutschen Verfassung – katapultiert.
„Während Westerwelle deutsche Niedriglöhner [sic!] gegen Hartz-IV-Bezieher aufzuhetzen versucht, geht er mit keiner Silbe auf den milliardenteuren Sozialbetrug [sic!] durch Ausländer ein. Wenn es um vornehmlich orientalische Sozialschnorrer [sic!] geht, schweigt der ‚Sozialreformer’ Westerwelle.“
Zunächst einmal: Wer soll das bitte sein: ein „vornehmlich orientalischer Sozialschnorrer“? Wer sind bitteschön die Ausländer, die hier vors argumentative Loch geschoben werden sollen?
Wie ich das eine oder andere Mal hier im Blog schon bewies, bin ich ein Freund klarer Begriffe. Um das also klar zu stellen: Definitorisch gilt in Deutsch
land als Ausländer, wer nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, also als Staatsbürger(in) einem anderen Land angehört. Da gibt es tatsächlich einige, die bspw. mit einer Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland sein dürfen. Diese Menschen sind aber selten freiwillig hier. Manche gar schon in der zweiten oder dritten Generation, manche vor Krieg, Hunger und Verfolgung geflüchtet und einige verließen ihre Heimat um mit ihrer Familie zusammen sein zu können – eine Tugend, die ja auch die Rechten hoch halten (siehe oben).
Die Abgründe also, die sich hier auftun, sind so braun wie es der alte Adolf selber war. Die NPD strebt nach einer völkischen Gemeinschaft reiner Arier und zwar vorzugsweise in den Grenzen von vor 1938. Die Parole heißt nach wie vor „Ausländer Raus!“ und zwar ohne Ausnahme und Zimperlichkeit. Dabei ist natürlich überhaupt nicht klar, wer Ausländer ist und wer Deutscher. Sollten wir vielleicht nach Stammbäumen fragen und all jene aussortieren, deren Großeltern oder Urgroßeltern aus Österreich, Frankreich oder Dänemark kamen? Oder sind das vielleicht noch die ‚guten Ausländer’? Dann sollten wir vielleicht doch nur jene aussortieren die aus diesen unsäglichen Schnorrerstaaten kommen. Welche Staaten sollen das aber sein? Wer legt das fest? Die NPD? Na dann gute Nacht. Das war es dann wohl mit den guten Beziehungen zu unseren Nachbarn Frankreich. Schluss mit den Handelsbeziehungen zur Türkei und Griechenland. Und mit den Amis werden wir dann schon gar nichts mehr zu tun haben ‚wollen’.
Mich persönlich stinkt diese „antisoziale Polemik“ der Rechten maximal an. Nicht nur weil das Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Verfassungsgericht gescheitert ist, sondern auch, weil es anscheinend Menschen gibt, die diesen Mist auch noch glauben und nicht sehen wollen, dass derartig windschief vorgetragene Argumente nur auf braune Willkür zielen und nichts mit dem Deutschland zu tun haben, in dem die meisten von uns leben und leben wollen.
Ich für meinen Teil bin Wunsch-Neuköllner. Ich bin hier her gezogen, weil ich den Bezirk angenehm bunt kennen gelernt habe. Ein klares Kontrastprogramm zu dem Thüringer Dorf auf dem ich aufgewachsen bin und in dem – wie man hört – nun auch die NPD das Zepter in die Hand nehmen will. Ich weiß nicht wie viel noch von diesem Neukölln übrig wäre, kämen die Neo-Nazis der NPD an die Macht. Bunt wäre es dann schnell nicht mehr. Mir persönlich ist ein Guido Westerwelle, der unter scharfer öffentlicher Beobachtung steht, 100-Mal lieber als eine Regentschaft der NPD.
PS: Noch einen Tipp zum Weiterlesen: Prof. (em.) Dr. pol. rer. habil Wolf Wagner veröffentlichte 2008 eine kleine aber feine Broschüre bei der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen. Unter dem Titel „Die Rechtsextremen sagen …“ demontiert Wagner die Argumentationskrücke des NPD-Abgeordneten Jürgen W. Gansel. Eine heilsame Lektüre für Stammtisch-Diskutanten, die tatsächlich glauben was die Rechten so vortragen.