Seit Tagen ist es in den Nachrichten immer wieder Thema: Google Street View. Besonders die aufmerksamkeitserquäkenden Radionachrichten zerren die vermeintliche Problematik fotografierter Hausfassaden, Vorgärten, verpickselter Gesichter und Nummernschilder immer wieder ins Programm. Das über 40% der Bevölkerung (vor allem Männer) die redundant vorgetragene Problematik offenbar gar nicht erkennen können, scheint dabei eher belanglos. Dementsprechend wird häufig eingeleitet mit:
… und trotzdem …
Es mag vielleicht erstaunen, doch will ich mich vorab recht herzlich für diese Und-Trotzdem-Nachrichten bedanken. Ohne die wäre ich nämlich gar nicht auf das Problem gestoßen, das ich im folgenden Kommentieren will: Intransparenz! Nicht die Intransparenz, die Ilse Aigner (Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) anzuprangern versucht. Sondern eher das Gegenteil.
Wenn Aigner gegenüber Spiegel-Online meint, dass Google „die breite Öffentlichkeit über das Projekt und die Widerspruchsmöglichkeiten informieren“ muss und damit etwa „Anzeigen in der Presse“ meint, stößt das meiner Ansicht nach in die falsche Richtung. Nämlich in die, dass sich die Menschen — und vor allem die, die das Internet nicht nutzen — mit dem Einlegen von Widerspruch gegen einen digitalen Abzug ihrer Selbst wehren sollten.
Zunächst einmal klingt Aigners Argumentation so, als ob es Heerscharen an überzeugten Internetverweigerern gäbe; als ob von den 28% der deutschen Wohnbevölkerung ab 14, die das Internet noch nicht nutzen, die meisten bewusst darauf verzichten würden. Sicherlich gibt es einige, die aus Facebook austreten (wie Ilse Aigner), weil ihnen Mark Zuckerbergs Vorstellungen von Privatsphäre und Öffentlichkeit nicht so recht zusagt. Sicherlich gibt es auch Romantikerinnen und Romantiker, die sich in digitaler Askese üben um ihren eigenen Alltag zu „entschleunigen“. Doch einem Gros der so genannten N-Onliner fehlt schlicht und ergreifend der technische und/oder intellektuelle Zugang zum Netz.
Des Weiteren sehe ich die Verweigerung des digitalen Abzugs von Hausfassaden, Vorgärten und Gehwegen nicht wirklich berechtigt. Ohne irgendjemanden zu fragen kann ich mit meiner Digitalkamera losziehen und die Berliner Hausfassaden, Vorgärten und Gehwege knipsen. Ich kann die Bilder dann auch in meinen Blog stellen und von den Besucherinnen und Besuchern bewerten lassen. Alles kein Problem — nur eben ziemlich aufwändig.
Was ich nicht darf, ist losziehen, einzelne Menschen ablichten und deren Abbilder ins Netz stellen. Damit würde ich nämlich gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen. Aber auch das will ja Google nicht tun. Mit einer speziellen Software sollen Gesichter (wie auch Nummerschilder) unkenntlich gemacht und damit sichergestellt werden, dass die Persönlichkeitsrechte (besonders die Rechte am eigenen Bild) nicht verletzt werden. Hier wenden einige zu Recht ein, dass man Personen aber nicht nur am Gesicht sondern auch am Körper oder anderen Äußerlichkeiten erkennt; vielleicht am Rollstuhl, vielleicht an den Krücken, vielleicht am eigentümlichen Einkaufsnetz … Das ist natürlich wahr, doch gibt es auch hierfür Einspruchsrechte, die dank Ilse Aigner und Co momentan quer durch die Presse getrieben werden.
Das Problem, das ich nun bei Google Street View — bzw. beim Ablichten meiner Selbst — sehe ist, dass ich mir weder Pose noch Ort meiner Ablichtung aussuchen kann und damit die Kontrolle über meine virtuelle Identität — vielleicht sogar meine digitale Reputation — verlieren kann. Wann (und ob) ich wo in Berlin abgelichtet werde, liegt außerhalb meines Einflusses — ist reiner Zufall. Warum eigentlich? Warum lässt sich nicht herausfinden, wo das Auto mit dem auffälligen Aufsatz wann fährt? Zielen die Straßen-Knipser von Google vielleicht darauf ausschließlich unverfälschtes Leben ins Netz zu stellen?
Sicherlich würde ich dem Google-Chauffeur nicht zuwinken (das Bild würde dann sicherlich auch aussortiert). Irgendetwas außergewöhnliches, wie vielleicht einen Handstand mitten auf einer stark befahrenen Kreuzung, kann ich mir auch nicht vorstellen, doch würde ich mich eben lieber in meinem Lieblingskaffee mit einer Zeitung knipsen lassen als im Bademantel auf dem Balkon.