Der Trend geht zur Nahrungsverweigerung

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Ein Kommentar für alle und niemanden

Heute (am 1. Oktober) ist Welttag des Vegetarismus; oder besser: „Welt-Vegetarier-Tag“. Ausgerufen wurde dieser weltweite Aktionstag anlässlich des Welt-Vegetarier-Kongresses in Schottland 1977. Ziel war es damals und ist es seitdem „die Vorzüge der vegetarischen Lebensweise“ bekannter zu machen. Leider habe ich an den 1. Oktobern der letzten Jahre nicht viel mehr Aktionen der Welt-Vegetarier mitbekommen, als die Verbreitung jener digitalen Informationstafel, die mir vorwurfsvoll vor Augen führen soll, was der Mensch (der ich im allgemeinen nicht bin) durchschnittlich an Tierischem verdrückt.

Natürlich gibt es noch viel mehr. Auf Webseiten wie www.euroveg.org oder www.vebu.de sind diverse Kampagnen zu finden, die, wenn sie nicht mehr laufen, doch anständig dokumentiert wurden. Wen der Vegetarismus also interessiert, sollte dort fündig werden. Wer sich — wie ich es in den letzten Jahren gehalten habe — aber nicht weiter mit dem Thema beschäftigt, wird von diesen Kampagnen eher nicht erreicht.

Es scheint zu sein wie es häufig ist: Zu offenen Diskussionsrunden kommen nur die, die ohnehin ähnlicher Meinungen sind und Überzeugungsarbeit (ob im Internet oder auf der Straße) erreicht zumeist die ohnehin Überzeugten. Warum das so ist? Ganz einfach: Wir laufen mit einer für uns alltäglichen Weltsicht durch den Tag, die wir uns i.d.R. auch nicht umbiegen lassen möchten. Wir brauchen nämlich unsere Weltanschauung als alltägliche Orientierungshilfe und schützen sie entsprechend. Normaler Weise werden wir also schlicht nicht auf das uns Infragestellende, sondern immer nur auf das uns Bestätigende aufmerksam. Um es kurz zu sagen: Wer gern Fleisch ist, wird alle möglichen Ausreden finden sich nicht mit dem Vegetarismus zu beschäftigen.

Doch das Streben nach Homogenität und Friede soll hier nicht Thema sein. Ich will mich anlässlich dieses 1. Oktobers einmal mit dem Vegetarismus auseinandersetzen. Die nur all zu menschliche Tendenz, sich hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigen, es sich in seiner eigenen Welt gemütlich zu machen, lässt aber schon vermuten, dass wir es auch im Falle des Vegetariers mit einem Menschen zu tun haben, der (oder die) sich in der jeweils eigenen Welt orientiert und Infragestellendes eher links liegen lässt als sich damit zu beschäftigen. Die erste Erkenntnis also: Der Vegetarier ist auch nur ein Mensch.

Zum Vegetarismus im allgemeinen

Bevor ich mich weiter unten etwas intensiver mit dem gesellschaftlichen Phänomen des Vegetarismus beschäftigen werde, will ich zunächst in aller Kürze erläutern, worum es eigentlich geht — was den Vegetarismus eigentlich ausmacht. Mitnichten ist es nämlich so, dass Einigkeit darüber besteht, was ein Vegetarier is(s)t.

Wortherkunft

Das Wort „Vegetarismus“ ist zunächst ein Kunstwort und als solches aus den englischen Begriffen für Pflanzenwelt (vegetation) und Gemüse (vegetable) zusammengesetzt. Manchmal werden auch die lateinischen Begriffe vegetus oder vegetabilis als Wortstamm angegeben. Vegetus („rege“) oder vegetabilis („belebend“) aber haben nur insofern mit dem „Vegetarismus“ zu tun, als sowohl diese wie auch die englischen Begriffe ursprünglich von vegetare abstammen, was soviel wie beleben heißt.

Statistik

Für Deutschland wurde die Verbreitung des Vegetarismus vom Institut „Produkt + Markt“ 2006 mit neun Prozent angegeben. Auf www.euroveg.org wird das mit 7.380.000 übersetzt, was deutlich zu hoch sein dürfte. Zum Ersten hat das Institut „Produkt + Markt“ sicherlich keine Kinder unter 14 Jahren befragt, womit die Grundgesamtheit, auf die die neun Prozent bezogen werden, von 82 Mio. auf 65 Mio. Menschen sinkt (das ist die Grundgesamtheit, die auch für den [N]Onliner-Atlas 2006 angelegt wurde). Zum Zweiten wurden hier auch Menschen den Vegetariern zugeordnet, die eigentlich gar keine sind — sich nämlich nur teilweise an die vegetarischen Grundsätze halten. Und zum Dritten widerspricht den neun Prozent dieser Erhebung die Nationale Verzehrstudie von 2007, die gerade einmal 1,6% erwachsener Vegetarier und 0,1% Veganer in Deutschland ermittelte (vgl. NVS II 2008, 98).

Update: für 2015 meldet die Veggie-News-Seite Vebu 7,8 Mio. das Portal Statista 5,4 Mio. Vegetarier.

Formen

Mit „Vegetarier“ und „Veganer“ sind hier auch schon wieder zwei Begriffe genannt, die vortrefflich zur allgemeinen Verwirrung beitragen und ebenso wie die Statistik entwirrt gehören:

Im Allgemeinen spricht man von Vegetariern und Vegetarierinnen, wenn es um Menschen geht, die kein Fleisch, wohl aber Fischprodukte und bakterien- sowie pilzhaltige Erzeugnisse, verzehren. Diese wurden auch in den eben genannten Studien ermittelt (siehe auch hierfür: NVS II, 97). Von Veganerinnen und Veganern dagegen spricht man, wenn es sich um Menschen handelt die nicht nur auf Nahrungsmittel tierischer Herkunft verzichten, sondern auch alle anderen Tierprodukte wie Leder, Schafwolle usw. vermeiden.

Was da in der Studie des Institus „Produkt + Markt“ und in der Nationalen Verzehrstudie unter den Vegetarismus gefasst wurde, wird im englischen Original „Pescetarian“ oder in seiner deutschen Kurzform „Pesco-Vegetarier“ genannt. Neben diesem Pesco-Vegetarismus, bei dem auch der Verzehr von Fisch- als kaltblütiges Lebewesen akzeptiert wird, wurden in den genannten Studien auch noch zwei andere Formen des Vegetarismus zusammengefasst: der Ovo-Vegetarismus, bei dem der Verzehr von Eiprodukten akzeptiert wird und der Ovo-Lacto-Vegetarismus, bei dem sowohl Ei- als auch Milchprodukte akzeptiert werden.

Motive

Auf den genannten Webseiten sowie im Wikipedia-Artikel zum Vegetarismus werden verschieden Motive vegetarischer und veganer Lebensweisen aufgezählt. Abgesehen vom Vegetarismus qua Gusto („Fleisch schmeckt einfach nicht“) kann und wird über die Vorzüge des ausschließlich pflanzlicher Ernährung natürlich trefflich gestritten werden. Die zu nennenden Motive sollten demnach als ausnahmslos subjektiv angesehen werden, weshalb ich sie lediglich nenne und erst später kommentiere.

  • Als wohl vielfältigste Motiv-Kategorie ist zunächst die der ethischen Aspekte zu nennen. Unter diese lassen sich sowohl individuelle Moralvorstellungen als auch religiöse Ansichten subsumieren, wobei letztere natürlich mit ersteren einhergehen; das „Ja“ zur Religionsfreiheit ist schließlich ein ethisch begründetes (bspw. durch Kant). Aber auch div. Vorstellungen über die Verantwortlichkeit für unsere Umwelt sind zweifelsohne ethischer — wenn nicht gar ­moralischer — Natur.
  • Häufig genannte Motive zu vegetarischer Lebensweise sind außerdem Vorstellungen über gesundheitliche Auswirkungen fleischloser Ernährung. An dieser Stelle wird gern auf Zivilisationskrankheiten wie Adipositas oder Bluthochdruck verwiesen, die auch auf den übermäßigen Verzehr tierischer Nahrungsmittel zurückzuführen sind (für eine ausufernde Liste dieser Zivilisationskrankheiten sei besonders EUROVEG empfohlen). Auf www.vebu.de werden sogar prominente Vegetarierinnen und Vegetarier gelistet, die offenbar als eine Art Testimonials Vorbilder liefern.
  • Zum Vegetarismus qua Gusto: Über die bereits erwähnten geschmacklichen Aspekte lässt sich naturgemäß nicht streiten. Wie manche Menschen eben keinen Kartoffelsalat, keine Paprika oder keine Rostbratwurst essen, mögen eben manche Menschen den Geschmack von Fleisch, Fisch, Ei- und/oder Milchprodukten nicht.

Zusammenfassend lässt sich zu der Frage, womit wir es also zu tun haben, sagen, dass der Vegetarismus — wie vieles, das auf „ismus“ endet — bei weitem keine kohärente Erscheinung ist; Vegetarierinnen und Vegetarier unterscheiden sich wahrscheinlich stärker  untereinander als sie sich als statistisch erfassbare Gruppe von nicht vegetarisch lebenden Menschen unterscheiden. In Anbetracht der vielfältigen Formen und Motive, die ich hier mit Sicherheit nicht erschöpfend dargestellt habe, vermute ich, dass wir es mit einer ganzen Reihe kultureller Praktiken zu tun haben, mit denen man sich im Einzelnen ganz gut aus der Masse abheben, im Allgemeinen aber auch in einer überschaubar großen Gruppe (oder besser Szene) wieder finden kann.

Der Trend zur Nahrungsverweigerung

Womit wir bei der Nahrungsverweigerung angekommen sind: Wieso steht über diesem Beitrag, dass der Trend zur Nahrungsverweigerung geht? Verweigern Vegetarierinnen und Vegetarier nicht schon längst die Aufnahme von Lebensmitteln tierischer Herkunft? Wieso geht jetzt erst der Trend dahin?

Nun: Sich vegetarisch ernährende Menschen verweigern natürlich keine Nahrung, wie es Menschen im Hungerstreik tun. Sie suchen sie sich nur nach bestimmten Kriterien aus. Eigentlich tun sie nichts anderes als bestehende Potentiale auszuschöpfen. Biologisch ist der Mensch schließlich auch in der Lage ohne tierische Nahrungsmittel zu überleben — von Natur aus ein Allesfresser zu sein, heißt nicht alles essen zu müssen. Was der Mensch zu sich nehmen muss, kann er — wenn nicht selbst, dann doch auf künstlichem Wege — auch aus Pflanzen gewinnen.

Der Trend also geht erst zur Nahrungsverweigerung, was auch nicht heißen muss, dass der gemeine Vegetarier jemals dort ankommt. Die Verweigerung als solche ist also nicht das Problem. Viel problematischer ist die Nachahmung und Radikalisierung kultureller Praktiken des Dabeiseins und der Abgrenzung halber. An dieser Stelle wird interessant, warum und anhand welcher Kriterien Vegetarier ihre Lebensmittel aussuchen. Glaubt man den Gerüchten aus der Szene ist nämlich nicht mehr nur das Kriterium tierischer Herkunft ausschlaggebend, sondern auch das Aussehen und der Geschmack vegetarischer Lebensmittel darf mithin nicht an Lebensmittel tierischer Herkunft erinnern. (Das wäre ja sonst irgendwie Betrug.)

Vergemeinschaftung, Abgrenzung und Prestige

In den Büchern und Vorlesungen von Wolf Wagner — einem meiner ehemaligen Professoren — taucht(e) immer wieder eine Theorie auf, die hierfür recht interessant zu sein scheint. Als weitgereister „Weltenbummler“ versuchte Wagner die Verbreitung kultureller Praktiken (wie etwa das Naseputzen mit einem Taschentuch oder das Tragen einer Kravate) zu erklären und entwickelte dafür eine weitreichende Theorie der Verbreitung kultureller Praktiken.

Diese als Einführung in aller Kürze: In Anlehnungan die Werke von Norbert Elias (*1897-†1990) und Pierre Bourdieu (*1930-†2002) unterschied Wagner zunächst zwei wesendliche Arten legitimen Prestiges: kulturelles und ökonomisches Prestige. Mit zwei Achsen von jeweils keinem bis viel Prestige klammerte Wagner alle gesellschaftlichen Gruppen ein: Von den Ausgestoßenen, die weder über kulturelles noch ökonomisches Prestige verfügen, über die Neureichen, die zwar viel ökonomisches aber eben nur wenig kulturelles Prestige haben, bis zu den kulturellen und ökonomischen Eliten, die mit beidem recht gut ausgestattet sind sowie schließlich der Avantgarde.

Der Coup an dieser Theorie ist nun, dass mit ihrer Hilfe sowohl für weltgesellschaftliche Phänomene (wie die Globalisierung) als auch für Phänomene der Vergemeinschaftung in kleinerem Rahmen Erklärungsansätze formuliert werden können. Die Annahme dabei ist recht schnell zusammengefasst: Bis auf die Ausgestoßenen, die am untersten Rand der Gesellschaft bzw. der Gruppe von Menschen, die es zu untersuchen gilt, um ihr Dasein kämpfen, sind alle bestrebt sich von den jeweils unteren Milieu-Schichten abzugrenzen.
Diese Abgrenzung funktioniert auf ganz unterschiedliche Weise und muss nichts mit der Verachtung armer Menschen oder irgendeiner Art von Narzissmus zu tun haben. Durch den Gebrauch kultureller Praktiken tragen wir unsere Zugehörigkeit zu einem bestimmten Feld zur Schau und ordnen uns und anderen die Welt. Auf Grund der Zeichen, die wir aussenden — vielleicht mittels spezieller Accessoires –, können uns andere zuordnen, ansprechen oder uns aus dem Weg gehen, ohne fragen zu müssen, wen wir darstellen wollen und was unsere Ansichten von der Welt sind.

Für den Vegetarismus heißt das, dass sich Vegetarierinnen und Vegetarier durch ihre Essgewohnheiten und die damit verbundene Symbolik gegenseitig zu erkennen geben um sich dann gleich wieder gegeneinander abzugrenzen. Dieses paradoxe Verhalten, das in jedem Vergemeinschaftungsphänomen zu finden ist, hat auch Eingang in eine der bekanntesten popkulturellen Produktionen unserer Zeit gefunden: Die Simpsons.

Glaubt man James M. Wallace, einem Autoren des sehr empfehlenswerten Büchleins über die Simpsons und die Philosophie, sollte man dieses Werk Matt Groenings allerdings nicht als eine fiese Karikatur des Vegetarismus (oder sonst irgendetwas) lesen. Vielmehr ist es eine überspitzte Darstellung gesellschaftlicher Realität der USA und in diesem Falle die des Sich-Erkennens (Man achte auf die Phrasen am Anfang des Gesprächs!) und der prompt darauf folgenden Abgrenzung („Veganer Stufe fünf“, „hast du keinen Taschenmulch“ usw.).

Jessi dabei in den Mund zu legen, dass er nichts isst, was einen Schatten wirft, ist natürlich auch übertrieben, zeigt aber ein wesentliches Merkmal des sich gegeneinander Abgrenzens: Die Eliten einer Gemeinschaft müssen sich immer neue Praktiken und Vorstellungen zu eigen machen um sich gegen die Emporkömmlinge abgrenzen zu können, die wiederum elitäres Verhalten imitieren um sich ihrerseits gegen die Nachzügler von unten abzuheben.
Wagner meint hierzu, dass diese neuen Praktiken der Avantgarde entstammen, die aus der bloße Not (Besitz haben sie ja nur wenig.) eine Tugend macht und mit großer Kreativität immer neue Ideen entwickelt. Aus der Not, bspw. keinen Garten zu haben, könnte dann auch die Idee des Taschenhumus entstanden sein, mit dem Jessi Lisa so beeindruckt.

Friedrich Nietzsche und der Vegetarismus

Auf den ersten Blick passt die Gemeinde der Vegetarier und Veganerinnen überhaupt nicht zu der Idealvorstellung des Übermenschen Friedrich Nietzsches (*1844-†1900). Den Übermenschen, der auf dem schmalen Grad zwischen Gläubigkeit und Nihilismus tanzen kann, als Moralisten und Medizin- oder nur Wissenschaftsgläubigen zu denken, klingt nicht nur absurd … Von den oben genannten Vorzügen des Vegetarismus würde Nietzsche wohl nur das des eigenen Geschmacks gelten lassen — das aber hätte umso mehr Gewicht.

Ich will mir nicht anmaßen die Philosophie Nietzsches hier ausbreiten zu können, der Beitrag ist ohnehin schon lang genug. Anhand eines recht düsteren Beispiels aus längst vergangener Zeit würde ich aber gern zeigen, dass der Trend zur Nahrungsverweigerung (dem rückwärts gewandten Instinkt zur Grausamkeit wie Nietzsche selbst sagen würde) durchaus auch gut ausgehen kann. Nietzsche nämlich sah das Problem vor allem in der Gläubigkeit des Menschen, die das Leben in ein nur vorgestelltes Jenseits verlagert; nicht unbedingt nur den Himmel oder das Nirvana sondern auch die nur vorgestellte gute Welt die kommen wird, wenn nur alle dieses oder jenes tun, dulden oder unterlassen. Wird erst dieser Glaube in Gänze aufgelöst, ist die Brücke zum völlig freien Geist, der sich selbst gestaltet (also zum Übermenschen) offen.

Die Geschichte handelt wie gesagt in einer längst vergangen Zeit, in der Gott noch nicht tot war. Sie handelt von dem syrischen Orden der Assassinen, der vom 11. bis zum 13. Jahrhundert im mittleren Orient sein Unwesen trieb. Nach meinem Dafürhalten kann man die Assassinen mit ‚terroristische Vereinigung’ treffend umschreiben. Das Wort „assassin“ steht im Englischen wie im Französischen auch heute noch synonym für „Mörder“. Der Assassinen Orden war sehr streng hierarchisch aufgebaut. Den Ordensbrüdern niederen Ranges wurde blinder gehorsam gegenüber den höheren Rängen abverlangt, was die äußerst brutalen und unter hohem Eigenrisiko durchgeführten Attentate erklärt, die von dem Orden ausgingen.

Neue Ordensbrüder gewannen die Assassinen, in dem sie junge Männer mit Opium betäubten und sie in ihr Paradies entführten. Dort wurden die Männer von jungen Frauen bewirtet und betreut um schließlich wieder betäubt und zur Ausbildung gebracht zu werden. Um ihrer Treue sicher zu sein, sagte man den Männern, dass sie nur durch ihren heldenhaften Tod zurück in das Paradies gelangen könnten und banden diese Heldenhaftigkeit an die Befehlsstruktur des Ordens (bzw. der Vorstellung höherer Ordensbrüder davon, was heldenhaft ist). Überlieferungen zufolge fanden eben diese jungen Ordensbrüder niederen Ranges eines Tages den Wahlspruch der Ordensführung heraus:

Nichts ist wahr, alles ist erlaubt

Während sie also den Ordensführern, die so taten als wüssten sie die Wahrheit, blind gehorchen sollten, war diesen längst bewusst, dass es gar keine Wahrheit gibt. An der Spitze, der Elite des Ordens stürzte aller Glaube in sich zusammen und alles wurde wieder möglich. Nietzsches Kommentar hierzu:

Wohlan, das war Freiheit des Geistes, damit war der Wahrheit selbst der Glaube gekündigt.

Kommentare

  • Damit du siehst, dass ich mich traue. Wird aber viel und weil ich nicht ganz so viel Zeit investieren will, etwas ungeordnet.
    Ganz am Anfang zeigst du diese allseits bekannte Graphik, die scheinbar „vorwurfsvoll“ ist. Die Graphik zeigt Fakten (, über die man vielleicht sogar streiten kann), aber sie formuliert keinen Vorwurf. Ich erkenne eine Überempfindlichkeit, die das Nennen dieser Zahlen als Vorwurf erkennen und frage mich, woher sie kommt? Kurz drüber nachgedacht und ich vermute, dass dies eine Abwehrreaktion ist. Es scheint unangenehm zu sein, sich diese Zahlen vor Augen zu führen. Aber warum? Ich behaupte, dass hier eben dieses moralische Problem offenbar wird, dass viele Vegetarier zu eben diesen werden lässt.
    Mir kommt in Abschnitt zwei ein Widerspruch zwischen die Ohren. Oft wird Vegetarieren (ob zurecht oder nicht) vorgeworfen, missionarisch zu sein. Die Kritik an den Kampagnen widerspricht diesem Vorwurf, oder?
    „Normaler Weise werden wir also schlicht nicht auf das uns Infragestellende, sondern immer nur auf das uns Bestätigende aufmerksam.“ Das finde ich sehr richtig. Mir stellt sich anschließend aber die Frage, was das „Infragestellende“ ist, dass Vegetarier „links liegen“ lassen?
    Wozu dient die Statistik? Die Begriffe sind für mich zu unklar. Auch die Kategerien Vegetarier und nicht-Vegetarier sind zu groß. (Bezug nicht auf die Frage, was gegessen werden „darf“, sondern ob man etwas „nie“ oder „immer“ isst) Das Problem der Definition geht weiter: Es gibt Menschen, die weder Fisch noch Fleisch essen, hingegen aber Milchprodukte „ok finden“, echtes Leder, Schafwolle oder Pelzmäntel wiederrum ablehnen. Vegetarier oder Veganer? Es scheint wohl notwendig zu sein, eine Definition zu entwickeln, die die Realität zumindest weitgehend widerspiegelt, oder das definieren zu lassen.
    Sollen deine Motivkategorien (sind das deine?) dem Anspruch auf Vollständigkeit genügen?
    Der Aussage, dass die Gruppe der Vegetarier nicht kohärent ist oder sein kann, unterstütze ich. Noch besser ist die, dass Allesfresser alles essen können, nicht aber müssen.
    Der Abschnitt „Vergemeinschaftung, Abgrenzung und Prestige“ kann falsch (oder doch richtig?) wahrgenommen werden. Zeichnet sich das Phänomen des Vegetarismus vornehmlich durch die soziologische Komponente der Abgrenzung gegenüber anderen gesellschaftlichen Schichten aus? Das wäre eine Reduzierung, die die teils genannten Motive nicht ernst nimmt und somit Gefahr läuft, zu beleidigen. Dabei fällt mir ein: Wo ist der angekündigte Kommentar zu den Motivkategorien? Damit gilt es sich meiner Ansicht nach auseinanderzusetzen, wenn man über den Vegetarismus spricht.
    Was den Nietzsche angeht: Ich check´ nicht ganz, welchen Bezug das zum Thema hat? Dieser Bezug ist zumindest derart unkonkret formuliert, dass er sich meiner Beurteilung entzieht.
    Zwei generelle Sachen noch zu Schluss:
    Einige Fragen, die mich beschäftigen und wohl nicht nur mich alleine, berührst du nicht. Das sind vor allem Fragen nach Konsequenz und Moral.
    Leider habe ich nicht verstanden, wieso der Artikel so heißt, wie er heißt.
    Ich habe den Eindruck (auch durch deinen Artikel), dass sich das Thema mehr und mehr breiteren Bevölkerungsschichten als wichtig darstellt und begrüße das. Ich finds also auch sehr toll, dass du dich damit beschäftigt hast.
    Bevor ich jetzt ins labern komme, sende ich lieber ab.
    martin

    • Hallo Bruderherz, hab Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Deine Ausführungen wiederum kurz kommentiert:
      (a) Natürlich ist es eine Abwerreaktion! Sowie ich Gespräche mit bibeltruen Christen vermeide, die mir, ob eines wage überlieferten Sündenfalls, ihre obskuren Lebenspraktiken anzutragen versuchen, neige ich eben auch dazu mir duch vermeintlichen Fakten (die auf mich ohnehin nicht zutreffen k ö n n e n) die Ernährungs- oder gar Lebensweise umbiegen zu lassen. Das hat auch recht wenig mit der von mir angeführten Beschäftigung mit mir selbst und meiner Welt zu tun — beschäftige ich mich doch mit dem Vegetarismus. Es ist eine Abneigung gegen moralische Implikationen im populärwissenschaftlichen Gewand.
      (b) Nein, die „Kritik“ an den Campagnen der vereinigten Vegetarierschaft widerspricht dem nicht. Das gesetzte Ziel des Welt-Vegetarier-Tages, die Vorzüge vegetarischer Lebensweise unter die Leute zu bringen, muss durchaus missionarisch verstanden werden. Es geht nicht um Informationen oder Argumente für fleischlose Ernährung, es geht um V o r z ü g e, die pauschal das Gute für sich beanspruchen. Alles, was diesem Anspruch widerspricht, bleibt tendeziell unbeachtet. Meine Kritik ging eher in die Richtung, dass die Campagnen von euroveg.org und vebu.de — wie viele andere auch — nur die üblichen Verdächtigen erreichen und damit von keinem sonderlichen Erfolg gekrönt sind (aber das ist tatsächlich nur eine Vermutung)
      (c) Die Statistik habe ich aufgenommen um sie selbst in Frage zu stellen. Auch wenn du es — wie angekündigt — etwas konfus auszudrücken versuchst, scheinst du das richtig verstanden zu haben. Es war ja gerad mein Ziel zu zeigen, dass man mit der Kategorie „Vegetarier“ wissenschaftlich nicht all zu viel anfangen kann; wie übrigens auch mit anderen Kategorien, wie Mann und Frau. Was die Begriffe angeht ist das eher eine Spielerei, die aus meinem lebensmittelberuflichen Background stammt. Ein Mensch der bspw. weder Fisch noch Fleisch, wohl aber Milch- und Eiprodukte isst und dabei Nerzmäntel trägt, bezeichnet man eben als „Ovo-Lacto-Vegetarier“ und Menschen die über ihre Ernährung hinaus auf Tierisches verzichten als Veganer…
      (d) Die Motivkategorien haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das habe ich auch geschrieben.
      (e) Zum einen: Ja! Es ist e i n Ansatz das gesellschaftliche Phänoment des Vegetarismus (aber auch viele andere) zu erklären. Vergemeinschaftung & Abgrenzung sind immer wieder und sehr gut beobachtbar. Zum anderen ging es auch nicht vordergründig darum Vegetariern eine Abgrenzung von Fleischfressern zu unterstellen, sondern die Gemeinschaft der Vegetarier selbst zu untersuchen. In der geht schließlich der Trend zur Nahrungsverweigerung, weil sich auch Vegetarier untereinander abgrenzen (Veganer Stufe fünf)
      (f) Den Kommentar der Motivkategorien habe ich im Nietzscheteil versteckt: „Von den oben genannten Vorzügen des Vegetarismus würde Nietzsche wohl nur das des eigenen Geschmacks gelten lassen — das aber hätte umso mehr Gewicht.“. Wenn ich schon Nietzsche anführe, kann man — meine ich — auch davon ausgehen, dass ich mit dieser Ansicht dacore gehe.
      (g) Nietsche ist aber auch wirklich nicht einfach zu verstehen — das muss ich zugeben. Wenn man sich dessen Glaubenskritik aber genauer anschaut — ich habe versucht das zu beschreiben — kommt man der Antwort auf deine generelle Frage nach Moral und Konsequenz näher. Moral, die auf dem Glauben an eine jenseitige (meint nicht existente) Welt fußt ist einfach irrig. Folgt man dieser Erkenntnis konsequent, muss man eben jedes Motiv ablehnen, dass nicht auf einer diesseitigen Welt gründet.
      Zur zweiten generellen Frage, warum der Aritkel so heißt wie er heißt, schaust du dir am besten nochmal die Geschichte des Assassinen Orden an und denkst nochmal nach. Der Artikel sollte keine Vorlage für die Sendung mit der Maus werden, sondern zum Weiterdenken anregen. 🙂

  • Ein schönes Thema und meine Theorie passt doch schön dazu. Man findet Vegetarismus und insbesondere die radikaltere Form der Veganer tatsächlich am häufigsten unter sehr hoch gebildeten Personengruppen, die sich selbst als einer Avantgarde zugehörig fühlen.
    Doch wird sie sich kaum wie andere kulturelle Praktiken über die ganze Gesellschaft ausbreiten. Denn die kulturellen Eliten werden den Vegetraismus zwar durchaus aufnehmenm aber die ökonomischen Eliten kaum. Für sie kommen nur kulturelle Praktiken in Frage, mit denen sie auch ihre ökonomische Überlegenheit gegenüber den kulturellen eliten demonstrieren können . Und dazu ist der Vegetarismus zu asketisch. Wenn die ökonomischen eliten aber nicht mitmachen, kommt diese kulturelle Praxis überhaupt nicht bei den weniger gut mit kulturellem und ökonomischem Prestige ausgestatteten Gruppen an. Denn die richten sich fast ausschließlich nach den ökonomischen Eliten.

    • Hallo Wolf, vielen Dank für deinen Kommentar und das Lob. Tatsächlich hatte ich auch meine liebe Müh‘ mit der asketischen Ideal des Vegetarismus. Ich bin aber zu dem Schluss gekommen, dass (a) die Askese die älteste Form menschlicher Abgrenzung ist (und deshalb wohl auch immer wieder auftauchen dürfte) und (b) Vegetarier eigentlich weniger verzichten als sie aktiv ‚umgehen‘. Tatsächlich hat die vegetarische Küche einiges zu bieten, dass wohl an Fleisch erinnern kann und eben hier kommen auch ökonomische Aspekte ins Spiel.
      Eben hier beginnt aber auch das Problem, mit dem ich mich gern beschäftigen wollte: Die Abgrenzung innerhalb der Vegetarier-Szene muss ja hauptsächlich über das Umgehen oder eben den Verzicht auf tierische Lebensmittelerzeugnisse geschehen. Auf was sollte die Elite der Vegetarier aber verzichten, wenn sie schon allem Fleischlichen entsagt hat??? Entweder sie radikalisieren und verzichten auch auf all das, was nach Tierischem schmeckt bzw. nur danach aussieht oder sie sehen ein, dass es die Wahrheit, an die sie glauben, eigentlich gar nicht gibt und alles erlaubt ist — so wie die Assassinen.

  • Hallo Hannes,
    wir haben uns bei der Socialbar kennen gelernt, bei der du mir diesen Artikel ans Herz gelegt hast, weil du mitbekommen hast, dass ich mich vegan ernähre.
    Nachdem ich jetzt mal die Gelegenheit gefunden habe den Artikel zu lesen will ich einen Kommentar hinterlassen.
    Neben ein paar Gedanken, die ich u. a. Mangels Wissen über Nietzsches Ideenkomplex nicht nachvollziehen konnte, und einer leichten Kränkung meiner Ehre als Veganer (wie wir alle für alles was wir machen trifftige Gründe haben, habe ich ja schließlich auch Gründe dafür vegan zu leben und wer das relativiert ist gemein *lach*) finde ich den Artikel sehr hilfreich.
    Ich bin Veganer der dritten Stufe (in Anlehnung an die Simpsons):
    Ich konsumiere (das umfasst Essen, aber auch Kosmetik, Kleidung…) keine Tierprodukte, versuchen (andere) Tieren (der Mensch ist anders als Gänseblümchen und Steine auch ein Tier) keinen Schaden zu zufügen, versuche den Schaden, der Pflanzen zukommt gering zu halten, bevorzuge saisonale, regionale, biologisch angebaute Produkte und versuche nicht-regionale Produkte auf fairem Handel zu kaufen.
    Dazu versuche ich meine allgemeinen Konsum zu minimieren und auf „second hand“-Alternativen zurück zu greifen (Sachen gebraucht kaufen statt neu).
    Im Detail kommen dazu sicher nochmal einige Verweigerungskriterien, z. B. bestimmte Firmen, die bekannterweise asozial, unökologisch, unethisch (nach meinen Kriterien) produzieren.
    Da die Sammlung meiner „Filterkriterien“ zunehmend wächst und sich damit die Auswahl der zu konsumierenden Produkte verringert, würde ich den Titel „Trend zur Nahrungsverweigerung“ als ziemlich legitim bezeichnen.
    Könnte ich ohne Nahrung überleben, würde ich das wohl in spätestens ein paar Jahren machen 🙂
    Das Modell von Wolf Wagner sehe ich bei mir und in meinem Umfeld bestätigt – bzw. das lässt sich verwenden um einige Trends zu erklären.
    Ich werde den Gedanken mal ein bisschen mit mir rumtragen und sehen, was sich damit sonst noch so erklären lässt.
    Als Tierrechtler sehe ich das Modell z. B. auch darauf anwendbar, dass reiche Mensch dazu neigen sich durch das Tragen von Tierpelz von den „normalen“ Leuten „nach oben“ abzugrenzen, wohingegen die radikalen Pelzgegner_innen meist finanziell nicht so gut ausgestattet sind, dafür sehr idealistisch bei der Sache sind.
    Mir wurde gesagt, dass es in den 80er Jahren den Trend gab, dass sich auch finanziell nicht so gut ausgestattete Menschen Pelzmäntel kaufen konnten und gekauft haben -> Streben nach ökonomischer Prestig, woraufhin der Pelz als Statusobjekt „zusammengebrochen“ ist -> die reichen haben etwas neues zur ökonomischen Abgrenzung gebraucht.
    Hm… ich sehe mit der Theorie lässt sich was anfangen.
    Danke für den Artikel und um das nicht zu vergessen:
    „go vegan“

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