Die aktuelle Runde der NPO-Blogparade läuft. Bis zum 15. Dezember sammle ich als Hostblog Beiträge zum Thema echte Partizipation fördern. Ich will mich bemühen die bis dahin eingegangenen Beiträge noch vor dem abschließenden NPO-Chat auf Twitter am 17. Dezember zusammen zu fassen. Warum der Stress? Ganz einfach: an eben diesem Freitag endet der Online-Dialog zur Nationalen Engagementstrategie, die unsere Bundesregierung am 06. Oktober 2010 verabschiedete.
Es ist dieser Online-Dialog, der mich bei der Lektüre der fünften Ausgabe der merz (Fachzeitschrift für Medien und Erziehung) in 2010 aufhorchen ließ. Unter dem Titel „Partizipation mit und über Medien“ stellt Ulrike Wagner dar, dass die Partizipation im Sinne der politischen Beteiligung ‚möglichst vieler an möglichst vielem’, kein unwesentlicher Teil der Identitätsbildung (vor allem junger Menschen) und des lebenslangen Demokratielernens ist. Ergo ist auch die Identität als Bürgerin oder Bürger unserer oft beschworenen Zivilgesellschaft nicht naturgegeben — sie muss gelernt werden; und das nicht nur einmal sondern immer und immer wieder. Für die echte Partizipation ist dementsprechend eine Empowermentperspektive unabdingbar.
Nun ist es aber leider so, dass auf vielen Projekten und Programmen, Webseiten und Portalen zwar Partizipation drauf steht, tatsächlich aber keine drin ist. Um Partizipationsangebote nach ihrer (erwartbaren) Wirklichkeitsmacht einteilen zu können, stellt Wagner in Anschluss an Schröder (1995) und Stange (2007) ein Analysemodell für Partizipationsangebote vor. Mit diesem Modell können Angebote, die tatsächlich auf Selbstbestimmung und -verwaltung zielen sowie Angebote die ihre Adressaten an den sie betreffenden Entscheidungen wenigstens teilhaben oder vielleicht auch mitbestimmen lassen von ‚Mitmach-Angeboten’ abgegrenzt werden, die lediglich eine Teilhabe zum Schein erwartbar machen.
Formen von Teilhabe | ||
Fehlformen
|
Beteiligung
|
Selbstbestimmung
|
Unter die Kategorie „Selbstbestimmung“ fallen in diesem Modell alle Partizipationsangebote, bei denen Räume zur selbstständigen Gestaltung zur Verfügung gestellt werden. Dabei muss es nicht zwingend um die strukturelle Gestaltung oder das Erscheinungsbild des jeweiligen Raums gehen. Wagner zählt neben der „ganz eigenen Form“ der Spiele-Clans und -Gilden vor allem themenoffene Angebote wie Weblog-Software (bspw. WordPress) oder Micro-Blogging-Dienste wie Twitter zu dieser Kategorie.
Auch Social Networking Dienste müssten dementsprechend unter diese Kategorie subsumiert werden. Trotz der technischen Abgeschlossenheit — man muss sich bspw. anmelden — sind bei Facebook oder den VZ-Netzwerken zunächst keine Themenschwerpunkte vorgegeben. Wagner allerdings ordnet die „Positionierung über Statements“ (die Statusmeldung), die Mitgestaltung über die Präsentation eigner Werke (Videos, Slide-Shows, Podcasts usw.) und die Mitbestimmung über die Einrichtung selbstverwalteter Themennischen (Gruppen, Seiten o.ä.) den beteiligenden Angeboten zu. Einen Grund dafür kann ich leider nicht ausmachen. M.E. gehört nur ein Teil der Social Networking Dienste, nämlich der der themenbezogenen Plattformen wie Engagiert in Deutschland, Wissenschaftsmanagement-Online oder die Community of Knowledge (um hier nur einige zu nennen), zu diesen Partizipationsangeboten.
Zu den Fehlformen von Mitmach-Angeboten zählt Wagner schließlich (zurecht!) die div. Casting-Formate, bei denen es weniger um ein Mitmachen-Können als viel mehr um ein möglichst verstörendes Vorgeführt-Werden zu gehen scheint. Zwar heißt es „jeder kann ein Star werden“ und die jungen Aspirantinnen und Aspiranten könnten — schon bevor sie ein Star sind — mit ihrer Performance die einzelnen Formate prägen, doch scheinen die Endprodukte dieser Medienmaschinerie, die „Superstars“ und „Popstars“ von Pro7 und RTL, eher geschliffene Opfer als individuelle und selbstbestimmte Künstler zu sein.
Des Weiteren zählt Wagner auch (Um-)Fragen nach dem persönlichen Geschmack zu den Fehlformen partizipativer Angebote. Nicht etwa, weil sie anonyme Abfragen nur scheinbar individuellen Geschmacks sind, sondern weil sie — so die Autorin — zumeist keine Wirkungsmacht entfalten würden — von der Dekoration des eigenen Profils mit dem automatischen Verweis auf die Teilnahme abgesehen. Auch hier widerspreche ich! Obwohl in Facebook & Co omnipräsent, gibt es nicht nur die Spaßumfragen ob ich vielleicht eher einer Erd- oder eher einer Haselnuss ähnle. Solche Umfragen machen tatsächlich keine Wirkungsmacht erwartbar. Wohl aber wirkungsmächtig sind Bewertungsportale wie Spick-Mich, Qype oder die Berliner Wheelmap. Durch die Mitteilung individueller Einschätzungen — was nicht weit von bloßem Geschmack entfernt ist — beeinflussen die Userinnen und User dieser Angebote durchaus Karrieren, Geschäftsmodelle und Einrichtungen; und zwar bewusst!
Bei der Beförderung echter Partizipation, so denke ich kann man nun schließen, sollte es zu aller erst um das Erwartbar-Machen tatsächlicher Veränderungen gehen. Ob nun in Form der (thematischen) Gestaltung eines wie auch immer gearteten Raums oder der Möglichkeit, sich per Statement oder (Medien-)Produkt einer bestimmten Fraktion zuzuordnen scheint mir dabei gleich. Wichtig ist, dass zur Partizipation qua Wirkungsmacht ermutigt und nicht qua Folgenlosigkeit abgeschreckt wird.
Eben diese Folgenlosigkeit ist m.E. aber beim Online-Dialog zur Nationalen Engagementstrategie zu erwarten. Wenn schon von den zuvor veranstalteten Dialogforen, bei denen sich über 300 Expertinnen und Experten aus der Zivilgesellschaft zusammenfanden, nicht sonderlich viel in die letztendlich verabschiedete Engagementstrategie eingeflossen ist, was kann dann von den bis jetzt raren Vorschlägen und Votings der Bürgerinnen und Bürger erwartet werden? Wozu der Aufwand ein Partizipationsangebot zu schaffen, das kaum jemand anzunehmen bereit ist? Alles nur Makulatur für die Legitimitätstapete?
Ich glaube nicht nur. Die Bürgerbeteiligung und der Dialog wird von Politikerinnen und Politikern dieser Tage recht häufig gesucht. Leider aber fast genauso häufig in alten Schemata des Hände-Schüttelns und Kinder-Küssens gedacht. Heroisch sieht er aus, unser Bundesumweltminister Norbert Röttgen, wenn er mit Helm und Lampe durch den Salzstock in Gorleben schleicht. Sein Gesprächsangebot aber mussten die ansässigen Bürgerinitiativen ausschlagen, weil es schlichtweg kein ernstzunehmendes Partizipationsangebot sein konnte. Hätte er nicht erst bis zur offiziellen Wiederaufnahme der Erkundungen und der Entscheidung oppositionelle Inhaber von Salzrechten notfalls auch enteignen zu können mit seinem „ergebnisoffenen“ Dialogangebot gewartet, wäre er vielleicht ernster genommen worden.
Es ist ein Schluss der nur all zu häufig in unseren Sphären gezogen wird: Die Technik-Offerten makelloser Dialogforen (und abgesehen vom Namen finde ich Engagement 2.0 handwerklich wirklich gelungen), die umfassende Social Media Kommunikation und die pfiffigen Promotion-Aktionen rings um Partizipationsangebote helfen NULL, wenn die Bedürfnisse der Dialogpartner missverstanden oder schlichtweg übergangen werden. Und das bezieht sich eben nicht nur auf das Web 2.0. Wie an Röttgens kläglichem Versuch ergebnisoffenen Dialogs aktuell zu sehen, haben viele Politikerinnen und Politiker in Sachen Partizipation tatsächlich noch einiges zu lernen.
Update: Sophie Scholz verriet mir auf der heutigen SocialBar, dass es auch zum Dialog Herrn Röttgens einen Online-Dialog geben wird.
„Partizipationsangebote helfen NULL, wenn die Bedürfnisse der Dialogpartner missverstanden oder schlichtweg übergangen werden.“
Richtig und gleichzeitig ist der Zeitraum für die Beteiligung zu kurz : „Diskutieren Sie mit! Vom 22.11. bis zum 17.12.2010“ gewählt und fällt in eine Zeit, in der durch Weihnachten und das Jahresende kaum Zeit bleibt, sich eingehend mit dem Thema zu beschäftigen und sich daran zu beteiligen.
Geschickt gemacht, wenn man die Beteiligung in Grenzen halten will.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Beteiligung am Online-Dialog ‚in Grenzen halten wollte‘. Ich bin davon überzeugt, dass es zunächst wirklich ein ernst gemeintes Partizipationsangebot war. Irriger Weise ging es aber aus einer Zugeständnis-Perspektive bürgerlicher Partizipation davon aus, dass alle Welt nur darauf gewartet hat sich endlich einzumischen zu dürfen. Das funktioniert leider nicht; Stichwort Empowerment.
Die zeitliche Einengung, die du ansprichst, hatte ich gar nicht so im Fokus. Soweit ich weiß, sollte der Online-Dialog auch schon etwas früher starten und länger andauern, doch da kollidierte wohl Einiges. Schlussendlich sehe ich zwei Gründe für dieses (zu) kurze Zeitfenster:
(1) Dem Online-Dialog wird nicht das Gewicht eingeräumt, dass er (aus der Sicht der bürgerschaftlichen Teilhabe) verdient. Es stehen zwar redliche Bemühungen der Bürgerbeteiligung auf dem Programm, so richtig ernst genommen werden sie aber nicht. Sie gehören noch nicht zur Pflicht, sind eher die Kür.
(2) Offenbar ist man wirklich davon ausgegangen, dass alle Welt nur auf diese Gelegenheit gewartet hat, sich endlich mal einzubringen. Das kurze Zeitfenster spricht m.E. eben auch dafür, dass man es mit den Partizipations-Zugeständnissen nicht übertreiben will — könnte ja nachher jeder kommen :-).
[…] This post was mentioned on Twitter by Dr. Brigitte Reiser, nkeim and York Töllner, Stefan Zollondz. Stefan Zollondz said: @foulder über das "Erwartbar-Machen tatsächlicher Veränderungen". Lesenswerter Beitrag zur 19. #npoblogparade http://bit.ly/ejRnQZ […]
Hallo Hannes,
danke noch mal für die Klarstellung, dass es zwar einen Partizipationsbedarf gibt, dieser aber nicht bedingungslos ist. Ich finde engagementzweinull.de gar nicht so schlecht, wenn es nicht als großartige Partizipationsgeschichte aufgebauscht wäre. Das ist eine Vorveröffentlichung mit der Möglichkeiten vorher Kommentare und Anmerkungen zu machen. Nicht schlecht, aber eben noch kein großes Partizipationsangebot.
Schöne Grüße
Jona
Hallo Jona, i.S. der oben vorgestellten Unterteilung würde ich Engagement 2.0 technisch zu den beteiligenden Angeboten zählen. Obgleich eigene Inhalte eingebracht werden können, ist der thematische Rahmen vordefiniert. Zudem gehe ich davon aus, dass die eigenen Themen, die man auf die Agenda setzen kann, keine weitere Beachtung finden werden, zumal sie in den Fragen und Erläuterungen zum Online-Dialog nicht wirklich prominent vertreten sind (bspw. in der Site-Bar). Schade eigentlich, geht es dort doch um Themen wie Engagementförderung für Menschen mit (geistiger) Behinderung.
Dein Verständnis des Online-Dialoges als „Vorveröffentlichung mit der Möglichkeiten […] Kommentare und Anmerkungen zu machen“ geht m.E. in diese Richtung. Über die Frage, was engagementzweinull.de technisch ist, wollte ich aber die Frage nach der Wirklichkeitsmacht dieses Partizipationsangebotes stellen. Und da kann Engagement 2.0 leider nur schlecht weg kommen. Wie bei die Ergebnisoffenheit Herrn Röttgens Dialog mit Endlager-Gegnern kann (aus vorgängiger Erfahrung) schlicht nicht davon ausgegangen werden, dass die Kommentare und Anregungen aus diesem Online-Dialog tatsächlich aufgenommen werden. Auch das ist schade, weil ich, wie gesagt, niemandem Unwille unterstellen würde. Vielmehr scheint mir eine Beteiligungskultur noch nicht wirklich angekommen.
Soweit ich weiß, sind bisher die meisten Online-Beteiligungs-Verfahren auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Dieser zeitliche Rahmen dient der Straffung der Ergebnisse: es gibt einen Zeitraum, in dem sich Experten und Bürger intensiv zu einem Thema austauschen können. Würde es dieses Zeitfenster nicht geben, würden viele Interessierten entsprechende Kommentare vor sich herschieben. Und ob dieses Zeitfenster nun vor Weihnachten, im Sommer oder zu Ostern offen ist, spielt eine geringere Rolle – das kann man nie allen Recht machen.
Allerdings ist es durchaus zu bedauern, dass der Online-Dialog zum Nationalen Forum für Engagement und Partizipation nicht – wie eigentlich beabsichtigt – vor der Verabschiedung der nationalen Engagementstrategie stattfinden konnte.
Aber: das ist ja nicht das Ende vom Lied:
1. wird auch an der nationalen Engagementstrategie weiter gearbeitet und auch das Nationale Forum wird 2011 seine Arbeit fortsetzen.
2. in eigener Sache: der Online-Dialog wird auch langfristig weitergeführt. Dazu steht schon jetzt ein Themenraum bereit: http://www.mitreden.engagiert-in-deutschland.de 😉
Ich denke, das Partizipationsangebot ist ernst gemeint. Aber worüber reden, wenn die nationale Engagementstrategie vollkommen ohne Ziele/Visionen/Aufbrüche auskommt?
Sicher hat der Bürger die Möglichkeit, im Rahmen des Online-Dialogs neue Themen zu setzen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass gerade hierüber sich lebhafte Debatten ergeben, ist wohl – wie Hannes das auch sieht – sehr gering. Die Beiträge orientieren sich eher an dem vorliegenden Beschluss der Bundesregierung – mit der Folge, dass viele Themen draussen bleiben.
Das Grundproblem ist, dass schon das Nationale Forum für Engagement und Partizipation Beteiligungsprozesse sehr aus der Perspektive des Dritten Sektors und nicht der Bürger behandelt hat. „Echte“ Partizipation im Sinne von Mitbestimmung von Bürgern bei der Leistungsplanung und -umsetzung wurde hier nicht diskutiert.
Insgesamt ist es also schwierig, sich in einen Online-Beteiligungsprozess einzubringen, der inhaltlich schon so vor-bearbeitet und -strukturiert ist. Echte Partizipation setzt voraus, dass die Zielgruppen die Agenda, über die diskutiert werden soll, mitbestimmen. Jede Vorauswahl durch Entscheider engt den Beteiligungsspielraum von Bürgern ein.
Um die ganze Diskussion über das Bürgerengagement, die auf Seiten des „Establishments“ immer um die selben Themen kreist, aufzubrechen, wäre es aus meiner Sicht notwendig, stärker (und kritischer) über die Rolle des Dritten Sektors zu reden, – etwas, das das Nationale Forum für Engagement und Partizipation leider nicht geschafft hat.
Wohlfahrtsverbände fragen die Bürger „in was für einer Gesellschaft wollen wir leben“ (siehe dieGesellschafter.de). Entsprechend würde ich gerne fragen:“Mit was für einem Dritten Sektor wollen wir eigentlich leben?“
Hallo Brigitte, ich tendiere zwar dazu dir zuzustimmen, dass echte Partizipation mit möglichst wenig thematischen Schwerpunktsetzungen auskommen sollte, doch würde ich anmerken wollen, dass die Exekutive (unsere Bundesregierung) durchaus in der Position ist einen Rahmen für die Diskussion vorzugeben, die ihrer Meinung nach umsetzbar sind. Leider — und da hast du Recht — ist dieser Rahmen nicht wirklich ausgewogen, weil Bürgerinnen und Bürger, um die es ja geht, nicht in die vorgängigen Dialogforen eingebunden wurden — wieder ein Indiz dafür, dass das Bürgerbeteiligungsangebot an die Community der am Thema Interessierten, nicht ernstgenommen werden kann. Welche Wirkungsmacht ist denn zu erwarten, wenn ohnehin „nur“ das zu Diskussion (Das Wort ist hier eigentlich falsch. Besser wäre: Kommentierung) steht, was die Bürgerschaft schon länger nicht mehr wirklich betrifft?!
[…] meinem eigenen Beitrag versuchte ich zunächst den von mir gewählten Begriff der „echten Partizipation“ etwas weiter […]
[…] Jähnert) daraus einen ziemlich düsteren Trend hin zu einer Charity-Blase, die auf Grund div. Fehl- oder Scheinformen der Partizipation gerade zu entstehen droht. Hier aber die hauptsächlichen Punkte aus dem Workshop von Joanna […]
Trotz teurer Websites scheitert die #Regierung am #Bürgerdialog: http://t.co/FkNLhmx #spon (via @ckreutz) http://t.co/RB8D49u #blog
[…] steht. Ohne Verantwortungs- und Gestaltungsspielräume für Freiwillige – ohne Demokratie und „echte Partizipation“ — avancieren neue Wege des freiwilligen Engagements eher zu bequemer Gewissenserleichterung […]