Während meinen Arbeiten in den letzen Wochen bin ich (erneut) auf ein Problem der Freiwilligenarbeit gestoßen: Die mehrmalige Unterbrechung der Engagementkarriere von Frauen und die damit wahrscheinlich korrespondierende Unterrepräsentanz von Frauen in ehrenamtlichen Führungspositionen. Die Unterbrechung weiblicher Engagementkarrieren liegt für mich auf Grund der Daten aus dem aktuellen Freiwilligensurvey nahe. Betrachtete man nämlich die Aufschlüsselung der Engagementquoten nach 13 Alterskohorten (S. 19), fällt auf, dass diese bei den Männern einen saubereren Glockenverlauf bildet als bei den Frauen. Bei letzteren zeichnen sich in der angenommenen Glocke zwei deutliche Dellen ab; eine in den Alterskohorten von 20 bis 34 Jahren und eine in denen zwischen 55 und 64 Jahren. Zwar lassen sich diese Dellen auch in den Quoten der Männer ausmachen, doch sind sie hier bei Weitem nicht so ausgeprägt.
Engagementkarriere* männlich / weiblich
Der Freiwilligensurvey zeigt — und Politik und Engagementförderung sind stolz darauf — dass sich Freiwillige durchschnittlich 10,2 Jahre engagieren — 32% sogar noch darüber hinaus (S. 107). Dabei zeigen sich naturgemäße Altersunterschiede: junge Menschen engagieren sich noch nicht so lange wie ältere. Vor allem bezüglich der Alterskohorten zwischen 14 bis 30 Jahren ist zu vermuten, dass diese Freiwilligen in einer Art Einstiegsphase begriffen sind, die auch den Anfang ihrer Engagementkarriere bildet. Dieser Einstieg kann als Orientierungsphase verstanden werden, in der sich junge Menschen die richtige Organisation mit den richtigen Themen suchen.
Im Laufe ihrer Tätigkeit — und das ist hier mit Engagementkarriere gemeint — bauen die Freiwilligen ihr Engagement nach eigenem Gusto aus. Sie erweitern den Umfang ihrer Tätigkeiten um die Aufgaben, die ihnen Freude bereiten (job enlargement) und / oder übernehmen dort Verantwortung, wo sie schon gewisse Erfahrungen gesammelt haben (job enrichment). Dieser Ausbau der eigenen Freiwilligentätigkeiten muss zwar nicht immer mit dem Engagement für ein und dieselbe Organisation einher gehen, doch ist sie häufig mit dem Ansehen und Stand der Freiwilligen in der jeweiligen Struktur verbunden, was früher oder Später die Wahl in den Vereinsvorstand erwarten lässt.
Statistisch liegt allerdings nahe, dass die Wahl in den Vereinsvorstand eher bei Männern denn bei Frauen zu erwarten ist. Sogar in den Bereichen, in denen Frauen Überrepräsentiert sind (z.B. Sozial- und Gesundheitsbereich) werden die ehrenamtlichen Führungspositionen zumeist von Männern besetzt (Freiwilligensurvey 167ff). Frauen dagegen scheinen an die nur allzu oft zitierte ‚gläsernen Decke‘ zu stoßen, die einen weiteren Aufstieg verunmöglicht.
Eine mögliche Erklärung: Die fürsorgende (Groß)Mutter
Die Unterrepräsentanz der Frauen in ehrenamtlichen Führungspositionen aber allein mit der Metapher der ‚gläsernen Decke‘ zu erklären reicht mir persönlich nicht aus. So habe ich mich auf die Suche nach Erklärungsansätzen gemacht und bin auch fündig geworden: Im Freiwilligensurvey wird der Rückgang der Engagementquoten von Frauen mit der Familiengründung erklärt, was auch mit den Daten anderer Studien übereinstimmt. Dem Statistischen Bundesamt (2007) folgend liegt das durchschnittliche Alter von Frauen bei ihrer ersten Geburt bei 26 Jahren, die zweite — und größtenteils auch die letzte — Geburt folgt im Durchschnitt drei Jahre später. Es liegt nahe, dass junge Frauen in der Familiengründungsphase vermehrt Heimarbeiten übernehmen, während die Männer weiterhin ihrem Engagement nachgehen. Da Heimarbeit nicht als freiwilliges Engagement gelten kann, fällt die Familiengründung in den Engagementstatistiken entsprechend auf.
Im Alter von 35 Jahren — rechnerisch neun Jahre nach dem ersten und sechs Jahre nach dem zweiten Kind — steigen die Engagementquoten von Frauen wieder sprunghaft an. Diese Phase wird im Freiwilligensurvey nicht zuletzt deshalb als „Familiengipfel“ (S. 168) bezeichnet, weil sich ein Gros der Frauen dann in den Engagementbereichen findet, die es ihnen möglich machen „zwei Fliegen mit einer Klappe [zu] schlagen — sich einerseits um ihre Kinder kümmern und sich andererseits in deren öffentlichem Umfeld engagieren“ (ebd.).
Nach dem Familiengipfel sinken die Engagementquoten von Frauen allerdings erneut, was wiederum vermuten lässt, dass sie ihre Engagementkarriere unterbrechen. Zunächst sinken die Quoten nur ein Stück, um dann vollends einzubrechen. Das erste Absinken könnte damit zusammenhängen, dass sich ab 45 Jahren — rechnerrisch 19 Jahre nach der ersten und 16 Jahre nach der zweiten Geburt — nicht mehr zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen, was aber den weiteren Einbruch ab 55 Jahren auf beinahe das gleiche Niveau wie bei jungen Frauen nicht zu erklären vermag. Mein Ansatzpunkt wäre hier, die (immer noch) weit verbreitete Rolle der Großmutter, die ihre (Schwieger-)Tochter in den ersten Jahren, in denen die Kinder noch klein sind, unterstützt. Damit beschränken sich also nicht nur junge Frauen auf die Familienarbeit sondern auch ältere, was die zwei Dellen in den Engagementquoten der Frauen erklärt.
Fazit — was nun?
Frauen sind in der deutschen Freiwilligenarbeit und vor allem in ehrenamtlichen Leitungspositionen deutlich unterrepräsentiert. In (fast) allen Alterskohorten liegen ihre Engagementquoten unter denen der Männer und selbst in den Engagementbereichen in denen sie die Mehrzahl bilden, besetzen sie die Führungspositionen mit den wenigen Männern, die sich dort finden lassen. Abseits naturalistischer Behauptungen á la ‚Frauen sind nun mal so‘, sehe ich einen möglichen Erklärungsansatz in der mehrmaligen Unterbrechung ihrer Engagementkarrieren zugunsten von Familienarbeit. Vielleicht trägt die öffentliche Gleichstellungsdebatte mittlerweile zarte Früchte, sodass sich die Unterbrechungen des Engagements auch bei Männern abzeichnen, doch von faktischer Gleichstellung kann wohl noch keine Rede sein.
Stellt sich also die Frage, welche Schlüsse hieraus nun zu ziehen sind. Könnten flexible Online-Engagements helfen, die Unterbrechung der Engagementkarrieren der Familie wegen abzufedern? Die Online-Freiwilligenarbeit ist schließlich nicht nur etwas für Männer. Zumindest bei den United Nation Volunteers ist knapp die Mehrzahl der registrierten Online-Volunteers weiblich (55%). Zwar lassen sich mit sporadischen Engagements, die vorrangig über das Internet erledigt werden, die Probleme einer — hierzulande vorherrschenden — Präsenzkultur nicht lösen, doch bieten sie Frauen zumindest eine Möglichkeit, die eigenen Stärken zu erproben und in der jeweiligen Engagementkarriere voranzukommen.
Vorausgesetz bleibt dabei aber, dass mein Erklärungsmodell auch so (einfach) zutrifft. Um das zu überprüfen, werde ich beim anstehenden BarCamp Frauenam 15. Oktober in der Berliner Kalkscheune eine Session unter dem Titel „Gendergap in der Engagementkarriere — welche Ursachen haben Unterbrechungen der Freiwilligenarbeit von Frauen?“ anbieten. Ich glaube, dass dieses BarCamp (in seiner zweiten Aufführung) genau das Publikum anziehen wird, mit dem sich dem hier beschriebenen Phänomen nachspüren lässt. Ich bin auf jeden Fall gespannt und werde sicherlich auch berichten.
* Zum Thema Engagementkarriere ist der Beitrag von Helmut Klages zum Thema Wertewandel zu empfehlen.
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Hallo Hannes,
interessanter Artikel. Ich vermute, dass Frauen in den ersten Jahren der Familienphase nicht wirklich einen Engagement-Einbruch erleben, sondern sich die Formen ihres Engagaments einfach derart verändern, dass sie sich statistisch nicht erfassen lassen. Mütter engagieren sich vermehrt im Umfeld ihrer Kinder, in der Kita, Schule, im Sportverein, organisieren Feste, Krabbelgruppen, Mitfahrgelegenheiten usw. Das sind viele punktuelle und auf das persönliche Lebensfeld bezogene Aktivitäten, die einen durchaus großen zeitlichen Anteil im Leben einnehmen, ohne dass sie irgendwo vezeichnet werden. Ein Online-Engagement ließe sich hier aufgrund der Flexiblität sicherlich gut verbinden. Es wäre wohl auch als statistisches Indiz interessant, um die (evtl. tatsächliche) Engagement-Quote in der Altersgruppe darzustellen bzw. zu bereinigen.
Was die Geschlechter-Verteilung in Führungspositionen angeht, ist es im Ehrenamt, denke ich, wohl nicht anders, als in anderen (sozialen) Berufsfeldern. Die Gründe sind aber bekanntermaßen sehr vielfältig.
Gruß
Julia
Hallo Julia,
du hast natürlich Recht, dass bei Weitem nicht alle Aktivitäten, die vielleicht noch als freiwilliges Engagement gelten könnten, im Freiwilligensurvey erfasst werden. Leider schweigen sich die Autorinnen und Autoren des Surveys darüber aus, welchen Grad an Verbindlichkeit ein Engagement haben muss, um noch als Freiwilligentätigkeit zu gelten. Vielleicht ist es wiklich so, dass sich Frauen eher sporadisch Engagieren und deshalb nicht erfasst werden, doch — glaube ich — beschränken sich diese Engagements tendenziell auf die Familienarbeit und Nachbarschaftshilfe, was definitiv keine Freiwilligenarbeit darstellt (z.B. die Organisation von Krabbelgruppen oder die Mitfahrgelegenheiten). Damit hast du mich aber auch schon auf eine mögliche Ursache für die Unterrepräsentanz von Frauen in ehrenamtlichen Führungspostitionen gebracht: Wenn sich Frauen (in ihrer traditionellen Rolle als Familienarbeiterin) in eben diesem Umfeld engagieren, bzw. ihr Engagement auf das familiäre Umfeld beschränken, sind Posten in der Vereinsführung doch ziemlich weit weg. Die werden dann mit Männern besetzt, die nicht so sehr an die Familienarbeit gebunden sind / werden — und das eben auch dort, wo Männer eigentlich die Minderheit bilden.
MH … vielen Dank Julia
Frauen engagieren sich, aber Männer besetzen das #Ehrenamt, – warum? @foulder über weibliche Engagementkarrieren http://t.co/3kuHFCmV
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