Mit neuen Wegen zum freiwilligen Engagement können jenen, die zwar angeben, „bestimmt“ oder „eventuell“ zum freiwilligen Engagement bereit zu sein, tatsächlich aber (noch) nicht aktiv geworden sind, entsprechende Teilhabemöglichkeiten angeboten werden. Letztes Jahr hatte ich hier im Blog geschrieben, dass 36% der Deutschen neue Wege zum freiwilligen Engagement brauchen und eine erste Analyse der Zielgruppe für sporadisches, projektbezogenes Online- und Micro-Volunteering versucht. Auf der Grundlage der Sinusmilieus des Heidelberger Marktforschungsinstituts Sinus-Sociovision formulierte ich folgende These:
24% der Deutschen gehören den beiden unteren Milieus des Prekariats und der Hedonisten an. Sie sind wohl nicht — oder nur ausnahmsweise — zum freiwilligen Engagement bereit. Die bürgerliche Mitte, wie die Traditionalisten und das konservativ etablierte Milieu (insgesamt 39%) engagieren sich eher in Form des wohlbekannten Ehrenamtes, während die restlichen 36% den oberen Milieus angehören, die sich (noch) nicht engagieren.
Zwar ist vor allem wegen der mangelnden analytischen Schärfe Skepsis geboten, doch scheint mir diese These nach wie vor stimmig: Einerseits finden sich die Quoten aus dem Freiwilligensurvey in der Clusterung der Sinusmilieus — zumindest in etwa – wieder und zum anderen passt die Grundorientierung der noch nicht engagierten Milieus — „Modernisierung/Individualisierung“ bzw. „Neuorientierung“ — sehr gut zur Annahme, dass neue Wege zum freiwilligen Engagement bereitet werden müssen. Nichtsdestotrotz will ich die Einteilung in „nicht Engagierte“, „Engagementbereite“ und „bereits Engagierte“ im Folgenden weiter präzisieren.
Nicht Engagierte, Engagementbereite und bereits Engagierte:
Es scheint mir wenig sinnvoll anzunehmen, für ganze Milieus Aussagen bzgl. der Engagementbereitschaft ihrer Angehörigen machen zu können. So rekurriert die Vermutung, Angehörige des Prekariats würden sich eher nicht engagieren, vor allem auf deren finanzielle Situation, die bei einigen Angehörigen des traditionellen Milieus, das bis weit in die Unterschicht reicht, auch nicht anders sein dürfte. Ähnliches gilt für das Milieu der Hedonisten, das seinerseits bis in die Mittelschicht reicht. Die Annahme, Hedonisten würden sich nicht engagieren, weil sie anderen Freizeitbeschäftigungen den Vorrang geben — ‚irgendwie nur am daddeln sind‘ — will nicht recht greifen (dazu auch Begemann et al. 2011): Nichts spricht dagegen, dass sich auch Angehörige dieses Milieus freiwillig engagieren — Freiwilligenarbeit nimmt mithin schließlich auch Eventcharakter an und macht vielen Engagierten definitiv Spaß.
Komplizierter ist allerdings die Einordnung der Liberal-Intellektuellen und des sozialökologischen Milieus. Beide werden der oberen Mittelschicht und Oberschicht zugeordnet, reichen aber bzgl. ihrer Grundorientierung nicht weiter in die Neuorientierung als die bürgerliche Mitte. Warum sollten sie also nicht auch zu den bereits engagieren gehören? Wenn sich die Angehörigen des sozialökologischen Milieus als konsumkritische bzw. -bewusste Menschen mit ausgeprägtem ökologischen und sozialen Gewissen beschreiben lassen, scheinen sie doch wie gemacht für das Engagement in Umwelt- und Naturschutz. Dagegen spricht lediglich, die idealistische Wertorientierung, die der institutionenzentrierten Zusammenarbeit im freiwilligen Engagement entgegen stehen könnte (siehe dazu auch Helmut Klages).
Die Liberal-Intellektuellen wiederum passen als „aufgeklärte Bildungselite“ sehr gut in das Schema des neuen Ehrenamts, wobei Angehörige dieses Milieus wohl eher in den Vorständen neuer Initiativen und Vereine zu finden sein dürften als an deren Basis. Es ist anzunehmen, dass sich zumindest ein Teil der Liberal-Intellektuellen mit der hierarchischen Strukturiertheit des herkömmlichen Ehrenamts zu arrangieren weiß. Wie auch die Konservativ-Etablierten und im Gegensatz zu Angehörigen des sozialökologischen Milieus, der bürgerlichen Mitte und den Traditionalisten dürften auch sie einen Führungsanspruch erheben, der sich nicht immer mit neuen Wegen zum freiwilligen Engagement oder der Weisheit von Vielen verträgt, weil er eben Hierarchie braucht.
Für eine Präzisierung der oben zitierten These scheint es mir also sinnvoll, über die Einteilung der Sinusmilieus eine weitere Clusterung zu legen, mit der den dargestellten Überschneidungen eher Rechnung getragen werden kann. Zu den „nicht Engagierten“ würde ich somit die untere Unterschicht zählen, zu der nicht nur das prekäre Milieu sondern auch Teile des traditionalistischen und des hedonistischen Milieus gehören. Zu den „bereits Engagierten“ zählten dann die Milieus mit traditioneller bis moderner bzw. individualistischer Grundorientierung ab der oberen Unterschicht bis zur Oberschicht, wobei den Milieus der Liberal-Intellektuellen und Sozialökologen nur zur Hälfte einbegriffen sind; Angehörige dieser Milieus dürften sowohl zu den „bereits Engagierten“ als auch zu den „Engagementbereiten“ zählen. Gänzlich zu den „Engagementbereiten“ und damit zur hauptsächlichen Zielgruppe für neue Wege zum freiwilligen Engagement schließlich würden dann sowohl das Milieu der Performer, das expedive Milieu, das adaptiv-pragmatische Milieu sowie Teile des hedonistischen Clusters und je die Hälfte der Liberal-Intellektuellen und der Sozialökologen gezählt werden müssen. Damit ergibt sich nun folgendes Bild.
Online-Volunteers: ‚digital natives‘?!
Mit Blick auf die zu Beginn dieses Jahres erschienenen Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet, bei der die Sinusmilieus hinsichtlich der Internetnutzung ihrer jeweiligen Angehörigen untersucht und in sieben „Internet-Milieus“ herausgearbeitet wurden, lässt sich zunächst annehmen, dass für Angehörige des Clusters der „Engagementbereiten“ „die digitale Welt einen wesentlichen Teil des Lebens [darstellt]“ (DIVSI 2012: 34). Insbesondere die „effizienzorientierten Performer“ und die „digital Souveränen“ decken sich mit dem Cluster der „Engagementbereiten“, wobei auch diese Milieus bis weit in die Oberschicht reichen. Damit ist auch hier von einem gewissen Führungsanspruch auszugehen, der sich bei diesen „digital natives“ allerdings anders manifestieren dürfte als bei den Etabliert-Konservativen und Liberal-Intellektuellen. Die eigene Leistung im aktuellen Engagementkontext und deren situative Anerkennung durch die Mitstreiter!nnen dürfte hier eher im Vordergrund stehen als das zu bekleidende Amt.
Fazit
Mit dem Online- und Micro-Volunteering ist ein möglicher Weg zum freiwilligen Engagement beschrieben. Zwar ist die Besetzung von Führungspositionen mit Online-Volunteers durchaus vorstellbar, doch bietet das freiwillige Engagement über das Internet vor allem die Möglichkeit der Mitarbeit. Damit verbunden ist sicherlich eine gewisse Reputation, die eine Engagementkarriere in hierarchischen Engagementkontexten möglich macht, doch scheint die bloße Mitarbeit über das Internet für die Verwirklichung konkreter Führungsansprüche (noch) unattraktiv. Damit lässt sich die Zielgruppe für das Online-Volunteering auf die Teile der effizienzorientierten Performer und digital Souveränen eingrenzen, die sich in Gänze mit dem adaptiv-pragmatischen Milieu und in Teilen mit dem hedonistischen und expediven Milieu überschneiden. In eben diesen Milieus gehört das Internet tatsächlich zum Alltag und liegt als Medium für persönliche Teilhabe näher als der Gang zur nächsten Freiwilligenorganisation — zumal dafür auch erst einmal ein Termin gefunden werden müsste.
#followpower
Wenn sich die Zielgruppe für das Online- und Micro-Volunteering, wie es mit der ZiviCloud forciert werden soll, also dergestalt eingrenzen lässt, müssen nun konkrete Möglichkeiten der Zielgruppenansprache ausgemacht werden. Sicherlich lassen sich mehr oder weniger erfolgreiche Varianten der Zielgruppenansprache von entsprechenden Kampagnen ‚abschauen‘. Die Frage ist also, welche Produkte (ob nun Kampagnen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich oder Konsumprodukte aus der Fernsehwerbung) werden von Menschen genutzt die von Sinus Sociovison als „mobile, zielstrebige junge Mitte der Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül“ beschrieben werden? Menschen denen sowohl Erfolgsorientiertheit, Kompromissbereitschaft, konventioneller Hedonismus als auch ein starkes Bedürfnis nach „flexicurity“ attestiert wird.
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Wie wird die "mobile, zielstrebige junge Mitte der Gesellschaft" in der TV-Werbung adressiert? http://t.co/bMOsZmWA #followpower #marketing
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[…] ansprechen und andere skeptisch werden lassen. Erst kürzlich habe ich versucht zu zeigen, dass die die Zielgruppe für neue Wege zum freiwilligen Engagement eher in neuorientierten denn in traditionsverhafteten Milieus zu suchen ist. Dabei habe ich […]
Die Milieuthese zur Engagementbereitschaft (http://t.co/bMOsZmWA ) in der aktuelle Forschungsliteratur: http://t.co/IfM0rnvr (FN 13)
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[…] freiwilliges Engagement in traditionellen NPOs zu begünstigen scheint. Ich hatte bereits mehrmals die These vertreten, dass sich die heute Engagierten Deutschen eher in den traditionsorientierten Milieus der […]