Prozess statt Moment — Engagement braucht Zeit!

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Wie sich freiwilliges Engagement attraktiver gestalten lässt, ist die Frage der noch bis Sonntag laufenden NPO-Blogparade von Brigitte Reiser und mir. Bei Vorträgen und Workshops werde ich oft gefragt, wie neue Freiwillige zu gewinnen und zu halten sind. Wie so oft kann ich hier nicht mit einem Masterplan aufwarten. Ich Glaube aber, dass ein Blick in die Motivationstheorie nützliche Anhaltspunkte für eine mögliche Antwort bieten kann.
Vom üblichen Material — dem Freiwilligensurvey — ausgehend, will ich hier kurz ein paar Motivationstheorien erläutern, die sich mit dem Begriff der „Kompetenzsteigerung“ klammern lassen. Drauf gebracht hat mich Lisa Schürmann, deren Masterarbeit ich mir hier im Blog schon genauer angeschaut habe. Auf der Erkenntnis-Grundlage, dass die persönliche Weiterentwicklung — die Steigerung immer individueller Kompetenzen — Menschen in ihrem Tun motiviert, will ich zeigen, dass freiwilliges Engagement eher als Prozess persönlicher Weiterentwicklung, denn als Moment der Mobilisierung verstanden werden sollte.

Was erwarten Freiwillige von ihrem Engagement?

Erwartungen an das Engagement FWS 2009Wie freiwilliges Engagement gestrickt sein muss, damit es für die Aktiven attraktiv ist, lässt sich im Freiwilligensurvey nachlesen: Der Spaß an der Tätigkeit und die Gewissheit, anderen Menschen helfen zu können bzw. gemeinsam mit anderen etwas für das Gemeinwohl zu tun, liegen ganz weit vorn. Im Mittelfeld folgen dann die Erwartungen, eigene Erfahrungen und Kompetenzen — auch generationenübergreifend — einbringen bzw. erweitern zu können und dabei eigene Entscheidungsmöglichkeiten zu haben. Auf den ‚hinteren Plätzen‘ schließlich folgen die Erwartungen, Anerkennung im Engagement zu finden und seine eigenen Interessen vertreten zu können.
Diese Befunde wurden schon unzählige Male zitiert und interpretiert. Um es kurz machen: Nur, weil der Spaß an der Tätigkeit im Durchschnitt am wichtigsten ist, heißt das nicht, dass der Fun-Faktor das freiwillige Engagement dominieren würde. Was die Engagierten selbst angeht dominieren zur Zeit die Gemeinwohl- und Interessenorientierungen. Das wiederum heißt aber nicht, dass freiwilliges Engagement nun keinen Spaß machen soll. Das heißt lediglich, dass in den Motivbündeln der Freiwilligen andere Faktoren wichtiger sind. Und auch diesen Befund sollte man nicht überstrapazieren. Gefragt wurden schließlich nur die freiwillig Engagierten, nicht jene, die sich „bestimmt“ oder „eventuell“ engagieren würden.

Wie kann die Motivation Freiwilliger erklärt werden?

Über das Stimmungsbild im freiwilligen Engagement hinaus, kann der Fragebogen mit den möglichen Erwartungen an das freiwillige Engagement noch für etwas anderes nützlich sein. Die Macher!nnen des Freiwilligensurveys haben sich ja etwas dabei gedacht, genau diese Fragen zu stellen und keine anderen. Dementsprechend finden sich hier Anhaltspunkte für gängige Theorieansätze, die zu erklären versuchen, was das freiwillige Engagement eigentlich attraktiv macht. Ich will im Folgenden ein paar mögliche Kandidaten kurz vorstellen.

Theorie des guten Lebens

Nahe liegt zunächst, sich mit dem klaren Favoriten des Fragekataloges zu befassen: dem Spaß an der Tätigkeit. Gemeinhin wird das Bedürfnis, Spaß zu haben, mit dem Hedonismus — der Theorie des guten Lebens — assoziiert. Nicht selten wird der Hedonismus vor der Folie weit verbreiteter  Wertvorstellungen als eine Art moderne Plage abgetan. Insbesondere jene, die sich nicht anzupassen bereit sind und ‚ihr eigenes Ding‘ machen wollen, werden als Hedonisten bezeichnet (z.B. in der SINUS-Jugendstudie). Menschen, so heißt es etwas allgemeiner, die nur tun, was ihnen Spaß macht, verkennen die Notwendigkeit, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft ihren Beitrag leisten müssen. Sie ignorieren die Interdependenzen moderner Gesellschaftssysteme und sind deshalb weniger zivilisiert (i.S. Norbert Elias).
Diese Lesart des Hedonismus ist eine ungerechtfertigte Abwertung. Zum einen beschäftigt sich die Theorie des guten Lebens nicht mit Fragen der Moral sondern einzig und allein damit, was ein gutes Leben ausmacht. Zum anderen — und das macht die Kritik tatsächlich kleinkariert — wägen wir alle für uns selbst potentielles Leid gegen potentielle Freude ab und treffen so Entscheidungen im Sinne des modernen Hedonismus. Hier klingt es bereits an: der Utilitarismus Jeremy Benthams bildet eine Grundlage für den modernen Hedonismus; eine Lehre des guten Lebens übrigens, die via Gamificaion bereits Einzug in die Sphären des Fundraising und der „Human Computation“(Luis von Ahn) gefunden hat. Anschauliche Beispiele für Verhaltensmanipulation via Fun-Faktor finden sich zum Beispiel unter  www.thefuntheory.com.

Theorie der Wertkongruenz

Die zwei Angaben, die dem Spaß an der Tätigkeit im Ranking des Freiwilligensurvey folgen und im freiwilligen Engagement in Deutschland seit 1999 immer wichtiger geworden sind, betreffen das Streben nach Wertkongruenz. Auch das eine Frage des guten Lebens! Anders als beim Hedonismus aber spielen hier Moralvorstellungen eine prominentere Rolle. Werte bezeichnen — etwas verkürzt — die Vorstellung vom Guten und Wünschbaren — etwas, das man anstrebt. Dementsprechend handelt es sich um Wertvorstellungen, die je nach Historie und kollektivem Erfahrungsschatz in einer Gesellschaft, einem Land oder einer Region mehr oder weniger weit verbreitet sind.
Der World Value Survey bspw. ordnet die in Deutschland vorherrschenden Wertorientierungen dem Cluster des protestantischen Europa zu, in dem säkulare Werte und die das Streben nach Selbstentfaltung vorherrschen. Diese allgemeine Verortung in Deutschland vorherrschender Wertorientierung finden sich etwas ausdifferenzierter in den Wertesurveys von Klages und Gensicke. Hier werden drei Dimmensionen von Wertorientierung genauer untersucht: die bürgerlichen Pflicht- und Akzeptanzwerte (Konvention, Sicherheit & Leistungsorientierung) die Selbstentfaltungs- und Engagementwerte (Phantasie, Kreativität, Toleranz & Hilfsbereitschaft) sowie die hedonistischen und materiellen Wertorientierungen (insbesondere Konkurrenzfähigkeit & Konsummöglichkeit).
Die Theorie der Wertkongruenz erklärt nun das Handeln von Menschen zum Versuch den eigenen Wertvorstellungen gerecht zu werden. Freiwilliges Engagement wird dementsprechend häufig auch als wertrationales Handeln (Max Weber) verstanden, das nicht unerhebliche Investitionen voraussetzt und von dem die Freiwilligen selbstverständlich erwarten, dass es sich lohnt.

Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienste seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit religiöse Weisung, Pietät oder die Wichtigkeit einer ‚Sache‘ gleichviel welcher Art ihm zu gebieten scheinen (Weber 2002: 12).

Theorie der Selbstbestimmung

Die Angaben der Wichtigkeit im freiwilligen Engagement mit anderen symphytischen Menschen zusammenzukommen, die eigenen Erfahrungen und Kenntnisse einbringen bzw. erweitern zu können sowie eigene Entscheidungsmöglichkeiten zu haben, betreffen die Theorie der Selbstbestimmung. Edward L. Deci und Richard M. Ryan sprechen hier von einer humanistischen Theorie menschlicher Motivation, der zu folge aus gefühlter Entscheidungsfreiheit eine intrinsische Motivation zur Kompetenzentwicklung erwächst, die sich wiederum positiv auf individuelles Wohlbefinden, Selbstwertgefühl sowie Selbstwirksamkeitserwartung (Albert Bandura) auswirkt und so die Motivation im Engagement weiter steigert.
Selbstbestimmte Bildung setzt dementsprechend einen sich selbst verstärkenden Kreislauf aus intrinsischer Motivation und Erfolgserlebnissen in Gang, der allerdings durch externe Einflussnahme korrumpiert bzw. unterminiert werden kann. Insbesondere materielle Formen der Anerkennung werden — so die Annahme — von den Freiwilligen in einen kausalen Zusammenhang mit der Tätigkeit gebracht, wodurch diese nicht mehr als selbstbestimmt erlebt wird (zsf. dazu Lisa Schürrmann 2013: 32).  Und auch immaterielle Formen der Anerkennung seitens der Organisation können sich negativ auf das Wohlbefinden der Freiwilligen auswirken. Stefan Güntert (2007) zeigt, dass die Anerkennung seitens der Organisation von Freiwilligen als ähnlich belastend empfunden wird wie „erlittene Bürokratie“ (mehr dazu hier).

Was ist der gemeinsame Nenner der Motivation Freiwilliger?

Motivationstheorien wie die von Wertkongruenz und Selbstbestimmung lassen sich relativ problemlos mit der Klammer der Kompetenzsteigerung versehen (siehe auch dazu Lisa Schürrmann 2013: 34f.). Hier wie dort ist der zentrale Punkt die Weiterentwicklung individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten der Engagierten. Diese Weiterentwicklung ist beim Hedonismus nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Und doch gibt es sie! Zur Erinnerung: Der moderne Hedonist wägt bei seinen Handlungsentscheidungen lediglich erwartbares Leid gegen erwartbare Freude ab und entscheidet sich für das rechnerisch geringere Übel. Was dabei Leid und was Freude ist, ist allerdings eine Frage individueller Neigungen (dementsprechend selbstbestimmt) sowie der Vorstellungen vom Guten und Wünschbaren (dementsprechend wertrational).
Es gibt Menschen, die Tage damit verbringen, auf hohe Berge zu klettern und sich dabei nicht selten in Lebensgefahr bringen. Es gibt Menschen die nächtelang auf LAN-Partys wirklichkeitsferne und höchst redundante Computerspiele spielen, ohne einzuschlafen. Und es gibt Menschen, die sich stundenlang in das Zusammenkleben maßstabsgerechter Modelle vertiefen können und dabei alles um sich herum vergessen. Das sind nur drei Beispiele für Tätigkeiten, die im Sinne des gängigen Verständnisses als moderne Plage sehr hedonistisch anmuten, die mit dem freiwilligen Engagement aber eines gemeinsam haben: Sie machen glücklich.
Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi machte sich seiner Zeit auf die Suche danach, was Menschen eigentlich glücklich macht bzw. zunächst, wann Menschen überhaupt Glück empfinden. Für seine Forschung zur „optimal experience“ stattete Csikszentmihalyi seine Probanden mit Piepern und Fragebögen aus. Immer wenn er sie anpiepte — das tat er natürlich nach dem Zufallsprinzip — sollten die Probanden einen Fragebogen ausfüllen, in dem sich Csikszentmihalyi nach den aktuellen Tätigkeiten und Befindlichkeiten erkundigte. Erstaunlicher Weise fühlten sich die Probanden gerade dort am glücklichsten, wo man es am wenigsten erwartete: bei der Arbeit. Csikszentmihalyi formulierte daraufhin seine Theorie des Flowerlebens:

… einem Gefühl, dass die eigenen Fähigkeiten ausreichen, eine gegebene Herausforderung in einem zielgerichteten, regelgebundenen Handlungssystem zu bewältigen, das deutliche Rückmeldung darüber bietet, wie gut man dabei abschneidet (Csikszentmihalyi 1992: 103).

Selbstverständlich taugt nicht jede Tätigkeit für den Flow. Sie muss zu den jeweiligen Kompetenzen und Neigungen passen. Außerdem — und auch das ist verständlich — muss sie mit der Zeit anspruchsvoller werden. Die Zeit bzw. der Zeitverlauf ist hier eine wesentliche Komponente! Eine Tätigkeit, vielleicht das Spielen eines bestimmten Comuputerspiels auf dem A-Level, macht eine Weile Spaß. Irgendwann aber wird es langweilig, weil das Spiel nicht mehr herausfordert. Man wechselt auf Level B … Die Langeweile bildet also die untere Begrenzung des so genannten Flows-Kanals. Und auch nach oben wird der Flow begrenzt: Die Tätigkeit darf nicht überfordern. Fängt man gleich auf Level F — also viel zu hoch — an, wird man die gegebenen Herausforderungen nicht meistern können und das Spiel bald frustriert abbrechen. Wenn man sich in einer Tätigkeit also zwischen Über-und Unterforderung einpendelt kann man in einen Flow geraten, für dessen Aufrechterhalten ebenfalls eine Kompetenzsteigerung notwendig ist.
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Der gemeinsame Nenner der vorgestellten Motivationstheorien ist also die individuelle Kompetenzsteigerung — die persönliche Weiterentwicklung, die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und das Streben nach der „optimal experience“ haben alle gemeinsam, dass der Akteur im Tun seine Fähigkeiten und Fertigkeiten wie von alleine ausbaut.

Wie lässt sich freiwilliges Engagement attraktiver machen?

Ich habe hier nur eine handvoll Motivationstheorien angerissen, von denen ich glaube, dass sie der oben dargestellten Abfrage im Freiwilligensurvey zu Grunde liegen. Es gibt sicher noch viele weitere! Einige davon lassen sich bestimmt mit der Kompetenzsteigerung klammern, andere vielleicht nicht. Ich will hier einfach annehmen, dass Kompetenzsteigerung ein wesentlicher Faktor ist, der Menschen in ihrem tun motiviert. Diese Klammer funktioniert allerdings nur, wenn jeder Kompetenz, so zwecklos sie auch scheint, eine Daseinsberechtigung eingeräumt und akzeptieren wird, dass Menschen versuchen gerade diese oder jene Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entfalten.
Nun ist es schwer zu leugnen, dass es spezielle Kompetenzen gibt, für die man Mühe hat, ein passendes Engagement zu finden. Mit den individuellen Kompetenzen verhält es sich allerdings wie mit der Motivation: Wir tragen ganze Bündel davon mit uns herum. Freiwilliges Engagement bietet Interessierten dementsprechend die Möglichkeit, einige Kompetenzen zu erweitern, währenddessen andere in anderen Tätigkeiten entwickelt werden können. Freiwilliges Engagement sollte dementsprechend als gleichberechtigt mit anderen (Freizeit-) Aktivitäten gedacht und nicht irgendwie in moralisierende Höhe getrieben werden. Zudem sollte das Freiwillige am freiwilligen Engagement auch nicht länger als Spende von Zeit oder Skill verkauft werden — viel besser trifft es doch die selbstbestimmte Wahl einer Kompetenz, die weiterentwickelt werden soll. Das wäre — nebenbei — auch ein Verständnis, dass die so oft geforderte Win-Win-Situation für Organisation und Freiwillige, die bei einer Spende ja durchaus schief hängen kann, in die Waage bringen würde.
Das Verständnis freiwilligem Engagements als Wahl zu entfaltender Kompetenzen ist eigentlich nicht neu. Bei Gesprächen, die in Freiwilligenagenturen vor der Vermittlung mit Engagementinteressierten an Freiwilligenorganisationen geführt werden, wird nichts anderes getan, als abzuklopfen, was die Leute interessiert und was sie machen möchten. Auch Engagements auf Probe zielen in diese Richtung. Allerdings glaube ich, dass dieses Verständnis von freiwilligem Engagement noch nicht wirklich durchgedrungen ist. Insbesondere im Bereich der ’neuen‘, der bit sized Netzengagements steht immer noch viel zu oft der Moment der Mobilisierung im Vorder- und der Prozess des Engagements im Hintergrund. Dabei liegt hier großes Potential! Kleine Engagements — ob sie nun über das Internet geleistet werden oder an einem bestimmten Einsatzort — können durch aus zu größeren werden. Es müssen einfach Bedingungen geschaffen werden, bei denen Online- und Micro-Volunteers ihre Kompetenzen einbringen und entfalten können. Das ist schließlich das, was freiwillige in ihrem Engagement motiviert.
tl;dr: Motivationstheorien gibt es viele! Klammern wie die der Kompetenzsteigerung lichten das Dickicht und machen den Blick dafür frei, dass der Prozess des Engagierens wichtiger ist als der Moment der Mobilisierung.

Kommentare

  • Interessante These, „dass freiwilliges Engagement eher als Prozess persönlicher Weiterentwicklung, denn als Moment der Mobilisierung verstanden werden sollte“. Dass Mobilisierung aber offensichtlich gelingt und für tausende von Menschen mit Spaß verbunden ist, zeigt der Beitrag von campact (http://blog.campact.de/2013/09/13899/). Wobei zu überlegen wäre, wie erfolgreich auf Dauer solche Mobilisierungsstrategien sind, wenn man sich Deine Ausführungen über den Wunsch nach Kompetenzsteigerung im Freiwilligenengagement durchliest. Anders gefragt: was kann man bei „decentralised events“ (s. campact) auf Dauer lernen? Aber hier scheinen ohnehin Spaß und Geselligkeit im Vordergrund zu stehen.
    Für mich zeichnet sich ab, wie wichtig die Pluralität der Zugänge und Möglichkeiten für das Ehrenamt ist (von Kompetenzsteigerung über Spaß bis zu xyz). Frage: inwieweit decken Organisationen derzeit diese Pluralität ab? Inwieweit wird diese zumindest reflektiert?

    • … da sind sie wieder die Schrebergärten. Mobilisierung für Protestaktion — auch kreative — ist ein Feld, in dem sich die einen Organisationen betun, das Ehrenamt im Feld der Daseinsfürsoge fördern die anderen. Gibt es da Beispiele für Zusammenarbeit, die über den Moment der kreativen Mobilisierung hinaus geht? Ich glaube nicht.
      Ich denke, genau deshalb muss man sehr genau über die jeweiligen Modelle freiwilligen Engagements, Aktivismus und / oder Ehrenamt nachdenken. Es gilt m.E. nicht nur zu definieren, was Freiwillige machen können und welche Gestaltungsspielräume sie haben, sondern auch, wohin das Engagement den Freiwilligen, die Organisation und die Hilfeempfänger führt? Es gilt eben mehr den Prozess des Sich-Engagierens in den Blick zu nehmen.

  • Hallo Hannes,
    Danke für eure NPO-Blogparade zu diesem Thema und für diesen interessanten Beitrag zur Motivation Freiwilliger – v.a. auch deine kritische Beleuchtung zur Mobilisierung!
    „Freiwilliges Engagement sollte […] nicht irgendwie in moralisierende Höhe getrieben werden. Zudem sollte das Freiwillige am freiwilligen Engagement auch nicht länger als Spende von Zeit oder Skill verkauft werden — viel besser trifft es doch die selbstbestimmte Wahl einer Kompetenz, die weiterentwickelt werden soll.“
    An diese wichtige These von Dir schließt sich meiner Meinung nach die Frage an: Stehen nicht gerade die steigende öffentliche Aufmerksamkeit des freiwilligen Engagements, die Diskussion über Qualifizierungen, die Funktionalisierung von freiwillig Engagierten (Anforderungen und Erwartungen an diese angesichts von demografischem Wandel und „knapper Ressourcen“) oft im Gegensatz zur Kompetenzentfaltung freiwillig Engagierter?
    Auch auf der 3. Ökumenischen Tagung „Gefordert und gefördert: Wie selbstbestimmt ist ehrenamtliches Engagement?“ (www.wir-engagieren-uns.org) am vergangenen Wochenende (20.-21.09.13) in Köln kam in Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden so immer wieder die Frage auf: Fokussieren sich gerade große Verbände und Freiwilligenorganisationen in ihrer Beschäftigung mit freiwilligem Engagement nicht zu sehr auf das „Was nützt uns freiwilliges Engagement und wo brauchen wir die Skills X, Y und Z für unsere Organisation?“ Und was macht das mit denjenigen engagierten Menschen, deren Kompetenzen und Motivation gerade nicht „angesagt“ sind, die sich aber gerade in den Gemeinden vor Ort oft Jahre-/Jahrzehnte-lang engagieren? Oder aber mit denjenigen Freiwilligen, die vielleicht mit neuen, ungewöhnlichen Ideen und kritischen Themen die Freiwilligenorganisation zur Hinterfragung/ Veränderung eigener Positionen und Abläufe anregen?
    Die (selbstkritische) Frage auf der von Evangelischer Kirche in Deutschland (EKD), dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und kirchlichen Verbänden organisierten Tagung lautete also immer wieder: Gibt es eigentlich auch von uns „ungewolltes Engagement“ und wie gehen wir mit den Kompetenzen und „Gaben“ von Engagierten um, die wir vielleicht gerade nicht versucht haben, zu „aktivieren“/ „mobilisieren“?
    Es bleibt zu beobachten, wie sehr diese Fragestellung auch über die Tagung hinaus im Blick bleibt. Und wie es kirchlichen (genauso wie nicht-kirchlichen!) Freiwilligenorganisationen gelingt, immer wieder Freiräume und Möglichkeiten zu schaffen, damit Menschen im freiwilligen Engagement Kompetenzen einbringen oder auch erst entdecken können.

    • Hallo Lisa, ich habe deinen Kommentar erwartet 🙂
      Ich denke, dass die Funktionalisierung freiwilligen Engagements als ‚Mittelchen‘, um den demographischen Wandel zu begegnen bzw. dessen Auswirkungen abzufedern, im Grunde keine schlechte Idee ist. Angesichts der wachsenden Pflegebedarfe und der aus Mobilität und Flexibilisierung resultierenden Vereinzelung und ggf. Vereinsamung, muss unsere Gesellschaft einfach etwas enger zusammen rücken.
      Dieses „Zusammenrücken“ spielt aber auf eine andere Ebene der Diskussion an, als die, die in der Öffentlichkeit geführt wird. Es geht hier nicht ums Geld, es geht um die Frage, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen und ob wir es uns leisten können, Alte, Kranke und Behinderte auf der Strecke zu lassen …
      Insofern sehe ich keinen Widerspruch zwischen individueller Kompetenzentfaltung und der Funktion, die man dem freiwilligen Engagement zuweisen kann. Wo es dann problematisch wird, ist, wenn freiwilliges Engagement nur noch als eine Art Job mit Anforderungsprofil und Stellenausschreibung gefördert wird (Das ist im Moment so!)
      Wenn es darum geht freiwilliges Engagement als Prozess zu verstehen, geht das auf der individuellen Ebene, wie ich es hier getan habe — also als Prozess der individuellen Kompetenzentfaltung. Dieser Engagement-Prozess kann aber auch aus der Meso- und einer Meta-Perspektive verstanden werden:
      [MESO-EBENE] Was passiert eigentlich mit Organisationen, wenn Freiwillige mitmischen? (Ein Standardthema im Freiwilligenmanagement) Und was will man, dass sich in der Organisation verändert (Stichwort „Lernende Organisation“)?
      [META-EBENE] Was passiert eigentlich in einer Gesellschaft, in der sich viele Menschen freiwillig / nachbarschaftlich engagieren? (Eine Frage, mit der sich die internationale Engagementforschung befasst) Und was möchte man eigentlich, dass sich verändert — oder so bleibt wie es ist — indem man Ehrenamt fördert?
      Ich glaube, wir reden viel zu wenig über die jeweils letzten Fragen. Auch deshalb wird freiwilliges Engagement als momenthafte Mobilisierung verstanden aus der — regelmäßig — Engagementbiographien und -karrieren erwachsen, die aber — trotz ihrer Häufigkeit — kaum bedacht werden; weder von den Engagierten noch von den Organisationen.

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