Gute Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement – 10 Tipps aus der Arbeitspsychologie

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Ob freiwilliges Engagement vor Ort, Event-Volunteering, Voluntourismus oder Online-Volunteering: Wer Ehrenamtlichen gute Rahmenbedingungen für ihr Engagement bieten kann, gewinnt. Und das gleich mehrfach!

  • Werbung für das freiwillige Engagement zu machen und Freiwillige für ’seine Sache‘ zu gewinnen, ist ein hartes Brot. Umso wichtiger, dass die einmal gewonnen Ehrenamtlichen dann auch bleiben.
  • Gute Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement wirken sich direkt auf die Zufriedenheit der Engagierten aus. Und das behalten die Freiwilligen in der Regel nicht für sich. Ein guter ‚word of mouth‘ ist für die Gewinnung weiterer Engagierter schon die halbe Miete.
  • Freude am ehrenamtlichen Engagement für Hilfebedürftige ist das eine. Das andere ist das Engagement für die Organisation. Vereine brauchen engagierte Vorstände, Kassenwarte und Schriftführer und die kommen bestenfalls von der Basis. Gute Rahmenbedingungen im Engagement begünstigen Ehrenamtskarrieren.
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Titel meines Inputs zum Workshop“Agiles Projektmanagement im Ehrenamt — Projekte so gestalten, dass sie GEIL sind“

Gute Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement

Grob gesagt, zählt alles, was die Arbeit betrifft, die freiwillig und unentgeltlich geleistet wird, zu den Rahmenbedingungen ehrenamtlichen Engagements. Dazu gehört der Umgang miteinander genauso wie die (technische) Ausstattung der Engagierten; das Maching von Teams und Tandems ebenso wie die Ausgestaltung der konkreten Aufgaben.

Etwas differenzierter freilich sehen das die Arbeitspsycholog!nnen der ETH-Zürich. Sie unterscheiden im Band „Psychologie der Freiwilligenarbeit“ zwischen Motivationspotential der Aufgaben und Merkmalen des orgnisationalen Kontextes (van Schie/Güntert/Wehner 2015:135). Da in der Praxis der aller meisten Nonprofits aber beides miteinander einher geht, wollen wir bei den folgenden 10 Tipps nicht weiter auf diesen Unterschied eingehen. Vielleicht nur so viel: Die ersten fünf Tipps beziehen sich auf die Aufgaben, die folgenden dann auf die Organisation.

1. Schafft Freiräume

Ehrenamtliches Engagement hat, wie man so schön sagt, einen Eigensinn. Das heißt, unbezahlte Arbeit hat nicht nur einen ganz eigenen Sinn, sondern ist auch verdammt eigensinnig. Und eben diese Eigensinnigkeit braucht ihren Raum. Wer minutiös und im Detail vorgibt, wie eine bestimmte Aufgabe zu erledigen ist, verbaut Freiräume zum Ausprobieren! Besser ist es, die Ehrenamtlichen frei und unabhängig über das Wie ihres Engagements entscheiden zu lassen und bei Bedarf Hilfe anzubieten.

Ob es genügend Freiräume im Engagement gibt, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Meine Freiwilligenarbeit ermöglicht es mir, Initiative zu übernehmen und nach eigenem Ermessen zu handeln.

2. Bietet vielfältige Aufgaben

Freiwilliges Engagement ist eine Freizeitbeschäftigung. In der Regel engagieren sich Menschen außerhalb ihres normalen Jobs, wenn sie nicht gerade mit Hausarbeit befasst sind. Diese freie, ungebundene Zeit ist eigentlich totsterbenslangweilig — es gibt ja nichts zu tun. Deshalb wird Freizeit zumeist mit kurzweilverschaffenden und sinnstiftenden Tätigkeiten gefüllt; z.B. Fernsehen, Sportmachen, Lesen, Schreiben oder sich eben ehrenamtlich Engagieren. Wer Ehrenamtlichen nun monotone Aufgaben auferlegt, macht die Freizeitbeschäftigung Ehrenamt nicht gerade konkurrenzfähiger. Besser ist es, für Abwechslung zu sorgen.

Ob es genügend Vielfalt im Engagement gibt, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Meine Freiwilligenarbeit ist sehr abwechslungsreich.

3. Macht das Engagement wichtig

Selbstverständlich ist freiwilliges Engagement nicht nur Kurzweil! Unbezahlte Arbeit hat auch ihren ganz eigenen Sinn — für die Engagierten selbst, die Organisation, die Kommune, die Gesellschaft … Das konkrete Warum des jeweiligen Engagements muss also allen Beteiligten sonnenklar sein. Wer Ehrenamtlichen nur Aufgaben gibt, die allem Anschein nach nichts Wesentliches zum Großen und Ganzen beitragen, beraubt dem Ehrenamt diesen Eigensinn. Besser ist es, den Beitrag, den die Engagierten leisten, als bedeutsamen Teil der Sache darzustellen.

Ob das Engagement wichtig genommen wird, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Das Ergebnis meiner Freiwilligenarbeit hat großen Einfluss auf andere Menschen.

4. Gestaltet Aufgaben griffig

Oft werden Tipps und Tricks aus dem Fundraising auch für das freiwillige Engagement übernommen. Zeitspenden heißt es dann, ist ja auch nichts anderes als Geldspenden. In gewisser Weise stimmt das auch. Wer etwas spendet — ob nun Geld oder Zeit — möchte wissen, was mit seiner Spende gemacht wird. Das Ehrenamt bietet die Chance nicht nur das Große und Ganze, sondern auch die einzelnen Schritte auf dem Weg dorthin erlebbar zu machen. Wer den Engagierten dieses Erlebnis durch zu viel Rotation und Arbeitsteilung kaputt macht, beraubt das Ehrenamt dieser Chance. Besser ist es die Engagierten (bestenfalls in Teams) ihre Projekte zu Ende bringen zu lassen.

Ob die Aufgaben griffig genug sind, könnt Ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Bei meiner Freiwilligenarbeit kann ich zu Ende bringen, was ich begonnen habe.

5. Gebt Engagierten authentisches Feedback

Gamification ist ein neues Schlagwort im Engagementbereich. Gemeint ist die Gestaltung von Aufgaben als Spiel (z.B. bei Fold.it). Der Vorteil daran ist, dass die Engagierten unmittelbar aus dem System deutliche Rückmeldung darüber erhalten, wie gut oder schlecht sie dabei abschneiden. „Die Konzentration ist dabei so intensiv, dass keine Aufmerksamkeit übrig bleibt, um an andere, unwichtige Dinge zu denken …“ (Csikszentmihalyi 1990: 103). Die Rede ist hier vom „Flow“, der nur mit authentischem Feedback möglich ist. Wer sich also ’nur‘ höflich bei seinen Engagierten bedankt und sich nicht traut, auch ein Wort der Kritik los zu werden, ist seine Engagierten bald los. Besser — viel besser — ist es die Aufgaben so zu gestalten, dass Rückmeldungen ‚automatisch‘ und unmittelbar gegeben werden.

Ob das authentische Feedback ankommt, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Bei der Ausführung meiner Freiwilligentätigkeit kann ich leicht feststellen, wie gut ich arbeite.

6. Lebt die Werte, für die ihr steht

Ehrenamtliches Engagement ist nicht nur zweckdienliche Kurzweil. Ehrenamtliches Engagement stiftet vor allem Sinn und Gemeinschaft. Das geht aber nur, wenn die gelebten Grundwerte der Engagierten und der Organisation zusammenpassen. Setzt sich ein Verein bspw. für gerechte Bezahlung ein, schafft aber gleichzeitig reihenweise prekäre Beschäftigungsverhältnisse (400 EURO Minijob + 200 EURO Übungsleiterpauschale = 800 EURO abgabenfrei im Monat), wird das hehre Ziel „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wohl nicht der Antrieb für das Engagement der Freiwilligen sein. Besser ist dann wahrscheinlich der Mut zur Lücke: Aufgaben, die schlicht nicht bezahlt werden können, werden dann auch nicht übernommen.

Ob diese ‚Wertekongruenz‘ besteht oder nicht, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Wären die Werte der Organisation anders, würde ich mich nicht mit ihr verbunden fühlen.

7. Informiert eure Ehrenamtlichen

Ehrenamtliches Engagement wird in einem regelgebundenen Handlungssystem geleistet. Leitsätze, Guidelines und Policys sind dafür nur einige, niedergeschriebene Beispiele. Andere sind stillschweigende Vereinbarungen oder Codes, die in der Organisation ‚irgendwie‘ selbstverständlich gelten. Um in diesem Handlungssystem mit Freude tätig zu sein, müssen Ehrenamtliche wissen, wie es funktioniert. Dabei gilt: Die richtigen Informationen müssen die richtigen Menschen erreichen. Wer seine Ehrenamtlichen mit allen — noch so abseitigen — Informationen versorgt, sie auffordert sich das jeweils wesentliche selbst herauszusuchen und bei Missgeschicken dann auf diesen Wust verweist („Steht doch im Handbuch“), macht sich keine Freunde. Besser ist es bei speziellen Informationen sehr genau darauf zu achten, wie nützlich sie für das jeweilige Engagement sind.

Ob der Informationsfluss gut funktioniert, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Ich werde gut über die Dinge informiert, die für meine Freiwilligentätigkeit wichtig sind.

8. Unterstützt eure Ehrenamtlichen

Das Freiwilligenmanagement bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Unabhängigkeit der Engagierten auf der einen, Steuerung und Kontrolle der Resultate auf der anderen Seite. Beides sind wichtige Bestandteile guter Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement. Doch wer sich zu sehr darauf verlegt, die Produktivität der Engagierten zu optimieren, läuft Gefahr, den Eigensinn des Engagements, die einzelnen Ehrenamtlichen und die Gemeinschaft, die sie bilden, aus dem Blick zu verlieren — mit langfristig fatalen Folgen. Besser ist es, die Autonomie der Engagierten zu erhalten und zu fördern; auch auf die Gefahr hin, dass gute Resultate etwas länger auf sich warten lassen.

Ob ihr von euren Ehrenamtlichen als hilfreiche Ansprechperson wahrgenommen werdet, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Meine Ansprechperson ermuntert mich, Fragen zu stellen.

9. Achtet auf den Anerkennungs-Mix

Anerkennung ist die Essenz freiwilligen Engagements. Je nachdem, wie Anerkennung und Wertschätzung gelebt wird, verändert sich der Modus des Miteinanders. Während die Anerkennung seitens der Organisation vor allem auf die langfristige Bindung von Ehrenamtlichen wirkt, motiviert die Anerkennung aus dem privaten Umfeld der Freiwilligen sowie die Anerkennung von Seiten der Adressaten des Engagements die Ehrenamtlichen unmittelbar. Sich also nur auf ein wohlwollendes privates Umfeld und dankbare Hilfeempfänger zu verlassen, ist eine ebenso schlechte Idee, wie die Beschränkung auf das institutionalisierte Dankeschön des amtierenden Obersten beim Helferfest. Besser ist es einen Anerkennuns-Mix zu brauen, in dem man sich einen guten Ruf in der Öffentlichkeit erarbeitet, den Adressaten des Engagements deutlich macht, dass es sich um Freiwillige handelt und auch das Helferfest, die Geburtstagsgrüße und Jubiläen nicht vergisst.

Ob euer Anerkennungs-Mix gut ist, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgenden Aussagen zustimmen:

Meine Freiwilligenarbeit wird in meinem privaten Umfeld geschätzt.

Meine Freiwilligenarbeit wird von [z.B. ‚den Patienten‘] geschätzt.

Meine Freiwilligenarbeit wird von den Mitarbeitenden meiner Organisation geschätzt.

10. Entwickelt eure Ehrenamtlichen

Ehrenamtliches Engagement ist sehr vielfältig — kein Mensch gleicht dem anderen. Das ist im Ehrenamt insofern wichtig, als es kein Schema F gibt, mit dem ihr allen gerecht werden könnt. Von Typen und Stilen der Ehrenamtlichen abgesehen sind auch ihre Interessen und Perspektiven unterschiedlich. Den einen ist eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung wichtig, den anderen die Bedeutung ihres Engagements und wieder andere wollen mit ‚ihrer Organisation‘ etwas bewegen. Mit der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für das jeweils individuelle Engagement lassen sich hier Weichen stellen:

  • Um einmal gewonnene Ehrenamtliche zu halten, sind Vielfalt, Wertekongruenz, Informationsfluss und Anerkennung aus dem privaten Umfeld von besonderer Bedeutung. Wenn man so will, sind das die Basics, ohne die es gar nicht geht.
  • Für den Spaß im Engagement wiederum sind Vielfalt, Wichtigkeit, authentisches Feedback, Informationsfluss, verlässliche Ansprechpersonen sowie Anerkennung und Wertschätzung aus dem privaten Umfeld wichtig.
  • Und für Ehrenamtskarrieren — bzw. das Engagement für die Organisation — sind Freiräume, Wertekongruenz, Informationsfluss und Anerkennung vonseiten der Organisation und ihren Mitarbeitenden von besonderer Bedeutung.

Ob eure ‚Personalentwicklung‘ im Ehrenamt Früchte trägt, könnt ihr ganz einfach rausfinden. Fragt eure Ehrenamtlichen, inwieweit sie folgender Aussage zustimmen:

Ich kann mich in meiner Freiwilligentätigkeit voll entfalten

Tschakka — Versuch einer Zusammenfassung

Gute Rahmenbedingungen sind im freiwilligen Engagement sehr wichtig, um einmal gewonnene Freiwillige zu halten, ihnen Spaß und Freude in ihrem Engagement zu bieten und Ehrenamtskarrieren in der Organisation zu ermöglichen. Wenn ihr euch einmal vergegenwärtigt, wie viele Gedanken ihr euch darum macht, wie ihr Ehrenamtliche gewinnen könnt und wie lange sich diese Ehrenamtlichen dann in eurer Organisation engagieren, stimmt ihr mir sicher zu, dass man sich eigentlich noch sehr viel mehr um gute Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement kümmern müsste. Aber nicht nach Standardschema F!

Die 10 Tipps für gute Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement stammen aus der Arbeitspsychologie. Sie sind — bitte berichtigt mich, wenn ich mich irre (!) — nützlich. Allerdings erklären sie in der Studie von Susan van Schie, Stefan T. Güntert und Theo Wehner (s.o.) nur etwa ein Viertel der Varianz im Datenmaterial. Das heißt der Effekt, den zum Beispiel ein guter Informationsfluss auf die Bindung von Ehrenamtlichen hat (das könnt ihr ganz einfach herausfinden …), ist für sich allein genommen recht gering. Das liegt daran, dass so nur direkte Wirkungszusammenhänge untersucht werden. Die restlichen drei Viertel der Varianz erklären sich dementsprechend anders. Im Klartext bedeutet das, dass es sehr viel Gestaltungsspielraum gibt, was sowohl vermittelnde Prozesse, wie zum Beispiel die Art und Weise des Miteinanders (Familiär, Freundschaftlich, Kollegial …) als auch zusätzliche Merkmale (wie vielleicht Gerechtigkeit und Solidarität im Engagement) betrifft. Langweilig wird’s im Freiwilligenmanagement also nicht.

tl;dr: 10 Tipps, die helfen, gute Rahmenbedingungen im freiwilligen Engagement zu schaffen

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