Zwei Thesen zum Online-Volunteering im Österreichischen Roten Kreuz

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Es muss schon im Oktober letzen Jahres gewesen sein, als mich Gerald Czech vom Österreichischen Roten Kreuz fragte, ob ich nicht Lust hätte, bei einer ÖRK-Konferenz in Krems an der Donau über das Online-Volunteering zu sprechen. Natürlich sagte ich zu. Das ÖRK ist schließlich eine jener vielversprechenden NPOs, die vielen anderen traditionellen Großorganisationen im deutschen Sprachraum vormachen kann, dass die Freiwilligenarbeit über das Internet auch für sie ein gangbarer Weg ist. Da Gerald und ich nun im Dezember diesen Workshop zum Online-Volunteering gemeinsam anbieten werden und das Thema „neue Wege zur Freiwilligenarbeit“ u.E. die Öffentlichkeit bekommen sollte, die es verdient, entschieden wir, den Workshop im öffentlichen Dialog über unsere Weblogs vorzubereiten. Ich mache heute den Anfang und will hier zunächst zwei Thesen formulieren, die den Nutzen des Online-Volunteerings für das ÖRK deutlich machen sollen. Natürlich kann sich jeder und jede einklinken – Ergänzungen, Hinweise und Kritik sind uns immer willkommen.

Online-Volunteering: Eine Ergänzung des Engagements ‚on-site‘

Wer die Webseite zur Konferenz besucht, bekommt zunächst die Botschaft präsentiert, das ÖRK hätte „die richtige Jacke für dich“. Pfiffige Freiwilligenwerbung würde ich sagen, doch trifft das auch auf mich zu? Hat das ÖRK auch Jacken für Ausländer, für nicht physisch präsente Sonderlinge, für Online- und Micro-Volunteers? Sicherlich nicht, für Online-Engagierte wird es künfitg eher Buttons für die Webseite geben, wie in der laufenden Facebook-Kampagne freiwillig 2011. Das auf der Webseite aber mit dem symbolträchtigen Kleidungsstück geworben wird, spricht doch Bände. Selbstverständlich ist das Rote Kreuz auf physisch präsente Freiwillige angewiesen. Die Zeit, in der Freiwillige Roboter über das Netz steuern werden, scheint mir (noch) in einer fernen und auch gar nicht so wünschenswerten Zukunft zu liegen. Und doch gewinne ich den Eindruck, dass dem On-Site-Engagement hier großer Wert beigemessen und das Online-Engagement entsprechend unterschätzt wird. Sicherlich kann das Online- und Micro-Volunteering den Rettungs- und Pflegedienst nicht ersetzen, Online- und Micro-Volunteers aber – das ist mein Vorschlag für die erste These – können die Arbeit ‚am Menschen‘ sehr gut ergänzen.
Aus der Katastrophenhilfe dazu zwei Beispiele:

  • Ein erstes Beispiel für die Unterstützung der Katastrophenhilfe vor Ort, lieferte Anfang 2010 das US-amerikanische StartUp „The Extraordinaries“. Nach dem katastrophalen Erdbeben im Januar 2010 auf Haiti setzen die Extraordinaries ein System auf, mit dem vermisste Personen ausfindig gemacht werden konnten. Dafür wurde die digitale Bilderflut aus dem haitianischen Katastrophengebiet zunächst mittels Schlagworten (bspw. „Mädchen“, „Junge“, „alte Frau“) kategorisiert und anschließend zusammen mit eventuell passenden Bildern von Vermissten (eben Jungen, Mädchen und alten Frauen) über eine iPhone-App angezeigt. Der Engagement-Task beschränkte sich dann nur noch auf das vergleichen zweier Bilder und das drücken eines von zwei Knöpfen: passt oder passt nicht. Die Zahl der so ausfindig gemachten Personen mag angesichts der Not tausender mit 24 recht mickrig scheinen, doch wer will schon sagen, dass es den Aufwand nicht Wert gewesen wäre?
  • Ein zweites Beispiel für die Unterstützung der humanitären Hilfe durch Online-Volunteers bietet zweifelsohne die Mapping-Plattform Ushahidi. Via SMS, MMS oder Online-Applikation werden auf den Karten von Ushahidi Krisengebiete und Konfliktherde in der ganzen Welt markiert und mit zur Verfügung stehenden Informationen versehen. Sicherlich lassen sich schon diejenigen, die die diversen Informationen auf den Karten von Ushahidi einpflegen als Micro-Volunteers bezeichnen, ohne das Engagement der vielen engagierten Webentwickler und Programmiererinnen aber wäre ein Crowdsourcing dieses Umfangs nicht möglich. Konnten sich für die Vermisstensuche der Extraordinaries nur Freiwilligen mit einem iPhone engagieren, ist Ushahidi mit beinahe allem kompatibel, was Daten senden kann.

Natürlich gibt es noch weiter Beispiele für wirkungsmächtige Freiwilligenarbeit über das Internet. Die beiden genannten sollten an dieser Stelle aber ausreichen, um einen Übertrag auf die praktische Arbeit des Österreichischen Roten Kreuzes zu wagen. Beide Beispiele zeigen schließlich, dass Online-Volunteers von zu Hause, vom Arbeitsrechner oder von unterwegs aus die Arbeit der freiwillig und hauptamtlich Mitarbeitenden vor Ort wirksam unterstützen können. Einerseits können sie Informationen recherchieren und über Webapplikationen zur Verfügung stellen, andererseits können sie eben diese Webapplikationen selbst (mit) gestalten und/oder programmieren. Wenn ich recht informiert bin, hat es diesbezüglich auch schon erste erfolgreiche Ansätze im ÖRK gegeben. (Twitter | Facebook)
Die wirksame Unterstützung durch Volunteers, die sich überwiegend über das Internet einbringen, muss dabei natürlich nicht nur auf die Katastrophenhilfe beschränkt bleiben. Wie der Erfolg des „Team Österreich“ zeigt, gibt es hier zwar großes Potential, doch ist der Einbezug auch in anderen Bereichen der Rotkreuzarbeit sinnvoll. Vorstellbar sind z.B. Online-Mentoring-Programme mit älteren und jüngeren Beteiligten, kollaborative Wissenssammlungen und -recherche sowie „Klickarbeit“ bei Testläufen von Webapplikationen …*

Online-Volunteering: Hierarchiearme Beziehungspflege für NPOs

Im Zuge meines Vergleiches der Online-Engagementangebote, die das Österreichische Rote Kreuz und 2aid.org auf Facebook einstellten, vermutete ich, dass das Engagementangebot des ÖRK vor allem einen strategischer Einbezug der Facebook-Fans als aktive Mitgestalterinnen und Mitgestalter darstellte. Zwar kommentierte Gerald, dass das Engagement der freiwilligen Übersetzerinnen und Übersetzer durchaus auch kompensatorischen Charakter hatte, doch bezweifle ich, dass darin die große Stärke dieser Art des Einbezugs lag. Einerseits wurde mit der Suche nach „virtuellen Freiwilligen“ einiges an Aktivität provoziert, was für den Betrieb von Facebook-Seiten niemals schlecht ist, andererseits zeigt ein Blick in die Infos zu den Kommentatorinnen und Kommentatoren, dass diese aus allen Ecken der Alpen (nicht nur aus Österreich) stammten. Mit ihrem Online-Engagement für den Dachverband des Österreichischen Roten Kreuzes – so meine nächste These für unseren Workshop im Dezember – wurde also die Beziehung zu einem eher abstrakten Gebilde intensiviert.
Das Engagement der etwa 51.000 Freiwilligen des Österreichischen Roten Kreuzes wird föderal organisiert. Es gibt 10 Landesverbände mit jeweils mehreren Bezirksstellen, die alle einem Dach- oder Bundesverband untergeordnet sind. Das hat den Vorteil, dass der lokale Bezirksverband für Engagierte durchaus greifbar ist. Die Ansprechpartnerinnen und -partner sind hier (bestenfalls) wohlbekannt. Interessierte können das jeweilige Büro der Freiwilligenkoordination besuchen, sich informieren oder vielleicht auch kritische Fragen diskutieren. Beim Landesverband (eine Ebene darüber) ist das schon schwieriger. Hier dürfte es eher um die strukturellen Rahmenbedingungen der Freiwilligenarbeit und die Lobbyarbeit gehen. Sicherlich ist freiwilliges Engagement auch hier noch möglich, doch das Retten, Bergen und Pflegen muss man sich an dieser Stelle schon dazu denken. Im Bundesverband (noch eine Ebene höher) schließlich geht es um grundsätzliche Fragen der Imagepflege und des Marketing, der Ressourcenbeschaffung und der (internationalen) Netzwerkarbeit, was den Einbezug freiwilligen Engagements noch schwieriger erscheinen lässt. Je höher also die Eben dieses hierarchischen Systems, desto abstrakter die Arbeit, die dort geleistet wird und desto weniger hat die Freiwilligenarbeit dort (wenn sie überhaupt möglich ist) noch etwas mit dem zu tun, was weithin mit dem Roten Kreuz in Verbindung gebracht wird. Und dennoch macht die Ermöglichung des Online-Engagements auf allen Ebenen Sinn:

  1. Auf der lokalen Ebene macht die Online-Beteiligung Freiwilliger Sinn, weil sich so auch Menschen in die (notwendige) Koproduktion sozialer Dienstleistungen einbringen können, die ihr zu Hause oder ihren Arbeitsplatz nicht ohne Weiteres verlassen können. Gemeint sind hier nicht nur Menschen mit Behinderung, die wie alle anderen auch ein Recht auf Partizipation haben. Gemeint sind hier auch Frauen und Männer mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen. Mit dem Ansatz der Koproduktion können Hierarchien zwischen den Leistungsempfängern und -erbringern – seien es nun Freiwillige oder Hauptamtliche – abgebaut werden, weil die Leistungserbringung so gestaltet wird, dass alle Seiten damit einverstanden sind und sich niemand als eine Art ‚Abnehmer wider Willen‘ sehen muss.
  2. Sicherlich sind solcherlei Koproduktionsansätze auch auf Landesebene denkbar, des höheren Abstraktionsgrades wegen aber schwieriger umzusetzen. Da es hier eher um die strukturellen Rahmenbedingungen und die Einflussnahme auf politische Prozesse im Land geht, ist das freiwillige Online-Engagement hier vor allem bei der kollaborativen Erarbeitung von Konzepten und Papieren denkbar. Und auch dieses etwas trockene Engagement würde (a) die Hierarchie zwischen Landesverband und freiwilligen Unterstützerinnen und Unterstützer abbauen helfen und (b) auch einiges an Mobilisierungspotential (bspw. für politische Aktionen) beim Landesverband bündeln.
  3. Auf der drittgenannten Ebene, der des Bundesverbandes, vermag ich schließlich nur gelegentliche Ansatzpunkte für die Koproduktion zu erkennen. Einer davon war natürlich die gemeinschaftliche Erarbeitung der Social Media Policy des Österreichischen Roten Kreuzes, bei der sich vielerlei Akteure einbrachten, die mithin auch nicht zum ÖRK gehörten. Vielleicht lassen sich auf diesem Wege auch Tool-Kits nach dem Vorbild von Green Action erstellen, doch reicht meine Phantasie darüber hinaus nicht mehr weiter.* Das Online-Volunteering sehe ich auf dieser Ebene vor allem als eine Möglichkeit aktive Unterstützung möglich zu machen und den Dachverband via Social Media ein Stück näher an die Lebenswirklichkeit seiner Stakeholder zu rücken.

Vielleicht sind meine hier formulierten Vorstellungen von der föderalen Struktur des ÖRK und den Aufgaben der jeweiligen Verbandsebenen nicht an allen Stellen richtig. Ich hoffe Gerald wird – wenn nötig – Licht ins Dunkel bringen, denn ich glaube, dass die Freiwilligenarbeit (online oder on-site) und die organisationale Struktur in einer Wechselwirkung zueinander stehen, der mit Bedacht begegnet werden muss. Freiwilligenmanagement meint nicht die bloße Verwaltung des Ehrenamts, sondern auch die stete Organisationsentwicklung, die die Kenntnis der jeweiligen Strukturen voraussetzt.
*Für die Diskussion in Workshops und Seminaren haben kreative Vorschläge großen Wert. Einige Vorschläge habe ich hier schon formuliert, einige wurden bereits auf der Facebook-Seite des ÖRK eingebracht. Wenn du auf die Schnelle allerdings eine Idee hast, wie sich Freiwillige auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene  einbringen könnten, schreib sie doch einfach in die Kommentare unter diesem Beitrag. Vielen Dank.

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