Nächste Woche bin ich zum dritten Mal auf der re:campaign anzutreffen. Die „kleine Schwester“ der re:publica, mit dem verheißungsvollen Untertitel „die besten Kampagnen im Netz“, hat sich seit 2010 zu einer Art „Klassentreffen des digital-sozialen Sektors“ entwickelt. Wie die Netz-Kommunikation zu mehr politischer Mitbestimmung führen kann, ist die Frage, auf die sich die Veranstaltung konzentriert. Die letzten Male habe ich die re:campaign als Doku-Blogger und O-Ton-Mitschneider unterstützt, dieses Mal bin ich mit einer eigenen Session am Start — selbstverständlich mit meinem liebsten Thema: Online- und Micro-Volunteering.
Unter dem Titel „Mach‘ es zu ihrem Projekt — New Volunteer Management im Campaigning“ will ich versuchen, Freiwilligenmanagement und Campaigning miteinander zu verknüpfen. Ich habe die Session lila — ‚für Fortgeschrittene‘ — markieren lassen, weil ich diesmal gern über die Basics der Mobilisierung von Freiwilligen mit dem Einsatz von Internet und Social Media hinaus gehen und eher das Volunteer Management und die Entwicklung von Engagement und Comitment in den Blick nehmen würde. Die Stunde dafür ist günstig! Das große Interesse an der Mobilisierung freiwillig Engagierter aus dem letzen Jahr haben die Veranstalter!nnen dieses Jahr aufgenommen und Betsy Hoover mit einer Keynote zu Freiwilligen-Mobilisierung eingeladen.
Hoover wird sicherlich interessante Learnings aus der Obama-Kampagne 2012 mit nach Berlin bringen, ich befürchte allerdings, dass sich der „Obama-Effekt“ nicht eins zu eins nach Deutschland übertragen lässt. Für eine derart breite Mobilisierung fehlt es in Deutschland einerseits an OpenData und andererseits an einer gewissen ‚Hans-Dampf-Mentalität‘, die Christoph Bieber im Hörsaal-Podcast von DRadio-Wissen anspricht. Weiterhin — und auch davon Spricht Bieber in seiner wirklich hörenswerten Vorlesung — hat das Obama Kampagnenteam schon vor Jahren ganz klein angefangen, den Long Tail rückwärts zur Maße zu gehen; und zwar über Pflege der eigenen Community und die datenbasierte Zielgruppensegmentierung.
Eben diese Aspekte des Campaigning verbinde ich in der Session zum New Volunteer Management mit meinen Leearnings zur freiwilligen Engagement, dem Online- und Micro-Volunteering sowie der Theorie ‚posttraditionaler Vergemeinschaftung‘ in Szenen. Eine der zentralen Fragen ist, wie der Anflug engagierter Unterstützer!nnen erfolgreich gemanaget werden kann. Die Metapher der Flugzeuglandung hatte ich schon das eine oder andere Mal bemüht; unter anderem in meinem Ad-hoc-Vortrag auf der Berliner SocialBar.
Der Beginn: über den Sinn freiwilligen Engagements
Die These hinter der Metapher ist die, dass sich Commitment und Engagement sukzessive entwickeln und dementsprechend gepflegt werden müssen. Wer seine Unterstützer!nnen gleich zu Beginn überfordert wird es mit hohen Abbruchraten — metaphorisch gesprochen: mit Bruchlandungen und Durchstartern — zu tun bekommen. Diese sukzessive Entwicklung von Engagement und Commitment ist kein neues Phänomen unserer Zeit. Das war schon immer so! Auch die Hochengagierten unserer Tage haben dereinst klein begonnen; informell in der Nachbarschaft, in der Kirche oder im Jugendclub. Über die Zeit haben sie ihr Engagement aufrecht erhalten und ausgeweitet — vielleicht weil sie Spaß daran hatten, vielleicht, weil es sie auch persönlich oder beruflich weitergebracht hat, vielleicht, weil sie sich irgendwie verpflichtet fühlten …
Die Motivation, die freiwilliges — unentgeltliches (!) — Engagement antreibt, ist individuell verschieden und wandelt sich mit der Zeit. Mithin beginnen Freiwillige ein Engagement aus altruistischem Antrieb, merken dann, dass es auch ihnen etwas bringt und bleiben aus egoistischen Motiven im Engagement. Manchmal ist es andersherum. Das Freiwilligenmanagement ist deshalb sehr darauf angewiesen, die Freiwilligen und ihren Lebenswandel gut zu kennen. Im Campaigning kann sich das schwierig gestalten. Zwar ist die Zusammenarbeit mit einer übersichtlichen Schar von Freiwilligen in der Kampagnenarbeit möglich und sinnvoll, doch geht es ja häufig gerade darum, größere Gruppen zu mobilisieren. Hier ist die Frage, was die einzelnen antreibt, müßig. Hier geht es eher darum, zielsicher passende Engagementangebote unterbreiten zu können. Die Zielgruppe zu segmentieren und sie mit Themen und Aufregern zu versorgen, auf die sie schon früher angesprungen sind. Es geht viel darum die Resonanz aus dem Netzwerk aufnehmen zu können — meint, die eigene Community (nicht jeden Einzelnen) zu kennen.
Mein Vorschlag also: Wir verfolgen den Strang der individuellen Motivation freiwilligen Engagements vorerst nicht weiter und nehmen stattdessen den des Sinns freiwilligen Engagements auf. Sinn ist etwas anderes als Motivation! Motivation ist der Antrieb in eine bestimmte Richtung, Sinn ist der Rahmen, in dem wir uns (sicher/unauffällig/wie selbstverständlich) bewegen. Für passende Engagementangebote — vom sekundenschnellen Clicktivism bis zum jahrzehntelangen Ehrenamt — heißt das, dass sie für die Adressat!nnen sinnvoll sein müssen.
Das Modell: Szenen als Issue-Netzwerke
So banal es nun klingen mag, dass nur sinnvolle Angebote auf Resonanz stoßen, so schwierig kann es sein, herauszufinden, was für andere sinnvoll ist. Warum z.B. schreiben manche Menschen stets ins Netz, was sie gerade machen oder denken? Warum klettern manche ohne Not auf hohe Berge? Warum rennen andere am Morgen oder zum Feierabend durch den Park? Und warum tun sie es so häufig gemeinsam?
Einen Eindruck davon, welcher Sinn hinter dem Tun von Menschen steckt, liefert das Modell der Sinus Milieus. Hier wird die Gesellschaft auf den Achsen Grundorientierung (von traditionell bis postmodern) und soziale Lage (Unter-, Mittel- und Oberschicht) in Milieus oder Lebenswelten geclustert. Wer ein wenig sucht, kann sich einen relativ guten Überblick darüber verschaffen, wie die Angehörigen unterschiedlicher Milieus ‚ticken‘ — welchen Sinn sie z.B. im Ehrenamt sehen. Sehr viel mehr als einen ersten Einblick aber kann man sich mit den Sinus-Milieus nicht verschaffen. Insbesondere dann, wenn es darum geht, treffsicher sinnvolle Engagementangebote zu entwerfen, wird es schwierig. Mit so allgemeinen Dingen wie „Flexicurity“ (neu orientierte Mittel- und Oberschicht), „Distinktion“ (traditionelle und moderne Oberschicht) oder „Resignation/Delegation“ (moderne Unterschicht) kommt man hier nicht weit.
Zum Glück liefert die Sozialwissenschaft auch noch andere Modelle — z.B. das der „Szene“. Szenen sind soziale Gebilde, die durch kollektive Inszenierung öffentlich sichtbar werden und sich selbst stabilisieren. Sie bestehen zunächst aus dem, was einst das Publikum war („The people formaly known as audience“) — einem Kollektiv ähnlich ‚gestrickter‘ Menschen, die ein bestimmtes „Erlebnisangebot“ (vom Block Buster im Kino bis zur Antifa-Demo) gemeinsam konsumieren (Schulze 2005: 460). Szenen kommen ohne Institutionen aus. Allein durch das gemeinsame Tun — die kollektive Inszenierung — entwickeln sie z.B. eine gemeinsame Sprache. Durch eben diese gemeinsame Sprache — aber auch durch Standardthemen, -techniken und -formen (dem „Was“, dem „Wie“ und dem „Womit“) — grenzen sich Szenen nach außen ab und schaffen nach innen das Wir-Gefühl einer Gemeinschaft, die sich selbst gegenwärtig und damit mächtig werden kann („revolutionäre Netze“).
Das Interessante an dem Modell der Szene ist nun, dass es sich um ein „zentralistisches Gebilde“ handelt, das sich um einen Szenekern strukturiert (Hitzler et al. 2005: 27). Den Szenekern bildet die „organisatorische Elite“, diejenigen, die (auch mit kommerziellem Antrieb) Erlebnisangebote schaffen. Um diese Eliten gruppieren sich die „Friends“ der Organisator!nnen und die „Heavy-User“, zwei Gruppen, die die Erlebnisangebote kennen und regelmäßig nutzen. Und um diese Stammgäste schließlich gruppieren sich die „Szenegänger“, jene Personengruppe, die auf Events der Szene kurz mal auftaucht um dann gleich wieder zu verschwinden. Egal aber wie kurz oder lang jemand in der Szene auftaucht, er oder sie inszeniert das Schauspiel nach dem Vorbild und in Interaktion mit den anderen. Anders ausgedrückt: Szenen sind relativ einfach wähl- und abwählbare, vororganisierte Erfahrungsräume, die von außen zwar nicht recht zu greifen, nach innen aber relativ stabil sind, was u.a. an den Netzwerken liegt, die — ausgehend vom Szenekern — mit der Zeit geknüpft werden.
Um seine Zielgruppe nach Sinnhorizonten zu segmentieren ist das Modell der Szene nützlich. Einerseits kann anhand weniger Fälle untersucht werden, was eigentlich sinnvolle Engagementangebote sind, andererseits sind Szenen sehr gut vernetzt und dementsprechend für virale Kampagnen geeignet. Trifft man den Nerv — das Issue — der Gemeinschaft, beginnt das Netzwerk zu schwingen. Um diesen Nerv aber treffen zu können, ist die Untersuchung von Szenen, in denen Teile der eigenen Community aktiv sind, notwendig. Dabei geht es gar nicht so sehr um das „Was“, sondern vielmehr um das „Wie“ und „Warum“ etwas getan wird. Ein gutes Beispiel dafür sind Spendenläufe. Was getan wird ist klar: die Teilnehmenden laufen. Wie sie es tun wird schnell offensichtlich: sie tun es gern gemeinsam. Warum sie es aber tun ist wirklich interessant: Einerseits tun sie es, um fit zu bleiben oder ggf. einem verbreiteten Schönheitsideal nahe zu kommen, andererseits steht im Hintergrund aber auch Möglichkeit, damit etwas Gutes zu tun.
Das Management: Zielgruppen besser kennen lernen
Wie beim freiwilligen Engagement im Allgemeinen läuft das, was in der Gesellschaft als gut und nützlich gilt, also auch beim Szeneengagement eher im Hintergrund. Im Vordergrund steht die irgendwie sinnvolle Tätigkeit mit anderen — der Spaß oder die Freude, um im Jargon der Engagementförderung zu sprechen. Nun gibt es neben den Spendenläufen natürlich noch viel mehr sinnvolle Engagementangebote. Da gibt es z.B. das Engagement als Botschafterin oder Botschafter einer guten Sache, die Mitarbeit — vll. als Spende von Zeit oder Manpower — in Projekten, die Unterstützung durch kreative Ideen und sicherlich noch einiges mehr. Die Frage, die beim New Volunteer Management im Vordergrund steht, ist die, welche Engagementangebote am besten zu welchem Zielgruppensegment passen, bzw. wie Engagementangebote eigentlich gestrickt werden müssen, dass sie von den einzelnen Zielgruppensegmenten als sinnvoll wahrgenommen werden.
Um den Sinnhorizont — das „Warum“ — anderer Menschen zu erforschen, werden in der Sozialwissenschaft Relevanzen untersucht. Man lässt die anderen einfach mal machen — bei narrativen Interviews erzählen — und beobachtet genau, was sie wie tun, um dann Schlüsse auf das Warum zu ziehen. Auf das Management von freiwillig Engagierten ist das nicht ganz einfach umzumünzen, weil das Was getan werden soll zumindest im Groben vorher feststeht. Möglich ist es allerdings den Unterstützerinnen eigene Projekte zu ermöglichen und dann zu beobachten, wie sie diese umsetzen. Mit Greenaction macht Greenpeace z.B. so etwas möglich. Würde man nun beobachten, wie die Engagierten bei Greenaction die Projekte im Einzelnen umsetzen, könnte man Schlüsse darauf ziehen, warum sie es überhaupt tun und daran anschließend wiederum neue (sinnvolle) Engagementangebote — vom sporadischen Micro-Volunteering, über die Projektleitung bis zum Engagement in Gremien und AGs — erarbeiten.
Im Kern ist das New Volunteer Management also ein an die Grounded Theory angelehnter Forschungsprozess, mit dem Ziel seine Unterstützer-Community datenbasiert zu segmentieren und die einzelnen Segmente mit sinnvollen Engagementangeboten zu versorgen. Das Engagement selbst — ‚the done work‘ — ist anders als beim Freiwilligenmanagement beim New Volunteer Management das Nebenprodukt der Entwicklung von Commitment und Engagement. Das hehre Ziel ist es, (auch virtuelle) Unterstützer-Gruppen zu bilden, die die Kampagne auf ihre eigene Weise in ihren eigenen Netzwerken verbreiten.
tl;dr: Aus einer Mixtur meiner Arbeits- und Interessenfelder der letzten Jahre, dem Online- und Micro-Volunteering, posttraditionaler Vergemeinschaftung und der empirischen Sozialforschung entsteht eine Art Freiwilligenmanagement 2.0. Das Modell des New Volunteer Management stelle ich Montagabend auf der re:campaign vor
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[…] hatte ich mich in meinem Vortrag ein bisschen verrannt. Warum eigentlich? Hatte ich das nicht vor der Konferenz schon in meinem Blog beschrieben? Das hatte ich! Doch empfand ich das Szene-Engagement eben nicht nur als nützliches AdOn des New […]
[…] Theorie der Szenen (ebd. 459ff.). Über das Modell dieser “Issue-Netzwerke” hatte ich hier im Blog schon einmal […]