Online-Volunteering, Micro-Volunteering, Crowdsourcing: What's new about it?

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Seit längerem beschäftigt mich die Frage, die ich jetzt (endlich) mal über meinen Blog in die Runde werfen will: Was ist eigentlich neu am Online-Volunteering; am freiwilligen Engagement über das Internet. Es gibt ja im Grunde keinen großen Unterschied zwischen dem Online- und dem On-Site-Volunteering, eine These, die auch Susan J. Ellis und Jayne Cravens dem neu aufgelegten Virtual Volunteering Guidebook (wieder) lancieren. Beim Online-Volunteering engagieren sich die Freiwilligen eben ortsunabhängig über das Internet, beim On-Site-Volunteering sind sie physisch zugegen. Doch stimmt das wirklich? Gibt es sonst nichts neues am Online-Volunteering und seinem Pendant für die Hosentasche, dem Micro-Volunteering?

Thesen, Thesen, Thesen

In der Engagement-Szene, die ich seit einigen Jahren recht intensiv beobachte, steigt die Bedeutung des Internets — in manchen Bereichen ausgehend von sehr niedrigem Niveau — seit Jahren stetig an. Bei genauerem Hinschauen, finden sich viele Beispiele für Organisationen und Initiativen, die Online-Volunteering möglich machen, wie ich es dereinst mal als ortsunabhängiges Engagement unter Zuhilfenahme der Mittel und Möglichkeiten des Internets beschrieben habe. Die Beispiele sind so zahlreich, dass ich mittlerweile dazu übergegangen bin, Kategorien zu bilden, um den Überblick nicht zu verlieren. Doch trotz des augenscheinlichen Anstiegs der Bedeutung des Internets im freiwilligen Engagement ist das Internet in der Engagementforschung noch nicht auf sonderlich großes Interesse gestoßen.
Dabei wäre es doch interessant zu eruieren, welche Auswirkungen das Internet auf das freiwillige Engagement hat. Bis heute kann man dazu einige Studien, Bücher und Artikel lesen, über mehr als interessante Thesen kommt man dabei allerdings nicht hinaus:

  • „Der Siegeszug des Internets wirkt sich deutlich und nachhaltig auf den Freiwilligensektor aus“ (Gensicke/Geiss 2010). Dort, wo die Nutzung des Internets nahe liegt, wird das Netz wie selbstverständlich auch genutzt — z.B. in der politischen Interessenvertretung. Dort wo man erst um die Ecke denken muss, um Online-Einsatzmöglichkeiten zu finden — z.B. im sozialen Bereich — ist die Internetnutzung selten.
  • Die (politischen) Aktivitäten junger Menschen in Internetgruppen wie auch ihre Contentproduktion in Foren und Blogs sind „neue Formen des internetgestützten Engagements“, die sich als „Vorformen eines Engagements 2.0“ beschreiben lassen (Begemann et al. 2011)
  • Auf dem Umweg über das Internet — speziell die Entstehung thematisch klar abgegrenzter Mitmachangebote — hält das so lange empirisch nicht eindeutig nachgewiesene ’neue Ehrenamt‘ mit seinen Kurzzeiteinsätzen ohne Aussicht auf weitere Anbindung an eine Freiwilligenorganisation nun doch Einzug in Deutschland (Sybille Picot).

Mich würde wirklich mal ein vertiefter Blick in die Empirie interessieren; selbstverständlich ganz besonders zum Online-Volunteering. Da gibt es ja schließlich auch ein paar interessante Thesen:

  • Das Online-Volunteering ist wie gemacht für Frauen — insb. die in der „Nest(bau)phase“ (zw. 20-34 Jahren). Ihre Engagementquoten sind nach denen der Älteren (75+) die niedrigsten aller Altersgruppen, weil sie sich in der Zeit der Mehrfachbelastung von Familiengründung und Übergang Schule/Studium/Ausbildung zum Beruf inkl. Orientierung und Etablierung im Arbeitsleben eher dem Privaten zuwenden (müssen). Die Statistiken der United Nation Volunteers zeigen, dass sich zumindest in der internationalen Entwicklungshilfe überdurchschnittlich viele Frauen als Online-Volunteers tummeln.
  • Das Online-Volunteering ist kein exklusiv jugendliches Engagement. Online-Volunteers sind eher etwas älter und schon im Berufsleben angekommen (zw. 24 und 34 Jahren). Sie nutzen das Internet nicht vorrangig konsumtiv sondern begreifen es als Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zielgerichtet für einen guten Zweck — oder was sie eben dafür halten — einzubringen.
  • Das Online-Volunteering ist in Deutschland schon weit verbreitet. Neben den tausenden Wikipedianer!nnen, App-Entwicklern und Website-Bauer!nnenn, engagiert sich noch ein Vielfaches mehr neben dem Engagement on-site auch über das Netz.

Online-Volunteering im nächsten Freiwilligensurvey (?!)

Der vertiefte Blick in die Empirie ist allerdings nicht all zu einfach. Die Datenlage zum Interneteinsatz im freiwilligen Engagement ist m.W. ziemlich dünn und ob sie denn in naher Zukunft erweitert wird, lässt sich schwer sagen. Mittlerweile habe ich mich mit dem neuen Gesicht des Freiwilligensurveys, Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA), das ein ums andere Mal unterhalten und ihn gefragt, ob es denn im neuen Freiwilligensurvey etwas zu dem Thema geben wird. Er meinte, man wolle entsprechende Fragen aufnehmen, sei sich aber noch nicht so sicher, was man denn fragen solle.
Mein Vorschlag nach „ortsunabhängig ausgeübten Tätigkeiten unter Zuhilfenahme der Mittel und Möglichkeiten des Internets“ zu fragen, kam natürlich gleich wie aus der Pistole geschossen, doch scheint es auch damit Probleme zu geben. ‚Nur‘ danach zu fragen, in welchem Ausmaß sich Freiwillige über das Internet engagieren, scheint keinen sonderlich großen Erkenntnisgewinn für die Forscher vom DZA zu versprechen. Warum?
Ist es wirklich egal, ob sich Freiwillige über das Internet engagieren oder in der physischen Welt? Affektiv würde ich sagen NEIN! The Medium is the Message! Alles was bisher ins Netz gewandert ist — vom Umgang mit Wissen bis zur Werbung und dem Marketing — hat sich verändert. Doch viele empirische Erkenntnisse deuten in eine andere Richtung.

  • Die Internetnutzung hat keine negativen Auswirkungen auf das freiwillige Engagement — das Netz ist kein Zeitfresser, mit dem das freiwillige Engagement konkurriert (Begemann et al. 2011).
  • Die Grenzen zwischen On- und Offline verschwimmen immer mehr — die Grenzziehung zwischen stofflicher und ‚virtueller‘ Welt wird weithin obsolet, wenn immer mehr Menschen permanent ‚online‘ sind (siehe ARD/ZDF Online-Studien der letzten Jahre).
  • Das Online-Volunteering in Reinform — also ohne jegliche On-Site-Aktivitäten — ist heute wahrscheinlich viel seltener anzutreffen wie sein Gegenstück, was sich allerdings mit der kleiner werdenden Schar an Menschen ausgleichen sollte, die das Internet nicht nutzen (siehe Ellis/Cravens 2000 und den [N]Onliner-Atlas).
  • Die Organisationsformen von Online-Engagement sind denen des On-Site-Engagements trotz ihrer Vielfalt sehr ähnlich, weshalb ja auch eine Integration des Online-Engagements in herkömmliche Engagementstrukturen möglich ist (Ellis/Cravens 2014).

Doch mehr als Thesen sind das auch nicht. Was ist denn mit der Hintertür-These von Sybille Picot? Was ist mit der der Vorformen des Engagements von Begemann et al.? Ich bin mir ziemlich sicher, dass vieles dafür spricht, die Internetnutzung im Engagement genauer unter die empirische Lupe zu nehmen, nur fällt mir gerade nichts mehr ein….
tl;dr: Was ist neu am Online-Volunteering? #Followpower

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