Überlegungen zur Abgrenzung von Gewalt, Macht und Herrschaft

Ü

Im Seminar „Bildung: Subjekt und Gesellschaft“ kam es — aus Gründen, die ich jetzt nicht mehr zu rekonstruieren vermag — eines Tages dazu, dass ich mich mit meiner Professorin (Frau Reh) über den Begriff „Macht“ unterhielt. Ich war und bin der Meinung, dass Macht, wie auch Gewalt, Begriffe sind, die einer Form bedürfen — also auch irgendetwas nicht bezeichnen sollten. Frau Reh sah das anders. So ich sie richtig verstanden habe, neigte sie dazu Macht als eine Art „Kitt der Sozialität“ zu beschreiben, also als eine Kraft die allgegenwärtig ist und unser Verhalten steuert.
Ich will hier versuchen meine Ansicht der Dinge darzustellen und mit allen die es interessiert zu diskutieren. Ich bin im Umgang mit den angeführten Theorien bei weitem nicht so Sattelfest, wie es hier und da vielleicht klingt und hoffe auf hilfreiche Unterstützung meiner Leserinnen und Leser.
Gewalt
Besonders bei Vertreterinnen und Vertretern der Geisteswissenschaften, die sich einem vermeintlich emanzipatorischen Ziel widmen, ist sie zu beobachten: Die Diskussion um die Gewalt, deren Opfer vor allem die Schwachen unserer Gesellschaft werden. Frauen, Kinder und Jugendliche aber auch geistig und körperlich Behinderte sowie arme Menschen — so der Tenor vieler Diskussionen — sind in den schlimmsten Fällen physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt, werden in so ziemlich jedem Fall aber Opfer so genannter „struktureller Gewalt“.

Die unten stehende Grafik von Helga Teunert stammt aus dem Handbuch zu Grundbegriffen der Medienpädagogik, die ich in einem Seminarreader zum Thema „Kinder – Medien – Gender“ gefunden habe. Sie macht — denke ich — deutlich was hier gemeint ist.

(Hüther, Jürgen, Schorb, Bernd (Hrsg.) (2005). Grundbegriffe der Medienpädagogik. Ausg. 4. München. S. 137)
Obgleich hier die Begriffe „Macht“ und „Herrschaft“, mit denen ich mich weiter unten noch beschäftigen will, angeführt werden, wird als Oberbegriff der Terminus der Gewalt gewählt. Entsprechend sind die „Folgen“ auch nicht die zunächst wertneutrale Beeinflussung menschlichen Handelns im gesellschaftlichen Kontext, sondern die „Schädigung und das Leiden von Menschen“, was eindeutig negativ konnotiert ist.
Sicherlich ist die negative Konnotation des Gewaltbegriffes bei der politischen Diskussion gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen hilfreich, wenn ein emanzipatorisches Ziel und eine entsprechende Mobilisierung anvisiert werden. Soll z.B. darauf hingewirkt werden, gesellschaftlich normierte Ungleichbehandlung von Frauen und Männern (als „strukturelle Gewalt“) abzubauen, kann mit dem Gewaltbegriff eine einseitige und unmoralische Einwirkung der Männer auf die Frauen impliziert werden, was einer tatsächlich wissenschaftlich geführten Genderdiskussion folgend, zwar unsinnig ist, doch viele der „Opfer“ Sturm gegen das bösen Patriarchat laufen lässt.
Das Problem mit dem Begriff der Gewalt als strukturierendes Moment sozialer (Re)Produktionsprozesse innerhalb der Gesellschaft ist also mindestens zweischichtig: Zum einen wird der Begriff mit seiner Ausweitung auf die gesellschaftliche Struktur (z.B. durch Galtung 1975) so umfassend erweitert, das er weitgehend formlos wird — also alles und damit zugleich nichts mehr zu bezeichnen vermag. Zum anderen und natürlich daran anschließend, lässt sich der Gewaltbegriff politisch wie ideell sehr einfach missbrauchen.
Es ist ein Leichtes — und ich erinnere mich an derartige Argumentationen besonders aus den ersten Semestern meines Sozialarbeitsstudiums — sich als Opfer struktureller Gewalt darzustellen, wenn man nur äußere Einflüsse als gewaltsam definiert und sie mit eigenem Unvermögen verbindet.

„Ich werde das Studium nicht in der Regelstudienzeit beenden können. Egal was die Studiendekanin sagt, ich muss neben den Vorlesungen arbeiten gehen, weil ich sonst nicht genug Geld zum Leben habe.“


In diesem (absichtlich nicht zitierten) Fall war es die „Struktur“ unserer Leistungsgesellschaft, also die strukturelle Gewalt die „von denen da oben“ ausgeht, die den Studierenden (vll. für bessere Arbeitsmarktchancen) ins Studium und so in die Fänge unerhört hoher Semesterbeiträge und ebenso hoher Lebenserhaltungskosten („Der Mensch lebt [schließlich] nicht vom Brot allein“ [Matthäus 4,4]) trieb. An Bildungskredite oder -darlehn war zu dieser Zeit natürlich mitnichten zu denken, das hätte schließlich in noch tiefere Abhängigkeit, Unfreiheit und Leid geführt, als die paar Semester, die da länger studiert werden muss.
Macht
Doch nicht nur die Gewalt wird zu unrecht zum alleinig strukturierenden Moment unserer Gesellschaft erhoben. Auch mit dem Terminus der Macht sollen viele — wenn nicht alle — sozialen (Re)Produktionsprozesse erklärt werden. Es ist die Macht der Lehrenden an Universitäten und Fachhochschulen, die uns durch ihre Anwesenheitslisten auch in sterbenslangweilige Seminare und Vorlesungen bringen. Es ist die Macht der Banken, die den Steuerzahler und die Steuerzahlerin für die grobe Fahrlässigkeit ihrer Angestellten haften lässt. Es ist die Macht der Männer (bzw. des Geldes, das sie mehr verdienen als ihre Partnerinnen), die Frauen in den meisten Fällen dazu bringt, zu Hause zu bleiben und die Kinder zu hüten. Auch hier sind es wieder „die da oben“, die unsere Geschicke lenken. Wir hier unten haben doch nichts zu sagen …

Das hier angedeutete dichotome Weltbild von denen da oben und uns hier unten, dass vor allem bei Menschen aus bildungsfernen Gesellschaftsmilieus zu finden sein dürfte, ist aus meiner Ansicht die Ursache für eine so ungenaue (formlose) Verwendung und Rezeption von Begriffen wie Gewalt und Macht. Nicht etwa weil die uns umgebende Welt damit besser erklärt werden könnte (das ist mitnichten der Anspruch) sondern, weil die Dichotomie unsere Welt so schön einfach macht, uns unmissverständlich zeigt, wo wir hingehören und eine Opfergemeinschaft der Leidenden befördert
Form der Begriffe
Ohne es genauer zu erläutern, hatte ich oben geschrieben, dass die Formlosigkeit von Begriffen dazu führt, dass mit ihnen schließlich alles und zugleich nichts mehr bezeichnet werden kann. Die Erläuterung soll nun nachgeholt werden:

Niklas Luhmann, ein Soziologe, der sich Zeit seiner wissenschaftlichen Karriere mit dem Projekt „Theorie der Gesellschaft“ beschäftigte, legte besonderen Wert auf die Form der Dinge. In seiner Theorie sind es vor allem die Formen der sozialen Systeme, die von ihm beschrieben werden. Luhmann zu folge hat jedes System seine Grenzen; sogar die Gesellschaft als umfassendes Sozialsystem findet ihre Grenzen in den physischen und geistigen Systemen, die außerhalb sozialer Systeme stehen. Die Erkenntnis Luhmanns, dass alles eine Form braucht, weil es sonst nicht bezeichnet werden kann, lässt sich natürlich auch auf Begriffssysteme, die durch Sprache vermittelt werden, ummünzen.
Da wir unsere Welt nicht in ihrer vollen Komplexität zu erfassen im Stande sind, können wir einander auch nicht verstehen (also die Information von der Mitteilung trennen), wenn wir keine Begriffe haben, die etwas Spezielles bezeichnen (Reduktion von Komplexität). Wenn Luhmann zur Form von Sprache schreibt:

„Die Sprache hat mithin eine ganz eigentümliche Form. Als Form mit zwei Seiten besteht sie in der Unterscheidung von Laut und Sinn“ (Luhmann. Die Gesellschaft der Gesellschaft. S. 213).


heißt das doch, dass Begriffe, die wir nicht zu verstehen im Stande sind, zunächst einmal nur Laute darstellen, die keinen Sinn ergeben — also auch außerhalb sozialer Systeme stehen.
In dem einen oder anderem Seminar bzw. der ein oder anderen Vorlesung ist das sicherlich vielen Studierenden — und ich nehme mich selbst da nicht aus — schon so gegangen: Die Worte aus dem Mund der Lehrenden bezeichnen Dinge und Sachverhalte, die nicht verstanden werden und sich so in Schall und Rauch verwandeln. Der Mechanismus, der hier üblicher Weise greift, ist der, dass den Lauten, die den Lehrenden entspringen, willkürlich Sinn zugeordnet wird, der irgendwie ins System passt, natürlich aber nicht richtig sein muss. (Luhmann schreibt, dass deshalb auch Sinnloskunst ihr Ziel verfehlen muss [S. 49]) Da wird aus dem Namen des amerikanischen Psychologen „Mihaly Csikszentmihalyi“ ein russisches Computerspiel, bei dem es um irgendwelche Flüsse geht. Da wird das Kunstwort „Alkopop“ wörtlich mit „alkoholhervorhebend“ übersetzt oder eben aus der Macht die allgegenwärtige Regie einer Gruppe von Menschen, was wiederum zu den wildesten Verschwörungstheorien neigen lässt.
Begriffe also, die keine Form haben und alles meinen ohne dabei irgendetwas nicht mit einzubeziehen, können praktisch nichts bezeichnen. Wir sind schlicht nicht im Stande alles was gemeint sein könnte zu begreifen und müssen dem Begriff dann willkürlich Sinn zuschreiben, ohne diese Zuschreibung an irgendetwas eingrenzbaren abgleichen zu können. Der Begriff, der ursprünglich irgendetwas Genaueres bezeichnen sollte, wird Schall und Rauch und bezeichnet plötzlich nichts mehr.
Gewalt – Macht – Herrschaft
Wie können wir nun also mit dem gestellten Problem der Formlosigkeit von Gewalt und Macht umgehen? Es muss gelten den Begriffen jeweils Grenzen zu geben, die sie nicht mehr bezeichnen. Das, was menschliches Handeln bestimmt — und da sollten wir uns nichts vormachen: wir können in den wenigsten Fällen völlig frei entscheiden, was wir wann, wie und warum tun — kann nicht nur Gewalt sein. Ebenso wenig kann es nur die höhere Stellung und Stärke anderer sein die uns lenkt. Wo bleibt denn da die Freiheit?

Einer der Begründer der Soziologie, Max Weber, kann uns hier helfen: Um den Begriffen, mit denen wir die Beeinflussung menschlichen Handelns bezeichnen, eine Form zu geben, unterscheidet Weber zwischen (physischer und psychischer) Gewalt, amorpher Macht und verschiedner Formen der Herrschaft.
Gewalt zunächst einmal, ist genau das, was im Schaubild oben auf der linken Seite zu sehen und zu lesen ist:

Gewalt ist „der Einsatz von Machtmitteln, also von Zwangsmethoden, bei der Interessendurchsetzung von Menschen, Klassen und Staaten gegen den Willen anderer […]“ (Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften).

Auch wenn die Definition hier nicht von Weber stammt, würde er sicherlich doch zustimmen, dass es bei Gewalt immer unmittelbaren Zwang gibt. Ohne dass irgendjemand jemanden anderen unter Einsatz von Machtmitteln zu irgendetwas zwingt, passiert gar nichts. Schließlich geschieht es gegen den Willen der Gezwungenen.
Im Gegensatz dazu definiert Weber Macht als

„jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1925).

Wichtig ist hier zum einen das „Widerstreben“, ohne das man schlechterdings nicht von der Ausübung von Macht sondern lediglich von der der Leitung sprechen kann und zum anderen die potentielle Abwesenheit von Zwangsmethoden („jede Chance […] gleichviel worauf diese Chance beruht“). Wir können nämlich auch von der erfolgreichen Ausübung von Macht sprechen, wenn mit etwas gedroht wird, dass tatsächlich nicht oder zumindest nicht nachweislich existiert — wenn geblufft wird.
Das zweitgenannte Merkmal der Macht, das Weber mit dem Prädikat „amorph“ (griech.: „gestaltlos“) beschreibt, lässt sich — denke ich — gut an folgendem Ausspruch beschreiben, der Josef Stalin zugeschrieben wird:

„Wie viele Divisionen hat denn der Papst?“

Der Papst hat natürlich gar keine Divisionen. Zumindest keine, die vom sowjet-russischen Machtapparat jemals hätten ernst genommen werden müssen. Doch der Papst, als Vertreter Gottes auf Erden, hat für die, die an ihn glauben, ungeheuer große Macht — hat also die Chance den eigenen Willen auch gegen das Widerstreben der Gläubigen durchzusetzen und zwar durch den Verweis auf Gott, dessen Existenz bisher weder be- noch widerlegt werden konnte.
In Abgrenzung von der Macht und der Gewalt beschreibt Weber die dritte Stufe der Einflussmöglichkeiten auf menschliches Handeln als Herrschaft, die uns zumindest einen Anschein von Freiheit zum Handeln lässt:

Herrschaft „soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ (Weber 1925).

Besonders dabei ist, dass Weber hier von „Gehorsam“ und nicht mehr vom „Durchsetzen“ spricht. Der Gehorsam setzt sich schließlich auch ohne den Einsatz von Machtmitteln fort — braucht keinen Zwang. Weber zu folge funktioniert Herrschaft nämlich so

„dass ein bekundeter Wille (Befehl) des […] ‚Herrschenden’ das Handeln anderer […] in der Art beeinflusst, dass dies Handeln […] so abläuft, als ob die Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst Willen, zur Maxime ihres eigenen Handelns gemacht hätten (Gehorsam)“ (ebd.).


Der bedeutende Unterschied zwischen der Herrschaft, der Macht und der Gewalt ist also, das den Beherrschten auf verschiedene Weise Gehorsam abverlangt werden kann. Was zum einen durch die Gewöhnung an Macht geschehen und zum anderen durch Rationalität legal werden kann.
Michel Foucault, ein französischer Philosoph, der unter anderem Untersuchte, wie Macht ausgeübt wird, beschäftigt sich in seinem Werk „Überwachen und Strafen“ mit dem Konzept des Panopticon von Jeremy Bentham (Begründer des Utilitarismus). Foucault beschreibt die potentiell allgegenwärtige Anwesenheit der Herrschenden (und ihrer Machtmittel) als wichtigstes Ordnungsprinzip westlich-liberaler Gesellschaften. Durch das stete Durchsetzten des Willens der Machthaber auch gegen den Willen der Beherrschten, wird — so Foucault — eine Gewöhnung (vielleicht sogar eine Identifikation) an die wünschenswerten Verhaltensformen erreicht. Da der widerstrebende Wille der Beherrschten in diesem Modell in die Gewöhnung an Befehl und Gehorsam umschlägt wird Macht zu Herrschaft.
Doch Herrschaft kann auch im Spannungsfeld von „Faktizität und Geltung“ (Habermas) legitimiert werden. Entweder also durch bestehende Fakten (z.B. Geburt auf einem Hoheitsgebiet = Staatsbürgerschaft) oder durch geltendes Recht (z.B. Steuern werden hierzulande nur gezahlt, wenn es ein entsprechendes Gesetz dafür gibt.). Letzteres nennt Weber die „legal-rationale Herrschaft“, die sich von „traditioneller“ und „charismatischer Herrschaft“ bspw. durch die Legitimation mittels Satzung abgrenzt.
Schluss
Ich könnte (und müsste wahrscheinlich auch) noch viel tiefer in die Materie einsteigen um die angerissenen Theorien und Konzepte darzustellen. Für mein Anliegen, zu zeigen, dass eine formlose Verwendung von Begriffen, die die uns umgebende Welt beschreiben, zu kurz greift, denke ich aber, reichen die Ausführungen aus.

Folgendes lässt sich hier zum Schluss festhalten: Wer alles als ein Ergebnis von Gewalt oder Macht beschreibt, befördert zum einen dichotomes und damit viel zu eindimensionales Denken und ermöglicht — ja erzwingt sogar — zum anderen eine willkürliche Sinnzuschreibung in sozialen Systemen, was wiederum eine ganze Reihe von Folgen hat, von denen das Missverstehen nur das geringste ist.
Nach der Darstellung der Problematik anhand der Begriffe „Gewalt“ und „Macht“ habe ich eine — denke ich — sehr sinnvolle und immer noch zeitgemäße Abgrenzung von Gewalt, Macht und Herrschaft vorgestellt, die es — auch wenn häufig nicht explizit erwähnt — immer mitzudenken gilt. Dieses Mit-Denken gibt uns nämlich den Rahmen, anhand dessen wir überprüfen können, ob unsere Vorstellung über die kommunizierte Beeinflussung menschlichen Handelns zu treffen oder nicht — ob wir also zu irgendetwas geprügelt, gezwungen oder qua Einverständnis gebracht werden.
Auch wenn die polarisierende Verwendung von Begriffen wie „Gewalt“ politisch durch aus sinnvoll erscheinen kann, ist hier zum Schluss doch anzumerken, dass blinder Aktionismus noch nie zu irgendeinem nachhaltigen Ergebnis geführt hat. Ganz im Gegenteil: Zumeist wendet er sich schlussendlich gegen das intendierte Ziel der Initiator(innen).

Kommentare

  • ich habe deine Ausführungen mit Interesse gelesen. Ich will garnicht so sehr in die einzelnen Theorieansätze gehen sondern nochmal auf die Aussage deiner Professorin zu interpretieren. Wenn Macht als allgegenwärtig gesehen wird, so lässt sich doch sozialkonstruktivistisch argumentierten, dass im ersten Ansatz erst einmal der die Macht, dem Sie zugesprochen wird (qua amt, geburt, charisma um mal auf Weber's Formen von Herrschaft zu rekurrieren). Erklärungsreich für den Ansatz deiner Professorin finde ich übrigens Hannah Arendts Konzeption von Macht. Hab da in meiner Masterarbeit was zu stehen: "Bei Hannah Arendt findet sich dann eine Machtdefinition, die in der Abgrenzung zu den BegriffenGewalt und Stärke vorgenommen wird. Für Arendt ist Macht ein Kollektivphänomenmit den vier Aspekten: Öffentlichkeit, Versprechen, Pluralität und Handeln. Handeln deswegen,weil Macht dann existiert, wenn zwei Menschen in eine soziale Interaktion miteinandertreten, also handeln. Das Versprechen ist Grundlage für Kooperation innerhalb politischerGemeinschaften, ohne diese wechselseitige Kooperationsgarantie können keine politischenZiele erreicht werden. Dieses Handeln und diese Kooperation können jedoch nur in einer öffentlichenSphäre existieren, von daher ist Öffentlichkeit der dritte zentrale Aspekt desArendtschen Machtbegriffs. Die Pluralität der Akteure, dass heißt ihre wechselseitigen Beziehungenuntereinander bilden quasi das Fundament von Macht, die immer nur in menschlichenGemeinschaften existent sein kann (Bevc 2007: 80-84)."Soviel als erster Input 🙂

  • Hallo Sassan, vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe mich bisher nicht mit dem Arendt'schen Machtbegriff beschäftigt, deshalb find ich deine Antwort auch sehr hilfreich. Aber… … der Machtbegriff Arendts scheint mir nicht so umfassend zu sein, wie die Macht (der Männer bspw.) häufig kommuniziert wird. Die findet nämlich nicht in der Öffentlichkeit, sondern im familiären Umfeld statt. Wenn Macht aber der "Kitt der Sozialität" sein soll, dann müssten eben auch die (Miss)Verhältnisse im nicht öffentlichen Raum damit erklärt werden können. Mit Hanna Arendt lassen sich meiner Ansicht nach eher politische Praktiken beschreiben, wobei hier Politik wiederum als "handeln in der Öffentlichkeit" definiert wird … Und schon sind wir wieder bei der Formlosigkeit der Begriffe — in diesem Fall dem Begriff der Politik.

  • Auf meine Mailanfrage hin wurde dieser Erguss nun auch von Wolf Wagner (einer meiner liiiebsten Professoren [em.]) mit den Worten "so habe ich das auch in meiner Vorlesung 'Macht und Herrschaft' dargestellt. Stimme voll mit Ihnen überein." abgenommen.

  • … und gleich noch ein Kommentar: Im Seminar, zu dem ich diesen Artikel geschrieben hatte, wurde die Idee der Abgrenzung von Macht und Herrschaft aufgegriffen. Im "Memo" zur letzten Veranstaltung heißt es: "Ein Seminarteilnehmer [das bin dann wohl ich] weist darauf hin, dass der hier zu Grunde liegende Begriff von Macht einer Klärung bedarf; seiner Ansicht nach sei der hier weit gefasst und mit ihm könne keine Abgrenzung gegen Nicht-Macht getroffen werden, weil alles Soziale mit Macht verbunden sei. Prinzipiell ginge es um die Beeinflussung menschlichen Handelns; zu unterscheiden sei, ob wir zu irgendetwas geprügelt, gezwungen oder qua Einverständnis gebracht werden … Foucauls Frage lautet hier: Wie entsteht Einverständnis?"Diese Wiedergabe meiner Kritik am formlosen Machtbegriff impliziert meiner Ansicht nach die Idee der Macht als "Kitt des Sozialen" (Gegen diesen Ausdruck verwehrte sich Frau Reh übrigens — er stammt von mir). Macht ist demzufolge Bestandteil von Gewalt und Herrschaft. Die begriffliche Abgrenzung setzt lediglich auf der allgegenwärtigen Macht auf, geht philosophisch aber nicht tief genug. Verständlich Kommunizieren lässt sich das aber nicht … Apropos "verständlich": Eine Kritik musste ich mir auf dem Flur in der Uni aber doch noch gefallen lassen. Frau Reh fand meine Ausführung zum Verstehen "etwas schwierig", weil ich meinen Begriff von Verstehen dem Luhmanns gleichsetzte. Und da hat sie freilich Recht. Luhmann meint mit Verstehen den Moment der Unterscheidung von Information und Mitteilung, ich meine mit Verstehen "Begreifen", "Erfassen" oder "Zuordnen". Doch sei es drum. Fakt ist: Wenn wir Lauten einen anderen Sinn zuordnen, als den von der anderen Seite (den Dozentinnen und Dozenten im obigen Fall) intendierten, Verstehen, Begreifen, Erfassen wir nicht, was uns Vermittelt werden soll und es wird doch alles Schall und Rauch …

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