Mein kleiner Traum vom Volunteer-Online-Button

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Kürzlich nahm ich an der Unterarbeitsgruppe zu „Engagement und Partizipation im Internet“ des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) teil. Der Themenschwerpunkt lag bei diesem fünften Treffen der Gruppe bei der internetgestützten Engagementförderung auf kommunaler Ebene. Das betrifft natürlich auch mein Themenschwerpunkt des Online-Volunteerings, der Freiwilligenarbeit über das Internet. Das Online-Engagement lässt sich schließlich nicht allein auf die Freiwilligenarbeit für weit entfernte NGOs in Schwellen- und Entwicklungsländern begrenzen, wie sie von den United Nation Volunteers (UNV) forciert wird.  Tatsächlich findet das freiwillige Engagement häufiger im direkten Lebensumfeld — meint: auf kommunaler Ebene — seine weiteste Ausbreitung (vgl. Freiwilligensurvey).
Bei der Vorstellung der Ehrenamtssuchmaschine des Main-Kinzig-Kreises (Hessen) fiel mir erneut auf, dass die Option des freiwilligen Engagements über das Internet, vom heimischen Computer, von Arbeit aus oder von unterwegs, keinen sichtbaren Eingang in das Konzept gefunden hat. Trotz der Größe des Kreises, auf die von Walter Dreßbach immer wieder hingewiesen wurde, findet sich in der Eingabemaske für Engagementangebote ansässiger NPOs keine Auswahloption, die den Hinweis auf mögliches Online-Volunteering nahelegen würde.
Dabei ist die Ehrenamtssuchmaschine des Main-Kinzig-Kreises bei weitem nicht die einzige. Bis heute ist mir noch keine Engagementsuche einer deutschen Plattform begegnet, die eine solche Option anbietet* — wohl aber einige Akteur(innen), die das für eine gute Idee hielten. Dabei könnte der kleine Volunteer-Online-Button, der auf angelsächsischen Matching-Plattformen schon lange gang und gäbe ist, einiges Bewirken.

Im Allgemeinen gehe ich von dem systemtechnischen Postulat des „structure follows function“ aus. Gemäß diesem Zusammenhang folgt die Funktion eines Systems immer den Strukturen, die diesem zu Grunde liegen. Dementsprechend lässt sich die jeweilige Funktion — mithin auch der Sinn einer Aktion — aus der vorfindlichen Struktur explizieren, was gleichzeitig eine Grundlage vieler Methoden der qualitativen Sozialforschung ist. Wenn in Engagementsuchmaschinen also auf den kleinen Volunteer-Online-Button verzichtet wird, liegt die Vermutung der Vorstellung vom physisch präsenten Freiwilligen recht nahe. Das System operiert also in bereits bekannten Mustern und reproduziert die zu Grunde liegenden Strukturen – bildlich gesprochen, schlagen wir immer mit dem Hammer zu, auch wenn wir keinen Nagel vor uns haben.  Nicht zwingend heißt das umgekehrt, dass das Online-Engagement von vornherein ausgeschlossen wird — man kann in den Eingabemasken ja auch unter „Sonstiges“ oder „Freitext“ darauf hinweisen — doch wird durch die vorgegebene Struktur eben nicht explizit auf die Möglichkeit des Online-Volunteerings hingewiesen, womit sich auch die Vorstellungen vom physisch präsenten Freiwilligen in den einzelnen Organisationen nicht ändert. Die weit verbreitete Vorstellung der Präsenz-Freiwilligkeit zeigt sich also in den Systemstrukturen und schlägt bis in die Vorstellungen der Mitarbeitenden von Freiwilligenorganisationen durch, die diese Struktur ihrerseits wieder reproduzieren und das System so stabilisieren.
Neben fremden Mächten wie Lobbisten oder Verschwörerinnen wird „das  System“ recht häufig dafür verantwortlich gemacht, dass der oder die Einzelne bzw. ganze Organisationen oder Unternehmen so agieren wie sie agieren — und das liegt auch recht nahe. Wir agieren schließlich alle in Strukturen, die unsere Handlungen beeinflussen, ohne dass wir unsererseits viel Einfluss auf sie nehmen können. So zeigen sich die utilitaristischen Strukturen kapitalistischer Wirtschaftssysteme bspw. in den (mehr oder weniger) kontrovers diskutierten Versuchen freiwilliges Engagement in Geldwerten abzubilden (RoI/SRoI). Doch gibt es eben auch die Möglichkeit tradierte Denkvorstellungen bzw. zu Grunde liegende Strukturmuster auszuhebeln — frei nach Archimedes:

Gebt mir einen Hebel, der lang genug ist und eigenhändig bewege ich die Welt.

Herausfordernd ist nur den Ansatzpunkt dieses Hebels zu finden. Für den Hebelansatz, diesen kleinen Punkt an dem das System unauffällig geändert werden kann, lieben die Eingabemasken von Engagementsuchmaschinen nehe. In vielen dieser Masken spiegelt sich bereits das 5A-Modell, das z.B. bei der Ausbildung von Freiwilligen-Managerinnen und -Managern an der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland angewandt wird. Neben der Aufgabe wird meist auch nach dem Angebot sowie der Attraktivität, den Aufwendungen und einem Ansprechpartner bzw. einer Ansprechpartnerin für das Engagement gefragt. Die Struktur verweist hier darauf, dass Freiwillige eben nicht mehr ‚einfach so‘ kommen und ihr Engagement an die Kinder und Kindeskinder vererben, sondern angesprochen und geworben werden müssen — ein Paradigmenwechsel, der sich wohl am Ende des letzten Jahrhunderts vollzogen hat.
Die fünf As des Engagementangebots gelten natürlich weiterhin. Auch heute kommen Freiwillige nicht einfach so. Ganz im Gegenteil: Während die bundesdeutsche Engagementquote seit 2004 stagniert, ist die Bereitschaft zum  freiwilligen Engagement so hoch wie nie. Vor allem Jugendliche geben an, dass sie sich „bestimmt“ oder „eventuell“ engagieren würden, tun es aber tatsächlich immer seltener (die Quote der 14-29-jährigen nahm in den letzten 15 Jahren stetig ab, während die Engagementbereitschaft stetig stieg). Diese und viele weitere Indizien weisen darauf hin, dass neue Wege für das Engagement gesucht, gefunden und implementiert werden müssen.
Mit dem Konzept des Online-Volunteerings ist ein neuer Weg für das freiwillige Engagement beschrieben, was allerdings nicht heißt, dass er automatisch in die Praxis der Engagementförderung übergeht. Die Implementierung des Online-Engagements braucht sicherlich Überzeugungs-, Seminar-, Workshop- und Schreibarbeit, um aber nachhaltige Änderungen mit sehr geringem Aufwand zu erreichen, muss der Hebel an den Strukturen und den alten Vorstellungen vom stets präsenten Ehrenamtlichen angesetzt werden. Mit relativ geringem Aufwand ließe sich so ein Schritt in Richtung einer Bürger- oder Zivilgesellschaft gehen, in der sich die „veranstaltete Öffentlichkeit“ (Jürgen Habermas) des Dritten Sektors auch auf den alltäglichen Kommunikationsraum des Internets ausweitet.

*Für gegenteilige Hinweise in den Kommentaren bin ich natürlich dankbar.
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