Politikwechsel? Pustekuchen! Das Berliner Wahlvolk sein Tempelhofer Feld und der renitente Senat

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Als die Initiative 100% Tempelhof im Mai 2014 das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ (ThFG) per Volksentscheid durchsetzte, schwante es mir schon: Lange wird die Gegenattacke des Senates nicht auf sich warten lassen.  Und das fand ich auch nicht schlimm! Wie ich hier und da schon schrieb, bin ich nicht grundsätzlich gegen die Bebauung des Feldes. Natürlich, auf keinen Fall so, wie es der Senat seiner Zeit plante! Nicht zu Gunsten privaten Wohnungsbau und überflüssiger Statussymbolik. Ich habe mir da eher etwas vorgestellt, dass den Berlinerinnen und Berlinern auf lange Frist wirklich nützt …
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Was die Berlinerinnen und Berlin genau wollen, weiß ich nicht. Ganz offenbar wusste das auch der Berliner Senat nicht. Im Gegensatz zu mir, hätte der aber fragen, hätte breite Beteiligung zulassen können. Hat er aber nicht! Die Strategie des Senats bestand eher darin, mit einer unausstehlichen Wir-wissen-schon-was-gut-für-euch-ist-Attitüde und nur quasi-demokratischen Taktiken, die Interessen Weniger gegen den Willen Vieler durchzusetzen. Das Ergebnis war eindeutig: 740.000 Ohrfeigen und ein basisdemokratisch legitimiertes Gesetz, dass die Bebauung des Tempelhofes Feldes komplett untersagt. Blöd gelaufen! Aber Fehler sind ja bekanntlich dazu da, um aus ihnen zu lernen.

Lernerfolg angetäuscht — neue Wege in alte Sackgassen

Tatsächlich meinte ich schon zarte Pflänzchen eines Lernerfolges zu erkennen, als im September 2014 die Erarbeitung eines Entwicklungs- und Pflege-Plans (EPP) für das Tempelhofer Feld im Stile der Liquid Democracy verkündet wurde. Der damalige Senator für Stadtentwicklung und Umwelt Michael Müller begrüßte die Teilnehmenden der Auftaktveranstaltung seiner Zeit übrigens mit das Feststellung, dass die Auseinandersetzungen um die Nutzung des Tempelhofer Feldes „endgültig entschieden“ sind.

Es gibt nun die spannende Situation, wie gemeinsam mit unterschiedlichsten Standpunkten und Ansichten möglichst viel für möglichst viele Berlinerinnen und Berliner erreicht werden kann. Das Tempelhofer Feld soll für alle offen sein. Die gesamte Stadtgesellschaft soll diesen Freiraum erleben können.

Am vergangenen Dienstag nun entschied der Berliner Senat — jetzt unter Führung eben jenen Michael Müllers — die Auseinandersetzung doch nicht als so endgültig entschieden zu betrachten. Was geht uns auch unser Geschwätz von vor ein paar Monaten an? Müller ist nun Oberbürgermeister von Berlin und bekanntlich auch ein Freund der Bebauung des Tempelhofer Feldes — das war er vor dem Volksentscheid und und blieb er auch danach.

Es ist wirklich schade, dass die mehr als nur ‚gut gemeinte‘ Bürgerbeteiligung an der Entwicklung und Pflege des Tempelhofer Feldes wieder in die Sackgasse der Auseinandersetzungen vergangener Tage umgeleitet wurde. Mir tuen die engagierten Berlinerinnen und Berliner leid, die am EPP mitgearbeitet haben. Ihre Mühen waren sicher nicht alle für die Katz, doch ihr Vertrauen darauf, dass der Berliner Senat echte Bürgerbeteiligung zulassen würde, dürfte schweren Schaden genommen haben.

Neuer Masterplan — mit Flüchtlingen auf’s Feld

Was hat der Berliner Senat nun vor? Angesichts der vielen Tausend Flüchtlinge, die nach Berlin kommen oder hier her verteilt werden (laut RBB 51.186  im Jahr 2015 allein bis Oktober), ist die Frage ihrer Unterbringung eine drängende. Zahlreiche Gebäude — vor allem Sporthallen — wurden in Berlin bereits als Notquartiere zweckentfremdet, doch reicht der Platz hinten und vorne nicht, zumal die Berliner Sportvereine mittlerweile Sturm gegen diese Zweckentfremdung laufen. Nicht umsonst meinte der der neue Berliner Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) im RBB: „Wir  wollen die Sporthallen so schnell wie möglich wieder frei bekommen.“
Container und Traglufthallen „von einfacher Schönheit“ sollen es nun richten. Hallen und Container, die der Berliner Senat — temporär — genau dort aufstellen will, wo sie laut Tempelhof Gesetz nicht aufgestellt werden dürfen: Auf der Nord-, West- und Ostseite des Tempelhofer Feldes.

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Um dies tun zu können, ist freilich eine Änderung des gerade 18 Monate alten, per Volksentscheid durchgesetzten, ThFG notwendig. Das will der Berliner Senat, so Geisel im RBB, offen und respektvoll tun und verkündet im RBB:

Wir wollen Tempelhof zu einem Willkommenszentrum ausbauen […] Das ganze ist eine riesengroße Herausforderung, auch was die Gesundheitsversorgung angeht. Aber Wegducken geht nicht. Ich wünsche mir weniger Wut und mehr Mitgefühl.

Geschmückt mit Worthülsen wie „Willkommenszentrum“, mit frommen Wünschen nach „weniger Wut und mehr Mitgefühl“, mit offensiver Zahlenschwindelei und dem Trostpflaster „temporär“ drängt der Berliner Senat nun auf’s Feld. Mit dem Damoklesschwert der Flüchtlingskrise in der einen Hand und dem Schutzschild parlamentarischer Legitimation handelnder Personen in der anderen sieht sich der Berliner Senat nun in der Lage, sich des ungewollten Kindes ThFG scheibchenweise zu entledigen.

#THF100 reloaded — neuerliche Mobilmachung

Dass die Initiative 100% Tempelhof dem neuen Vorstoß des Senates wenig abgewinnen kann, liegt auf der Hand. Seit Jahren setzet sich der Verein für ein offenes, unbebautes Tempelhofer Feld ein und mobilisierte dafür erstaunlich viele Berlinerinnen und Berliner. Immerhin 740.000 gültige  Stimmen wurden 2014 für das ThFG gesammelt; 300.000 mehr als die SPD bei ihrer letzten Wahl in Berlin zusammenbekommen hat.
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Auch wenn der Berliner Senat ‚nur‘ ein bis 31. Dezember 2019 befristeten Paragraphen 9 in das des ThFG einfügen will, der die Errichtung von Anlagen für die Flüchtlingsunterbringung regeln soll, steht die Aushöhlung des ‚Volks-Gesetztes‘ durchaus zu befürchten: Werden auf dem Feld einmal Gebäude — und wenn es auch nur mobile Blumenhallen von einfacher Schönheit sind — errichtet, muss das Feld mindestens in Ansätzen auch für die Bebauung erschlossen werden (Strom, Wasser, Abwasser etc.). Damit hätte der Senat den Fuß für weitere Ausnahmen — vielleicht eine Internationale Gartenschau (!?) — in der Tür. Mit so starkem Gegenwind jedenfalls hätte er nach drei Jahren bebautem Feld wohl nicht mehr zu rechnen.
Kritisiert wird außerdem, dass alternative Möglichkeiten vom Berliner Senat nicht gründlich geprüft wurden; nicht leer stehende Gebäude und auch nicht verfügbare Freiflächen. In der Hauptsache geht es aber um das nachhaltig beschädigte Vertrauen in die ‚gemeinnützigen‘ Absichten von Herrn Müller und Co. im Berliner Senat, wie Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, in seinem Kommentar bei Radio Eins treffend zusammenfasst.

Vorschlag zur Güte — lÄngerfristig nutzen Schaffen

Das Tempelhofer Feld ist Berliner Luxus: Es ist nicht sonderlich schön, bietet aber viel Platz. Platz, der in der Stadt Mangelware ist. Platz, der zum (Mit-) Machen und Ausprobieren einlädt. Platz, auf dem Neues entsteht … Damit  kann das Tempelhofer Feld durch aus seinen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise leisten. Einerseits ganz kurzfristig, andererseits auch langfristig.
Kurzfristig: Die Menschen, die nach Berlin kommen, trocken und sauber unterzubekommen reicht nicht aus. Schon heute liest man viel von gereizter Stimmung in den Flüchtlingsunterkünften und anliegenden Bezirken, die nicht auf den Unwillen oder die Blödheit der Leute, sondern vor allem auf fehlende Freiräume zurückzuführen ist. Platz für Sport, Bewegung und Begegnung zu bieten, ist also das Mindeste — und zwar nicht erst dann, wenn jemand zu schaden gekommen ist, sondern gern schon früher, zum Beispiel jetzt.
Langfristig: Berlin ist heute schon eine Stadt des Nebeneinanders. Man sieht das recht deutlich in den Engagementstatistiken, in denen Ballungsräume ohnehin immer etwas hinerher hinken. Auf dem Tempelhofer Feld und rund herum ist in den letzten Jahren allerdings eine erstaunliche Vielfalt bürgerschaftlichen Engagements entstanden. Das liegt vor allem daran, dass es hier die Möglichkeit gibt, etwas Neues zu machen und abseits ausgetretener Pfade etablierter (Sport-) Vereine zu wandeln. Angesichts unserer unermesslichen Unkenntnis desssen, was unsere neuen Mitbürger tun können und wollen, ist das genau was wir für soziale Integration brauchen, die mehr sein soll als nur ’satt und sauber‘.
tl;dr: Es geht wieder rund ums Tempelhofer Feld: Nach Monaten berechtigter Hoffnung auf ein konstruktives Miteinander rüsten Senat und Berliner Wahlvolk wieder gegeneinander auf. 

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