Soziale Innovation und Skalierung sind weder Raketenwissenschaft noch Hexenwerk. Ganz ohne sind sie aber auch nicht! Innovationsfähigkeit braucht Organisationsentwicklung und Organisationsentwicklung braucht Ressourcen – daran ändern auch die schönsten Ideen nichts. Ein praktischer Blick in die Theorie zu Innovation, Skalierung und Impact.
Die Entwicklung sozialer Innovationen ist ein iterativer, schleifenförmiger Prozess, der – ganz grob gesagt – entlang dreier Phasen verläuft: ›Ideenfindung‹, ›Pilotierung‹ und ›Skalierung‹. In der Phase der Ideenfindung geht es zunächst darum, Lösungsansätze für ein definiertes Problem zu finden, die vielversprechendsten Ideen auszuwählen und funktionierende Prototypen daraus zu bauen. In der Phase der Pilotierung wird dann ausrobiert, ob und wie der Prototyp funktioniert beziehungsweise ob und wie er weiterentwickelt werden muss. Und in der Phase der Skalierung schließlich wird die Wirkung der Neuerung zur ›neuen Normalität‹ ausgeweitet – zum Beipiel indem sie in die Wertschöpfungsketten der Organisation integriert wird.
Bei meinem Kurzvortrag zum ersten Lab of the Labs beim Fürsorgetag 2018 habe ich diesen Prozess etwas schnodderig so zusammengefasst:
Man sucht sich ein Problem, dessen Lösungen einem echt am Herzen liegt, entwickelt einen funktionierenden Ansatz mit Menschen, die dieses Problem wirklich haben, identifiziert die Wirkungslogik und skaliert sie.
Innovationspathologien: Hürden für Innovation
Natürlich ist die praktische Entwicklung sozialer Innovationen nicht ganz so einfach. Es gibt zahlreiche Hürden und Hindernisse auf dem Weg! Johanna Mair und Christian Seelos bezeichnen diese Hürden und Hindernisse in ihrer Studie zu »Innovation and Scaling for Impact« als »Innovationspathologien« – Symptome also, deren Ursachen nicht immer ganz klar sind, die aber darauf hindeuten, dass mit der Innovationsfähigkeit von Organisationen irgendetwas nicht stimmt.
Sechs Innovationspathologien
Pathologien in der Phase der Ideenfindung
- Niemals anfangen:Einfach immer so weiter machen wie bisher, nichts ändern, anpassen oder ausprobieren ist wohl eine der fatalsten Innovationspathologien.
- Zu viele schlechte Ideen: Immer neu und immer anders, je nachdem, wer gerade am Ruder ist, überfordert auch die flexibelsten Geister.
Pathologien in der Phase der Pilotierung
- Zu früh aufgeben: Pilot-Projekte gleich bei den ersten Schwierigkeiten zu beerdigen und zu schnell zum ›business as usual‹ zurückzukehren verhindert das Lernen.
- Zu spät aufgeben: Wirkungslose, dysfunktionale oder gar schädliche Pilot-Projekte zu spät oder gar nicht beenden: der sprichwörtliche Klotz am Bein.
Pathologien in der Phase der Skalierung
- Ungenügende Ausbeutung: Wirkungspotentiale einer entwickelten Neuerung nicht ausschöpfen oder ›im eigenen Keller‹ verstecken: Passiert öfter als man denkt.
- Zu früh wieder Neues entwickeln: Eine Neuerung nach der anderen zu entwickeln, bindet Ressourcen und erschwert Skalierung.
> Ausführlicher Blick ins Buch »Innovation & Scaling for Impact«
Für die Innovationsförderung ist diese Studie Gold wert – im DRK und auch anderwo. Die Beschreibung der Innovationspathologien hilft, Innovationsprozesse zu analysieren und bei Bedarf gegenzusteuern. In unserem Innovationslabor haben wir gesehen, dass dafür eine externe Prozessbegleitung sehr hilfreich ist: Ohne selbst zu tief im sozialen Geflecht der Organisation zu stecken, ruft sie beispielsweise die gesetzten Wirkungsziele in Erinnerung, macht auf Entwicklungspotentiale, Hindernisse sowie alternative Wege und Chancen aufmerksam.
Innovationsfähigkeit braucht Organisationsentwicklung
Zumeist reicht es schon, sich (s)einer Innovationspathologie(n) bewusst zu sein, um den Prozess daran nicht kranken zu lassen. Manchmal aber sind auch ›Pillen‹ nötig, um die schmerzhaftesten Symptome zu lindern: Wissen und Erfahrungswerte, Zugang zu Netzwerken und hilfreiche Kontakte können durchaus Abhilfe schaffen. Kurz gesagt: Man kann sich externe Expertise ›einkaufen‹, aus dem Weg räumen lassen sich die zu Grunde liegenden Hürden der Innovationsfähigkeit damit aber nicht.
Genauso wenig, wie einfache Rezepte für soziale Innovation funktionieren, ist auch Innovationsfähigkeit einer Organisation nicht so einfach ›herzustellen‹. Sie muss entwickelt werden! Johanna Mair und Christian Seelos zumindest lassen keinen Zweifel daran, dass es bei Innovation und Skalierung um größere Prozesse in Organisationen und nicht Aktionen Einzelner geht:
Im sozialen Bereich lasten zu viele Hoffnungen auf den Schultern einzelner Innovatorinnen und Innovatoren. Echter Impact aber braucht Organisationen, nicht nur Individuen.
(Seelos/Mair 2017: 220; eigene Übersetzung)
Organisationsentwicklung braucht Ressourcen
Bei Innovation und Skalierung für mehr gesellschaftlichen Impact geht es also vor allem um Organisationsentwicklung. Es geht um die Entwicklung, Einführung und Anpassung von Neuerungen im ›Kerngeschäft‹ der Organisation. Dazu gehören heute vor allem – aber nicht nur (!) – digitale Tools und Plattformen, mit denen Arbeitsprozesse verbessert oder sogar vereinfacht werden können.
Billig zu haben ist das nicht! Neuerungen müssen entlang der Wirkungsziele einer Organisation (weiter-)entwickelt, Techniken und Arbeitsweisen erlernt und eingeübt werden. Insbesondere in der Wohlfahrts- und Sozialarbeit gilt dabei: Ein One-Fits-All wird es nicht geben. Zum einen ist Organisationsentwicklung immer organisationsspezifisch, zum anderen stehen in der Wohlfahrts- und Sozialarbeit individuelle Beziehungen statt standardisierter Produkte und Dienstleistungen im Vordergrund.
In unserem Innovationslabor konnten wir für drei Projekte solche zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Projekt-Teams haben diese vor allem dafür genutzt, den zusätzlichen (Personal-)Aufwand bei der Entwicklung neuer Konzepte und Lösungen zu stemmen und dabei unterschiedlichste – vor allem auch neue – Zielgruppen einzubinden. Neben dem Alltagsgeschäft wäre dieses ›Intrapreneurship‹ kaum möglich gewesen.