Auf Studies Online ist kürzlich ein Artikel von Jörg Reschke und Karsten Wenzlaff aus der Publikation „Hochschulen im Wettbewerb“ von Anna Neundorf, Julian Zado und Joela Zeller (Hrsg.) erschienen. Unter dem Titel „Auswirkungen der Umstellung auf Bachelor / Master auf das freiwillige Engagement von Studierenden“ gehen die beiden Autoren der Frage nach, ob und inwieweit die Bolonga-Reform das freiwillige Engagement von Studierenden verhindert.
Wie auch die Autoren durfte ich eigene Erfahrungen mit dem studentischen Engagement während der Umstellung auf gestufte Studiengänge machen. Bezüglich des abnehmenden Engagements, das in den Projekten, an denen ich mitarbeitete, schon vor der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge eintrat, kann ich den Autoren nur zustimmen. Das (gefühlt) rückläufige Engagement der Studierenden kann nicht allein dem Bologna-Prozesses angelastet werden. Eher das Gegenteil ist der Fall. In der Bologna-Erklärung findet sich nämlich ein Passus, der die Anerkennung und Förderung freiwilligen Engagements im Sinne lebenslangen Lernens explizit ermöglicht:
„[ETCS] Punkte sollten auch außerhalb der Hochschulen, beispielsweise durch lebenslanges Lernen, erworben werden können, vorausgesetzt, sie werden durch die jeweiligen aufnehmenden Hochschulen anerkannt“ (Bologna- Erklärung).
Wie auch Reschke und Wenzlaff nahelegen, scheint es eher die Umsetzung der Bologna-Reform an deutschen Hochschulen zu sein, die studentisches Engagement in- und außerhalb der Hochschule zu ersticken droht. Der allgegenwärtige Ökonomisierungszwang gepaart mit dem Missverstehen kompetenzorientierter Lehre und ausgeprägter Veränderungsresistenz der Institution Hochschule führen zu immer enger gestrickten Semesterplänen und immer weniger Platz für das Humboldt’sche Ideal der zweckfreien Bildung.
Die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland beschreibt Uni-Bluff-Autor Wolf Wagner treffend mit „Bologna ohne Bologna“ und führt aus, dass es bei den laufenden Hochschulreformen keineswegs um die europaweite Vergleichbarkeit von Studienleistungen geht. Vielmehr geht es um den Erhalt und Ausbau des professoralen Einflusses und die omnipräsente Aufstiegsfunktion innerhalb des Hochschulsystems.
Reschke und Wenzlaff schreiben, dass der Start der Bologna-Reform in Deutschland mit einer Neuorientierung der Hochschulen verbunden war und dies auch weitere Reformen im tertiären Bildungssektor beflügelte. So wurden neben der Bologna-Reform Land auf Land ab nicht nur Studienbeiträge eingeführt und Studiengänge weitgehend verschult sondern auch die demokratischen Mitspracherechte der Studierenden beschnitten. Letzteres steht für mich in einem eklatanten Wiederspruch zu einer gezielten Engagementförderung im Rahmen der Hochschule. Freiwilliges Engagement – in welcher Form auch immer – scheint mir an deutschen Hochschulen kaum ein Thema zu sein.
Sinnvoll wäre es aber. Im freiwilligen Engagement werden wichtige Soft Skills erlernt und eingeübt, die in der Arbeitswelt der Hochschulabsolventinnen und -absolventen als unbedingte Voraussetzung für beruflichen Erfolg gelten. Schlagworte wie „Teamfähigkeit“, „Sicherheit in Kommunikation und Auftreten“ sowie „Selbstorganisationskompetenz“ beschreiben nur einige wenige Fähigkeiten, die in Stellenausschreibungen immer wieder eingefordert werden. Angesichts der möglichen Chancenverbesserung für Studienabgängerinnen und -abgänger, müsste es doch aber im ureigenen Interesse der Hochschulen liegen, ihren Studierenden nach dem erfolgreichen Uni-Abschluss auch beruflich eine Perspektive bieten zu können.
So schlüssig diese Argumentation klingen mag, so sehr gehören derartige Überlegungen an deutschen Hochschulen immer noch zur Avantgarde. (Meint also es gibt glänzende Ausnahmen!) Mit tatkräftiger Unterstützung der für „freie Bildung“ demonstrierenden Studies, wird eher versucht sich von Zweck-, Arbeitsmarkt- und Berufsorientierung zu distanzierten. Und das trotz entsprechender Regelungen im deutschen Hochschulrahmengesetz:
„Die Studiengänge führen in der Regel zu einem berufsqualifizierenden Abschluss“ (§10 I Satz 1 HRG).
Vor allem die Universitäten – schreibt Wagner im Uni-Bluff (2007) – sehen sich allein der Forschung verpflichtet. Die bietet nämlich die wirklichen Aufstiegs- und Reputationschancen. Mit dem Lehren dagegen ist kaum ein Blumentopf zu gewinnen. Deutlich zeigt sich das Missverhältnis zwischen Aufstiegs- und problemlösender Funktion der Hochschule für Wagner in der methodisch überwiegend mangelhaften Lehre. Wenn überhaupt Interesse am Lernen der Studies besteht, dann werden die Seminare oft mit so viel Stoff überfrachtet, dass bestehendes Interesse am Thema unter dem viel zu hohen Workload begraben wird.
Sicherlich: Ein Stück weit Pedanterie ist muss sein. Um sich mit Themen wissenschaftlich auseinander setzen zu können, braucht es nebst exakten Methoden, gehörigem Vorwissen und einem ganzen Haufen gelesener Bücher auch kritischer Fragen und der Zeit für Reflexion. Doch den Studies das Vorwissen im Regal-Lern-Prinzip einzutrichtern und sie aufzufordern zu Hause noch einmal darüber nachzudenken, ist mitnichten die Aufgabe der Lehrenden. Im Sinne des Humboldt’schen Bildungsideals ist es ihre Aufgabe das Interesse am Thema zu wecken und den Bildungswilligen die richtigen Werkzeuge an die Hand zu geben.
Ein so formuliertes Ideal der zweckfreien Bildung entwickelt auch Wagner in einer neuen Publikation über die Zukunft deutscher Hochschulen, die sicherlich noch in der ersten Hälfte dieses Jahres erscheinen wird. Es widerspricht in keinster Weise der Anerkennung und Förderung freiwilligen Engagements. Mit der Forderung Interesse zu Wecken, dass über die schulische Doppelstunde hinaus reicht, wird sogar das eingefordert, was für freiwilliges Engagement notwendige Voraussetzungen sind: Freiheit (es auch nicht zu tun), Chancengleichheit (es verstehn zu können), Solidarität (Hilfe und Unterstützung untereinander) und Gerechtigkeit (in der Bewertung) (siehe Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland“ S. 281). Werte übrigens, die sich auf den Bannern der Studierendenproteste wiederfanden.
Das studentische Engagement innerhalb und außerhalb der Hochschule ist nach meinem Dafürhalten also durch aus förderungs- und anekennungswürdig. Nicht nur, dass in der gemeinnützigen Tätigkeit mit anderen wichtige Fähigkeiten für das spätere Berufsleben gesammelt werden; es werden auch grundlegende Werte unseres gesellschaftlichen Miteinanders inkorporiert, die sonst im arbeitsweltlichen Konkurrenzkampf all zu leicht vergessen werden.
Kritikerinnen und Kritikern, die meinen, dass nur ein besonders hohes Niveau der Abstraktion und Weltferne dem Humboldt’schen Bildungsideal gerecht werde und freiwilliges Engagement dafür überhaupt nicht geeignet sei, will ich hier zum Schluss noch ein Zitat Wilhelm von Humboldts mit auf den Weg geben. Es stammt aus Humboldts „Theorien der Bildung des Menschen“ und fasst pointiert zusammen, was der deutsche Bildungsreformer über Umfang und die Beschaffenheit dessen schrieb, woran sich auch heute noch Studierende bilden.
„Was also der Mensch nothwendig braucht, ist bloss ein Gegenstand, der die Wechselwirkung seiner Empfänglichkeit mit seiner Selbstthätigkeit möglich mache“ (sic!).
Ich vermute, dass sich „bloss ein Gegenstand“ bestimmt finden lässt, wenn mir nur entsprechende Zeit und Möglichkeit für die ‚Wechselwirkung mit der Welt‘ gelassen wird – beispielsweise im freiwilligen Engagement.
Es freut mich, dass unser Artikel Anlass für Dich ist, sich der Sache in Deinem Blog anzunehmen. Ich empfinde die Umsetzung der Bologna-Reformen in vielen Hochschulen als enttäuschende Performanz der Administration. Vielleicht haben Verwaltung, Hochschulleitung, Lehrende und Lernendenvertreter nicht rechtzeitig verstanden, was für wegweisende Weichen sie da stellten?!
Hallo Jörg, vielen Dank für den Zuspruch. Ich denke da hilft nur eins: Selber Professor werden und den Laden umdrehen.