Online- und Micro-Volunteering: Wer denkt sich sowas aus?!

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Die einen wird es überraschen, die anderen nicht: Ich habe mir das Online- und Micro-Volunteering nicht ausgedacht; weder die Begriffe noch das Konzept. Ich versuche nur es aus dem angelsächsischen Sprachraum in den deutschen zu übertragen. In den USA waren Susan J. Ellis und Jayne Cravens die ersten, die das Konzept des Online-Volunteerings auf seine Anwendbarkeit im Freiwilligenmanagement untersucht haben — mit bekanntem Ergebnis. Und auch diese beiden Pionierinnen haben sich das Online- und Micro-Volunteering nicht ausgedacht. Eher da war zum Beispiel Michael Hart mit seinem Project Guttenberg, aber das ist eine andere Geschichte.
Auf den ersten Blick gibt es bei der Übertragung angelsächsischer Konzepte in den deutschen Sprachraum eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man beweist einen extrem langen Atem und wartet ab, bis die Zeit reif ist. Oder man versucht das betreffende Konzept selbst an die bestehenden Bedingungen anzupassen. Eigentlich sind diese Möglichkeiten keine grundsätzlich verschiedenen, denn jene, die die erste Strategie fahren, warten ja nicht auf die ‚reife Zeit‘ sondern auf die Arbeitsergebnisse jener, die die zweite Strategie fahren, wenngleich diese selten selbst von einer Strategie sprechen würden. Ich für meinen Teil stehe eher für den aktiven Part. Einfach nur warten, ist mir  ein bisschen zu langweilig. Und auch von der vermeintlich dritten Möglichkeit, der multimedialen Blechtrommel, halte ich nicht all zu viel. Sicherlich, mit geschicktem Marketing kann man viel erreichen, die nachhaltigen Ergebnisse — meint die Wirkungen über den Lärm hinaus — halte ich aber für eher mager.
Doch woran soll man sich orientieren, wenn man Neues, das es in Deutschland noch nicht gibt, an die hiesige Kultur anpassen will? Diese Frage habe ich bei meinem Vortrag in Osnabrück gestellt, zu dem mich die Kolleginnen und Kollegen von Sozialer Funke eingeladen haben. Dabei ging es mir eigentlich gar nicht so sehr um das Online- und Micro-Volunteering — das war ’nur‘ das naheliegende Beispiel. Vielmehr wollte ich — wieder einmal ganz im Sinne der Nachhaltigkeit — zeigen woran man sich auch bei zukünftig neuen Formen des freiwilligen Engagements orientieren kann.

Die SINUS-Milieus und das freiwillige Engagement

Den Ausgangspunkt bildeten hier einmal mehr die SINUS-Milieus. Ich hatte mich schon früher auf die sog. Kartoffelgrafik bezogen und die These aufgestellt, dass einige Milieus von Engagementofferten bereits erreicht werden und andere nicht. Schon damals waren es die unterschiedlichen Bedürfnisse und Geschmäcker, die die einen vor den gängigen Formen freiwilligen Engagements zurückschrecken lassen, während sich die anderen dafür offen zeigen. Folgt man dieser These — zu mehr hat es bislang nicht gereicht — heißt das, (1) dass unterschiedliche Formen und Wege freiwilligen Engagements angeboten werden müssen, wenn man Angehörige unterschiedlicher Milieus erreichen will und (2) dass freiwilliges Engagement mit dem sozioökonomischen Status und der normativen Grundorientierung zusammenhängt. Insbesondere die traditionell Eingestellten erreicht man mit herkömmlichen Engagementofferten, die Postmodernen und einige Milieus der Modernen erreicht man damit nicht.

Wenngleich ich diese These heute etwas modifizieren würde, bleibt sie doch auch bestehen, wenn man sich die neue Studie der SINUS-Milieus zu den Teenagern in Deutschland anschaut. Hier haben wir — m.W. das erste Mal — eine ausführliche Beschreibung der unterschiedlichen Lebenswelten, die differenziertere Einblicke gewährt als die Kurzbeschreibungen, die über deren Webseite SINUS-Milieus einsehbar sind.

  • Sieben Prozent der deutschen Teenager werden den „Prekären“ zugeordnet. Das sind Jugendliche, die sich um Orientierung und Teilhabe bemühen aber wegen ihrer schwierigen Startvoraussetzungen eine zuweilen fatale Durchbeißermentalität entwickeln. Freiwilliges Engagement ist hier nur selten zu finden. Wenngleich man sich untereinander hilft — eine Frage der Ehre — ist das organisierte Engagement in dieser Lebenswelt weitgehend unbekannt.
  • Mit zwölf Prozent etwas größer ist die Gruppe der „materialistischen Hedonisten“. Das sind freizeit- und familienorienierte Jugendliche, die zumeist aus Elternhäusern der Unterschicht stammen und ausgeprägt markenbewusste Konsumwünschen aufweisen, die für eine starke Aufstiegsorientierung sprechen. Auch hier findet sich nur ausnahmsweise freiwilliges Engagement. Nicht etwa, weil es als Option der Freizeitgestaltung unbekannt wäre, sondern weil freiwilliges Engagement für die Befriedigung kostspieliger Interessen ungeeignet ist.
  • Mit 13 Prozent erstaunlich groß ist die Gruppe der „konservativ Bürgerlichen“. Das sind ziemlich bodenständige, familien- und heimatorientierte Jugendliche mit großem Traditionsbewusstsein und Verantwortungsethik: als perfekte Feuerwehrmänner und -frauen mittlerweile so etwas wie eine Randgruppe innerhalb der deutschen Jugend.
  • Mit zehn Prozent erstaunlich klein ist dagegen die Gruppe der „Sozialökologischen“. Angehörige dieser Lebenswelt zeichnet sich durch Nachhaltigkeits- und Gemeinwohlorientierung, einer ausgeprägt sozialkritischen Grundhaltung und einer gewissen Offenheit für alternative Lebensentwürfe aus. Hier finden sich vor allem die high potentials der heutigen Umweltjugend.
  • Mit 19 Prozent die große und eher in Mitmach-Ehrenämtern engagierte bürgerliche Mitte unserer Jugend bilden die „adaptiv Pragmatischen“, einem leistungs- und familienorientierten modernen Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft. Freiwilliges Engagement ist hier durch aus verbreitet, aber eben vor allem dort anzutreffen, wo der persönliche „Return on Engagement“ stimmt.
  • Ganz ähnlich gestrickt, aber wohl nicht für Mitmach-Ehrenämter zu begeistern, sind die „Expediven“ (20%). Das sind erfolgs- und lifestyleorientierte Networker mit hoher Medienaffinität auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen. Bei diesen stets auf den eigenen Vorteil bedachten „Egotaktikern“ handelt es sich wohl vor allem um die Petitionszeichner und Voluntouristen unserer Zeit.
  • Und schließlich haben wir da noch die „experimentalistischen Hedonisten“ (19%). Das sind die spaß- und szeneorientierten Nonkonformisten mit Fokus auf das Leben im Hier und Jetzt. Das sind die Teenager, die im Jugendzentrum alternative Partys schmeißen, sich selber das Gitarre-Spielen oder Skater-Tricks beibringen und sicherlich auch hin und wieder mit geltendem (Urheber-) Recht in Konflikt geraten.

Grundsätzlich bleibt es also dabei: Die traditionell eingestellten Teens lassen sich eher auf ein freiwilliges Engagement ein als die Postmodernen. Und auch bei den Modernen scheint es zuzutreffen, dass hier eher die adaptiv-pragmatische Mitte als die Sozialökologischen angesprochen werden. Nicht etwa, weil es im sozialökologischen Bereich des freiwilligen Engagements nichts zu tun gäbe, sondern, weil Jugendliche mit intellektueller Potenz nicht viel mit dem pädagogisierten Jugendengagement anfangen können. Sie wollen von den Erwachsenen gern ernst genommen werden, sie wollen Diskussion auf Augenhöhe, statt eine Verlängerung des Schultags.
Soviel also zur Einordnung des freiwilligen Engagement in die SINUS-Milieus: Unterschiedliche Milieus lassen sich unterschiedlich gut für erprobte (traditionelle) Formen des freiwilligen Engagements begeistern. Nur aber weil sich die postmodernen Milieus heute nicht freiwillig Engagieren, heißt das nicht, dass sie dem organisierten Engagement fern stünden. Das ist sicher bei den traditionell eingestellten Prekären der Fall, definitiv aber nicht bei den experimentalistischen Hedonisten, den Sozialökologischen und Expediven. Hier sind alternative, ’neue‘ Formen des freiwilligen Engagements gefragt.

Die Theorie der Verbreitung gesellschaftlicher Praktiken

Doch woher nehmen wenn nicht stehlen? Wenn es um Innovation im freiwilligen Engagement geht, kann es ja niemals nur darum gehen, einfach etwas zu machen, was noch niemals jemand gemacht hat. Vielmehr geht es darum, Wege zu gehen, über die sich jene, die bislang nicht erreicht wurden, jetzt erreichen lassen. Der Mehrwert ist der Kern jeder Innovation und damit dem Phänomen der Kreativität, wie es Mihaly Csikszentmihalyi beschreibt, sehr nah:

Kreativität ist eine Form von geistiger Aktivität, ein Erkenntnisvorgang, der in den Köpfen einiger außergewöhnlicher Menschen stattfindet. Wenn wir unter Kreativität eine Idee oder Handlung verstehen, die neu und wertvoll ist, dann können wir die Beurteilung des einzelnen nicht als Maßstab für die Existenz der Kreativität akzeptieren. Man kann unmöglich wissen, ob ein Gedanke neu ist, es sei denn man zieht gewisse Vergleichsmaßstäbe heran, und ob er wohl wertvoll ist, hängt von der Einschätzung der Gemeinschaft ab. Insofern findet Kreativität nicht im Kopf des Individuums statt, sondern in der Interaktion zwischen dem individuellen Denken und einem soziokulturellen Kontext. Sie ist eher ein systematisches denn ein individuelles Phänomen.

Nehmen wir jetzt die eingangs formulierte Feststellung, die Geschichte des Online-Volunteerings wäre eine Geschichte der Adaption und Anpassung, bringen sie mit der Verortung freiwilligen Engagements in den SINUS-Milieus zusammen und folgen dann auch noch Csikszentmihalyi, für den der Wert eines Gedankens von der Einschätzung der Gemeinschaft abhängt, stellt sich die Frage, ob und wo es bereits Praktiken — meint beobachtbare, in Handlung überführte Gedanken — gibt, die wir für die Engagementförderung adaptieren können, um dann auch der breiten Masse das Online- und Micro-Volunteering zugängig machen zu können.
Um diese Frage(n) beantworten zu können, lohnt es sich, zu sammeln, was wir schon wissen: Zunächst wissen wir relativ sicher, dass das Internet — ein wesentlicher Faktor beim Online-Volunteering — unter Jugendlichen recht weit verbreitet ist. Insofern ist die SINUS-Jugendstudie schonmal ein guter Ausgangspunkt. Außerdem vermuten wir, dass sich angehörige postmoderner Milieus eher nicht für traditionelle Formen des freiwilligen Engagements begeistern lassen, was nicht heißt, dass sie in ihrer Freizeit faul wären. Eher unwahrscheinlich scheint allerdings, dass sich jugendliche postmoderner Grundorientierung in großer Zahl für Projekte und Organisationen in den angelsächsischen Ländern oder in der internationalen Entwicklungshilfe engagieren. Wahrscheinlicher ist, dass sie ihr Engagement — ihre ganze Power — auf andere Aktivitäten richten. Welche zwei (Haupt-) Aktivitäten das sind, dazu gibt SINUS-Jugendstudie Auskunft:

  • Allen voran richten Jugendliche ihre Aktivitäten auf die Bewältigung lebensphasenspezifischer Herausforderung. Insbesondere Bildung und das Sammeln nützlicher Bildugnszertifikate steht hier im Vordergrund, wobei die Schule zumeist ein Ort ist, an dem man sich nicht länger als nötig aufhalten will.
  • Den Bildungsaufgaben folgt vor allem in den postmodernen Milieus die Inszenierung. Während die Expedieven vor allem sich selber inszenieren, inszenieren die experimentalistischen Hedonisten ihre Jugendszenen.

Es ist schwer, den starken Selbstbezug der Expediven mit freiwilligem Engagement in Verbindung zu bringen. Diesen Jugendlichen — und übrigens auch ihren erwachsenen Pendents — ist die Abgrenzung von anderen, vom Mainstream, von Szene-Spinnern, von Harzern und auch von Intellektuellen ziemlich wichtig. Diese Latte-Macchiato-Jugend engagiert sich nur dann mit anderen, wenn davon ein Prestige-Gewinn zu erwarten ist. Anders die experimentalistischen Hedonisten! Die inszenieren nicht vorrangig sich selbst, sondern eine Issue-Gemeinschaft, eine Jugendszene. Auch das ist zunächst kein freiwilliges Engagement im engeren Sinne, doch gibt es auffällige Überschneidungen.

  • Die ineraktiv-symbolische Inszenierung von Jugendszenen (Punk, HipHop, Skating, Gothic, Cosplay usw.) findet im öffentlichen Raum statt und gestaltet ihn. Nicht umsonst werden z.B. Skateparks gebaut.
  • Weder die Inszenierung von Jugendszenen noch die Selbstbestätigung in der Gemeinschaft funktionieren allein. Vergemeinschaftung ist immer ein Prozess mit Anderen, der mithin auch ephemere Organisationen hervorbringt. Z.B. wenn es darum geht, ein gemeinsames Event zu organisieren.
  • Und nicht zuletzt sind jugendliche Gemeinschaften nicht primär auf persönlichen Profit ausgerichtet. Sicherlich, manche träumen davon, als großer Star der Szene entdeckt und damit auch reich zu werden, im Vordergrund steht aber die Gemeinschaft.

Damit wird klar, wo wir hinschauen müssen, um alternative Engagementformen auszumachen: Es ist die Lebenswelt der experimentalistischen Hedonisten, die in der Jugend als Avantgarde vormachen, was Angehörige anderer Lebenswelten dann peu a peu adaptieren. Und hier kommt die Theorie der Verbreitung gesellschaftlicher Praktiken ins Spiel, die uns einen Hinweis darauf gibt, wie hier eigentlich was von wem adaptiert wird.
Ich hatte diese Theorie schon das eine oder andere Mal hier im Blog erwähnt (z.B. bei meiner Beschäftigung mit Vegetarismus). Sie stammt von meinem ehemaligen Professor Wolf Wagner, der sie bei unterschiedlichen ethnographischen Studien anwandte und damit zeigte, dass sich gesellschaftliche Praktiken nach dem immer gleichen Muster durch die Gesellschaft verbreiten: von der Avantgarde über die kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Eliten gelangen sie in den Mainstream und schließlich irgendwann zu den Armen und Ungebildeten.
Der zentrale Antrieb dabei ist das Streben nach Prestige (Norbert Elias) bzw. Kapitalakkumulation (Pierre Bourdieu), der den Expediven am schwierigsten abzusprechen ist. Aber auch die Sozialökologischen lassen deutliche Distinktionsbemühungen erkennen, wenngleich sie etwas mittleidigiger aber doch auch mit einer verklärten Vorstellung vom Arm-Sein auf die die Prekären herunterschauen. Im Falle der bürgerlichen Mitte unserer Jugend sagt schon der in der SINUS-Jugendstudie gewählte Name, dass hier fleißig Adaptiert wird — und zwar von den Expediven und den Sozialökologischen. Und wenn ich oben bei den materialistischen Hedonisten von einer deutlichen Aufstiegswilligkeit schrieb, sollte nun auch klar sein, wohin man aufsteigen will: Mindestens in die bürgerliche Mitte, wenn nicht gleich zu dem bürgerlich-konservativen Familienideal. Die Prekären schließlich wünschen sich nichts anderes, als fort zu kommen, wobei hier wohl stärkste Orientierung am Maistream offensichtlich wird.
Übertragen wir diese Theorie nun auf das freiwillige Engagement und seine Vorformen, sehen wir, dass sich hier schon einiges getan hat. Auf der Einstellungsebene sehen wir, dass sich der Individualismus und der große Drang nach Selbstbestimmung und Anerkennung (allg. „Wandel des Ehrenamts“) bereits durch die Milieus verbreitet hat, die man in der Jugend als elitär ansehen könnte: den expediven und den sozialökologischen. In die Lebenswelt der adaptiv Pragmatischen ist diese Einstellung noch nicht so stark vorgedrungen, hier ist man auch in Mitmach-Ehrenämtern engagiert, wenn es denn was bringt (RoE). Auf der Handlungsebene sehen wir, dass die Praktik der (Selbst-) Inszenierung bei den Expediven schon angekommen ist, wobei sie hier aus anderen Gründen praktiziert wird als in der Lebenswelt der experimentalistischen Hedonisten, nämlich zur Abgrenzung. Ähnliches gilt auch für die Sozialökologischen, die sich durch ihre sozialkritische Grundhaltung auf etwas subtile Weise von anderen abgrenzen. Kurz: Wer etwas auf sich hält blufft, macht sich zu mehr als wirklich da wäre. Insofern sind bei den Expediven auch die Engagements beliebt, mit denen man angeben kann. Freiwilligenarbeit in Kapstadt bzw. Einmischung in die Bundes- oder Europapolitik via Online-Petition mit großem Medienecho. Die Sozialökologischen dagegen stehen dem traditionellen Engagement schon näher, sind aber dermaßen Kritisch, dass es ihnen wohl leichter fällt, einen eigenen Verein zu gründen und mit den Mitteln und Möglichkeiten des Internets zu organisieren, als einen zu suchen, der ihren Ansprüchen genügt.

Fazit: eine Genialogie des Online- und Micro-Volunteering (?)

Wir sehen also, die Theorie der Verbreitung gesellschaftlicher Praktiken ist auch für das freiwillige Engagement anwendbar. Problematisch ist hier allerdings, dass die sich verbreitenden Praktiken niemals eins-zu-eins übernommen, sondern immer ein bisschen abgewandelt werden, was heißt, dass man sie, wenn sie dann in der bürgerlichen Mitte angekommen sind, nicht mehr wiedererkennt. Wie ist das nun aber mit dem Online-Volunteering? Wer denkt sich sowas aus?
Ganz genau kann man das natürlich nicht sagen. Sicher ist aber, dass die Angehörigen jener Lebenswelten (ob jugendlich oder nicht) das Online-Engagement zuerst erprobten, die ihre Gemeinschaft vor allem über das Internet inszenieren bzw. das Internet nutzen, um gemeinsame Events zu organisieren. Da wären z.B. eher kleinere Jugendszenen wie Cosplay oder Manga, hinter denen internationale Communitys stehen, die dementsprechend auf die Organisation und Koordination über das Internet angewiesen sind. Weiterhin sind da auch noch Jugendszenen wie die der Gamer, die ihre Gemeinschaft vorrangig über das Inter- oder ein Intranet — sozusagen im virtuellen Raum — inszenieren. Wenngleich die Gamer häufig als ‚Problemkinder‘ in Sachen freiwilliges Engagement gesehen werden, kann man hier doch einiges an Online- und Micro-Volunteering erkennen: Organisation von Online-Meetings (z.B. im Spiel), webbasierte Organisation von Events (z.B. LAN-Partys), Produktion szenespezifischer Artefakte (z.B. Maps bei Counterstrike) usw. Nicht umsonst wurde ich schon von Gamern gefragt, ob sich die ZiviCloud nicht eventuell auch für solche Zwecke gebrauchen lässt.
Adaptiert wurde das Netz-Engagement dann von den Eliten, die sich damit von anderen abgrenzen wollten, in dem sie das, was sie tatsächlich tun, einfach etwas aufblasen. Expedive zeichnen z.B. Online-Petitionen mit und mischen sich damit in die Bundes- oder Europapolitik ein. Das zumindest denkt der Mainstream, denn tatsächlich ist die Wirkung von Online-Petitionen sehr beschränkt. Die Sozialökologischen zeichnen sicherlich hin und wieder auch eine Petition mit, wobei sie wohl besser informiert ans Werk gehen als die Expediven. Was allerdings das Online- und Micro-Volunteering anbelangt, adaptieren sie es eher, um selbst Gruppen und Initiativen zu organisieren. Das scheint zunächst nichts anderes zu sein, als das was die experimentalistischen Hedonisten in ihren Jugendszenen treiben, der Unterschied ist aber, das Szene-Angehörige eine Gemeinschaft gemeinsam inszenieren, währenddessen die Sozialökologischen ihre kleinen Gruppen und Initiativen selbst organisieren und sich damit auch zu kleinen Königen machen, wodurch sie natürlich auch Führungs- und Leitungskompetenzen erwerben, die ihnen im späteren Leben helfen.
In den bürgerlichen Maistream ist das Online- und Micro-Volunteering noch nicht wirklich vorgedrungen. Das liegt nicht daran, dass das Netz-Engagement nicht für Mitmach-Ehrenämter geeignet wäre, sondern dass es noch an dessen Anerkennung als ‚echtes‘ Engagement fehlt. Es wird zumeist als „Vorform“ des Engagements — als so etwas wie eine jugendliche Vorübung für das Ehrenamt — angesehen, wodurch sich der Return on Engagement insbesondere für junge Menschen, die noch vorrangig mit der Sammlung von Bildungszertifikaten befasst sind, nicht als sonderlich attraktiv darstellt. Und damit haben wir die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, woran man sich orientieren muss, wenn man neue Formen freiwilligen Engagements in Deutschland etablieren will: (1) an den konkreten Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe — wenn es um die breite Etablierung geht ist das vor allem die Mitte der Gesellschaft — und (2) an bereits erprobten Praktiken, der Avantgarde, denen die gesellschaftlichen Eliten durch Adaption zumindest ein Minimum an Legitimität verleihen (sonst sind sie ja für die adaptive Mitte unattraktiv).
Ohne nach der Genialogie dieser Praktik zu fragen hier noch der tl;dr zum twittern:

Das #onlinevolunteering ist kein gänzlich avantgardistisches Konzept mehr, in der bürgerlichen Mitte ist es aber auch noch nicht angekommen.

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