Anfang Januar ist es Zeit, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Was hat sich in Sachen Online- und Micro-Volunteering 2013 getan? Wie haben sich die Vorhaben aus dem letzten Jahr (weiter-) entwickelt? Und was wird in Fachzeitschriften und -bücher (nicht) geschrieben?
Entre GroKo
Ende letzten Jahres schrieb ich in meinem Jahresrückblick zum Online-Volunteering: „Es geht voran!“ Das gilt auch für 2013. Die immer engere Verflechtung von Zivilgesellschaft, Partizipation und freiwilligem Engagement mit dem Internet und seinen Sozialen Medien ist nicht mehr zu übersehen. Mit dem deutschen Jugendengagement im Blick schrieb das Ende letzten Jahres auch Sibylle Picot im Forschungsjournal Soziale Bewegung (ebd. 2012). Die Rolle des Internets für das freiwillige Engagement wird dementsprechend immer wieder aufgegriffen — interessanter Weise auch im Koalitionsvertrag:
Der digitale Alltag eröffnet neue Möglichkeiten, anderen Menschen zu helfen. Im Netz entstehen neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements über soziale Netzwerke und Nachbarschaftsinitiativen. Wir werden diese Entwicklung unterstützen und „Online Volunteering“-Projekte fördern, z. B. die verbessernde Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung (Mängelmelder, Tausch- und Ehrenamtsbörsen) (S. 144).
Die „GroKo“ war definitiv eine der bestimmenden Themen im Herbst 2013. Wie und vor allem mit welchen Zielen soll Deutschland die nächsten vier Jahre regiert werden? Ich persönlich habe starke Bedenken, ob Deutschland in der nächsten Zeit überhaupt regiert wird. Beim Lesen des Koalitionsvertrages entstand bei mir eher der Eindruck, dass es auf die Verwaltung des Status Quo hinausläuft. Doch wie dem auch sei! Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument, das interessante Einblicke in die Sphären der Bundespolitik gewährt. Man stelle sich vor: drei Monate Verhandlung in Arbeitsgruppen und Elefantenrunden, offene Diskussion bis spät in die Nacht und Beichtstuhlverfahren — Themen, Beispiele und Einschübe, die diesen Prozess überdauern und jetzt in der Endfassung zu finden sind, sind entweder weitgehend konsensfähige Worthülsen oder Sujets, um die man meint, nicht herumzukommen; auch wenn man davon eigentlich noch sehr wenig versteht.
Das Online-Volunteering scheint so ein Sujet zu sein. Was da allerdings gefördert werden soll, hat leider nicht viel mit den Aktivitäten von freiwillig Engagierten zu tun, wie sie im übrigen Koalitionsvertrag dargestellt werden. Doch sei’s drum! Allein die Aussage, dass man Online-Volunteering-Projekte fördern will, lässt aufhorchen. Deutlich geworden ist mir das kürzlich, als Prof. Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA), der momentan mit der Vorbereitung für den neuen Freiwilligensurvey befasst ist, auf einer Panel-Diskussion zum ZiviZ-Survey 2012 meinte, dass man da mal genauer hinschauen müsste.
Es wäre natürlich toll, würde das DZA die Frage nach dem ortsunabhängigen Freiwilligenengagement über das Internet in den Fragenkatalog zum neuen Freiwilligensurvey aufnehmen. Was ich so gehört habe, ist das gar nicht so unwahrscheinlich. Ob aber die entsprechenden Fragen den Weg aber in die Interviews schaffen, wissen wir erst, wenn die Daten zur vierten Welle des Freiwilligensurveys veröffentlicht werden.
Vom Suchen und Finden
Letztes Jahr hatte ich von einigen Projekten rings um das Online-Volunteering berichtet; unter anderem von ZiviCloud und Sozialer Funke. Um beide Vorhaben ist es in 2013 still geworden. Die ZiviCloud blieb — trotz einer vielversprechenden Kooperation mit dem Jugendportal des Österreichischen Roten Kreuz www.helpstars.at — weitgehend ungenutzt. Ähnlich wie Sozialer Funke ruht die ZiviCloud zur Zeit …
Alles Engagement seit 2012 für die Katz? Nein! Ich glaube nicht, dass es Ressourcenverschwendung ist, in unterschiedliche Richtungen zu gehen und immer wieder (neue) Dinge auszuprobieren. Einerseits bilden sich darüber Netzwerke aus Vertrauten, die sich gegenseitig unterstützen und mithin auch neue Projekte miteinander anstoßen. Andererseits erhöht jedes Projekt — auch wenn es eigentlich nur ein Titel in der Stipendiatenliste von Start Social ist („webforgood“) — die Aufmerksamkeit für das Online-Volunteering und die vielseitige Beschäftigung damit.
Genau darum geht es mir! Das Online-Volunteering ist sicher nicht der Heilige Gral des ’neuen Ehrenamts‘. Zweifelsohne ist es aber ein neuer Weg zum freiwilligen Engagement, den Nonprofits eröffnen und interessierte Freiwillige gehen könnten; vorausgesetzt, das Thema wird für beide Seiten auf den Plan gerufen. Für dieses Auf-den-Plan-rufen ist es sinnvoll, die Frage „Geht’s auch online?“ in die Strukturen — z.B. in Eingabe- und Suchmasken für Engagementdatenbanken — einzuschreiben. Betterplace hat das auf seiner Zeitspendenplattform getan, die Anfang 2013 online ging. Die Fragen nach Regelmäßigkeit, Flexibilität und Ortsgebundenheit des Engagements sind in der Eingabemaske für „Zeitspendengesuche“ enthalten, in der Suchmaske für Interessierte dagegen nicht. Schade! Es gilt weiterhin der tl;dr mit dem ich meinen Testbericht zur Betterplace-Plattform im Februar dieses Jahres zusammenfasste:
Punktuell innovativ, streckenweise verbesserungswürdig und ansonsten nicht wirklich neu: Die Zeitspenden-Plattform von Betterplace.org erfüllt die wesentlichen Kriterien einer Engagementdatenbank. Herzlichen Glückwunsch.
Anders gelagert sind Youvo und Proboneo, von denen ich schon letztes Jahr berichtete. Auch hier geht es um die Vermittlung von Freiwilligen — also nicht unmittelbar um das Online-Volunteering. Allerdings engagieren sich die Volunteers — wie selbstverständlich — (auch) von zu Hause, von Arbeit oder von unterwegs über das Internet. Im Fokus von Youvo und Proboneo stehen für das Online-Volunteering vielversprechende Zielgruppen: junge Kreative und Fach- und Führungskräfte. Eben deshalb werden die Plattformen auch ähnlich wie Freiwilligenagenturen betrieben und avancieren für Nonprofits sehr wahrscheinlich nicht bloß zu weiteren Promotion-Kanälen, die (bestenfalls) über Freiwilligen-Management-Tools wie Freinet oder den Ehrenamtsmanager der Stiftung Gute Tat automatisch mit Engagementangeboten versorgt werden.
Youvo stand Ende letzten Jahres noch ganz am Anfang. Im Rahmen eines Semesterprojektes sollte eine Plattform für die Vermittlung von Freiwilligen aus Kreativ-Studiengängen entwickelt werden. Die ersten Ideen dazu stellte das Team im November vergangenen Jahres auf dem Opentransfer Camp in Berlin vor. Ich erinnere mich an eine gut besuchte Session mit heiteren und wohl auch nutzbringenden Diskussionen … Im November dieses Jahres kehrte Youvo zum Opentransfer Camp zurück und ließ das erste Jahr Revue passieren.
In seiner Präsentation zeigte Sebastian Schütz — Yuvoianer der ersten Stunde — worum es bei Youvo geht: Engagementangebote, die sich in erster Linie um Gestaltungsaufgaben drehen und von vorn herein zeitlich befristet sind. Sowohl den Nonprofits, den es nicht selten an vorzeigbaren Fotos, Grafiken und Videos mangelt, als auch jungen Kreativen, die ihr Wissens- und Kontakt-Portfolio aufbauen wollen oder müssen, bietet die Zusammenarbeit einen Mehrwert. Und weil es eben nicht darum geht, junge Menschen schnell mal zum Mitmachen zu mobilisieren, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich aus dem punktuellen Engagement eine längerfristige Verbindung entwickelt.
Proboneo, letztes Jahr noch Talentspender, Wirkung hoch n und re:frame, hat sich auf die Fahnen geschrieben, als erste Vermittlungsagentur für Pro-bono-Dienstleistungen in Deutschland sozialunternehmerisch aktiv zu werden. Bereits seit 2010 vermittelten die Projekte zusammengenommen 40 Fach- und Führungskräfte an 30 gemeinnützige Organisationen. Für bislang ehrenamtlich geführte Projekte durchaus beachtlich!
Beachtlich auch, die namenhaften Förderer und Kooperationspartner: Die Zusammenarbeit mit der BMW-Stiftung Herbert Quandt, der Phineo AG, der Auridis GmbH sowie der Robert Bosch Stiftung zeigen deutlich, dass es das Proboneo-Team ernst meint mit der sozialunternehmerischen Aktivität. Ganz offenbar scheut man die Zusammenarbeit nicht, um das Pro-bono-Engagement in Deutschland voran zu bringen. Das unterscheidet dieses Sozialunternehmen von vielen Nonprofits, die gern ihr eigenes Süppchen kochen und so auf klar ökonomisch denkende Unternehmensleitungen nicht selten ineffizient wirken.
Nun handelt es sich bei Proboneo, Youvo und Betterlplace eigentlich nicht um Online-Volunteering-Projekte. Sicher arbeiten die Projekt-Macher!nnen auch über das Netz zusammen und sind dementsprechend auch Online-Volunteers, doch entstehen hier eben Vermittlungsplattformen bzw. -agenturen. Das sollte nicht mit dem Online-Volunteering — dem Engagement über das Internet — verwechselst werden, wie es im Koalitionsvertrag geschah (s.o.).
Reine Online-Volunteering Programme im deutschen Sprachraum sind z.B. 2aid.org, Cybermentor und die Wikipedia, mit denen ich mich hier und da schon eingehender beschäftigt habe. Dazu kommen zahlreiche weitere Initiativen und Vereine, die auch mit Online-Volunteers zusammenarbeiten wie z.B. die SocialBar und die Berliner SOZIALHELDEN. Schaut man sich das Online-Volunteering in Deutschland an, fällt auf, dass auch 2013 die Einbindung des Online-Engagements vor allem jüngeren Nonprofits gelingt. Obgleich mir mittlerweile auch Initiativen aus dem Roten Kreuz (dem Deutschen wie auch dem Österreichischen) bekannt sind, sind Projekte, die explizit das Online-Engagement aufgreifen, in den traditionsreichen Nonprofits selten.
Eine erwähnenswerte Ausnahme bildet [u25] das im Frühjahr 2013 von der Caritas in Berlin, Dresden, Gelsenkirchen und Hamburg an den Start gebracht wurde. Im Kern handelt es sich um eine Peer-Beratung für junge Menschen, die über ein hauseigenes E-Mail-System abgewickelt wird. Keine ganz neue Idee also! In der Tat gibt es diese Online-Beratung in Freiburg schon seit mehr als zehn Jahren. Der Arbeitskreis Leben hatte das Projekt damals ins Leben gerufen, konnte die steigenden Zahl von Anfragen mit der Zeit allerdings nicht mehr bedienen. Man suchte sich einen Kooperationspartner mit entsprechenden Background, um das Projekt ausweiten und verstetigen (skalieren) zu können.
Christina Obermüller vom Berliner Standort berichtete mir, dass [u25] an allen Standorten sehr gut angenommen wird. Obwohl mit dem Engagement als Peer-Berater!n eine sechs-monatige Ausbildung (Präsenzveranstaltungen) verbunden ist und sich der Gestaltungsspielraum für die Volunteers stark in Grenzen hält, waren die Plätze für die erste und zweite Ausbildungsreihe in Berlin recht schnell vergeben. Erst im dritten Durchgang (ab April 2014) gibt es noch ein paar Plätze.
Nach den Berichten der berliner Koordinatorin zu urteilen, steht hinter [u25] ein solides Freiwilligenmanagement — eins, wie es im Buche steht: Es gibt ein einheitliches Konzept, das auch die Mobilität junger Menschen möglich macht, die hauptamtlich Mitarbeitenden wurden für für das Projekt geschult und es gibt Ausbildungs-Zertifikate für die Volunteers, die dem Vernehmen nach auch etwas taugen. Die Zusammenarbeit zwischen Online-Volunteers und Freiwilligenmanagement ist klar geregelt: Es gibt Supervisionen (Präsenzveranstaltungen) und es gibt verbindliche Policys, was z.B. die Zeit anbelangt, in der auf eine Nachricht geantwortet werden soll. Auch der Abschied von Online-Volunteers ist vorgesehen und wird sensibel gestaltet.
Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl intermediärer Initiativen und Organisationen bemerkenswert finde ich, dass die Online-Volunteers von [u25] weitgehend über die herkömmlichen Kanäle angesprochen wurden: über Pressemitteilungen an lokale Radios und Zeitungen, Infos auf der Homepage und natürlich die guten alten ‚persönlichen Netzwerke‘ konnten recht problemlos interessierte Volunteers gefunden werden. Damit zeigt sich in der Praxis einmal mehr die begrenzte Wirkung von Vermittlungs- und Informationsplattformen, die sich schon vor Jahren aus empirischen Untersuchungen herauslesen ließ (Begemann et al. 2011: 6f).
Online-Volunteering Fachwerk(e)
Auch in Sachen Fachliteratur war 2013 ein gutes Jahr. Besonders gefreut habe ich mich über das Forschungsjournal soziale Bewegung mit dem Schwerpunkt „Social Media — Motor einer neuen Bewegung- und Partizipationskultur“. Sophie Scholz hatte dafür die Gastherausgeberschaft übernommen und dementsprechend ‚die richtigen Leute‘ für das Heft angesprochen: Neben vielen anderen lesenswerten Beiträgen waren Anna Vikky von 2aid.org mit der Praxis des Online-Freiwilligenmanagements, Sergius Seebohm und Paula Hannemann von change.org mit „New Social Movements“ und Judith Orland und Robert Dürhager mit typischen Fallstricken beim Online-Campaigning dabei. Mich selbst fragte Sophie für einene Beitrag zur NPO-Blogparade an, den ich zum Anlass nahm, das Konzept der Social Media Szene am praktischen Beispiel vorzustellen.
Der Zugang zum ’neuen Ehrenamt‘ über das Konzept der Szene stand auch im Mittelpunkt meiner Präsentation auf der re:campaign 2013 (siehe hier und hier). Mein Anliegen war es, ein Framework für das Freiwilligenmanagement im Campaigning zu entwickeln und zu diskutieren, dass (a) über die bloße Mobilisierung von Aktivist!nnen hinausgeht und (b) das Online- und Micro-Volunteering als niedrigschwelligen Zugang zu steterem Engagement (online und on-site) systematisch integriert. Mit dem Modell des New Volunteer Management sollen dementsprechend die fehlenden Stufen in die ‚ladder of engagement‘ eingebaut werden. Etwas konkreter habe ich diesen Gedanken dann im Interview für die Bundeszentrale für politische Bildung erläutert.
Last but not least ist auch das Praxishandbuch Freiwilligen-Management, herausgegeben von Carola und Oliver Reifenhäuser (beratergruppe ehrenamt), erwähnenswert. Bei meinem Blick ins Buch musste ich zwar feststellen, das der State of the Art des Freiwilligenmanagements noch weit von der gezielten Einbindung des Online-Volunteering entfernt ist, gut fand ich aber, dass Internet und Soziale Medien hier nicht allein im Kapitel zur Öffentlichkeitsarbeit auftauchen. Explizit angesprochen werden „virtuelle zivilgesellschaftliche Netzwerke“ im Kapitel acht zur Kooperation und Vernetzung (Reifenhäuser/Reifenhäuser 2013: 87f.), wobei insbesondere auf die Studie des CCCD zu Internet und digitale Bürgergesellschaft Bezug genommen wird.
Quo Vadis 2014
Ein spannendes Jahr 2013 ist vorbei. In Sachen Online-Volunteering hat sich einiges getan und man kann auch vom neuen Jahr einiges erwarten:
- Mit Spannung blicke ich auf die vierte Welle des Freiwilligensurveys, für die die Daten 2014 erhoben werden. Wird das ortsunabhängige Freiwilligenengagement über das Internet den Sprung in den Fragenkatalog schaffen?
- Mit großem Interesse verfolge ich die Aktivitäten von Online-Volunteering-Programmen wie [u25] und Cybermentor. Interessant dabei die Frage: Ist das Ende der Fahnenstange mit Online-Mentoring und -Beratungs-Programmen schon erreicht, oder werden 2014 noch andere Konzepte für das Online-Volunteering entwickelt?
- Skeptisch bleibe ich, was Informations- und Vermittlungsplattformen anbelangt. Ich glaube nicht, dass Engagementdatenbanken überflüssig sind, bin aber davon überzeugt, dass das Konzept intermediärer Organisationen und Initiativen als Engagementvermittlungs- und -Organisationsentwicklungsagenturen besser geeignet ist, um neue Formen des freiwilligen Engagements zu forcieren.
In diesem Sinne: Es bleibt spannend! Allen Engagieren, ob haupt- oder ehrenamtlich, Entrepreneur oder Intrapreneur, allen Changeagents und Skeptiker!nnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2014 …
tl;dr: Es geht voran! In Sachen Online- und Micro-Volunteering hat sich auch 2013 einiges getan. Die Zeichen stehen gut, dass es auch in 2014 so weiter geht.