Die mittlerweile 14. Runde der NPO-Blogparade, die von Engagiert in Deutschland gehostet wird, stellt die Nutzungsgewohnheiten freiwillig Engagierter und Engagementwilliger in Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Engagiert in Deutschland (kurz: eiD) wird als Projekt vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. getragen und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Neben dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) sind bisher die Stiftung Bürgermut, das Centrum für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD), das Institut für Soziale Infrastruktur (ISIS) sowie MeinVerein.de in das Projekt involviert. Hauptsächliches Anliegen ist es,
„das Internet mit seinen interaktiven Möglichkeiten [zu nutzen], um bürgerschaftliches Engagement zu fördern und bürgerschaftlich Engagierte zu unterstützen.“
Für die Umsetzung dieser ambitionierten Ziele, schreibt Stefan Meyn, der Autor des Projektblogs zu eiD, sei eine genaue Analyse der verschiedenen Zielgruppen des Projektes notwendig. Eine herausfordernde Aufgabe, meine ich, zumal Meyn auch treffend bemerkt, dass die Zielgruppe der „bürgerschaftlich Engagierten“ alles andere als homogen ist. Daran ändert meiner Ansicht nach auch die verfeinerte Zielgruppen-Definition in (1) Engagement-Interessierte, (2) Engagement-Suchende und (3) schon aktive Freiwillige wenig. Warum?
Die genannten Zielgruppen scheinen mir logisch an den im Freiwilligensurvey (PDF) abgegrenzten Gruppen der eventuell (1) oder bestimmt (2) zum freiwilligen Engagement bereiten Bürgerinnen und Bürger und den schon freiwillig Engagierten (3) anzuknüpfen. Nach den neuesten Zahlen des Freiwilligensurveys von 2009 wären das 73% der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 (26% eventuell und 11% bestimmt zum Engagement bereit; 36% bereits Engagiert). Würde ich nun tatsächlich annehmen, dass 73% der Deutschen zur Zielgruppe von eiD gezählt werden müssen, wäre dies freilich eine recht optimistische Prognose. Obgleich diese zwar dem Entwicklungsziel, eiD „zu der zentralen Internet-Plattform für bürgerschaftliches Engagement aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat in Deutschland [zu] entwickeln“, nicht entgegensteht, müsste dafür doch davon ausgegangen werden, dass sich die derzeit 37% der Engagementwilligen nur noch nicht engagieren, weil die passenden Engagementangebote fehlen. Mit den Ausführungen der Autorinnen und Autoren, des Freiwilligensurveys lässt sich diese Prognose in der Größenordung jedenfalls nicht stützen. Im Freiwilligensurvey von 2004 wird die Diskrepanz zwischen Engagementwilligen und schon Engagierten nämlich mit der allgemeinen sozialwissenschaftlichen Erkenntnis erklärt, dass Änderungen des Verhaltens weniger wahrscheinlich sind bzw. sich langsamer vollziehen als Änderung der Einstellung.
„Verhaltensänderungen erzeugen für die Person, ‚ökonomisch‘ gesprochen, höhere ‚Kosten‘ (etwa in Form von praktischer Aktivität, Investition von freier Zeit und von Geld) als Änderungen der Einstellung, die im Bereich des Bewusstseins verbleiben (BMFSFJ 2005, 82).
Aber auch das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Mit dem Verweis auf die sozialpsychologische Schwelle des bloßen Sagens zum tatsächlichen Tun wird nämlich auch der fatale Schuss nahe gelegt, dass wir nur lange genug so weiter machen müssten wie bisher und dann irgendwann alles gut wird. Da sich nach fünf Jahren derartig vorsichtiger Engagementförderung aber nichts weiter veränderte, ist die Vermutung durchaus berechtigt, dass die Gründe für die stagnierende Engagementquote in den unpassenden und teilweise unflexiblen Engagementangeboten und damit auch in der Struktur des Dritten Sektors zu finden sein dürften. (Über Notwendigkeit flexibler Engagementangebote hatte ich an anderer Stelle hier im Blog bereits geschrieben)
Vielleicht umfasst also die Zielgruppe von Engagiert in Deutschland nicht 73% der deutschen Wohnbevölkerung ab 14, dennoch bleibt die Zielgruppe insgesamt recht groß, heterogen und damit schwer zu fassen. Mit dem Verweis auf die These, dass freiwilliges Engagement wie auch die Bereitschaftsbekundung dazu Phänomene der Mitte unserer Gesellschaft sind – eine These, die sich mit den Daten der Freiwilligensurveys durch aus stützen lässt – lässt sich die Vermutung anstellen, dass es mit anderen Phänomenen der Mitte (bspw. der Nutzung des Internets) große Überschneidungen gibt.
Die Frage nach dem Internet-Nutzungsverhalten engagierter Menschen in Deutschland könnte demnach schon mit dem Verweis auf verschiedene Studien über deutsche Internetnutzerinnen und -nutzer von der Initiative D21 über öffentlich-rechtliche Studien von ARD/ZDF bis hin zu Nilsen Media Research beantwortet werden. Zu vermuten – oder vielleicht zu hoffen (?) – ist nämlich, dass ‚der oder die Engagierte‘ bzw. ‚der oder die Engagementwillige‘ kein Sonderling unserer Gesellschaft ist, sondern ein ganz normaler Mensch, ein ganz normales Mitglied, ein ganz normaler Citoyen eben.
Auch das Team von eiD scheint das ähnlich zu sehen. Bezüglich einer generationen-übergreifenden Attraktivität der Plattform schreibt Meyn:
„Wir haben erkannt, dass engagiert-in-deutschland.de vielseitige Einstiege bieten und dem Nutzer alle Möglichkeiten offen halten muss […] Vor diesem Hintergrund wird engagiert-in-deutschland.de nicht eine reine Social-Network-Plattform sein, sondern auch ein breites und ‚klassisch‘ erreichbares Informationsangebot bereithalten.“
Das scheint mir zunächst eine gute Idee. Legen Untersuchungen, wie die Online-Studie der ARD/ZDF doch nahe, dass sowieso die meisten Internetnutzerinnen und -nutzer Informations- und Suchangebote im Web bevorzugen. Nur wenige (etwa 13%) vernetzen sich darüber hinaus via Contentproduktion. Mit Blick auf die genannten Studien könnte man glatt vermuten, dass mit diesen 13% auch schon der Zenit der Vernetzungswilligkeit im „Mitmachweb“ erreicht ist; hat sich doch der Anteil der Content-Produzierenden von 2008 zu 2009 überhaupt nicht verändert …
Es sei an dieser Stelle aber daran erinnert, dass sich auch die Engagementquote von 2004 zu 2009 nicht verändert hat, bisher aber niemand vom Zenit selbiger zu sprechen wagt. Lieber werden in Sonntagsreden die Vorteile einer „aktiven Bürgergesellschaft“ in den Vordergrund gestellt, für freiwilliges Engagement geworben und nach Förderung der Freiwilligenarbeit gerufen – immer in der Hoffnung, dass die Bürgerinnen und Bürger irgendwann die Schwelle vom Sagen zum Tun von allein überwinden. Ob dies nun der richtige Weg ist oder nicht, ist eine Diskussion, die wir vielleicht an anderer Stelle führen sollten. Fakt ist, dass (irgend)etwas für die Engagementförderung getan wird – das eine stagnierende Engagementquote nicht einfach hingenommen wird.
Das Internet und vor allem die Vernetzung über selbiges – das dürfte mittlerweile weitgehend Konsens sein – birgt großes Potential für die Zivil- oder Bürgergesellschaft. Wenn Engagiert in Deutschland also die interaktiven Möglichkeiten des Internets nutzen will um freiwilliges Engagement zu fördern, dann muss es meiner Ansicht nach auch darum gehen Anreize für die aktive Vernetzung zu schaffen und nicht nur gespannt zuzuschauen, wie sich die ganze Sache entwickelt. (Auch über die Frage wie man ’sein eigenes Social Network‘ aufbaut hatte ich hier im Blog schon geschrieben)
Es fällt mir an dieser Stelle etwas schwer, konkrete Vorschläge für diese Vernetzungsanreize zu machen. Zu wenige Hintergründe zu technisch wie konzeptionell Machbarem steht zur Verfügung. Im Sinne des kreativen Prozesses, der uns hier wohl als einziger Weg zur notwenig innovativen Idee bleibt, will ich hier aber noch noch zwei (vielleicht verrückte) Ideen formulieren und anderen deren pedantische Überprüfung überlassen:
- Ich glaube nicht, dass ein geschlossenes Netzwerk á la StudiVZ oder Facebook viele Menschen lockt. Zu groß ist der Markt an Netzwerkangeboten mit potentiellem Nutzen für das eigene Engagement (bspw. WordPress, Blogspot usw.). Besser wäre doch ein mehr dezentriertes Netzwerk mit ‚Außenposten‘ eine zentrale Website auf der es Informationsangebote für Web 1.0-Nutzerinnen und -Nutzer gibt und viele kleine, eigenständige Websites für Engagement-Projekte außen herum, die sich damit z.B. auch die Kosten für den eigenen Webspace und den Web-Designer bzw. die Web-Designerin sparen können. Wichtig wäre dabei nur, dass die Engagementseiten gut erreichbar, meint also auch mit eigener URL versehen und via Suchmaschine gefunden werden können (wobei letzteres natürlich auch auszuschalten sein muss)
- Die Thüringer Allgemeine Zeitung (TA) hat vor über einem Jahr die Thüringer Tagebücher ins Leben gerufen. Hier schreiben viele schon betagte Thüringerinnen und Thüringer über Gott und die Welt. Meine Großmutter ist auch dabei sich dort via Content fleißig zu vernetzten. In ihrem Alter fiel es ihr natürlich nicht so leicht hinter die Funktionsweise dieser Plattform zu steigen wie mir – ihrem Enkel. Doch sowohl die Redaktion der Thüringer Tagebücher als auch ihre Enkel halfen ihr und nun kommt sie sehr gut zurecht – schreibt beinahe täglich. Ideen, die sich daraus für eiD formulieren lassen, sind zum einen Tandem-Gespanne aus jeweils älteren und jüngeren Engagierten und zum anderen redaktionelle Hilfen beim Einstellen und Verlinken der Beiträge.
Abschließend zu meinem Beitrag zur 14. Runde der NPO-Blogparade lässt sich also festhalten, dass ich keine spezifischen Internet-Nutzungsgewohnheiten freiwillig engagierter Menschen erkennen kann. Zum einen, weil Freiwillige (hoffentlich) ganz normale Menschen sind und zum anderen, weil keiner sagen kann, wer nächste Woche schon zu den Freiwilligen gezählt werden muss. Des Weiteren wäre es angesichts der Daten verschiedener Online-Studie auch irrig anzunehmen, dass seitens der Nutzerinnen und Nutzer umgehend massenhaft Content produziert wird und so riesige Netzwerke gesponnen werden. Will man aber gerade die interaktiven Möglichkeiten das WWW nutzen um freiwilliges Engagement in Deutschland zu fördern, muss eben diese Contentproduktion kreativ angeregt werden. Ähnlich wie bei der Freiwilligenarbeit gilt hier auch User Generated Content gibt es weder kostenlos noch noch gibt es ihn umsonst.
Schöner Artikel, -Kompliment!
Vielen Dank, ich hatte so meine liebe Müh‘ aber letztendlich hat sich doch alles wieder gefügt.
[…] Offlinern in das Netz bzw. auf die Plattform helfen. Mein Bloggerkollege Hannes Jähnert schlägt Tandem-Gespanne aus jüngeren und älteren Engagierten vor, die Bürgern die Möglichkeiten von eiD aufzeigen. Denkbar ist auch, dass die Plattform die […]
[…] Jähnert geht in seinem Artikel kritisch mit unserer Zielgruppen-Definition um. Er merkt an, dass die Zielgruppe von […]