Wie es mit dem Online-Volunteering 2015 voran ging

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Wie viele Jahre braucht es, bis das Online-Volunteering dasselbe Ansehen wie das ‚on-site‘ Engagement genießt? Rückblickend auf das Jahr 2015 würde ich sagen: noch ein paar Jahre mehr. Es scheint mir mit dem Engagement im und über das Internet so zu sein, wie mit dem Engagement vor Ort. Viele tun es, kaum einer nennt es (Online-) Engagement. Man tut einfach etwas mit anderen. Dabei kann es eben passieren, dass Online-Volunteering oder Crowdsourcing, vielleicht aber auch sowas wie „Ehrenamt 4.0“ herauskommt. Die Eule der Minerva fliegt nachts, deshalb  wissen wir es erst sicher, wenn’s soweit ist. Einen Zwischenstand aber kann man geben: Es geht weiter voran mit der Digitalisierung des Ehrenamts — im Rückblick auf 2015 allerdings etwas anders als in den letzten Jahren.

Digitalisierung im freiwilligen Engagement

In den letzten Jahren wucherte das Internet mit seinen Sozialen Medien immer weiter in die Spähren des freiwilligen Engagements und Ehrenamts: Nebst E-Mail und Dropbox erfreuen sich heute besonders Facebook- und WhatsApp-Gruppen großer Beliebtheit. Schon länger bekannt, schlägt sich dieser Trend nun auch in entsprechenden Dritt-Sektor-Erhebungen nieder: Der IT-Report von Stifter Helfen zeigt, dass die Anzahl privater Endgeräte (Desktop-Rechner, Laptops, Tablets und Smartphones), die in Nonprofits zum Einsatz kommen, die der organisationseigenen Geräte mittlerweile überschritten hat (Frede/Kreideweis/Röhrl 2015: 20). Und auch die genannten Web- und Social Media Dienste finden sich im IT-Report wieder: Allem voran Facebook und Webmail, gefolgt von Speicherdiensten Dropbox und Messangern wie WhatsApp (ebd.: 47 & 52).
Zusammenstellung aus dem IT-Report 2015Die bloße Nutzung von Online-Tools ist schon etwas, der sichere Umgang damit etwas anderes. Wenn ich früher — meint vor etwa 5 Jahren — in meinen Seminaren und Workshops fragte, wer denn schon mit welchen Internet-Tools arbeitet, kam als häufigste Antwort „E-Mail“. Als ich die Teilnehmenden eines Seminars, dass ich für dieses Jahr vorbereitete, fragte, welche Erfahrungen sie denn mit welchen Webtools haben, zeigte sich eine wesentlich größere Spannbreite: Von den ‚üblichen Verdächtigen‘ wie Facebook und Twitter über Wikis und Content-Management-Systeme bis hin zu den Exoten im Nonprofit-Bereich: Snapchat, Vine & Co. Doch wenngleich die Bandbreite der mindestens gelegentlich genutzten Tools um Einiges größer geworden ist, ist die Unsicherheit im Umgang damit noch ziemlich groß. Nicht umsonst werden Grundlagen für Social Media und Einführungen in die Welt der Online-Tools bei Tagungen zum Thema Nonprofits und Social Media immer noch gestürmt, währenddessen spezielle Anwendungsfelder (z.B. eParticipation, eLearning usw.)  auf weniger Zuspruch stoßen. Offenbar besteht in Sachen digitale Kompetenz noch Nachholbedarf.

Digital Literacy in Nonprofits

Das Konzept der Digital Literacy wurde vor einiger Zeit schon in der deutschen Bloggerszene diskutiert. Für mich ist sie ein Teil der Medienkompetenz, die sich ausschließlich auf die digitalen Medien des Internets bezieht. Ganz allgemein lässt sich die digitale Kompetenz als Fähigkeit beschreiben, sich selbstständig mit der Digitalisierung im eigenen Lebensumfeld auseinander setzen zu können; oder „to adapt to the advancement in the technological world, with little to no instructions“. Dabei umfasst die Digital Literacy vielerlei Aspekte: von der bloßen Fertigkeit, die Technik zu bedienen über die Fähigkeit lernend zu handeln (learning by doing) und mit anderen zusammen zu arbeiten bis hin zum Schutz der eigenen Daten und Persönlichkeit (siehe Grafik).
digitalliteracy
Die Vermittlung so gearteter Eigenständigkeit ist leider alles andere als banal. Zur Dialogrunde „Digitales Bürgerschaftlichen Engagement“ im Bundesinnenministerium bin ich Anfang im März deshalb mit Vorschlägen gegangen, wie die ‚Medienkompetenz’ von haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in Nonprofit-Organisationen auf den Ebenen Wissen, Können und Wollen gefördert werden könnte. Die Stichworte waren seinerzeit: (Wirkungs-) Forschung, Raum für Experimente und Change Agency. Die ernüchternde Antwort des Bundesinnenministers de Maizière darauf:

Klassische Förderprogramme zur Medienkompetenz — ich wüsste nicht, wie das geht. Was meinen Sie was Volkshochschulen für gute Sachen anbieten?

Offenbar war Herr de Maizière in diesem Punkt nicht ganz im Bilde, was in seinem Ministerium so läuft. Denn nur ein halbes Jahr später trat die Initiative „Digitale Nachbarschaft“ des Vereins „Deutschland sicher im Netz“ auf den Plan, um genau hier — bei der Digital Literacy — von Haupt- und Ehrenamtlichen im Nonprofit-Bereich anzusetzen. In den nächsten Jahren werden mit der Förderung des BMI ehrenamtliche Scouts über Webinare ausgebildet, die ihr Wissen über selbstorganisierte Seminare und Workshops an Mitengagierte weitergeben sollen.
Ob das funktionieren wird, ist schwer zu sagen. Ich bin aber optimistisch. Einerseits werden mit den Webinaren Menschen adressiert, die mindestens einen Aspekt der Internetnutzung in Ihrem Umfeld verändern wollen und entsprechende Veränderungen anstoßen könnten. Andererseits kann das Scout-Konzept als weitgehend etabliert und anschlussfähig zum Subsidiaritätsverständnis der deutschen Zivilgesellschaft gelten. Und nicht zuletzt kommen fachliche Inputs — die Webinare werden nichts anderes sein — in den Sphären des deutschen Ehrenamts erfahrungsgemäß ganz gut an.

Online-Engagement durch die Hintertür

Die Initiative „Digitale Nachbarschaft“ setzt an der Sicherheit im Netz an. Das zumindest war das prominente Thema bei der Eröffnungsveranstaltung am 10. Dezember in der Berliner Kalkscheune. Inhaltlich werden sich die Webinare aber sicher nicht allein auf diesen Aspekt der Digitalisierung beschränken, sondern vielerlei Möglichkeiten aufzeigen, Online-Tools im Ehrenamt einzusetzen. Das Leitthema Sicherheit im Netz verstehe ich dementsprechend als Ansatzpunkt, der durchaus Sinn macht. In der öffentlichen Diskussion spielen weniger die Vorteile der Digitalisierung — z.B. die Möglichkeit neue Wege zum Engagement anzubieten — als vielmehr die Gefahren, die unzureichender Datenschutz, Cybermobbing und ‚Filter Bubbles’ mit sich bringen, eine Rolle. An entsprechendem Informations- und Selbstvergewisserungsbedarf anzuschließen, ist also durchaus zielführend; zumal auch die Diskussion um die Risiken der täglichen Internetnutzung freiwilliges (Online-) Engagement gedeihen lässt.
Ein Beispiel für derartiges (Online-) Engagement ist die Plattform Juuuport der Landesmedienanstalten in Niedersachsen, Bremen, Baden-Würtemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Auf Juuuport engagieren sich junge Meschen für den sichereren Umgang mit Internet und Social Media und gegen Cybermobbing — ein Problem, dass insbesondere im schulischen Umfeld ausgemacht wird. Auch hier werden Scouts ausgebildet und eingesetzt, um für den ‚richtigen’ Umgang mit den üblichen Social Media Diensten zu sensibilisieren. Auch für Juuuport kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob und wie das Engagement wirkt. Dass aber der Modus des Online-Engagements nachwirkt, halte ich für ziemlich wahrscheinlich. Die Antwort eines jungen Mannes auf dem Podium der Jubiläumsveranstaltung zum fünften Geburtstag von Juuuport in Hannover jedenfalls fand ich bezeichnend:
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Politische Dimensionen der Digitalisierung im Ehrenamt

Sowie das Internet mit seinen Sozialen Medien in die Spähren des Ehrenamts hineinwächst, so verändern sich auch die Rahmenbedingungen für das freiwillige Engagement und Ehrenamt (Mit Friedrich Krotz lassen sich diese Wandlungsprozesse als ‚Mediatisierung des Ehrenamts‘ zusammenfassen). Dass die Digitalisierung des Ehrenamts — bzw. des ‚bürgerschaftlichen Engagements‘ — auch Eingang in die Digitale Agenda der Bundesregierung gefunden hat, ist bezeichnend. Offenbar hat man erkannt, dass sich auch hier etwas verändert, was über die Öffentlichkeitsarbeit hinausgeht und politischer Steuerung bedarf. Vielleicht (Das ist jetzt eine wilde Vermutung von mir!) ist das strategische Ziel der Förderung digitaler Kompetenz (Digital Literacy) im tradierten Bereich der Zivilgesellschaft, ein Gleichgewicht in der Netzöffentlichkeit herstellen, um sich künftig nicht mehr von immer den selben Akteuren und Akteursgruppen anstupsten lassen zu müssen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass schlagkräftige Gegenkampagnen — z.B. von Befürwortern von TTIP, CETA & Co. — herzlich willkommen wären.
Wie alle Wandlungsprozesse aber verläuft auch dieser Wandel des Ehrenamts nicht gradlinig, eingleisig oder sonst wie voraussagbar. Er ist auch nicht zu verhindern oder gar umzukehren, wohl aber förderfähig. Es wird z.B. immer Engagmentbereiche geben, in denen sich die Digitalisierung langsamer niederschlägt als in anderen. Sicherlich gilt das für den sozialen Bereich des Dritten Sektors, also ambulante und stationäre Sozialarbeit, in der freiwilliges Engagement sowieso nur in homöopathischen Dosen vorkommt (Rosenkranz/Weber 2012). Hier kann ein kleiner Schubser (neudeutsch „Nudge“) — z.B. durch Freiwilligendienstleistende im FSJ digital — durchaus Sinn machen. Dazu aber vielleicht, wenn es dazu mehr zu sagen gibt.
tl;dr: Der voranschreitenden Digitalisierung des Ehrenamt folgt das Online-Volunteering auf dem Fuße nach, hoffe ich.

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