Echte Partizipation fördern — aber wie?! (Auswertung der 19. Runde der NPO-Blogparade)

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Eine kurze, knackige Runde der NPO-Blogparade geht zu Ende. Vor dem Hintergrund des Online-Dialoges zur Nationalen Engagementstrategie hatte ich am 29. November die Frage nach den Möglichkeiten der Förderung echter Partizipation gestellt. Damit wollte ich explizit nicht auf die einzelnen Punkte des am 06. Oktober verabschiedeten Strategiepapiers zur zukünftigen Partizipationsförderung durch Bund, Länder und Kommunen (Reiser) einschränken. Mein Ziel war es, auch der Frage nach Partizipationsförderungsmöglichkeiten durch zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen Raum zu geben. Raum der von den Teilnehmenden dieser Runde auch genutzt wurde.
In dem sehr kurzen Zeitraum dieser NPO-Blogparade sind insgesamt sechs Beiträge eingegangen, auf die ich in diesem Beitrag nicht nur eingehen sondern sie gern auch kommentieren und diskutieren will. Ausgehend von der theoretischen Perspektive auf echte Partizipation werde ich versuchen mich immer weiter der praktischen Basisarbeit zur Partizipationsförderung zu nähern um abschließend ein kurzes Fazit (nicht mehr als 1000 Zeichen) zu formulieren, das ich schließlich auch auf der Online-Dialog-Plattform Engagement 2.0 einstelle.
Grundlegendes zur Partizipation:
In meinem eigenen Beitrag versuchte ich zunächst den von mir gewählten Begriff der „echten Partizipation“ etwas weiter zu explizieren. Anhand eines Medienpädagogischen Analysemodells stellte ich die erwartbare (Selbst-)Wirkungsmacht heraus, die einem echten Partizipationsangebot erst die Qualität eines solchen verleiht. Demnach sind Partizipationsangebote, die die Adressierten von vorn herein keine Wirkungsmacht erwarten lassen, Schein- oder Fehlformen, die eine Alibi- oder Dekorationsfunktion erfüllen sollen bzw. im intriganten Sinne fremdsteuernd wirken.[i]
Auf der Tagung „Die Zukunft der Bürgerbeteiligung. Herausforderungen — Trends — Methoden“ der Stiftung Mitarbeit in Loccum, von der Matthias Daberstiel im Fundraiser Magazin (6/2010) berichtete, unterstellte Prof. Thomas Leif der gesamten Diskussion um Bürgerbeteiligung in Deutschland eine eben solche Fehlfunktion.

Bürgerbeteiligung ist doch ein Politikplacebo, die Leute machen sich vor, dass Bürgerbeteiligung existiert, dass 37 Prozent wirklich aktiv sind und 30 Prozent aktiv wären, wenn es ein Angebot gäbe. Das halte ich alles für eine unglaubliche PR-Masche, die mit der Realität nichts zu tun hat, und diese Botschaften sollen Beteiligung eigentlich verhindern.

Ich bin nicht sicher, woher Leif diese Zahlen nimmt. Laut aktuellem Freiwilligensurvey engagieren sich 36% freiwillig und 37% würden es „bestimmt“ bzw. „eventuell“ tun. Doch bei all der Polemik muss ich Leif zumindest darin zustimmen, dass die Versprechungen der bis jetzt praktizierten Engagementförderung nur wenig mit der Realität zu tun haben. Die zum Engagement aufrufende Rhetorik politischer Sonntagsreden kann der Stagnation der bundesdeutschen Engagementquote — die übrigens mit 13 Prozentpunkten über dem europäischen Durchschnitt liegt — nicht entgegen wirken. Es sind grundlegende Strukturänderungen und Perspektivwechsel nötig — z.B. flexiblere Engagementangebote, Open-Data und Community-Organizing.
Dies bestätigt auch Brigitte Reiser vom Blog Nonprofits-Vernetzt. Im Anschluss an ihren oben bereits zitierten Blogpost postuliert Reiser, dass trotz vorgängiger Verlautbarungen — die vorangegangenen Dialogforen befassten sich noch mit Engagement und Partizipation — bei der nationalen Engagementstrategie die Partizipation nur eine untergeordnete Rolle spielt. Viel mehr geht es — so Reiser — um Engagementförderung im Sinne der Aufforderung zum freiwilligen Engagement, der Rekrutierung und Anwerbung von Freiwilligen. Wie natürliche Ressourcen auch — so zitiert Reiser den “endless cycle of recruitment” von Brudney und Meijs (2009) — würde die Ressource des freiwilligen Engagements zugunsten kurzfristiger und rein organisationsbezogener Ziele ausgebeutet.

[So könnte schließlich auch] der Trend zum zeitlich befristeten Engagement, der Unwille von Bürgern, sich länger an eine NPO zu binden, gar nicht so sehr zeitlichen Restriktionen auf Helferseite geschuldet [sein], sondern dem nachlässigen Umgang Gemeinnütziger mit den Freiwilligen, der letzteren wenig Anreiz bietet, sich länger als notwendig auf eine gemeinnützige Einrichtung einzulassen.

Trotz der genuinen Aufgabe gemeinnütziger Organisationen das freiwillige Engagement zu fördern, konzentrieren sich NPOs als professionelle Dienstleister mehr und mehr auf Effizienz- und Effektivitätsziele, die die echte Partizipation weitgehend verunmöglichen. Viel eher brauchen diese Dienstleistungsbetriebe helfenden Hände — am besten von gut gebildeten, selbst und ständig engagierten Ehrenamtlichen — die, wenn nötig, ohne Reibungsverluste im Betriebsablauf ausgetauscht werden können. Diesem (Alp-)Traum einer „ökonomisch nützlichen“ Bürgergesellschaft entsprechend, sieht Reiser die Voraussetzungen für die Förderung echter Partizipation in dem Wechsel von einer rein organisationsbezogenen Überlebenstaktik hin zu einer community-orientierten Empowermentstrategie und der Begegnung von Organisation mit Freiwilligen auf Augenhöhe.
Bezüglich des genannten Community-Empowerment merkt Herbert Schmidt in seinem Kommentar zum Thema eher kritisch an, dass hier mithin auch „Opposition um jeden Preis“ geschürt werden könnte.

„Mich beunruhigt eher, dass über die sogenannte Partizipation irgendwelche Interessengruppen versuchen Politik zu machen. Nun gibt es ja einen Schlchterspruch zu S21. Aber was ist der wert, wenn schon angekündigt wird, dass weiter protestiert wird.“

Sicherlich kann man über den Protest in Stuttgart — wie auch den in Gorleben und anderswo — geteilter Meinung sein, doch glaube ich, dass es durchaus legitim ist, an seinen Interessen fest zu halten. Wenn sich — im Falle S21 — eben ein Gros der Aktiven gegen den Schlichterspruch Heiner Geißlers auszudrücken wünscht, sollten sie das auch tun können. Zivilgesellschaft lebt von der Vernetzung und dem Lobbyismus.

„Da keine Politik vom Besitz der Wahrheit ausgehen kann, muss sie darauf setzen, dass die von Politik Betroffenen ihre Wahrheiten parteilich formulieren und organisieren und in die Politik einbringen. Das Ergebnis ist der so häufig gescholtene Lobbyismus (Wagner 1999: 56).

Schon eher abseits der theoretischen Vogelperspektive beschäftigten sich Anne Wangrin vom Hometown Glory Blog mit eher praktischen Fragen der Partizipationsförderung: dem Projekt- und Freiwilligenmanagement. In ihrem Beitrag hebt Wangrin vor allem kleinere, lokale Initiativen hervor, schreibt aber, dass für die Arbeit mit freiwilligen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gewisse Erfahrungen in Projekt- und Freiwilligenmanagement unabdingbar sind. Hier brauchen vor allem kleinere Initiativen Unterstützung (bspw. bei der Formulierung von Engagementangeboten). Für diese Unterstützung schlägt Wangrin ein lokales Community- bzw. Quartiers-Management vor, das „die Bedürfnisse des Stadtteils und der dort ansässigen Initiativen analysier[t] und sammel[t] und daraus Aufgaben/Projekte erarbeit[t].“
Wie ich bereits in meinem Kommentar auf den Beitrag Wangrins schrieb, sehe ich in einem solchen Modell durchaus Vorteile: So können kleinere Initiativen bspw. sehr viel besser als „die großen Tanker“ des Dritten Sektors individuelle Kreativität kultivieren. Auf der anderen Seite stehe ich diesem Modell, das m.E. stark nach dem Anliegen klingt, das auch im Papier zur Engagementstrategie formuliert ist, kritisch entgegen. Wenn es nämlich im Sinne der Habermas’schen Zivilgesellschaft um die möglichst weitreichende Vernetzung der Bürgerinnen und Bürger zum Zwecke der Lobbyarbeit geht, haben kleinere Initiativen nur selten den Erfolg, den große NGOs regelmäßig vorweisen können.
Freiwilligenmanagement und Volunteer Classification
Stefan Zollondz von net-pilots wendet sich in seinem Beitrag den rein praktischen Herausforderungen des Freiwilligenmanagements zu. Für einen anschaulichen Problemaufriss kategorisiert Zollondz zunächst „etwas plakativ“ freiwillig Engagierte Bürgerinnen und Bürger in A-, B- und C-Engagierte. Unter A-Engagierte fasst Zollondz dabei die „guten“ Freiwilligen — die eigentlich Gefragten. Als B-Engagierte dagegen, bezeichnet Zollondz die Helferinnen und Helfer ohne echte Partizipationsansprüche und die Gruppe der C-Engagierten bilden schließlich die Freiwilligen, die dazu neigen mehr Probleme mitzubringen als sie Hilfe leisten.

Die A-Ehrenamtlichen – besser gesagt, die A-Engagierten, oder A-bürgerschaftlich-Engagierten
Das sind die gefragtesten, die eigentlich jede Organisation haben möchte, gut gebildet, arbeiten selbstständig und suchen sich auch ihre Aufgaben selber. Sie brauchen keine Freiwilligenagenturen, weil sie ein klares Bild davon haben, wo und wie sie sich engagieren Wollen. Dabei steht oft ein zeitlich eng befristetes Interesse mit kurzfristigem Zeitfenster für die Umsetzung im Mittelpunkt.

Die B-Ehrenamtlichen – besser gesagt, die B-Engagierten, oder B-bürgerschaftlich-Engagierten
Diese engagierten Menschen finden sich meistens in den großen Verbänden wieder, betreuen dort die Caféteria, ältere Menschen, Kinder oder übernehmen andere Aufgaben, die ihnen von den professionellen Kräften übertragen werden. Eine echte Partizipation ist hier nicht zu erkennen, da die freiwillig Engagierten meistens nur wenig Beteiligungsmöglichkeiten an Entscheidungen haben. Die B-Engagierten suchen sich Ihr Engagementsgebiet entweder direkt oder über eine Freiwilligenagentur.

Die C-Ehrenamtlichen – besser gesagt, die C-Engagierten, oder C-bürgerschaftlich-Engagierten
Hier reden wir von Menschen, die selber solche Probleme haben, dass sie gar nicht für den Einsatz eingeplant werden können. Solche Menschen laufen überwiegend bei den Freiwilligenagenturen auf und haben ein hohes Beratungspotenzial. Realistische Einsatzmöglichkeiten ergeben sich aber kaum.

Selbst kenne ich mich nicht gut genug in Freiwilligenagenturen aus, als dass ich die Rolle dieser, in diesem Modell zentralen, Einrichtungen fundiert einzuschätzen vermag. Dennoch kann und will ich diese Kategorisierung hier nicht völlig unkommentiert stehen lassen: Es gibt keine A-, B- oder C-Engagierten! Sicherlich gibt unterschiedliche Ziele der Engagierten, unterschiedliche Einstellungen unter Freiwilligen und auch unterschiedliche Persönlichkeitsmuster; es gibt aber keine guten, mittelmäßigen und schlechten Freiwilligen!!!
In einem früheren Blogpost hatte ich einmal von dem Volunteer Classification Model von Nancy McDuff (2006) berichtet, die zwischen „Traditional“, „Serendipitous“, „Social-Change“ und „Entrepreneurial Volunteers“ unterscheidet. Diese Klassifizierung beruht im Grunde auf den Studien Fritz Riehmanns über die „Grundformen der Angst“ und beschreibt relativ beständige Persönlichkeitsmuster (oder eben alltägliche Neurosen). Für die Arbeit mit Freiwilligen ist diese Einteilung insofern hilfreich, als dass ausgehend vom jeweiligen Persönlichkeitstyp passende Aufgabenfelder und Arbeitsbereiche ausgemacht werden können, in denen sich die Freiwilligen wohl fühlen, in denen ihr Potential tatsächlich zu Tage gefördert werden kann. Matching ist — wenn man so will — alles.

Volunteer Classification Model (McDuff 2006)
Volunteer Classification Model (McDuff 2006)
Den A-Engagierten Zollondz’ könnten in diesem Modell die unternehmerisch eingestellten Freiwilligen und die lustvollen Engagementwilligen entsprechen; den B-Engagierten die Weltverbesserer und die traditionellen Freiwilligen. Die C-Engagierten dagegen kommen in diesem Modell nicht vor. Tatsächlich gibt es aber — und da sind wir auch schon wieder ganz nah bei einander — Freiwilligentypen, mit denen traditionelle NPOs — wie auch kleinere Initiativen (dazu den Beitrag von Anne Wangrin) — ihre Schwierigkeiten haben. So arbeitet der A-Engagierte Entrepreneurial Volunteer eher an der Verwirklichung seiner eigenen Ziele, die nicht unbedingt mit denen der Organisation einhergehen müssen und die Serendipitous Engagierte kann das Management mit ihrem sehr spontanen Here-I-am-Auftreten vor schier unlösbare Herausforderungen stellen.
Um derartige Freiwillige dennoch in größere Wohlfahrtsverbände integrieren oder wenigstens mit ihnen zusammenarbeiten zu können, schlägt Zollondz die Anwendung einer Methode aus der Neurolinguistischen Programmierung vor. Mithilfe des sog. „Modelling“, so Zollondz, könnte es gelingen, „die Strategien und Ziele der A-Engagierten zu erkennen […] ihre daraus abgeleiteten Handlungswege zu verstehen [und schließlich] passende Andockstellen“ zu schaffen und diese in die Öffentlichkeit zu kommunizieren; eine Aufgabe die m.E. klar zum praktischen Arbeitsfeld des Freiwilligenmanagements gezählt werden muss.
Fazit in 1000 Zeichen
In der 19. Runde der NPO-Blogparade beschäftigten wir uns mit der Frage nach Förderungsmöglichkeiten „echter Partizipation“. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Engagement und Partizipation nicht auf herkömmlichem Wege zu befördern sind, erörterten wir künftige Herausforderungen. Vor allem das Ideal der helfenden Ehrenamtlichen ohne eigene Ansprüche auf Mitgestaltung, ist mit echter Partizipationsförderung nicht vereinbar. Engagementwilligen ist auf Augenhöhe zu begegnen und Partizipationsofferten müssen eine Wirklichkeitsmacht erwartbar machen.
Im Sinne der oft beschworenen Zivilgesellschaft sollten sowohl kleinere Initiativen als auch größere NPOs zum Empowerment der Bürger(innen) angehalten und befähigt werden. Partizipation ist keine menschliche Disposition – Demokratie ist eine Angelegenheit lebenslangen Lernens. Deshalb gehören Projekt- und Freiwilligenmanagement ebenso zur Engagementförderung wie finanzieller und ideeller Rückhalt aus Kommunal-, Länder- und Bundespolitik (wp.me/pLCBE-bE)


[i] Intrigante Fremdsteuerung könnte zum Beispiel der Vorschlag dreier (Schein-)Alternativen sein, von denen sich zwei für den Wählenden definitiv nachhaltig auswirken und die dritte — dann einzig wählbare — Variante bereits die Wahl der Vorschlagenden war.

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