Online-Volunteering im Deutschen Freiwilligensurvey 2014

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Nach dem mein erster Blick auf die neuerliche ‚Vermessung des freiwilligen Engagements in Deutschland‘ ergab, dass die neue Engagementquote mit 44% viel zu hoch ist, mag ich mich heute gern meinem Lieblingsthema widmen: dem Online-Volunteering. Schon oft habe ich mich gefragt, ob diese Engagement-übers-Netz-Kiste eigentlich an der Realität des ‚deutschen Ehrenamts‘ vorbei geht oder ob es wenigstens ein paar Leute gibt, die das kümmert. Es gibt sie! Online-Volunteering ist eine Form freiwilligen Engagements, die angesichts der 2-, 3- und 4.0-isierung so ziemlich aller Gesellschaftsbereiche sehr wohl relevant ist und deshalb — richtiger Weise — auch im neuen Freiwilligensurvey Thema wurde.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit im Freiwilligensurvey 2014 können die gesammelten Aussagen zum Online-Volunteering an dieser Stelle gleich vollständig wiedergegeben werden:

Nur bei einem sehr geringen Teil der Engagierten findet das Engagement ausschließlich (0,6 Prozent) oder überwiegend (2,1 Prozent) im Internet statt (Tabelle 11-12 [s.u.]). In der jüngsten Altersgruppe wird das Engagement etwas häufiger als in anderen Altersgruppen überwiegend über das Internet ausgeübt (3,3 Prozent); ausschließlich über das Internet engagieren sich aber auch in dieser Altersgruppe nur 0,7 Prozent der Engagierten. Die Internetnutzung stellt in der Regel also eine Erweiterung der freiwilligen Tätigkeit dar, ersetzt andere Tätigkeitsformen aber nur im Ausnahmefall. Online-Volunteering, im Sinne einer ausschließlich oder überwiegend über das Internet ausgeübten Tätigkeit, ist insofern als Phänomen zwar feststellbar, jedoch (noch) keine weit verbreitete Form des Engagements (Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016: 316f.).

830.000 Online-Volunteers in Deutschland sind nicht genug.

Nach meiner ersten neugierigen Suche nach dem Online-Volunteering im neuen Freiwilligensurvey war ich freilich ziemlich ernüchtert: Keine 3% freiwilliges Engagement über das Internet in Deutschland; rund 25% dagegen in der Schweiz (Freitag et al 2016: 123). Selbst die Freiwilligensurveys von 2004 und 2009 stimmten da hoffnungsfroher — schon 2004 schätze ein Viertel der deutschen das Internet als „sehr wichtig“ für die „Abwicklung der Arbeit“ ein, 2009 war es schon fast ein Drittel (Gensicke/Geiss 2010: 245).
Doch wie kommt das zu Stande? Warum konnte ich gut und gerne mit einem Fünftel Online-Volunteers in Deutschland rechnen und dann kommen 3%?
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Die Fragen nach dem Online-Volunteering

Natürlich ist nicht plötzliches Desinteresse am Internet und den Sozialen Medien der Grund für die unterschiedlichen Befunde. Es sind die unterschiedlichen Fragestellungen und zugrunde liegenden Definitionen die hier derart unterschiedliche Ergebnisse produzieren. In den Freiwilligensurveys 2004 und 2009 wurde nach den Einschätzungen der Freiwilligen gefragt. Hier gaben also 25% bzw. 31% der Engagierten an, dass sie im Rahmen ihrer (zeitaufwändigsten) Tätigkeit die „Möglichkeiten des Internet“ als sehr wichtig für die „Abwicklung der Arbeit“ einschätzen, nicht unbedingt, dass sie es dafür auch tatsächlich nutzen (siehe Genicke/Picot/Geiss 2005: 454 bzw. Gensicke/Geiss 2010: 366).
Im Freiwilligen-Monitor für die Schweiz dagegen wurde das Online-Volunteering ganz konkret als freiwilliges Engagement abgefragt, das sich im Grunde von herkömmlicher Freiwilligenarbeit „allein im Ort der Tätigkeit“ unterscheidet (Freitag et al. 2016: 124). Dieses freiwillige Engagement im virtuellen Raum berichten Freitag et al. anhand zwölf unterschiedlicher Tätigkeiten, die von der Gründung und Moderation von Facebook-Gruppen über die Pflege der Vereinswebseite bis zu Einträgen auf OpenStreetMap reichen (ebd.: 126). Gleichwohl sich schon einige Kolleg!nnen aus der Schweiz etwas düpiert gezeigt haben, dass die Moderation von Facebook-Gruppen plötzlich als Freiwilligentätigkeit gilt, wurden im Freiwilligen-Monitor tatsächliche — nicht nur mögliche — Online-Freiwilligentätigkeiten berichtet, die meistens aber nur ein Teil des Engagements der Freiwilligen in der Schweiz sind (ebd.: 138ff.).
Im deutschen Freiwilligensurvey nun wurden die freiwillig Engagierten im Kontext ihrer allgemeinen und ihrer „interaktiven“ Internetnutzung bei ihrer (zeitaufwändigsten) Freiwilligentätigkeit danach gefragt, ob ihr Engagement „ausschließlich“, „überwiegend“ oder „nur teilweise“ im Internet stattfindet (Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016: 298f.). Diese Fragestellung folgt im Wesentlichen der international am weitesten verbreiteten Definition des Online-Volunteerings als freiwilliges Engagement das teilweise oder komplett über das Internet geleistet wird, wobei aus mir noch nicht ersichtlichen Gründen nur die Ausschließlich- und Überwiegend-Angaben berichtet werden (s.o.).

Das Online-Volunteering in Deutschland

Was im Freiwilligensurvey 2014 nun also berichtet wurde, ist die Zahl derjenigen Engagierten, deren (zeitintensivstes) Engagement ausschließlich oder überwiegend im Internet stattfindet bzw. über das Internet geleistet wird. Hochgerechnet etwa 180.000  Freiwillige (0,6%) engagieren sich hiernach ausschließlich, etwa 650.000 (2,1%) überwiegend über das Internet. Spannend wäre sicherlich, die Angaben der jeweiligen Tätigkeiten zu untersuchen, um (a) die Zuordnung zu den Tätigkeitsfeldern für Online-Volunteers (Jähnert 2012: 5) und (b) die These von der Aufweichung des Engagementbegriffs im neuen Freiwilligensurvey (siehe letzter Beitrag zum Freiwilligensurvey 2014) empirisch etwas besser unterfüttern zu können.

FSW14_Online-Volunteering_Anhang
Quelle: FWS 2014, gewichtet, eigene Berechnungen (DZA). Basis: Alle Engagierten (n = 12.253).
Der Befund, dass sich nur sehr wenige Freiwillige ausschließlich über das Internet engagieren und die Zahl der überwiegend im Internet Tätigen höher ist, passt zu den allgemeinen Annahmen zum Online-Volunteering als ergänzende Flexibilisierungsmöglichkeit des Engagements, und findet sich auch in den Aussagen von Freitag et al. im Freiwilligen-Monitor für die Schweiz wieder. Die Gruppe der „Nur online Freiwillige[n]“ wird hier mit rund 3% als die kleinste beziffert, währenddessen die der „online und realweltlich Freiwillige[n]“ mit 22% deutlich mehr Engagierte umfasst (ebd.: 139). Zu vermuten ist deshalb, dass die im Freiwilligensurvey fehlenden Nur-Teilweise-Angaben zum Engagement über das Internet die Zahl der Online-Volunteers in Deutschland noch einmal deutlich erhöhen dürften.
[message_box color=“gray“] Update (26.04.2016)
Auf Anfrage beim DZA, ob die Nur-Teilweise-Angaben zum Engagement über das Internet zu erhalten wären, erhielt ich die folgende Aufstellung:
Angaben: Engagement im Internet (bezogen auf alle Engagierten)

  • „ausschließlich“: 0,6%
  • „überwiegend“: 2,1%
  • „nur teilweise“: 55,2%

Gerechnet auf die deutsche Wohnbevölkerung ab 14 Jahren ergibt das dem Schweizer Freiwilligen-Monitor 2016 sehr ähnliche Ergebnisse.
[/message_box]

Die Quote ist nicht alles!

Persönlich habe ich natürlich auf empirische Befunde gehofft, die die Relevanz des Online-Volunteerings in Deutschland offenkundig erscheinen lassen. Auf der Grundlage der im neuen Freiwilligensurvey berichteten Daten ist allerdings nur der Schluss möglich, dass es sich hierbei zwar um ein messbares Phänomen, (noch) nicht aber um eine weit verbreitete Form des Engagements handelt (s.o.). Dass es deswegen aber irrelevant wäre, sollte daraus nicht resümiert werden! Selbst wenn man nur die Online-Volunteers zugrunde legte, die sich ausschließlich über das Internet engagieren und die jeweiligen Tätigkeiten noch einmal mit einem enger gefassten Verständnis freiwilligen Engagements ‚aussieben‘ würde, spielte das Online-Volunteering als Form des freiwilligen Engagements in einer Liga mit den (Internationalen-) Jugendfreiwilligendiensten, denen ja in der Tat einige Relevanz beigemessen wird.
Und die Quote ist auch nicht alles! Es ist ein großer Gewinn, dass das Online-Volunteering in Deutschland Eingang in die öffentliche Sozialberichterstattung — bzw. genauer: die Datengrundlage dafür — gefunden hat.  Anhand der im Rahmen des Freiwilligensurveys erhobenen Daten lassen sich nun über 300 Fälle aus dem Feld des Online-Volunteerings untersuchen. Das ist eine recht übersichtliche Zahl, die sicherlich keine statistischen Stunts wie detaillierte Faktorenanalysen zulässt, wohl aber vertiefte Einblicke in das Feld geben kann, über das bislang allenfalls (mehr oder weniger gut) fundierte Annahmen kursieren.
tl;dr: Das Online-Volunteering hat es in den deutschen Freiwilligensurvey geschafft. Die Feldvermessung kann beginnen.
[message_box color=“gray“] Literatur:

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