Blick ins Buch: Innovation & Scaling for Impact

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In the social sector, too many hopes rest on the shoulders of a heroic individual as innovators and leader. But impact requires organizations, not individuals (Seelos/Mair 2017: 220).

Johanna Mair und Christian Seelos lassen keinen Zweifel daran, dass soziale Innovation ein „organizational process“ ist (ebd.). Es geht darum, verlässlich wirken und Probleme nachhaltig aus der Welt schaffen zu können. Es geht darum, positiven Wandel zu gestalten. Es geht um Scheitern und es geht um Lernen. Harte Arbeit, die für sich genommen wenig sexy ist.

Soziale Innovation: unsicheres Terrain

It seems that anything that appears novel or surprising is called an innovation, even if the act of creating it, was not innovative and did not involve any significant risk or uncertainty (Seelos/Mair 2017: 18).

Dass heute alles Mögliche als ‚innovativ‘ bezeichnet wird, was irgendwie neu und anders ist, hat wohl damit zu tun, dass die Innovationsforschung stark fragmentiert, wenig theoretisch fundiert und ungenügend empirisch validiert ist (Seelos/Mair 2017: 20). Zur Klärung dessen, was Seelos und Mair als soziale Innovation verstehen, unterscheiden sie zunächst Maßnahmen, die im Rahmen einer „impact-creation logic“ voraussagbare Wirkungen erzielen, von Expermienten, deren Ausgang unsicher ist. Erstere ordnen sie der „green zone“ zweitere der „red zone“ einer Organisation zu.

Uncertainty […] refers to a lack of knowledge sufficient for creating expected positiv impact from organizational action. Innovation thus refers to actions outside an established impact-creation logic (Seelos/Mair 2017: 23).

Innovation ist in diesem Sinne also immer risikoreich, weil dabei außerhalb einer etablierten Wirkungslogik Neues hervorgebracht wird, von dem man nicht viel wissen kann. Seelos und Mair erläutern in diesem Zusammenhang drei Dimensionen organisationalen Wissens, das je nach Verortung der Maßnahmen in der „green“ oder „red zone“ vorhanden ist oder nicht (2017: 23ff, Zitat: S. 30):

 (1) knowledge about the nature of the problems and needs that an organization caters to in a particular space or environment and the likelihood that solutions will be adopted by those in need,

(2) knowledge that accumulates as resources (for exemple, trained staff) and capabilities (the thinks that an organization does really well) as the basis for enacting effective solutions and understanding the likelihood and properties of unintended consequences of solutions, and

(3) knowledge and clarity about its core values and identity that is formaized as a clearly understood mission, as well as knowledge formalized into a long-term strategy around concrete objectives and priorities and a managerial infrastructure such as particular organisational structures and processes.

Es dürfte bis hier her offenkundig geworden sein, dass das Problem im Prozess sozialer Innovation das damit verbundene Risiko ist. Unsicheres Terrain – Neuland – liegt in der Regel außerhalb unserer Komfort-Zone. Vorschläge, sich aktiv dorthin zu begeben, rufen zuweilen heftige Abwehrreaktionen hervor. Diese zu überwinden, um überhaupt die mit den Unsicherheiten verbundenen Risiken minimieren zu können, erfordert Investitionen, die nicht allein mit Geld zu tun haben.

Innovationspathologien: organisationaler Widerstand

Because of the uncertainties of red zone ideas, innovation is risky. Innovation rarely produces expected outcomes. Setbacks and failtures are frequent. Political resouces, such as relational power and influence, need to be invested to make shure that an idea receives the attention of decision makers and to protect the innovation from the organisation‘s immune system (Seelos/Mair 2017: 42f.).

Die Widerstände, die sich gegen soziale Innovationen in Organisationen formieren, äußern sich nicht selten in Phrasen wie „Das haben wir noch nie so gemacht!“ Oder: „Dafür fehlen uns die Ressourcen.“ Im Prozess sozialer Innovation, den Seelos und Mair (2017: 45) mit „Ideas“, „Piloting“ und „Scaling“ grob zusammenfassen, führt das zu unterschiedlichen Pathologien, die es näher in Augenschein zu nehmen gilt:

Phase I: Ideenfindung: Es ist natürlich eine wichtige und gute Sache, kreative Ideen zu haben. Seelos und Mair (2017: 46) weisen allerdings darauf hin, dass in Organisationen das Finden dieser Ideen so eine Sache ist. Es geht dabei schließlich um die Auswahl ‚guter‘ Ideen und also die Frage ihrer Bewertung. Und das ist oft auch eine Frage der Hierarchie, der ‚höchst besoldeten Meinung‘.

  • „Never get started“ – Einfach niemals anzufangen, neue Ideen zu suchen und auf ihre Realisierbarkeit abzuklopfen, ist wohl eine der fatalsten Innovationspathologien, die es gibt. Zum einen ist die Weiterentwicklung von Angeboten und Maßnahmen, die auf die Zielerreichung einer Organisation ‚einzahlen‘ auch im sozialen Bereich überlebenswichtig. Andererseits wird die Arbeit in Organisationen ohne sichtbaren positiven Wandel, für Mitarbeitende einigermaßen trost- und aussichtslos.
  • „Too many bad ideas“ – Zu viele schlechte Ideen! Mit einiger Sicherheit sind die meisten neuen Ideen, schlechte Ideen. Und glücklicher Weise geben die erwähnten Abwehrreaktionen entsprechendes Feedback. Das Problem der zu vielen schlechten Ideen gewinnt allerdings an Brisanz, wenn immer neue Führungskräfte („decision makers“) ihre kreativen Fußabdrücke in der Organisation hinterlassen wollen. Zu viel des Guten überfordert schließlich auch die flexibelsten Geister.

Phase II: Pilotierung: Sind aussichtsreiche Ideen gefunden, beginnt die eigentliche Arbeit am Neuen. Es gilt Prototypen zu entwickeln und ihre Grundannahmen zu testen. Es gilt die kreative Idee zu etwas zu entwickeln, dass funktioniert und verlässlich wirkt (Seelos/Mair 2017: 49f.).

  • „Stop too early“ – Einen Piloten zu früh zu beerdigen hat wohl vor allem mit knappen Ressourcen zu tun. Wird etwas Neues ausprobiert und funktioniert nicht sofort, wird es mangels Zeit, Geld oder Know How schlicht fallen gelassen. Obwohl sich daraus interessante Erkenntnisse für den weiteren Entwicklungsprozess sozialer Innovationen ziehen lassen könnten, kehrt die Organisation zurück zum Ausgangspunkt: „Das haben wir noch nie so gemacht“ und „Dafür fehlen uns die Ressourcen“.
  • „Stop too late“ ist das andere Extrem bei der Pilotierung. Hier ‚verbeißen‘ sich Innovator!nnen (vielleicht überengagierte Führungskräfte) in einer vermeintlichen Innovation, die sich kaum in die etablierte Wirkungslogik der Organisation integrieren lässt. Im schlechtesten Falle wird der Pilot „to big to fail“ und muss als pseudo-innovativer Klotz am Bein immer weiter fortgeführt werden.

Phase III: Skalierung: Ist eine kreative Idee zu einer funktionierenden Lösung entwickelt worden, muss sie, damit man von sozialer Innovation sprechen kann, skaliert werden. Seelos und Mair (2017: 53ff) verstehen darunter aber nicht nur das ‚Groß-Ziehen‘ (scaling up) sondern auch das Einflechten der neuen Lösung in die Wertschöpfungsketten und Wirkungslogiken der Organisation.

  •  „Insufficient Exploitation“ – Die ungenügende ‚Ausbeutung‘ der Potentiale einer neu entwickelten Maßnahme hat vor allem mit ungenügender Transparenz, fehlenden Ressourcen oder zu starren Prozessen zu tun – je nach Skalierungsstrategie (siehe Seelos/Mair 2017: 54ff). Defacto werden so Ressourcen verschenkt oder – sinnbildlich – im Keller versteckt.
  • „Innovate again too soon“ – Zu oft Neues zu entwickeln stellt Sinn und Zweck sozialer Innovationen, nämlich positiven Wandel zu bewirken, in Frage. Vermeintlich hoch-innovative Organisationen sind von dieser Pathologie betroffen. Sie bringen immer wieder Neues hervor, sind aber nicht im Stande, die Wirkung der Innovation zu steigern, weil sie vielleicht glauben, dass andere sie skalieren werden.

Innovationsförderung: nützliche Tipps

We strongly believe that pragmatic, unidealized knowledge improves decisions about innovation and scaling and creates more positive impact. Fantasies about innovation as a magic pill against [hier ein beliebiges Problem einsetzen] do not solve any probems. Rather, they may create new problems by allocating funds to the wrong organizations or the wrong types of activities (Seelos/Mair 2017: 218).

Die hier zitierte Distanz zu euphorischen Lobgesängen am Einhorngehege sozialer Innovationen finde ich, ist ein erster sehr nützlicher Tipp für die Innovationsförderung. Innovation ist nichts für Feiglinge! Es geht um positiven Wandel und nachhaltige Wirkung, nicht um den nächsten heißen Scheiß, den jeder haben muss. Innovation hat mehr mit Excel-Tabellen, Konzept-Papieren und trockenster Selbstkritik zu tun als mit Kicker und Club Mate.

Für die Arbeit, die soziale Innovation bedeutet, geben Johanna Mair und Christian Seelos im letzten Teil ihres Buches noch ein paar Hinweise, die eine grünliche Lektüre durchaus wert sind (ebd. 2017: 179ff):

  • Anhand der im zweiten Teil des Buches ausführlich besprochen Fallbeispiele beschreiben Seelos und Mair vier Archetypen sozialer Innovation: „Innovation for learning“, „Innovation for scaling“, „Innovation for transformative impact“ und „Innovation for diffusion“. Nützlich sind diese insbesondere für das Management von Innovationsprozessen – sie können helfen, den Prozess von der Idee zur etablierten Praxis auf das Wesentliche zu fokussieren.
  • Die Kartierung von technischen und relationalen Problemfeldern mit ihren ökonomischen, kognitiven, normativen und politischen Barrieren hilft ebenso beim Management von Innovationsprozessen. Dabei steht hier deren Produktivität im Zentrum! Es gilt Prozesse so anzulegen, dass sie für alle Beteiligten relevante Ergebnisse liefern und so auch zur Weiterentwicklung motivieren. So empfehlen Seelos und Mair beispielsweise technische Probleme zuerst in den Blick zu nehmen, weil hier schneller mit brauchbarem Feedback zu rechnen ist (ebd. 2017: 212ff).
  • Und zu guter Letzt bieten Seelos und Mair noch einen ‚Reiseführer‘ für produktive Innovationsprozesse, der von der Befreiung von Illusionen des Verstehens und der Kompetenz über die Ausrichtung des eigenen Innovationsprozesses mit dem klaren Fokus auf vielversprechende Ideen und dem Selbstschutz vor zu vielen schlechten Ideen bis hin zur aktiven Auseinandersetzung mit Adressaten, Partnern und Förderern führt.

Fazit: fokussiert bleiben!  

We suggest that organizations and their supporters focus much more on green zones than on red zones. Scaling, not innovation, ist he key to impact for the organizations we have studied (Seelos/Mair 2017: 228).

In meinem Bücherregal findet sich mittlerweile einiges zur Förderung sozialer Innovationen. Kaum etwas hat mich bislang wirklich überzeugt. „Innovation & Scaling for Impact“ allerdings schon! Es gibt einen handhabbaren Rahmen für neue (‚innovative‘?!) Konzepte zur Innovationsförderung, die nicht darauf abzielen, einfach nur etwas anders, sondern wirklich etwas besser zu machen – nicht die „red“ sondern die „green zones“ in den Blick zu nehmen.

Insbesondere das dritte Kapitel mit den Hinweisen für die Förderung sozialer Innovationen – vielleicht durch die Organisation von Innovationhubs, -labs oder -accelleratoren – finde ich sehr empfehlenswert und linke deshalb hier auch gern zur Blogparade »Soziale Innovation – Innovation im Sozialen: Wie geht das?«. Für Innovator!nnen, die Neues in die Welt ihrer Organisation bringen wollen, ist natürlich der erste Teil und hier besonders die Innovationspathologien spannend. Und wer einmal erfahren will, wie soziale Innovation in Indien und Bangladesh ‚gemacht‘ wird, sollte sich einfach im zweiten Teil umschauen – da ist für jeden was dabei.

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