Schon während ich noch an meiner Diplomarbeit schrieb, bekam ich Post von der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland. Ein neues Buch von der Akademie zum Freiwilligenmanagement, dessen Theorie, Politik und Praxis von Carola Reifenhäuser, Sarah G. Hoffmann und Thomas Kegel.
Leider scheint es bis jetzt nur ein Managementmodell zu geben, das die „Planung, Organisation, Koordination, Aus- und Bewertung von freiwilligem Engagement in einer Organisation“ (Def. Freiwilligenmanagement AfED) wenigstens teilweise einbezieht: Das „Freiberger Management-Modell für Nonprofit Organisationen“ (Schwarz et al. 2009). Eben davon ausgehend, kann es nicht verwundern, dass sich die Publikationen zum Thema Freiwilligenmanagement häufig ähnlich lesen. Im vorliegenden Sozialwirtschaft Diskurs aber werden die Ausführungen zum Freiwilligenmanagement von der Darstellung diverser Diskussionslinien der Bürgergesellschaft, aktuellen Engagementstudien, verschiedenen Entwicklungstendenzen des dritten Sektors in Deutschland und praxisnahen Darstellungen der Arbeit mit Freiwilligen flankiert.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die 120 Seiten zum Freiwilligenmanagement für 19,80€ lohnen sich auch wenn sich die Leserinnen und Leser die Freiwilligenarbeit über das Internet stets dazu denken müssen.
Theorie
Im ersten Teil geht es – wie der Titel schon verrät – um die Theorie des freiwilligen, bürgerschaftlichen, zivilgesellschaftlichen oder ehrenamtlichen Engagements. Wie in der Akademie für Ehrenamtlichkeit üblich, sprechen die Autor(innen) auch in den Publikationen vom „freiwilligen Engagement“, um damit möglichst alle Bereiche der Freiwilligenarbeit in Deutschland abdecken zu können.
Los geht es mit der ebenso trockenen wie notwendigen Statistik des freiwilligen Engagements in Deutschland. Anhand verschiedener Fragen erläutert Sarah G. Hoffmann den Ist-Zustand der Freiwilligenarbeit in Deutschland und stellt fest, dass das freiwillige Engagement hierzulande äußerst vielfältig ist. Die Autorin thematisiert kristalline und fluide Freiwilligenorganisationen, das „Engagementpotential“ und die Motive des Engagements. Dabei verweist sie zum einen auf die weitgehend validen Daten des Freiwilligensurveys, zum andern aber auch auf den schwer kritisierten Engagement-Atlas 2009 der AMB-Generali.
Zu letzterem hätte ich mir zumindest einen Verweis auf die methodischen Schwierigkeiten gewünscht, wie sie bspw. Braun und Klages bzw. Hoffmeyer-Zlotnik (beide 2009) kritisieren. Es hätte auf jeden Fall festgehalten werden müssen, dass der Engagementatlas 2009 vor allem in seinen angeblichen Stärken empirische Ungenauigkeiten aufweist, die eine wissenschaftliche Verwendung – gelinde gesagt – schwierig machen. Aber auch beim Freiwilligensurvey wäre es sicherlich sinnvoll gewesen auf methodische Schwierigkeiten, wie die Telefonbefragung von Menschen mit Migrationshintergrund hinzuweisen.
Sehr gut dargestellt wird im ersten Teil der Strukturwandel des freiwilligen Engagements (31ff). Anhand verschiedener Wandlungsprozesse in der deutschen und mitteleuropäischen Gesellschaft zu einer „Multioptionsgesellschaft“ (Gross 1994) wird der Wandel vom traditionellen Ehrenamt zur modernen Freiwilligenarbeit dar- und gegenüber gestellt.
Unter dem Titel „Zukunft des freiwilligen Engagements“ (34) beschreibt Hoffmann Zukunftstrends im Dritten Sektor. Mit dem Verweis auf Annette Zimmer (2005) schreibt zum einen von der Verengung des ‚Engagementmarktes’ auf Grund wachsender Zahl der Freiwilligenorganisationen, zum andern von der Spaltung der Gesellschaft in eine engagierte Mittelschicht und eine nicht engagierte Unterschicht. Nicht zu letzt findet auch der weitere Rückzug des finanzierenden Sozialstaates Erwähnung.
Keine Erwähnung dagegen findet die Freiwilligenarbeit über das Internet, obwohl man sie an dieser Stelle für mehr als angebracht halten könnte. Die Eröffnung neuer Wege der Freiwilligenarbeit seitens der Organisationen des Dritten Sektors scheint mir zumindest der logische Schluss aus der „Verengung des Engagementmarktes“.
Unter dem Titel „Wurzeln des Engagements“ behandelt Hoffmann die Historie des freiwilligen Engagements, wobei sie das Ehrenamt in der Tradition des Elberfelder Systems mit dem Verweis auf die Wortherkunft „frei“ und „Freiwillige“ kurzer Hand umschifft, um ohne weitere Umwege auf zwei verschiedene Diskussionslinien der Bürger- oder Zivilgesellschaft zu sprechen zu kommen. In wenigen klaren Sätzen umreißt sie die republikanische (oder kommunitaristische) und die liberale Tradition und kommt schließlich auch auf die Habermas’sche Theorie der Zivilgesellschaft zu sprechen.
Nach einigen Beispielen zu historischen Vorbildern der modernen Freiwilligenarbeit, bei denen die o.g. Historie des Ehrenamts in Deutschland vielleicht hätte Erwähnung finden können, schließt Hoffmann den ersten Teil des Buches mit der gesellschaftlichen Bedeutung des Engagements ab. Hier thematisiert sie vor allem das Konzept des Sozialen Kapitals, das Spannungsverhältnis von Engagement und Erwerbsarbeit sowie die Infrastruktur für freiwilliges Engagement in Deuschland.
Politik
Im zweiten Teil des vorliegenden Sozialwirtschaft Diskurses behandelt Thomas Kegel das Sozial- und Freiwilligenmanagement. Er geht dabei davon aus, dass sich die Methoden des Sozialmanagements auf das Management von Freiwilligen übertragen lassen und schließt damit an vorangegangene Publikationen zum Freiwilligenmanagement an.
Nach einigen einleitenden Ausführungen zum Dritten Sektor in Deutschland, beschreibt Kegel drei deutlich erkennbare Entwicklungstendenzen von Dritt-Sektor-Organisationen; die Tendenz zum Selbsterhalt bzw. der Selbstzufriedenheit, die Tendenz der „GmbHisierung“ und die der (Re)Politisierung. Letzteren schreibt Kegel dabei die größten Chancen auf dem Engagementmarkt (der sich – wie Hoffmann darstellt – perspektivisch verengt) zu.
Einleitend zum Bereich des Freiwilligenmanagements – dem Kern des Buches – plädiert Kegel zunächst für eine umfassendere Beschäftigung mit dem Thema Freiwilligenarbeit und Freiwilligenmanagement in Ausbildung und Forschung.
„Offensichtlich“ – so Kegel (58) – „herrscht immer noch die Denkart vor: ‚Ehrenamtliche hatten wir doch immer schon und die haben bei uns einfach mitgemacht und wir haben alles vor Ort geregelt’“.
Anschließend Definiert er das Freiwilligenmanagement als „Planung, Organisation, Koordination und Aus- und Bewertung von freiwilligem Engagement“ (59) bevor er grundsätzliche Aufgaben der Organisationsentwicklung für eine nachhaltige Freiwilligenarbeit umreißt.
Im letzten Teil seiner Ausführungen gibt Kegel einen Überblick über die Aufgaben des Freiwilligenmanagements. Getreu der genannten Definition zählt er dazu besonders die Planung und Bedarfseinschätzung freiwilligen Engagements, die Aufgabenentwicklung, das Anwerben und Gewinnen von Freiwilligen, die Erstgespräche sowie die Unterstützung, Motivation und Begleitung der Freiwilligen. Außerdem verweist er auf den Auf- und Ausbau eines Annerkennungssystems und die Qualitätssicherung und –entwicklung, die ich beide hier zum laufenden Prozess der Organisationsentwicklung zählen würde.
Wenig überraschte mich hier, dass kaum ein Wort über den Einsatz neuer Medien verloren wurde. Zwar findet besonders im Bereich des Anwerben und Gewinnen von Freiwilligen das Internet Erwähnung, doch ist vom proaktiven Einsatz von Social-Media-Tools (Social Networking Dienste, Blogs, Wikis oder auch nur Instant-Messenger) keine Rede.
Praxis
Bei der Lektüre dieser neusten Publikation zum Freiwilligenmanagement hat mich besonders der letzte Teil begeistert. Carola Reifenhäuser – in der Akademie tätig für Volunteer Consult – nimmt die einzelnen Aufgaben des Freiwilligenmanagements auf und macht sie anhand verschiedener Schaubilder und Praxisaufgaben sehr plastisch. Anhand des „Engagement-Zyklus“, der vom identifizieren der Engagementfelder bis zur Verabschiedung der Freiwilligen reicht, durchläuft sie die wichtigsten Aufgaben des Freiwilligenmanagements und gibt praktische Tipps für die Arbeit mit Freiwilligen.
Fazit
Der Sozialwirtschaft Diskurs „Freiwilligen-Management – Theorie, Politik, Praxis“ kann sowohl als Nachschlagewerk, wie auch als lineare Lektüre dienlich sein. Mit dem gut gegliederten Inhaltsverzeichnis lassen sich Fakten zur theoretischen Rahmung der Freiwilligenarbeit, ihrer historisch-philosophischen Wurzeln und gesellschaftlichen Bedeutung im ersten Teil problemlos finden. Der Aufbau und die Aufgaben des Freiwilligenmanagements finden sich zweiten, praktische Tipps zur Arbeit mit Freiwilligen im letzten Teil. Wer das Buch allerdings von vorn bis hinten liest kann sich durch seinen Aufbau und die induktive Struktur für die Arbeit mit Freiwilligen begeistern lassen oder vielleicht auch andere mit einem Buch- oder Lesetipp von der Arbeit mit Freiwilligen überzeugen.