Für die Voluntaris, eine Fachzeitschrift für Freiwilligendienste, habe ich „Freiwilligenmanagement in der Praxis“ von der beratergruppe ehrenamt rezensiert. Ich finde es wirklich wichtig, dass sich Träger der Freiwilligendienste mit dem Management von Ehrenamtlichen auseinandersetzen, denn so können vielleicht auch die Potentiale der Freiwilligendienste für die Nachwuchsgewinnung im ehrenamtlichen Engagement gehoben werden. Den jetzigen Stand des Freiwilligenmanagements hinsichtlich des Internet- und Social Media Einsatzes empfinde ich allerdings weiterhin als wenig aktuell. Liegt das vielleicht daran, dass hierzu in (Hand-)Büchern zum Freiwilligenmanagement wenig bis gar nichts Konkretes zu lesen ist? Wer weiß! Im folgenden zunächst zu „Freiwilligenmanagement in der Praxis“.
Step by Step zum Freiwilligenmanagement
Die Praxisstudie zum Freiwilligenmanagement sollte, wie ich finde, der zweite Lektüre-Schritt bei der Implementierung eines Freiwilligenmanagements sein, das sich nicht nur um die ‚besondere Form bürgerschaftlichen Engagements‘ in recht klar geregelten Programmstrukturen (gemeint sind die Freiwilligendienste) kümmert, sondern den Spagat zwischen sehr konkreten Ansprüchen der Organisation (bspw. in puncto Qualität) und der eher diffusen Eigensinnigkeit freiwilligen Engagements hinbekommen muss. Einem Freiwilligenmanagement, dessen Hauptaufgaben darin besteht, Räume für die Aushandlung guter Rahmenbedingungen im Engagement zu etablieren, Formen der Wertschätzung freiwilligen Engagements zu institutionalisieren und eine Anerkennungskultur unter allen Beteiligten – Haupt- und Ehrenamtlichen sowie „alten Hasen“ und „jungen Hüpfern“ – zu fördern.
Für die beratergruppe ehrenamt gaben Carola und Oliver Reifenhäuser bereits 2013 das „Praxishandbuch Freiwilligenmanagement“ heraus. Der Band führt in 18 Kapiteln Schritt für Schritt durch die Etablierung des Freiwilligenmanagements und das Prozessmodell der Freiwilligenkoordination. Ich habe das Buch vor vier Jahren hier in meinem Blog besprochen und festgehalten, dass der aktuelle Stand der Entwicklungen im Freiwilligenmanagement ganz treffend wiedergegeben wurde. Auch wenn mittlerweile etwas Zeit ins Land gegangen ist, trifft mein Fazit von damals auch heute noch zu.
Für einen systematischen Einstieg in das Thema Freiwilligenmanagement und -koordination empfiehlt sich also immer noch das Praxishandbuch, denn der von Reifenhäuser et al. nun vorgelegte Band geht darüber hinaus. Mit „Freiwilligenmanagement in der Praxis“ legen sie eine Praxisstudie vor, die helfen soll, förder- und hinderliche Rahmenbedingungen für die Etablierung des Freiwilligenmanagements aufzudecken und den über Jahrzehnte gefüllten „Werkzeugkoffer“ etwas zu „entrümpeln“ (S. 10).
Insights zum Freiwilligenmanagement
Der Band ist in zwei Teilen aufgebaut. Im ersten Teil werden die 22 befragten Organisationen in Form von Portraits, teils als Interviews und teils in Erzählform vorgestellt. Bei der Auswahl versuchte das Team der Autorinnen und Autoren sowohl die Vielfalt der Engagementbereiche als auch die der Organisationstypen und Wirkungsebenen in Ost und West, Nord und Süd abzubilden. Ich finde das ist gut gelungen! Die Berichte geben lebendige Einblicke in die Praxis der unterschiedlichen Organisationen und werfen diverse Schlaglichter auf das Freiwilligenmanagement: Die einen weisen auf die Wichtigkeit der Anerkennungskultur in ihrer Organisation hin, die nächsten betonen die notwenige anwaltschaftliche Vertretung freiwillig Engagierter innerhalb der Organisation wie auch nach Außen und wieder andere stellen die ganz eigene Qualität ehrenamtlichen Engagements heraus, die sich buchhalterisch nicht darstellen lässt.
In der Gesamtschau ergibt sich so ein guter Eindruck der vielfältigen Herausforderungen, denen das Freiwilligenmanagement begegnen muss. Da sich die ausgewählten Organisationen in ihrer inneren Struktur und ihrem jeweiligen Auftrag allerdings stark unterscheiden, lohnt es, sich bei der Lektüre einzelner Berichte von den Ähnlichkeiten zum eigenen Arbeits- oder Engagementkontext leiten zu lassen. Für mich waren zum Beispiel die Berichte von EUROPARC Deutschland, der AWO-Thüringen und natürlich des DRK-Landesverbandes Niedersachsen besonders interessant – tatsächlich hätte ich mir hier sogar noch etwas tiefere Einblicke gewünscht.
Spotlights auf das Freiwilligenmanagement
Im zweiten Teil des Bandes werfen die Autorinnen und Autoren ausgewählte Schlaglichter auf das Freiwilligenmanagement. Nach dem Blick auf besondere Rahmenbedingungen die Koordination freiwilligen Engagements im ländlichen Raum, in der kommunalen Verwaltung und in der Jugendarbeit werden neben Sinn und Zweck professionellen Managements freiwillig Engagierter, der Initiierung und Implementierung von Freiwilligenmanagement und der Entrümplung dessen „Werkzeugkoffers“ Themen von gewisser Dauerkonjunktur in den Debatten um die Engagementförderung herausgegriffen: Motivation und Bindung freiwillig Engagierter, freiwilliges Engagement von mit Behinderung und Umgang mit ungebundenen Spontanhelfern.
Die Einblicke bestätigen im Großen und Ganzen die Tauglichkeit der Methoden und Instrumente des Freiwilligenmanagements, zeigen aber auch Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten auf. Insbesondere dort, wo sich die Ansprüche des Freiwilligenmanagements nicht mehr mit dem Eigensinn des freiwilligen Engagements vereinbaren lassen, wird es schwierig. Die Ausführungen von Sarah G. Hoffmann zu spontanem und informellem Engagement „Standby“ sind hierfür eindrücklich:
Gemeinsam ist diesen Begriffen [spontan & informell], dass sie etwas zum Ausdruck bringen, was wir im Freiwilligenmanagement lieber vermeiden möchten: Durch Aufgabenprofile, Engagementvereinbarungen und Einarbeitungskonzepte geben wir dem Engagement eine Form, wir ergründen Motive, regen Engagierte an, über ihre Erwartungen zu reflektieren, und schließlich wollen wir die Freiwilligen an unsere Organisationen binden. Die Tatsache, dass sich aktuell viele Freiwillige spontan und informell engagieren, macht uns erneut darauf aufmerksam, dass das Management von Freiwilligen zwar nicht unbedingt ein Widerspruch, aber doch eine große Herausforderung darstellt (S. 204).
State of the Art im Freiwilligenmanagement
Für die Herausforderungen unserer Zeit (steigende Mobilität, Nachfrage nach Flexibilität usw.) bietet die Digitalisierung großes Potential. Sie spielt in der Praxis des Freiwilligenmanagements bislang aber noch eine recht randständige Rolle. Im vorliegenden Band taucht das Internet mit seinen Sozialen Medien zwar hier und da auf, wird aber vor allem als Informations- und Werbekanal vorgestellt, wobei das Mobilisierungspotential informeller Helferkreise, die scheinbar problemlos Helferinnen und Helfer über Facebook- und WhatsApp-Gruppen mobilisieren können, beinahe neidvoll betrachtet wird.
Und auch das Online-Volunteering (freiwilliges Engagement über das Internet) scheint noch nicht angekommen zu sein. Im Kapitel zu „Inklusion und Ehrenamt“ schreibt Hartmut Bargfrede, dass „die ersten ‚zarten Pflänzchen‘ eines Engagement via Internet wohl wachsen und sich verbreiten werden, wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, welche Möglichkeiten ein nahezu zeit- und ortsungebundenes Engagement über das Netz offenhält“ (S. 212).
„Zarte Pflänzchen“?! Wenn ich mir die Daten zum Online-Volunteering des letzten Freiwilligensurveys anschaue, komme ich ins Zweifeln, welches Ehrenamt hier gemeint ist. Über die Hälfte der befragten Ehrenamtlichen gab bereits 2014 an, sich mindestens teilweise über das Internet zu engagieren. Ist das an der Praxis des Freiwilligenmanagements vorbei gegangen?
Es scheint mir, als würde die Digitalisierung im Freiwilligenmanagement weiterhin wenig prioritär behandelt oder gar strategisch aufgegriffen. Bei der Vielzahl an Anforderungen, die im ersten Teil des Bandes illustriert werden, ist das auch kein Wunder, hat aber zur Folge, dass die Internetnutzung seit Jahren wild in das freiwillige Engagement hinein wuchert und bestehende Strukturen und Disparitäten wie die Bildungs-Bias, den Gender-Gap oder den Digital Divide im Ehrenamt verstärken.
What’s next? Ein frommer Wunsch
In Sachen Digitalisierung im Ehrenamt sehe ich — das wird jetzt niemanden überraschen — auf jeden Fall Handlungsbedarf. Deshalb ein Wunsch zum Schluss:
Als Praxisstudie finden sich im vorliegenden Band von Reifenhäuser et al. einige Hinweise, dass die bekannten Methoden und Instrumente des Freiwilligenmanagements weiterentwickelt werden müssen. Als Denkanstöße dafür wünsche ich mir einen dritten Teil der Reihe. Einen dritten Teil, der nach dem Praxishandbuch Freiwilligenmanagement und der vorliegenden Praxisstudie zu dessen aktuellen Stand die Praxis der Zukunft in den Blick nimmt: Dezentral arbeitende Teams, flache Hierarchien und agiles Projektmanagement – Themen, die nicht erst in ferner Zukunft, wenn der Netzausbau in Deutschland abgeschlossen ist, für das Freiwilligenmanagement relevant werden.