Die Beratergruppe Ehrenamt rings um Carola und Oliver Reifenhäuser hat im Mai dieses Jahres ihr Praxishandbuch Freiwilligen-Management herausgegeben. Über 180 Seiten voll mit Werkzeugen, Modellen und Methoden für die Etablierung und das tägliche Geschäft des Freiwilligenmanagements in Nonprofit Organisationen (NPOs). Es handelt sich hier wirklich um ein Praxishandbuch zum Nachschlagen und stöbern. Die Kapitel sind kurz gehalten und meistens mit Schaubildern, Tabellen oder Listen gespickt. Man kann das Buch allerdings auch von vorn nach hinten lesen. Das ist besonders für den Aufbau und die Etablierung des Freiwilligenmanagements (Teil 1) sinnvoll, weil dieser Prozess im Buch Schritt für Schritt durchgegangen wird.
Die Beratergruppe Ehrenamt hat in diesem Praxishandbuch den state of the art des Freiwilligenmanagements und der Freiwilligenkoordination im deutschsprachigen Europa zusammengestellt. Einige der Methoden und Modelle waren mir schon in meiner Ausbildung zum Freiwilligenmanager bei der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland (AfED) begegnet, andere wurden offenbar erst kürzlich in die entsprechenden Ausbildungsgänge aufgenommen. Für meinen Blick in dieses Buch war also besonders interessant, wo denn momentan das Freiwilligenmanagement in Deutschland steht und wie weit das Online- und Micro-Volunteering als gängige Form des freiwilligen Engagements hierzulande noch entfernt ist.
Die Grundidee des Freiwilligen-managements
Das Freiwilligenmanagement ist ein Teil des Personalmanagements in NPOs. Die Idee dahinter: Die Zusammenarbeit mit freiwillig Engagierten für alle Beteiligten optimal gestalten (S. 15ff.). Es geht um die Schaffung einer „engagementfreundlichen“ Organisation mit qualitativ hochwertigen Angeboten, die für die Nutzenden einen klaren Mehrwert darstellen. Im Idealfall soll durch das Freiwilligenmanagement eine „Win-Win-Win-Situation“ entstehen:
Win für die Kunden | Für Nutzende, Klienten, Patienten oder Kunden sind Angebote einer NPO, die durch ehrenamtliches Engagement ergänzt werden, attraktiv, weil eben mehr drin steckt als der bloße Kommerz. Freiwilliges Engagement, z.B. als menschliche Zuwendung offside the job, schafft Vertrauen, um nicht zu sagen Soziales Kapital (Putnam 2001). |
Win für die NPO | Die NPO als Engagement-Ermöglicher kann sich mit dem Einbezug Freiwilliger ein vertrauenswürdiges Profil schaffen. Zufriedene Kunden und glückliche Ehrenamtliche sind einfach die besten Werbeträger. Die Rechnung ist einfach: Dort wo sich Menschen freiwillig Engagieren, entstehen Zugänge zu sozialen Netzwerken in denen Empfehlungsmarketing besonders gut funktioniert. |
Win für die Engagierten | Freiwillig Engagierte finden gute Rahmenbedingungen für ihr Mitwirken vor, auch wenn es nicht immer 100% altruistisch motiviert ist. Ob nun der sinnvolle Zeitvertreib im Ruhestand oder das Freiwillig Soziale Jahr für den Lebenslauf — funktionierende Unterstützungsstrukturen sind den meisten im Engagement wichtig und ein Pluspunkt bei der Entscheidung für eine Freiwilligentätigkeit. |
Worum geht es beim Freiwilligenmanagement also? Es geht um die Schaffung guter Rahmenbedinungen für freiwilliges Engagement. Es geht darum, eine Organisation dahingehend zu entwickeln, dass sich Freiwillige in ihren Strukturen wohl und aufgehoben fühlen. Die Grundidee des Freiwilligenmanagements ist es nicht, über die „hierarchische Kontingentierung von Verantwortungsspielräumen“ (Klages 2002: 13)hinaus, Partizipations- und Gestaltungsspielräume zu eröffnen.
Bezeichnend unkonkret bleibt das Thema Partizipation im Praxishandbuch. Hier und da liest man, man möge die bereits aktiven Freiwilligen nach ihrer Meinung fragen (z.B. wenn es um das Design attraktiver Ehrenamtsprojekte geht) und sie ggf. auch mal zur Teamsitzung der Hauptamtlichen einladen, um so ihre Laienkompetenz nutzen zu können. Viel mehr aber auch nicht. Am konkretesten wird das Thema im fünften Teil des sechsten Kapitels besprochen (S. 66ff.). Unter dem Titel „Partizipation ermöglichen“ werden allerdings nicht Möglichkeiten wirkungsmächtiger Partizipation aufgezeigt, sondern ein Raster vorgestellt, dass den Verantwortlichen bei der Entscheidunghelfen soll, „wie viel Partizipation im jeweiligen Projekt wünschenswert und möglich ist“.
Wer das Freiwilligenmanagement kennt, wie es seit etwa 15 Jahren in Deutschland unterrichtet und praktiziert wird, den wundert die Marginalisierung der Partizipationsdebatte kaum. Gern wird behauptet, dass freiwilliges Engagement per se eine sehr konkrete Form demokratischer Beteiligung und Einflussnahme sei. In der Praxis allerdings wird vor allem gewurschtelt — da geht es vor allem darum, Freiwillige zu akquirieren, ihr Engagement in vorgegebene Projekte und Programme zu leiten und es dann dort zu halten. Da bleibt nicht viel Raum für demokratische Beteiligung.
Das Internet und das Freiwilligenmanagement
Wer glaubt, im Praxishandbuch konkrete Tipps für den Interneteinsatz im Freiwilligenmanagement oder gar Informationen zum Management von Online- und Micro-Volunteers zu finden, wird enttäuscht. Auch das spiegelt die Praxis gut wieder. Der Interneteinsatz ist eine Frage der (zeitlichen) Ressourcen und damit ist das Freiwilligenmanagement im überwiegenden Teil der NPOs schlecht ausgestattet. Den meisten aktiven Freiwilligenmanagerinnen und -managern stehen für ihre Arbeit nicht mehr als zehn Stunden in der Woche zur Verfügung — das ist weder genug, um Online-Communitys zu managen und weiterzuentwickeln, noch ist es ansatzweise ausreichend, um sich in neue Webtools für das Unterstützermanagement einzuarbeiten. Vom New Volunteer Management jedenfalls sind wir hierzulande noch weit entfernt. Das auch, weil es neben dem Ressourcenproblem eine (mehr oder weniger) latente Ablehnung des Interneteinsatzes in NPOs zu geben scheint, die dazu führt, dass wenig konkrete Aufträge erteilt werden — viel mehr jedenfalls als das übliche „mach‘ doch ’ne Facebook-Seite“ oder „fang‘ an zu Twittern“ ist meistens nicht drin.
An dieser Stelle hätte die Beratergruppe mit ihrem Praxishandbuch viel deutlichere Impulse setzen können — bspw. bei der Vorstellung der Sinus Milieus (S. 110f.). Hier geht es ja gerade darum, Verständnis für andere Lebensstile zu entwickeln und mindestens die Marketingmaßnahmen für freie Ehrenamts-Stellen anzupassen. Oberflächlich vorgestellt wird im Buch allerdings nur das allgemeine Modell, dessen einzelnen Milieus unterschiedliche Engagementtypen und -motive zugeordnet werden (siehe Anlage D und E S. 193ff.). Wenngleich es auch zur Internetnutzung der unterschiedlichen Milieus Informationen gibt, bleiben ’neue Medien‘ hier vollständig auf der Strecke.
An einer anderen Stelle im Buch werden die Sozialen Medien des Web 2.0 deutlicher hervorgehoben. Lobenswerter Weise nicht in einem Kapitel zur Öffentlichkeitsarbeit, sondern in einem zu Kooperation und Networking (S. 83ff.). Der darin enthaltene Teil zum Thema Social Media aber strotzt – leider leider (!!!) – von eklatanter Unkenntnis (S. 87f.). Unter „Formen von interaktiven Social Media im Feld des Bürgerschaftlichen Engagements“ werden hier genannt:
- „Kampagnen und Beteiligungsportale für Freiwilligenaktionen„
- „SocialBar — die besten Kampagnen im Netz“(sic!)
- „Crowdsourcing“
- „Community Management auf Facebook“
- „Freiwilligen-Blogs“
- „Web-Konferenzen“
- „Internet Wissenspeicher — Wikis“
Ich glaube, man sollte an dieser Stelle nicht all zu hart urteilen. Wie gesagt: Das Internet und ganz besonders die Sozialen Medien sind im Freiwilligenmanagement Neuland, um nicht zu sagen unbekannte Welten. Insofern ist es lobenswert, dass hier zumindest der Versuch unternommen wurde, das Thema auf den Plan zu rufen. Was an dieser Stelle allerdings warum aufgezählt wurde, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Und so bleibt nicht nur für die Praxis von Freiwilligenmanagerinnen und -managern zu klären, „wie sie diese Kommunikationsverfahren und den damit zusammenhängenden Wissens- und Erfahrungsraum hilfreich in ihre Projekte oder Vorhaben von und mit Freiwilligen [integrieren können].“ Zu aller erst müsste man sich einmal Gedanken darüber machen, womit man es eigentlich zu tun hat.
Fazit
Das Praxishandbuch Freiwilligenmanagement gibt’s zum üblichen Fachbuchpreis von 19,95€. Die Investition lohnt sich für alle, die mit freiwillig Engagierten arbeiten oder ihr Freiwilligenmanagement ausbauen wollen und noch kein eigenes Handbuch in der Organisation haben. Das sind dann wohl besonders kleinere Vereine und Initiativen sowie Nonprofits, die gerade erst gemerkt haben, dass der Einbezug freiwillig Engagierter nicht mehr auf natürlichem Wege gelingt.
Bedenken sollte man bei der Lektüre, beim Stöbern und Ausprobieren, dass Praxishandbücher üblicher Weise nur ein Schlaglicht auf die aktuellen Stand der Entwicklungen — in diesem Falle von Methoden und Modellen für das Freiwilligenmanagement — werfen und diese i.d.R. recht unkritisch darstellen. Auch die Beratergruppe Ehrenamt stellt hier einen state of the art vor, der an vielen Ecken noch weiterentwickelt und vertieft werden muss, wobei nur selten aufgezeigt wird, woran eigentlich noch gearbeitet werden muss.
Als zwei Schwerpunkte künftiger Entwicklung lassen sich m.E. der Interneteinsatz im Freiwilligenmanagement und neue Formen wirkungsmächtiger Partizipation freiwillig Engagierter ausmachen. Weder für das eine noch das andere finden sich im Praxishandbuch Freiwilligenmanagement konkrete Tipps. Und das könnte auch zusammenhängen! Partizipation, Mitwirkung und Teilhabe an der Ausgestaltung der umgebenden Sozialräume ist ein wesentliches Prinzip in der Welt der Sozialen Medien (siehe dazu CCCD 2012). Gerade auf diese Form der Mitwirkung ist das Freiwilligenmanagement aber nicht ausgelegt — wie sollte so denn auch die Win-Win-Win-Situation für Nutzende, die NPO und die Freiwilligen entstehen?
tl;dr: Das Praxishandbuch Freiwilligen-Management zeigt den aktuellen Stand der Entwicklungen im deutschen Freiwilligenmanagement, das noch weit vom Online- und Micro-Volunteering entfernt ist.
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